BMW präsentierte 1998 den sportlichsten Serienboxer aller Zeiten. Doch BMW-Fan Romolo Liebchen aus Reit im Winkel wollte mehr und rüstete eine R 1100 S so auf, daß sie zu Recht Sportboxer heißen darf.
BMW präsentierte 1998 den sportlichsten Serienboxer aller Zeiten. Doch BMW-Fan Romolo Liebchen aus Reit im Winkel wollte mehr und rüstete eine R 1100 S so auf, daß sie zu Recht Sportboxer heißen darf.
Sachskurve, montags in Hockenheim, Stille. Plötzlich in der Ferne dumpfes Grollen, dann der Schlag eines frei atmenden, hochdrehenden Boxers. In tiefer Schräglage biegt die Boxer-Team-BMW-R 1100 S ins Motodrom, beschleunigt Richtung Sachskurve, hebt keck schlingernd das Hinterrad, als der Testfahrer auf der Bremse einbiegt und gleich nach dem Scheitelpunkt mit weit geöffneten Drosselklappen durch die folgende schnelle Links-Rechts-Kombination beschleunigt. Die Stoppuhr zeigt 1.11,64 Minuten. »Nicht ganz einfach zu fahren, aber 1.09 wäre im Rennbetrieb sicher drin«, schätzt Markus Barth, Rennfahrer und Tester bei MOTORRAD. Rundenzeiten, traumhaft für jedes Sportmotorrad, unerreichbar für eine serienmäßige R 1100 S. Wie ist das möglich? Frei von der Last jeglicher Marketing-Auflagen entwickelte das Boxer-Team um Romolo Liebchen und Berthold Hauser, großzügig unterstützt von enthusuiastischen Zulieferern, eine R 1100 S zum Langstreckenrenner mit Serienoptik.
Erster Schritt: Leichtbau. Die Thermoplastverkleidung wich (käuflichen) Kohlefaserteilen von Kohlefaserpapst Clemens Driesch aus Neustadt/Weinstraße. Ein selbsttragender, stabiler Kohlefaserhöcker (Gesamtgewicht nur 1,9 Kilogramm) ersetzt Heckrahmen, Verkleidung und Sitzbank. Lohn der Mühen: ein Kampfgewicht von 202 Kilogramm vollgetankt (mit Lichtanlage!) bei einer rennmäßig frontlastigen Gewichtsverteilung von 55 zu 45 Prozent.
Zweiter Schritt: hohe Leistung bei hervorragender Haltbarkeit. Helmuth Mader, Tuning-Magier aus Erding, erhöhte zunächst Bohrung und Hub (mittels erleichterter R 1200 C-Kurbelwelle) auf 101 x 72,5 Millimeter (Gesamthubraum: 1162 cm³). Der serienmäßig ziemlich unausgewogene Kurbeltrieb wurde feingewuchtet, sämtliche Gleitlagerflächen feinbearbeitet - so schmal wie möglich, so breit wie nötig, mit optimaler Lagerluft und minimaler Reibung.
Leichte Pankl-Titanpleuel und Mahle-Schmiedekolben verringern die rotierenden Massen. Die Vorteile: größere Leistung, Drehzahlfestigkeit, verringerte Kreiselkräfte des Motors und somit leichteres Handlingund zu guter Letzt schwächere Vibrationen (beim Boxer nicht von Massenkräften, sondern von Massenmomenten hervorgerufen).
Nicht unwillkommen, daß dank der kurzen Pleuel und der niedrigeren Kompressionshöhe der Kolben die Zylinder um jeweils acht Millimeter gekappt werden konnten, was die Bodenfreiheit vergrößert. Aus den kurzen Pleueln resultiert aber auch ein radikaleres Kurbelverhältnis, was wiederum Vibrationen fördert und die Haltbarkeit mindert. Dennoch vibriert der Motor spürbar weniger als das Serienpendant. Zudem überstand er bis jetzt schadfrei viele tausend Rennkilometer.
Pfiffige Lösungen auch in den Zylinderköpfen, die im Rennboxer größere Ein- und Auslaßventile beherbergen. Zum Beispiel ersetzen filigrane »Elefantenfüße« (gelenkige Gleitschuhe über den Ventilschäften) aus einem 125er Rotax-Motörchen die rustikalen Serien-Pendants. Insgesamt verlor der Ventiltrieb ohne Einbußen bei der Dauerhaltbarkeit 50 Gramm an oszillierenden und rotierenden Massen. Die Verdichtung wurde, so Mader, »größer als 11,4 : 1«.
