Fototermin auf dem Flugplatz von Schwäbisch Gmünd. Sechs Motorradmotoren mit zusammen 16 Zylindern, 5,3 Litern Hubraum und 693 PS Nennleistung grummeln im Leerlauf vor sich hin. Das Spektrum reicht von 765 bis 948 Kubik und 105 bis 125 PS.
BMW F 900 R – Zweizylinder-Reihenmotor
Kollege Sebastian ist angetan vom Topseller F 900 R: "Zum gemütlichen Herumrollen ist die BMW der pure Genuss, sie fordert nix, gibt viel." Er findet, die 900er lässt sich "easy und smooth fahren". Aber eben auch passiver, weniger engagiert als die anderen naked Bikes im Test. Weshalb? Nun, es beginnt schon mit der etwas merkwürdigen, recht breitbeinigen Sitzposition: Die Rasten liegen eher vorn und doch oben, der Lenker wiederum recht weit weg. Wirkt alles ein wenig undynamisch. Auch die Lenkpräzision ist nicht gerade superscharf. Immerhin liegt die F stoisch stabil, dank des Lenkungsdämpfers auch beim Beschleunigen auf Buckelpisten. In engen Ecken gibt sich das bayrische Kradl durchaus handlich und gutmütig, wird aber bei höheren Tempi spürbar träger, hüftsteifer. Dann braucht das schwerste Motorrad des Testfelds energische Lenkimpulse. Moppelige 217 Kilogramm sind 26 bis 28 Kilogramm mehr als alle anderen Maschinen außer der Kawasaki wiegen. Dabei hat die BMW den kleinsten Tank (13 Liter). Wenigstens stimmt der Aktionsradius dank sparsamsten Benzinverbrauchs, zarten vier Litern auf 100 Kilometer.

Der Motor vom chinesischen Zulieferer Loncin hängt in einem Brückenrahmen aus Stahlblechprofilen. Er macht, was er soll, läuft schön rund und elastisch im Drehzahlkeller, verträgt für einen Twin sehr niedrige Drehzahlen. Viel Schwungmasse sei Dank. Das Motto: viel Laufkultur, wenig Charisma. Zur Vibrationsdämpfung besitzt der Pseudo-V2 zwei Ausgleichswellen. Mission gelungen. Es kribbelt kaum.
Gilt auch emotional. So scheint der Twin zwar nie komplett angestrengt, aber erst recht nie spritzig zu sein. Heftig anreißen, den Solarplexus reizen, das überlässt die BMW lieber den fünf anderen Maschinen. Kein Vertun: Wir reden hier nicht über "nur" 105 PS, das untere Ende des Sextetts, sondern über die müde wirkende Leistungsentfaltung, das zähe Ausdrehen. Lange Gesamtübersetzung (Tempo 100 im sechsten Gang sind gerade mal 4.000 Touren) und müde Drehfreude machen halt ein wenig phlegmatisch. Der China-Motor ist ein echter Ziehherr, kickt aber wenig. Benutzerfreundlich weich geht der Reihen-Twin ans Gas, vor allem in den Fahrmodi Rain und Road. Er hat allerdings etwas Spiel im Antriebsstrang. Macht sich als Lastwechselschlag bei Gas auf, zu und wieder auf bemerkbar. Weshalb spendierte BMW der F nicht wenigstens einen wartungsarmen Zahnriemen als Endantrieb? Er liegt doch von der seligen F 800 GT noch im Regal. Etwas schwergängig nimmt der Blipper Schaltbefehle ohne Griff zur Kupplung an.
Wohlwollend gesagt klingt der V2-artige Sound bollernd, oben heraus aber etwas plärrend-schnarrend. Besser gefällt das Fahrwerk: Das optional mit ESA bestückte, semiaktiv arbeitende Federbein fischt trotz recht straffer Grundabstimmung viel raus. Federungskomfort kann BMW. Minimal stuckriger, nicht ganz so fein, spricht die nicht einstellbare Gabel an. Gerade mit Sozius bietet die BMW die größten Federungsreserven. Zudem bietet nur sie echte Haltegriffe fürs vertrauenerweckende Festhalten. BMW-üblich bremst die F 900 R kraftvoll bissig. Jedoch nur mau dosierbar, die Rückmeldung am Hebel fällt gering aus. Auf unebener Rollbahn stellt sich die mit Bridgestone S 21 bereifte BMW auf, läuft Längsrinnen willig nach.
