130 PS liefert der Guzzi-V2, den böse Zungen den Betonmischmaschinen zuordnen. Beim Lauf zur italienischen Vintage-Langstrecken-Meisterschaft triumphierte die Horvath-Moto Guzzi Le Mans. Was kann das wahnsinnig arge Eisen?
130 PS liefert der Guzzi-V2, den böse Zungen den Betonmischmaschinen zuordnen. Beim Lauf zur italienischen Vintage-Langstrecken-Meisterschaft triumphierte die Horvath-Moto Guzzi Le Mans. Was kann das wahnsinnig arge Eisen?
Na, vollkommen entspannt bin ich nicht. Ich kenne zwar den Pannoniaring sehr gut und würde die Linie auch im Schlaf finden, aber vor mir steht mit der Horvath-Moto Guzzi Le Mans keine moderne Supersport-Maschine, die heutzutage ja allesamt extrem benutzerfreundlich und sicherheitsorientiert funktionieren, sondern ein wirklich arges Gerät, das einerseits vermutlich früh in den Grenzbereich kommt und andererseits keine narrensichere, rettende Elektronik an Bord hat. Erschwerend kommt hinzu, dass ich zwar Guzzis immer wegen des starken Charismas und des unverwechselbaren Charakters geliebt habe, aber dass ich niemals einen feisten Adler aus Mandello für einen Trackday gewählt hätte.
Niemals! Bei aller Liebe: Seit ich denken kann, waren Guzzis immer Eisen, die beim herkömmlichen Straßenfahren einen hohen Erlebniswert hatten, aber im Rennsport voll unterlegen waren. Keine Leistung und kein Fahrwerk – eine ungünstige Kombination, wenn man schnelle Rundenzeiten in den Asphalt brennen will. Dennoch sind mir abfällige Kommentare, wie zum Beispiel dass der 90-Grad-Guzzi V2 ursprünglich als Motor für eine Betonmischmaschine konzipiert wurde, immer zuwider gewesen. Herablassendes ist meistens ein Schwachsinn, und in diesem Fall besonders. Moto Guzzi hat in den 40er- und 50er-Jahren insgesamt 15 Welt- und Europameistertitel geholt, ehe man sich 1957 vom Rennsport zurückzog, weil der dramatisch einbrechende Motorradmarkt den Hersteller aus Mandello del Lario in arge finanzielle Bedrängnis gebracht hatte. Die somit um ihren Tätigkeitsbereich gebrachte Rennabteilung entwickelte dann den noch heute typischen Guzzi-V2 für den Einsatz im Fiat 500. Letztendlich nahm Fiat ein anderes Triebwerk, aber der Motor ist im Wesentlichen bis heute gültig. In der Horvath-Moto Guzzi Le Mans liefert er Prüfstand-beglaubigte 118 PS und 119 Nm am Hinterrad.
Bevor ich aufsteige, muss ich mich noch einmal versichern: „Was ist mit den schmalen 18-Zoll-Reifen? Haben die eh einen Grip und einen Grenzbereich, oder reißt es mich spektakulär vom Bock, wenn sich Drehmoment und Leistung treffen?“ Peter Horvath, der seit 40 Jahren die kampfstärksten und auf der Rennstrecke schnellsten Guzzis baut (keine Übertreibung), hebt die Brauen: „Das sind die CR von Continental. Sehr gute Reifen. Früher haben die keine sportwürdigen Gummis gebaut, aber der CR ist jetzt die erste Wahl bei klassischen Rennmaschinen. Wir fahren mit einem Satz Reifen einen gesamten Endurance-Lauf, der vier Stunden dauert. Und lange aufwärmen musst du ihn auch nicht. Der funktioniert schon in der dritten Kurve. Wirst sehen, das geht richtig gut. Aber vergiss nicht die verkehrte Schaltung!“
Beim Stichwort „verkehrte Schaltung“ bekomme ich immer heiße Ohren. Da hebt es den Puls, da werde ich unrund. Ist ein Trauma. Dass bei Rennmaschinen der Einser oben ist und dann die weiteren Gänge nach unten gedrückt werden, ist logisch, weil man ja in tiefer Schräglage beim Rausfeuern nicht mit dem Fuß unter den Ganghebel kommt. Aber da ich als Straßenfahrer sozialisiert worden bin und 99 Prozent meiner mittlerweile rund 700.000 Kilometer am Eisen mit herkömmlicher Schaltung unterwegs gewesen bin, ist es leicht möglich, dass ich im Eifer des Gefechtes das ungewohnte Schaltschema vergesse. Wäre selbstverständlich eine Katastrophe.
