Trial-Jawa von Günter Ruttloff
Trial-Gemse Marke Eigenbau

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Mit viel Geschick und der ­hohen Kunst der I­mpro­visation zauberte Günter Ruttloff aus der serien­mäßigen 175er-CZ/­Jawa ­flinke und robuste Trial-Gemsen. MOTORRAD ­Classic hat den Pre-65-Geländehüpfer des sechsfachen DDR-Meisters ­unter die Lupe ­genommen.

Trial-Gemse Marke Eigenbau
Foto: markus-jahn.com

Man könnte sich bei dieser Geschichte ohne Weiteres des Klischees der orientierungslosen Industrieproduktion in den ehemaligen Ostblock-Ländern bedienen, als sich Günter Ruttloff Anfang der 60er-Jahre ans Werk machte. Wie so viele leidenschaftliche Geländefahrer hatte auch der Chemnitzer aus dem Stadtteil Euba damit zu kämpfen, dass Konfektionsware für den Wettkampf entweder rar und teuer oder gar nicht verfügbar war.

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Speziell für die Trialszene – im Osten wie im Westen – war das Angebot an wettbewerbsfähigen und bezahlbaren Motorrädern mehr als dürftig. Erst in den 70er-Jahren konnten Kletterkünstler auf spanische Montesas und später auch Bultacos steigen, die als echte Trialmaschinen konzipiert waren. MZ und Maico mischten zwar erfolgreich im Gelände- und Motocross-Sport mit, wollten sich im Trial-Sport aber nicht versuchen. Nein, Trial, das war nicht der Reißer, das waren Motorräder zum langsam fahren. Und wer wollte in der Aufbruchstimmung der 60er-Jahre schon langsam fahren? Also setzten beide Firmen zur Verkaufsförderung lieber auf den Motocross- und Straßen-Rennsport, um die jugendliche Kundschaft durch Kraft und Geschwindigkeit zu überzeugen.

Eigenbau die einzige Alternative

Als Alternative blieb den Geschickten daher nur der Eigenbau. Die einen strickten sich ihre Gefährte aus gezähmten GS- oder Motocross-Maschinen zusammen. Andere, wie zum Beispiel Günter Ruttloff, suchten sich robuste und bewährte Großserienmotorräder, die mit radikalem Schnitt Gewicht einbüßten und im gleichen Maße an Handling zulegten.

Doch allein mit Flex und Eisensäge wurde aus einer moppeligen Jawa oder baugleichen CZ 175 noch kein Motorrad fürs extreme Gelände. Wer mit seinem Eigenbau gewinnen wollte, musste ans Eingemachte. Und das mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Nur der radikale Umbau am Motor brachte den erwünschten satten Punch, um, im wahrsten Wortsinn, im Handumdrehen aus den Puschen zu kommen.

Oben kräftige MZ-Zylinder, unten robuste Jawa-Gehäuse

Schon damals wussten die Spezialisten mit den Vorzügen eines blitzschnell ansprechenden Zweitakters umzugehen und sich quasi aus dem Stand einen Steilhang oder mannshohen Absatz hinauf zu katapultieren. Und weil auch in solchen Momenten Hubraum durch nichts zu ersetzen ist, musste aus dem robusten 175er-Jawa-Unterbau ein kräftiger Motor mit 250 Kubikzentimeter Hubraum erwachsen. Bei 65 Millimetern Hub genügte dazu der MZ 250-Zylinder mit 70er-Bohrung und einem sanften, aber überzeugenden Drehmomentverlauf.

Nur leider passten weder die Stehbolzenabstände noch Form und Position der Überströmkanäle. Mit den Zugriffsmöglichkeiten auf ein Aluminium-Schweißgerät gesegnet, kappte der mit einem Schweißerpass geadelte Günter Ruttloff das CZ-Gehäuse und verschweißte es mit dem passenden MZ-Gegenstück. Um nicht für jeden seiner zirka 60 angefertigten EURO-Motoren (setzt sich aus EUba und Ruttloff Original zusammen) ein MZ-Gehäuse irreparabel zerstören zu müssen, wurde der „Kurbelgehäuse-Flansch“ als Einzelteil gegossen, bearbeitet und auf das CZ-Gehäuse aufgepfropft. Nicht nur wegen des Wärmeverzugs ein heikler Akt, auch die vertikale Trennfläche des tschechischen Gehäuses musste sorgfältig nachgesetzt und egalisiert werden.

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In der klassischen Trialszene ist die Ruttloff-Jawa der bestaunte Exote zwischen Bultaco, Montesa, Fantic und Konsorten.

Die Kurbelwelle und das unkaputtbare Vierganggetriebe der CZ mitsamt Korkreibscheiben-Kupplung wurden übernommen, nur die Simplex-Primärkette hin und wieder ersetzt. Wobei die heutzutage eingesetzten EURO-Motoren mit robusten KTM-Pleueln und entsprechenden Lagern renoviert werden.

Warum hat Ruttloff nicht gleich den kompletten MZ 250-Motor verwendet? „Die Kupplung der MZ war direkt auf der Kurbelwelle montiert und funktionierte nur digital, also entweder Kraftschluss oder keiner. Dosiert schleifen lassen war für meinen Fahrstil unmöglich“, rechtfertigt der Meister den immensen Umbau-Aufwand. Zudem war der MZ-Zweitakter zu schwer. Und ihm fehlte ein feines Detail des CZ-Klauengetriebes: Hier fungiert der um 90 Grad nach oben geklappte Schalthebel zugleich als Kickstarter. Einfach klasse gemacht. Oder, um es mit den Worten eines aktuellen Werbeslogans zu sagen: simply clever.