KTM 890 Duke – Zweizylinder-Reihenmotor
Der 890er-Herzog positioniert sich mit Basismotor, Basisfahrwerk und günstigeren Reifen in Preis und Performance unterhalb der radikaleren "R"-Version. Betrachten wir sie als eine abgespeckte "R". Nun eben mit 115 statt satten 121 PS und einfacher gestrickten Federelementen. Keine Bange, Leistung gibt es immer noch mehr als genug für sämtliche Landstraßen. Zumal der 890er-Twin nach oben streut. 118 PS und 94 Newtonmeter sind eine stramme Ausbeute. Von rund 6.000 bis 10.000 Touren stemmt dieses kräftige Antriebsaggregat die größte Power aller fünf Maschinen – nach der bärenstarken Kawasaki versteht sich.

Fleischiger, schwungmassiger als die 790er geht die 890er ans Werk. Da bekommt die feinfühlig regelnde Traktionskontrolle was zu tun. Prima passt der Sport-Modus zu diesem Heißsporn. Da schnalzt der Twin in der Drehzahlmitte gewaltig los, dreht unter heftigem und doch gut gedämpftem Stakkato frei aus. Wie bei der BMW beruhigen auch diesen Reihen-Zweier zwei Ausgleichswellen. Im Drehzahl-Oberstübchen halten sich daher Vibrationen in angenehm engen Grenzen. Motorenbau beherrschen sie in Mattighofen mittlerweile in Perfektion. Von nichts kommt nichts: Größter europäischer Motorradhersteller wird man nicht ohne Grund, man muss auch liefern. Tut KTM.
Den Drehzahlkeller mag der kompakt konstruierte KTM-Twin nicht so sehr: Dort hackt der sparsame Motor, fordert durch leichtes Konstantfahrruckeln unmissverständlich zum Runterschalten auf. Kein Problem: Das Getriebe funktioniert toll, der hervorragende Blipper arbeitet leichtgängig. Faustregel: Der fünfte Gang tut’s ohne zu Rumpeln frühestens ab Tempo 50, der sechste ab 60, besser 70 bis 80. Aus dem Schiebebetrieb heraus springt der Austro-Twin etwas forsch ans Gas.
Man sitzt souverän aufrecht, supermoto-artig sehr drin im Motorrad hinterm hügelartig aufragenden Tank. Und trotzdem nah, ach was: schon fast überm Vorderrad. Klasse. Allerdings ist die Sitzbank unnachgiebig hart wie ein Holzbrett. Gilt KTMs Motto "Ready to Race" selbst beim Sitzen? Oder soll man halt den Ergo-Sitz kaufen? Dafür ist die 890er-Duke ein Serpentinen-Suchgerät, findet wünschelrutenartig passende Linien. Der Horizont hängt schräg. Kehrseite des superleichten, fahrradartigen Handlings: Die quirlige KTM wird fast schon zappelig-nervös, wenn der Pilot zu sehr an der Lenkstange reißt. Erst ab tiefen Schräglagen, in schnellen Wechselkurven wehrt sich die KTM etwas stärker gegen Hin- und Herwerfen.
Auf real existierendem Buckelasphalt keilen Front und Heck der KTM ganz schön aus. Bockig-stuckrig sind diese trampelig ansprechenden Low-Budget-Federelemente, trotz längster Federwege kein reiner Quell der Freude. Vor allem das Federbein arbeitet richtig rumpelig, stakst unsensibel über Unebenheiten hinweg. Das stört geradeaus und erst recht in Schräglage. Viel besser federt und dämpft die teurere, mit wesentlich hochwertigeren Komponenten bestückte 890 Duke R. Etwas stumpf ankern die Frontstopper, bei kurzem Hebelweg etwas hart und hölzern. Top dosierbar ist anders. Zudem stellt sich die mit ContiRoad (ohne "Attack") bereifte 890 beim Bremsen in Schräglage merklich auf.