Abgesehen davon, dass es bei einem derart brachialen passiven Überdrehen zu einem kapitalen Motorschaden kommt, weil sich Ventile und Kolben nicht aus dem Weg gehen können, ist auch ein Sturz sehr wahrscheinlich. Wenn du die volle Beschleunigung
erwartest und stattdessen die volle Motorbremse ausfasst, bleibst du nicht sitzen. Ein Trauma habe ich deshalb, weil ich vor Jahren in Jerez die Repsol-MotoGP-Honda vom Rossi fahren durfte und zur Hälfte der zweiten Runde einfach nicht mehr wusste, ob der nächste Gang oben oder unten ist.
Das waren fürchterliche Sekunden, in denen die aufkeimende Panik logisches Denken unmöglich machte. Ich meine, als Journalisten-Nudel einen MotoGP-Motor abstechen, weil man die verkehrte Schaltung vergessen hat, ist halt nicht genau das, was man sich wünscht. Lebenslange Ächtung ist nicht erstrebenswert – die Japaner sind nachtragend. Ich nicke. Passt. Einser oben. Dann drückt Meister Horvath auf den Starter, gibt im richtigen Moment die richtige Dosis Gas, und der mächtige V2 der Moto Guzzi Le Mans wacht auf wie ein Stier nach einem Albtraum. Brutal, wie es den Motor durchreißt und wie es ihn ungestüm im Rahmen seitlich hin- und herbeutelt. Irr!
Das muss dich doch im Radius ansatzlos abwerfen! Egal. Da muss ich jetzt durch. Ich schicke kurze Gasstöße in den alten Moto Guzzi Le Mans-Motor, der jetzt 1150 Kubik hat, finde den rauen, dumpf bellenden Klang großartig und nehme überrascht zur Kenntnis, wie viel Kraft ich zum Drehen des Gasgriffs brauche. Die beiden an herkömmlichen Seilzügen hängenden 40er-Dellorto-Vergaser sind halt doch anders als elektronisch gesteuerte Drosselklappen à la Ride-by-Wire.
Die Sitzposition passt gut. Old School Racing. Tiefe Stummel, langer Tank, spartanischer Sitz, Fußrasten weit hinten und hoch. Mit äußerstem Wohlwollen registriere ich, dass der zornig bebende Motor ab 4.000/min so etwas wie Laufruhe entwickelt. Zwar sind die bemerkenswert starken Vibrationen des Triebwerks bis zum Begrenzer bei 8.700/min immer präsent, aber sobald man die Tiefen verlassen hat, rüttelt und schüttelt es nicht mehr, und somit verfliegt die Angst, dass der V2 der Horvath-Moto Guzzi Le Mans im Kurvenscheitel Unruhe ins Fahrwerk bringen könnte.
Tut er nicht. Ich bin echt überrascht, wie weich und voll der mörder getunte, alte Motor ans Gas geht. Er explodiert nicht. Im wahrsten Sinne des Wortes sowieso nicht (wäre ja für Langstreckenrennen alles andere als ideal), und in Bezug auf die Leistungsentfaltung auch nicht. Knapp über 5.000/min hat man zwar das Gefühl, dass der V2 jetzt mehr Kohlen ins Feuer wirft, aber insgesamt ist es einfach ein druckvoller Verlauf mit einem gewaltigen Drehmomentplateau. 1.150 Kubik sind halt nie verkehrt. Im Vergleich zu einer serienmäßigen Le Mans III von 1981, deren 850er-Motor unabhängig von der geschönten Werksangabe nicht viel mehr als 60 PS serviert hat, ist die Horvath-Moto Guzzi Le Mans eine Flutwelle.