Auch Ansaug- und Auspuffseitig fand das Boxer-Team eigene Lösungen. Dieter Jud, Kennfeldspezialist bei BMW in München, programmierte Einspritzung und Zündung leistungsfördernd um (Nebenbei betreut er auch das PI-Data-Recording). Der zerklüftete Ansaugweg des Serienboxers wurde bei Krontek in Neutraubling durch eine geradlinige Führung durch den Alu-Tank ersetzt. Dies erhöhte die Leistung ebenso unmittelbar wie ein speziell gefalteter Papierluftfilter. Die von MHG in Böbingen beigsteuerte Zwei-in-eins-Auspuffanlage aus Edelstahl mit dem voluminösen Schalldämpfer (Schall-Absorption plus Reflektion) verbessert nochmals Leistung und Leistungsentfaltung. Lohn der Mühen: 118 PS, ein gewaltiges Drehmoment und eine begeisternde Motorcharakteristik.
Dritter Schritt: Fahrwerksmodifikation. Die Basis erwies sich als gut, weshalb die Seriengeometrie (mit BMW-Sport-Kit) erhalten blieb. Leichte Sachs-Race-Engineering-Federbeine mit Alu-Dämpfergehäuse übernehmen Federung und Dämpfung an Tele- und Paralever. Die aufwendigen Federbeine lassen sich in Zug- und Druckstufe, dort jeweils in High- und Lowspeed-Dämpfung einstellen.
Gebremst wird der Sportboxer von Brembo-Monoblocksätteln, für die die Firma Müller-Präzisionstechnik in Pyrbaum Adapter fertigte. Während normale Bremssättel aus zwei Hälften verschraubt werden, wird der »Monoblock« aus einem Alu-Stück gefräst. Dadurch steigt die Stabilität, die Spreizung unter Bremsdruck bleibt minimal. In Verbindung mit ebenfalls sehr verformungsresistenten Stahlflexleitungen gelangt der Bremsdruck nahezu verlustfrei von der Magura-Radialhandpumpe auf die Bremsscheibe. Effekt: Besser dosierbar kann eine Bremse kaum noch sein. Michelin-Race-3-Radialreifen komplettieren den sportlichen Mix mit sicheren Fahreigenschaften und enormen Haftungsreserven.
Das Ergebnis der Arbeiten insgesamt: Mit erstaunlicher, nicht mit der Serie vergleichbarer Leichtigkeit durcheilt die BMW schnelle Wechselkurven und lenkt absolut präzise ein. Druckvoll hängt der mega-potente Boxer am Gas, die superben Bremsen sind ein Genuß. Auf Lastwechsel reagiert das Fahrwerk in ungewohnter Manier. Die Front hebt sich weit aus dem großen Negativfederweg, die Hinterhand verhärtet bei starkem Beschleunigen. Beim Bremsen das umgekehrte Bild: Das an sich sensible Telelever verhärtet sich, das Motorrad reagiert mit Unruhe. Eigenheiten, die in der konzeptionellen Auslegung von Tele- und Paralever wurzeln. Schnelles Fahren mit dem Rennboxer erfordert von Piloten, die konventionelle Fahrwerke mit Telegabel und Kettenantrieb gewöhnt sind, eine radikale Umgewöhnung. Die erreichten Rundenzeiten beweisen allerdings das große Potential der Konstruktion.
Dieser Boxer darf ohne Schamesröte den Vornamen Sport tragen. Und er ist ein Beispiel dafür, daß große Unternehmen mit manchmal zu großer Vorsicht Neuland betreten. Viele Lösungen wären ohne Funktionseinschränkungen in die Serie übertragbar, und das mit einem Plus an Leistung und einem Minus an Gewicht. Warum eigentlich nicht so, BMW? Wäre das nicht der Sportboxer, wie ihn die Welt erwartet hat? Eine solche BMW würde eine blendende Breitensport-Basis abgeben. Macht euch und den Fans in aller Welt die Freude und laßt euren Technikern freien Lauf. Zur Freude aller Motorradfahrer.