Ducati Monster – Zweizylinder-90-Grad-V-Motor
Top-Tester Timo Morbitzer ist hin und weg: "Die Monster fährt sich echt klasse." Ein abgebrühter Vollprofi im Überschwang der Gefühle? Als wenig euphorischer Schwabe noch dazu? Wie kommt’s? Ducati hat mit der komplett neu konstruierten Monster ein klasse Gesamtpaket geschnürt. Das beginnt mit den Sitzen. Bequem und doch sportiv, Monster-typisch bestens ins Motorrad integriert. Die Rasten liegen hoch, stupsen dich zart in Richtung des breiten Lenkers. Ja, man muss sich "dynamisch" ein wenig über den Tank strecken.

Prima geschnitten ist der Sitz, vorn schön schmal, gut für Kleinere. Hinten dagegen breit, um sich auch mal herzhaft lümmeln zu können. Herrlich feinfühlig agiert das Sachs-Federbein der Ducati. Es bleibt sensationell gelassen, pariert lange Bodenwellen bestens, gleitet souverän selbst über harte Kanten und grobe Stöße hinweg. Es steckt viel ein, teilt wenig aus. Und beweist damit, dass auch eine direkte Anlenkung richtig gut funktionieren kann. Auch die Gabel arbeitet herrlich sämig. Federungskomfort und Feeling stimmen.
Die Duc gibt sich handlich, zielgenau und stabil. Kurz: besonders ausgewogen. Kompliment. Diese Monster ist ein ganz anderes Motorrad geworden als alle Monster zuvor. Nun geht es um geschmeidige Funktion. Prima. Das divenhaft Kapriziöse, schwierig Abzustimmende ist passé. Da darf sich vermeintliche Sinnlichkeit mal hinten anstellen. Wunderbar leichtfüßig lenkt die Monster ein. Unbeschwert wedelt die Duc durch die Kurven. Fast so agil wie die KTM (nur nicht so nervös), fast so stabil wie die Triumph, doch handlicher.
Die Ducati Monster fährt knackig, bleibt neutral, vermittelt vollstes Vertrauen. Sie wendet sogar auf engem Raum. Erst beim heftigen Angasen fehlt es dem eher weichen Fahrwerk etwas an Reserven. Ist eben ein Genuss-Motorrad, kein Racer. Selbst mit Passagier fährt die Ducati noch sehr leichtfüßig. Der hintere Teil des Sitzpolsters ist mittelgroß. Allerdings kribbeln derbere Vibrationen in den Soziusrasten.
Der V2 prustet und posaunt seine Lebensfreude nicht übertrieben laut ins Freie. Eine erfreulich leise Ducati, die sich nachbarschaftsfreundlich fahren lässt. Okay, der V-Twin braucht etwas mehr Mindestdrehzahl als alle anderen Motoren. Niedertourig im sechsten Gang bei Tempo 50 mit nur 2.250 Umdrehungen durch die Stadt rollen liegt ihm nicht, dann rappelt’s im Karton. Also runterschalten und den dennoch durchzugsstarken 90-Grad-V-Zwo bei Laune halten. Unauffällig gut schaltet das Getriebe. Direkt und weich hängt der V-Twin am Gas, stürmt ab 5.000 Touren feurig los. Auch wenn der V2 trotz echter 110 PS hier einer der weniger starken Motoren ist. Toll bremst die Duc. Ihre radialen Brembo-Sättel lassen sich supertransparent dosieren. In vielen feinen Features offenbart sich Liebe zum Detail. Eigene Akzente setzen das ovale Tagfahrlicht rund um den Scheinwerfer und die stylishen Laufblinker im Heck und seitlich am Tank. Hochwertig wirken Oberflächenfinish und Schalter, informativ ist das Cockpit, stabil die große, hohle Vorderachse. Timo hat recht: Für 11.750 Euro ist das ein Schmunzelmonster!
Yamaha MT-09 – Dreizylinder-Reihenmotor
Schon beim Start erliegen Benzinköpfe dem Dreizack komplett. Er klingt sonor und satt, mit typischem Triple-Fauchen. Später wird er oben heraus rattig röhren. Gemach. Benutzerfreundlich-leichtgängig lässt sich der Kupplungshebel ziehen. Doch beim Einkuppeln greift die Kupplung gewöhnungsbedürftig erst auf den letzten Millimetern Hebelweg. Vier verschiedene Fahrmodi erlauben endlich eine passende, weit gespreizte Gasannahme: von sportlich-aggressiv (Stufe 1) bis supersmooth (4). Die Stufen zwei (direkter) oder drei (etwas träger) empfehlen sich für den Alltag. Der Balken-Drehzahlmesser schaltet seine Anzeigeskala bei 5.000 Touren auf "Grün".