Ruttloff greift auf die MZ-Zylinder bis Baujahr 1966 zurück

Um dem aktuellen Reglement der Trial-Klassiker bis Baujahr 1965 (Pre-65) zu entsprechen, sitzt an der Ruttloff-Jawa von Besitzer und Klassik-Trialer Norbert Johna ein 24er-Vergaser der Berliner Vergaser Fabrik (BVF). Natürlich schnürt so ein winziger Querschnitt dem 250er-Motor die Spitzenleistung dramatisch ab, sorgt aber in Verbindung mit relativ kurzen Steuerzeiten und dem sehr „schlanken“ Auspuff mit extrem langem, zylindrischem Krümmer für ein Höchstmaß an Durchzugskraft aus dem tiefsten Drehzahlkeller.

Und genau darauf kommt es an, wenn die Klassik-Akrobaten ihre fliegengewichtigen Untersätze durch die kniffligen Sektionen bugsieren. Aus diesem Grund greift Günter Ruttloff auf die MZ-Zylinder bis Baujahr 1966 zurück. Danach wurden die Steuerzeiten der Breitwandzylinder verlängert, um für die MZ-Straßenmodelle das eine oder andere PS zu mobilisieren. Für eine Trial-Maschine der falsche Weg. Gezündet wurde entweder mittels Batteriezündung oder der ab 1970 verwendeten Schwunglichtmagnetzündung von Simson, bei beiden Varianten stets mit dem klassischen Unterbrecher.

Vom originalen Jawa/CZ-­Rahmen blieben nur Fragmente übrig

Wie der Motor musste auch das Serienfahrwerk gewaltig Federn lassen. Der Steuerkopf mit Hauptrahmen blieb erhalten, allerdings wurden die Rohrunterzüge zwischen vorderer Motoraufhängung und Schwingenlager ersatzlos gekappt. Dort sitzt jetzt ein stabiles Aluminium-Schutzblech, das den Motorblock sauber über Steinstufen und Hindernisse schlüpfen lässt. Stabilitätsprobleme ergeben sich dadurch nicht, zumal der Motor mit seiner Zylinderkopfabstützung den Rahmen über einen Dreiecksverbund zusammenhält. Bei genauer Betrachtung mutierte die ursprüngliche Einrohrschleifen-Konstruktion zu einem Einrohr-Brückenrahmen, dessen Hinterbau komplett entfernt und durch ein leichtes Rahmenheck mit tiefem Sitzkissen ersetzt wurde.

Mit rund 4,3 Kilogramm steuert der Ruttloff-Rahmen einen gewichtigen Beitrag zur Gewichtseinsparung der gerade mal 84 Kilogramm leichten Jawa 250 bei. Für die richtige Balance und Gewichtsverteilung des Trialers verkürzte der Konstrukteur die aus 20 x 2,0 Millimeter starkem Präzisionsstahlrohr neu angefertigte Schwinge. Die Auswahl von Gabel und Federelementen überließ Ruttloff seinen Kunden, die in den meisten Fällen kein komplettes Motorrad, sondern nur den Rahmentorso mitsamt EURO-Motor erstanden. Der Rest wurde je nach Geldbeutel und Verfügbarkeit zusammengestückelt, weshalb Ruttloffs Trialer allesamt individuelle Einzelstücke geworden sind.

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Führung des Kupplungszugs durch die Kühlrippen und eine 90-Grad-Umlenkung über eine Rolle.

Im Fall der von MOTORRAD Classic vorgestellten Variante federt vorn eine MZ-Telegabel und achtern ein Pärchen Rock Shocks-Federbeine aus England. Dass die erfolgreichen Ruttloff-Trialer nicht den Weg in den Westen fanden, lag unter anderem am Handelsverbot mit NSW-Ländern – das war die Kurzform für „Nicht sozialistische Wirtschaftsgebiete“.

Dem damals als „Kalten Krieg“ betitelten Kampf der Systeme fielen auch die internationalen Karrieren der ostdeutschen Offroader zum Opfer, die mit Ausnahme der Fahrer der staatlich geförderten MZ-Werksmannschaft meist gegen Konkurrenten aus Ostblock-Staaten antraten. Erst 1994 errang Günter Ruttloff auch im Westen einen Titel im Süddeutschen Senioren-Pokal. Er ist bis heute leidenschaftlich gern und regelmäßig in der Klassik-Trialszene unterwegs.

Technische Daten Ruttloff-Jawa/EURO

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Gertenschlank und gerade mal 84 Kilogramm schwer.

Ruttloff-Jawa/EURO

Motor:

  • Einzylinder-Zweitaktmotor mit Schlitzsteuerung
  • Bohrung x Hub 70 x 65 mm
  • Verdichtung 7,7:1
  • Hubraum 250 cm³
  • Leistung k. A.
  • 24er-BVF-Vergaser
  • Mischungsschmierung 1:70

Kraftübertragung:

  • Mehrscheiben-Ölbadkupplung
  • Viergang-Klauengetriebe
  • Rollenkette

Fahrwerk:

  • Einrohr-Brückenrahmen, unten offen
  • Zweiarmschwinge
  • ölgedämpfte Rock Shocks-­Federbeine
  • MZ-Telegabel vorn
  • Drahtspeichenräder mit Alufelgen
  • Reifen vorn 2.71-21, hinten 4.00-18
  • bereift mit Michelin Competition
  • Simplex-Trommelbremsen vorn und hinten

Maße und Gewichte:

  • Radstand 1330 mm
  • Trockengewicht mit einem Liter Sprit 84 kg
  • Tankinhalt 4,5 l
Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD CLASSIC 6 / 2023

Erscheinungsdatum 05.05.2023