Königswelle und Desmodromik - für Franz Pohn ist das die konsequenteste und eleganteste Art, vier Ventile pro Zylinder zu betätigen. Da BMW solche Wünsche nicht erfüllen kann, baute er sich seinen Traumboxer selbst.
Königswelle und Desmodromik - für Franz Pohn ist das die konsequenteste und eleganteste Art, vier Ventile pro Zylinder zu betätigen. Da BMW solche Wünsche nicht erfüllen kann, baute er sich seinen Traumboxer selbst.
Der Oberösterreicher Franz Pohn aus dem idyllischen Vöcklabruck ist eigentlich überzeugter BMW-Fahrer, wie eine BMW R 1100 RS in seinem Fuhrpark beweist. Doch wie vielen eingefleischten Fans der Marke ist ihm die Technik der alten und neuen Bayern-Boxer nicht anspruchsvoll genug. Die Königswellen-Rennmaschine RS 54 aus den fünfziger Jahren ist zumindest konzeptionell auch für Franz Pohn die Verkörperung des Boxers schlechthin. Die Idee, das Konzept des Vorbilds auf eine moderne Konstruktion zu übertragen, beflügelte seine Phantasie schon lange, und so baute er Anfang der achtziger Jahre einfach eine R 90 S auf Ventilsteuerung mit Königswelle und Desmodromik um (MOTORRAD 3/1986).
Doch Stillstand ist Rückschritt, dachte sich der ehemalige technische Leiter einer Armaturenfabrik, der heute seinen Ruhestand genießt, und brütete bereits 1987 an einem neuen Projekt. Die Eckdaten waren klar: Es mußte natürlich wieder ein Boxermotor mit Königswellen für die Ventilsteuerung sein. Vier statt wie bei dem ersten Umbau zwei Ventile waren selbstverständlich, und da der Techniker nicht nur BMW-Liebhaber, sondern auch Ducati-Fan und -Besitzer ist, sollten diese wiederum desmodromisch betätigt werden. Anstatt Federn schließt also ein zweiter, von einer zusätzlichen Nocke betätigter Kipphebel das Ventil.
Im Gegensatz zu seinem Erstlingswerk, das auf dem Fundament des Stoßstangen-Boxers basierte, wollte der Tüftler beim Nachfolger keine Kompromisse eingehen. Der Motor mußte folglich eine komplette Neukonstruktion mit allen Konsequenzen sein, will heißen, von der Idee über die Konstruktion bis zur Fertigung sämtlicher Teile sollte alles in Eigenregie entstehen. Und noch ein weiteres Ziel hatte sich Franz Pohn gesteckt. Über die Entwicklung des neuen Boxers in München bestens informiert, wollte er mit seinem Projekt vor den Weißblauen fertig sein.
1987 nahmen seine Überlegungen - oder wie es Franz Pohn ausdrückt: »Gsponnen hab i schon vorher« - auf dem Reißbrett konkrete Formen an. Getreu dem historischen Vorbild treibt die Kurbelwelle über Zahnräder eine darüberliegende Zwischenwelle an. Auf der sitzen die Kegelräder für die Königswellen zu den Zylindern. Die versetzen jeweils eine obenliegende Nockenwelle pro Zylinder in Rotation, die über gegabelte Öffner- und Schließer-Kipphebel die Ventile betätigt. Bei einigen wenigen Teilen griff der Erbauer auf Bewährtes zurück. So boten sich die Kurbelwelle und die Zylinder der alten Boxergeneration an. Letztere legten mit 70,6 Millimeter Hub und 94 Millimeter Bohrung gleich den Hubraum von 979 cm³ fest. Auch die Motorhalterungen und der Getriebeflansch orientierten sich am Bayern-Boxer, da Fritz Pohn das Paralever-Fahrwerk einer R 100 R und deren Getriebe leicht modifiziert übernehmen wollte.
Ansonsten setzte der Österreicher aber tatsächlich vollständig auf Eigenarbeit. Sogar die Modelle für die Gußformen fertigte er selbst. Allein die Form für den Zylinderkopf besteht aus nicht weniger als sieben Teilen. Nach einigen Probeabgüssen flossen immer neue Erkenntnisse ein, so daß das Gehäuse mehrere Änderungen erfuhr. Selbstverständlich bearbeitete der Motorenbauer sämtliche Gußteile in seiner perfekt eingerichteten Werkstatt persönlich, und sogar Teile wie Kipphebel oder Nockenwellen entstanden in Eigenanfertigung.
Von 1990 bis 1994 vergingen mehrere tausend Stunden, bis der Motor Ende 1994 startbereit war. Den Wettlauf mit BMW in München hatte Franz Pohn zwar verloren - wobei ihn ein Unfall um ein Jahr zurückwarf -, aber das Ergebnis rechtfertigt die etwas längere Entwicklungszeit des Einmannteams. Nach der Verpflanzung des Triebwerks ins BMW-Fahrwerk verlief der mit Spannung erwartete erste Probelauf völlig problemlos. Zufrieden berichtet der Konstrukteur: »A Druck aufs Knöpferl, und scho is der Motor grennt.« Die Zulassung der österreichischen Verkehrsbehörde erhielt die Neukonstruktion auf Anhieb. Nach einigen Abstimmungsarbeiten war sie absolut alltagstauglich, wie sich inzwischen mit einer Laufleistung von mehreren tausend Kilometern bestätigt hat.
Als Franz Pohn seinen Eigenbau für MOTORRAD anläßt, entweicht der BMW-Anlage ein von den Boxern her vertrauter Sound, allenfalls ein leichtes Heulen weist auf die Existenz von vier Kegelradpaaren hin. Das will der Perfektionist aber durch Verringern des Zahnflankenspiels noch reduzieren. Die Leistung vergleicht er mit der seiner R1100 RS und tippt auf 90 bis 95 Pferde, doch noch ist nicht aller Tage Abend. In Abwesenheit seiner besseren Hälfte, die ihren Mann in den letzten Jahren lediglich in der Werkstatt zu Gesicht bekommen hat, gesteht der Diplon-Ingenieur seine nächsten Pläne. Zum einen will er die Dellorto-Vergaser durch eine Einspritzanlage ersetzen und eine Doppelzündung installieren, zum anderen träumt er von kompakteren Zylinderköpfen, die den im Vergleich zu den BMW-Vierventilern momentan noch zwanzig Millimeter breiteren Boxer schmaler machen sollen.
Wer Franz Pohn einmal kennengelernt hat, der ist überzeugt, daß er auch diese Vorhaben in die Tat umsetzen wird. Schließlich gibt er selbst verschmitzt zu: »Die zweite BMW ist aus dem Übermut der ersten entstanden.« Und ein gewisser Übermut ist ihm auch heute mit seinen 66 Lenzen noch anzusehen. So kann die Motorradwelt hoffen, daß von PMW - den Pohn Motoren-Werken - noch einiges zu erwarten ist.