Doch der Wohlfühlbereich des famosen Dreizylinders beginnt schon viel früher. Ein Schnapsglas mehr Hub(raum) und diverse Änderungen an der Peripherie tun ihm gut. Nun sind’s 889 statt bislang 847 Kubik. Er ist immer hellwach, voll da, egal ob im tiefsten Drehzahlkeller oder beim turbinenartig freien Ausdrehen. Gefühlt ist der knurrig-kräftige Triple einer der breitbandigsten Motoren, bietet reichlich Wumms bei jeder Drehzahl. Dabei bleibt der moderat verdichtende Triple (11,5 : 1) im Drehmoment stets hinter der KTM und bei mittleren Drehzahlen auch hinter der Ducati zurück. Per Blipper betätigt, rasten die Gänge minimal hart, aber exakt ein.
Irre leichtfüßig, fast schon spielerisch huscht die Yamaha MT-09 durchs Kurvendickicht. Sie mag und hält sehr enge Radien, bis die langen Angstnippel unter den tief und etwas weit vorn platzierten, verstellbaren Rasten aufsetzen. Viel Überblick im Eifer des Gefechts bietet die absolut aufrecht-erhabene Sitzposition im gut geformten Sitzpolster. Das schafft großes Vertrauen. Doch das leichte Einlenken hat eine Kehrseite: Schon etwas zu forsch-flottes Umsetzen bringt Unruhe ins Chassis, sprich: von der angepeilten Linie ab. Fehlt es da an Last auf dem Vorderrad? Gut harmonieren Bridgestone S 22 "M" mit dem japanischen Taifun.
Der 2021er-Jahrgang ist vier Kilogramm leichter als zuvor, hat kürzeren Radstand bei etwas mehr Nachlauf. Einen großen Vergleich mit der Vorgänger-MT-09 gab es in MOTORRAD 11/2021. Selbst auf Schlechtwegstrecken kommt die Gabel ihren Führungs-, Feder- und Dämpfungsaufgaben gut nach. Nicht so das Federbein: Es haut bei kurzen, harten Stößen mächtig ins Kreuz, spricht trampelig an. Und wippt mit voller Zuladung sogar etwas nach. Ihm fehlt Progression, trotz des Umlenksystems. Etwas kräftiger dürfte die Vorderbremse zubeißen. Zur aktuellen MT-07 passen die 298er-Scheiben prima, an der MT-09 erscheinen sie einen Tick zu schmächtig.
Für einen Sozius wird die Yamaha leider letzte Wahl: Das Sitz-"Polster" ist hart und klein, die Fußrasten liegen krampffördernd hoch, Haltegriffe fehlen. Genau wie Übersicht über den Helm des Fahrers hinweg. "Affe auf Schleifstein" halt. Schöner sind die Krümmer des Jahrgangs 2021 nicht geworden. Die einäugige Zyklopen-Maske mag Geschmackssache sein, doch die darunter sitzende Hupe sowie der XL-Bremsflüssigkeitsbehälter an der Bremspumpe wirken eher skurril. So ist sie, die MT-09. Eigen, nicht artig, mit charismatischem Triple.
Triumph Street Triple R – Dreizylinder-Reihenmotor
Der erfahrene Racer Achim Steinmacher strahlt bei der Pause: "Die Streety will’s immer wissen, ist zum Schnellfahren am besten geeignet." Ein wohlerzogener Hooligan. Trotz kürzesten Radstands und steilsten Lenkkopfs klappt die Triumph nicht super-easy agil ab. Sie liegt dafür satt und bockstabil, filetiert schnell genommene, lang gezogene Kurven in perfekte Radien. Scharf wie ein Skalpell. So fährt die Street Triple R hoch präzise auf den Punkt wie auf Schienen. Vorausgesetzt, die hochwertigen Pirelli Diablo Rosso III haben ihre Wohlfühl-Temperatur erreicht. Hier schimmern noch die Gene des Supersportlers Daytona 675 durch.