Die letzten Feinheiten des Tunings hat mir der Meister selbstverständlich nicht verraten („Ich mache das ja nur zum Spaß. Und ich will nicht, dass eine andere Guzzi so schnell wie meine ist“), aber die Richtung ließ er erkennen: leichtere, feingewuchtete Kurbelwelle, Carillo-Pleuel, größere Schmiedekolben, höhere Verdichtung, Kopfbearbeitung und eine scharfe, untenliegende Nockenwelle, die aus dem Vollen gearbeitet wurde. Horvath: „Diese Nockenwelle hat sonst niemand.“ Ein kleines Detail hat er aber doch preisgegeben: „Die Auspufftöpfe sind von Mivv für eine Aprilia RSV Mille. Die waren günstig zu haben. Ich habe die Einsätze rausgenommen und zwei spezielle Endkappen aus Alu gemacht. Hat vier PS gebracht.“
Die Kraft und die guten Manieren des Motors im Sinne des Ansprechverhaltens und der Leistungsentfaltung finde ich großartig, die Bremse begeistert mich weniger. Im Vergleich zu einem modernen Supersportler ist der Anker durchaus als Drama zu bezeichnen. Relativ viel Handkraft ist notwendig, der Biss bleibt trotzdem eher zahnlos. Das liegt aber nicht daran, dass Meister Horvath ein überzeugter Anhänger der Philosophie „Wer bremst, verliert“ wäre, sondern am Reglement für europäische Vintage-Langstrecken-Meisterschaften. Da dürfen nämlich nur Zweikolbensättel verwendet werden. Mehr Freiheiten gibt es bei den Federelementen. Hinten kommen Wilbers-Stereobeine zum Einsatz, vorne eine voll einstellbare 41er-Gabel aus einer Honda VTR 1000. In Verbindung mit dem sehr guten Gitterrohrrahmen, den Lino Tonti Anfang der 70er-Jahre für Moto Guzzi konstruiert hat (erstmals eingesetzt 1971 in der V7 Sport, gebaut bis zur Jahrtausendwende), zeigt die Horvath-Moto Guzzi Le Mans eine auch für heutige Verhältnisse tadellose Stabilität, die Vertrauen fördert und ordentliche Kurvengeschwindigkeiten zulässt.
Wow, unglaublich wie sich das alte Eisen durch die Radien frisst! Selbst das Einlenken gelingt nahezu spielerisch und verlangt nicht nach starken Impulsen an den Stummeln. Kleine Abstriche muss ich bei Linienkorrekturen in Schräglage machen. Da entwickelt die Horvath-Moto Guzzi Le Mans eine gewisse Sturheit. Gut, habe ich verstanden, fresse ich die R6 mit dem nicht ganz so fachkundigen Chauffeur halt im nächsten Kurveneingang. Es spielt keine Rolle, dass der Anker nicht top ist, wenn das Fahrwerk und die Geometrie erlauben, dass man mit viel Speed in den Radius rollen kann. Herrlich!
Immer, wenn die alte Moto Guzzi Le Mans auf der Strecke gewütet hat, kommen dann Supersportler und Superbiker zum Horvath-Transporter im Fahrerlager und bestaunen das alte Eisen, das so mörder marschiert. Stammfahrer Richie Rampula (ehemaliger Kawa-Cup-Gewinner) schafft am Pannoniaring 2.10er-Zeiten, der neue Shooting-Star im Team Horvath-Guzzi, Chris Zaiser (mehrmaliger Staatsmeister, SSP- und SBK-WM-Pilot), sogar 2.06er. Da werden viele Hobbyracer auf topmodernem Material fest hergerichtet.
