Es ist immer das gleiche mulmige Gefühl, wenn der Sprit glucksend im frisch lackierten Tank verschwindet und die Finger nervös nach möglichen Leckstellen tasten – zum Glück tropft jedoch nichts. Zündung ein. Alle Kontrolllichter sind da, es blinkt, leuchtet und hupt. Ob der V4 der umgebauten Honda VF 1000 F2 auch läuft? Kraftvoll wirbelt der Anlasser die Kurbelwelle herum, die Benzinpumpe pulst tickernd den Sprit in die Vergaser, sprotzend meldet sich ein Zylinder nach dem anderen zur Arbeit. Bis das 90-Grad-Quartett synchron und sauber vor sich hin wummert, halte ich den Feuerlöscher sicherheitshalber mit gezogenem Splint im Anschlag.
Es wäre nicht das erste Projekt, das beim Startversuch durch Zurückschlagen, Fehlzündungen oder ein Spritleck in Flammen aufgehen könnte. Aber hier brennt nichts an. Dennoch raucht und stinkt der Motor heftig. Was für manche Passanten nach einem gefährlichen Schwelbrand ausschaut, sind jedoch die ganz normalen Ausdünstungen von überschüssigem Öl, Fett und der silbergrauen Auspuffkrümmer-Bandage. In der Summe setzen die Nebelschwaden zwar den Rauchmelder in der Werkstatt in Trab, bevor die Nachbarschaft jedoch besorgt die 112 wählt, ist der Dunst verflogen und die Honda Xpresso V4 grollt sonor und sauber aus dem Megafon-Pärchen, bereit zur Jungfernfahrt!
90 PS zerren am Hinterrad
Aber das mulmige Gefühl bleibt. Warum? Weil die Honda Xpresso V4 mit der VF 1000 F2 nichts mehr gemein hat, weil jede Schraube, jede Halterung, jedes Fahrwerksteil von den Rädern über die Gabel bis zum Federbein abgeändert, ersetzt, überarbeitet oder einfach ersatzlos gestrichen wurde. Und weil die Erfahrung aus grob geschätzten 30 eigenen Um- und Neubauten zeigt, dass selbst bei peniblem Handwerken so manche mechanische Detaillösung in der Praxis aus der Reihe tanzt.
Deshalb rollt die Honda Xpresso V4 zunächst mit roter Nummer im gemächlichen Tempo auf ein großflächiges, übersichtliches Asphaltareal. Mehrere Vollbremsungen aus 150 km/h stehen auf dem Plan. Das klappt mit kräftigem Biss und fein dosierbar, ohne dass sich das Vorderrad-Schutzblech in die neu platzierten Wasser- und Ölkühler bohrt. Auch die Vollgas-Beschleunigung geht locker über die Bühne – selbst wenn danach die 520er-Kette etwas „länger“ ist und nachgespannt werden muss. Schließlich zerren über 90 PS am Hinterrad. Jeder Schaltvorgang sitzt, die Getrieberäder rasten sauber ein und die Anti-Hopping-Kupplung greift unter Volllast zwar etwas diffus, aber letztendlich mit vollem Kraftschluss. Zur Erinnerung: Dieser Motor hat schon 30 Jahre und 86.000 Kilometer auf dem Buckel!
Minis Kaffee-Renner braucht Auslauf
Das Schönste an der Honda Xpresso V4: der Sound des Honda-V4 – ohne Luftfilterkasten und mit zwei kurzen Megafon-Schalldämpfern. Das ist mit Worten einfach nicht zu beschreiben. Und deshalb im unten angehängten Video zu hören und zu sehen. Nach bestandener Grundfunktion muss sich der V4 jetzt im echten Leben bewähren. Stop-and-go durch die Stau-Stadt Stuttgart bei locker 30 Grad klappt ohne zu verglühen, weil über den Druckknopf rechts unterm Tank der große Ventilator hinterm Kühler manuell zugeschaltet werden kann, bevor das reduzierte Kühlsystem kollabiert.
Gezuckel und Geschlängel im Stau, kurze Strecken zur Tanke oder zum Treffpunkt schafft die Honda Xpresso V4 so selbstverständlich wie ein 2016er-Modell. Aber dafür habe ich mir die Maschine ja nicht gebaut. Mein Kaffee-Renner braucht Auslauf, will raus aufs Land, die Showmeile ist mir völlig schnuppe.
Kurven, Kehren, Kuppen – das eigentliche Revier der Xpresso
Wo sich Kehren, Kurven und Kuppen die Hand geben, immer in einem souveränen Sicherheitsabstand zu nervigen Ballungszentren und weit weg von träge dahin- fließenden Bundesstraßen, dort gefällt es der Honda Xpresso V4 – und mir erst recht. Denn die Honda fühlt sich eher wie ein drei Jahre altes Motorrad an und nicht wie ein 30-jähriges! Das liegt nicht nur am geglückten Umbau, sondern auch an der höchst soliden Basis der Honda VF 1000 F2. Zitat vom ehemaligen Test-Kollegen Axel Westphal aus MOTORRAD 14/1985: „Der Motor gefällt durch seine unspektakuläre, aber bullige Kraftentfaltung. Bei jeder Drehzahl hängt er spontan am Gas, vibriert kaum und läuft mechanisch leise.“ So gewann die Honda VF 1000 F2 mit ihrem knurrigen V4-Motor damals souverän gegen die etablierte Konkurrenz.
Zum Erhalt dieser Souveränität musste die Abstimmung von Vergaser und Ansaugtrakt gut ein Dutzend mal verändert und angepasst werden, damit die empfindlichen Keihin-Gleichdruckvergaser auch ohne Luftfilterkasten weiterhin Gasbefehle eins zu eins umsetzen und die Schieber nicht ins Flattern kommen. Jetzt knurrt der V4 über die vier Ansaugfilter mit einem knochentrockenen, harten Stakkato aus dem Maschinenraum. Man hört förmlich, wie die Zylinder gierig nach Luft schnappen und sich das Gemisch in rasender Geschwindigkeit durch die Einlassventile presst.
Wie das Grollen eines Sommergewitters
Damit die Honda Xpresso V4 dennoch den TÜV-Besuch mit Brief und Siegel besteht, dämpfen die beiden kurzen Laser-Megafone mit kombinierter Reflexions- und Absorptionstechnik den Abgasstrom nachhaltig. Mangels Luftfilterkasten, dem kleinen Auspuffvolumen und nicht zuletzt der Laufleistung von mehr als 80.000 Kilometern fehlen dem Honda-Motor auf dem Prüfstand gut zehn PS auf die einst angegebene Höchstleistung.
Doch die 99 gemessenen Pferde bringen die nunmehr nur noch 234 Kilo schwere Honda Xpresso V4 gehörig auf Trab. Mehr braucht mein Kaffee-Renner nicht. Schon gar nicht, wenn dich der dicke Verbrennungsmotor mit dem Grollen eines Sommergewitters durch die Landschaft katapultiert!