Man oder frau sitzt kompakt und hoch, sportiv-vorderradorientiert. Kein Wunder, dass die Rückmeldung von der Front glasklar-transparent ausfällt. Als Einzige verwöhnt die Triumph mit einem sportlichen, voll einstellbaren Fahrwerk. Straff und gefühlsecht ist das Grundsetting gewählt. Das Federbein verarbeitet kurz aufeinanderfolgende Störimpulse nicht gerade feinfühlig, teilt selbst auf der Autobahn aus. Weniger Druck- wie Zugstufendämpfung entspannt im Wortsinn etwas. Geteilte Freude ist doppelte Freude? Gilt für Mitfahrer auf der Speedy nur bedingt. Der kleine Sitz ist zwar weich genug, doch der Abstand zu den Soziusrasten fällt knapp, der Kniewinkel damit eng aus.
Die wahre R-Füllung der Street Triple ist ihr namengebender 765er: Dies ist einer der begeisterndsten Motorrad-Motoren überhaupt! Jeden kleinen Lupfer am Gasgriff setzt der Drilling weich, doch vehement in schwerelosen Vortrieb um. Irre, wir rasant die Triumph nach vorn hechtet. Immer, bei jedem Tempo, selbst aus dem Stand heraus. Unvergleichlich schnalzt der Triple noch weit jenseits von 10.000/min los. Wie ein Pfeil von der Sehne. Der kleinste Motor vereint höchste Drehfreude (über 12.000 Touren) mit der rasantesten Beschleunigung. Die Streety zoomt den Horizont nur so heran. Einfach sensationell, dieser Antritt, smooth und stark. Dabei läuft der Drilling selbst im Drehzahlkeller hochelastisch und früher rund als jeder Twin, dreht allen anderen bei der Durchzugsprüfung eine lange Nase.
Wie kommt’s? Ganz einfach: durch den begeisternden, fordernden Ritt auf der Drehzahlwelle. Bei Tempo 100 rotiert die Kurbelwelle im Sechsten bereits 5.200-mal. Der kleine Triple ist ein großer Wurf. Er fühlt sich durch die kürzeste Gesamtübersetzung nach mehr an, läuft wunderbar seidig. Spät, doch sehr verlässlich regelt die Traktionskontrolle. Ein echter Leisetreter ist die Streety allerdings nicht. Beim Spurt klingt der Triple wie ein Düsenjäger im Tiefflug, stellt die Nackenhaare auf. So wild und enthemmt dreht kein anderer Motor aus. So durstig ist auch kein anderer. Von nichts kommt nichts.
Nach etwas langen Schaltwegen rasten die Gänge weich. Harsch arbeitet der Quickshifter am Test-Motorrad: unsanft-grob beim Runterschalten, den einen oder anderen Hochschaltbefehl verweigernd. Wütend beißt die Bremse zu, bereits mit viel Initialbiss beim Anlegen der Beläge. Angesichts der billigen Bremspumpe (radial war früher) ist die Dosierbarkeit nicht top. Passt zum Naturell der Triumph: Take it or leave it. Es lohnt sich jedenfalls, diese insektoide Front mit Augen wie die einer Gottesanbeterin mal gründlich auf sich wirken zu lassen, trotz happiger 450 Euro Liefer-Nebenkosten. Achtung: Streety fahren kann süchtig machen!
Kawasaki Z 900 – Vierzylinder-Reihenmotor
Anders als die zweizylindrige Schwester Z 650 baut Kawasaki die 900er daheim in Japan. Wenn schon, denn schon. Etwas breitbeinig hockt man auf der Z 900, doch gut integriert. Ist eben konzeptbedingt bei diesem vierzylindrigen Bigger Bike. Der Vierzylinder grummelt dumpf und rauchig, klingt kernig knurrig. Typisch Kawasaki. Kraft trifft Charisma. Der Motor muss sich und anderen nichts beweisen, ist mit 948 cm3 ein echter Tiefstapler. Und nebenbei auch der Drehmomentriese des Sextetts, stemmt fast 99 Newtonmeter. Noch Fragen? Ja bitte: Weshalb zieht die besonders bullige Zett dann nicht am besten durch im sechsten Gang, reiht sich hinterm Hubraum-Zwerg von Triumph ein?