Das taugt Peter Horvath: „Guzzis wurden immer schon unterbewertet. Als wir Anfang der 80er-Jahre beim ersten Superbike-Rennen in Österreich mit dem Fahrer Manfred Schopper alle Japaner, Ducatis und BMWs hinter uns gelassen haben, hat es keiner gepackt. Aber die Basis der Moto Guzzi Le Mans war einfach gut. Den Rahmen hätten sich die Japaner gewünscht. Sicher, Leistung musste man damals schon finden und die Seriengabel war alles andere als rennorientiert, aber man konnte aus der Guzzi sehr viel machen. Und wenn wir heute bei Klassik-Langstreckenrennen antreten, sind wir immer für das Podest und meist auch für den Sieg gut. Ich habe keinen olympischen Gedanken. Wir fahren, um zu gewinnen, und wir müssen die schnellste Guzzi sein.“
Vorletztes Jahr wurde Horvath-Guzzi Gesamtzweiter in der italienischen Vintage-Langstrecken-Meisterschaft, 2016 holte man einen Sieg beim Lauf in Misano in der Open-Klasse inklusive schnellster Rennrunde. Dieses Jahr ist geplant, bei allen Läufen der Meisterschaft zu starten – und zu gewinnen. Mich wundert es ein wenig, dass der auf 130 PS aufgeblasene Motor der Horvath-Moto Guzzi Le Mans offensichtlich vier Stunden locker durchhält und dass der aus heutiger Sicht erschreckend dünne Originalkardan nicht kapituliert. Das Zeug hält die Rennbelastung aus? Horvath: „Der Motor ist extrem zuverlässig und standfest. Aber Kardan und Getriebe kann man fast als Verschleißteile ansehen. Ist aber kein Problem. Guzzi hat ja den Kardan bis zum Jahr 2000 nicht geändert. Da gibt es genügend Gebrauchtteile. Und Renngetriebe von damals mit den langen ersten beiden Gängen und der geraden Verzahnung habe ich rechtzeitig gehortet.“
Abschließend stelle ich noch eine brennende Frage: „Peter, du bist in Pension, schraubst nur mehr an deinen eigenen Guzzis, kannst also keinen geschäftlichen Vorteil mehr aus dem aufwendigen und teuren Rennsport ziehen. Zuschauer wird es bei den Klassik-Rennen wahrscheinlich noch weniger geben als bei der österreichischen Meisterschaft, Sponsoren dito. Was treibt dich an?“ Horvath: „Wenn meine Moto Guzzi Le Mans bei Trackdays Supersportler herbrennt, taugt mir das sehr. Und wenn wir den Italienern in ihrer eigenen Meisterschaft in Misano, Imola oder Mugello zeigen, dass unsere Guzzi alle planiert und den großen Pokal holt, freut mich das ungeheuer. Für mich ist die Rennfahrerei ein Hobby, das ich leidenschaftlich gerne betreibe. Möglicherweise verstehen das viele nicht, aber ich halte zum Beispiel Golf für einen Trottelsport.“
Wenn ich so über die Horvath-Moto Guzzi Le Mans nachdenke, muss ich gestehen, dass ich die Legenden über die sagenhaft kampfstarke Moto Guzzi nie wirklich geglaubt habe. Ich bin als Journalist seit Mitte der 90er-Jahre sehr viele Adler-Eisen aus Mandello gefahren und habe sie immer wegen ihres starken Charakters und ihres Eigenlebens geliebt, aber niemals spürte ich auch nur den Hauch eines Drangs, damit auf einer Rennstrecke Feuer zu geben. Die Horvath-Guzzi aber entpuppte sich jetzt tatsächlich als Racing-Eisen, das ernst zu nehmende Rundenzeiten erlaubt. Es ist ein erhebendes Gefühl, mit einer knapp 40 Jahre alten Maschine moderne Supersportler, deren Chauffeure noch Potenzial nach oben haben, herzubrennen. Mögen Horvath, Rampula und Zaiser die italienische Vintage-Langstrecken-Meisterschaft 2017 gewinnen!