Nun, die Z 900 schleppt ein paar Pfunde mehr mit sich rum als die Ultraleichtflieger der 190-Kilo-Klasse, in Summe 214 Kilo. Doch anders als bei der BMW weiß man hier, wo das Gewicht herkommt: Ein vierter Zylinder bedeutet eben das größte Motorgehäuse, die breiteste Kurbelwelle und längste Nockenwellen. Das fantastisch funktionierende Getriebe (ohne Blipperoption, doch mit knackig-kurzen Schaltwegen gesegnet) hat einen mäßig langen sechsten Gang, bei Tempo 100 rotiert die lange Kurbelwelle 4.400-mal pro Minute. Er spart Benzin, kostet aber beste Durchzugswerte. Beim Sprint aus dem Stand, assistiert von der herrlich leichtgängigen Kupplung, zeigt Kawasakis Wuchtbrumme fast dem gesamten Testfeld das zettförmige Rücklicht. Mit Ausnahme der Triumph.
Ganz viel cremig servierte Power hat die Kawa immer parat. Je zwei Krümmer des Vierzylinders sind drehmomentfördernd durch Interferenzrohre miteinander verbunden. So ähnlich handhabt das auch die Triumph. Die Kawasaki bestätigt unsere Faustregel aus der Einleitung: Je mehr Zylinder, desto elastischer agiert der Motor bei tiefsten Drehzahlen. Der Vierzylinder agiert beim Anfahren praktisch unabwürgbar, gibt sich umgänglich wie Balu der Bär aus dem Dschungelbuch. Spätestens ab Drehzahl 5.000 teilt der Inliner aus wie Klitschkos Rechte. Allerdings kriechen dann auch nervig-feinpixelige Vibrationen in Griffe, Tank und Rasten. Untenherum ist das ein laufruhiges Motorenkonzept.
Hart springt der Vierzylinder aus Rollphasen, also dem Schiebebetrieb heraus, ans Gas. Da muss man sich konzentrieren, das Gas weich anzulegen. Klappt nur bedingt. Moderne Zeiten: Ducati hat den stählernen Gitterrohrrahmen abgelegt, Kawasaki hat ihn für sich entdeckt. Überraschend handlich fährt der Wonneproppen. Selbst auf minderwertigem Teer arbeiten Front und Heck schön synchron, die sämigen Federelemente sprechen fein an. Kompliment. Trotz eher straffer Grundabstimmung fährt die Kawa wirklich nicht unkomfortabel. Erst auf derben Buckelpisten kommt von der Hinterhand etwas Unruhe rein. Dunlop-Roadsport 2-Reifen aus thailändischer Fertigung brauchen etwas Zeit, um auf Temperatur zu kommen.
Zweipersonen-Betrieb meistert die Z 900 gar nicht schlecht. Okay, das Soziussitzpolster ist schmal, die Zuladung mau, aber der Abstand zu den Rasten okay. Zu guter Letzt beißen die Vierkolbensättel vorn gefühlvoll auf die Bremsscheiben im Wave-Design: wirkungsvoll und transparent. Passt perfekt zum sanften Riesen.
Üppig ausgestattete Mittelklasse
Was gibt es sonst noch zu berichten von unseren Mid-Size-Naked-Bikes for Runaways? Spätestens der Blick auf die Ausstattungstabelle beweist es: Das ist die am besten ausgestattete mittlere Mittelklasse aller Zeiten. Es gibt kaum etwas an Features für moderne Motorräder, was es hier nicht gäbe. LED-Blinker, verschiedene Motor-Mappings, Schaltassistenten … Wenn auch teils nur gegen Aufpreis, oftmals zusammengefasst in diversen Ausstattungspaketen. Beispiel BMW: Hier stehen gleich vier verschiedene miteinander kombinierbare Pakete (kann KTM auch) und diverse weitere Optionen zur Wahl. Schon der Fahrmodus Dynamic kostet Aufpreis – im Verbund mit Kurven-ABS, schräglagenabhängig arbeitender Traktionskontrolle, regulierbarem Schleppmoment ("Motorbremse" MSR).
BMW mit Extras für gut 2.500 Euro
Bei der BMW verhindert die Dynamic Brake Control versehentliches Gasgeben bei Notbremsungen – bei denen zudem noch die Warnblinker aktiviert werden. Für die unterschiedlichen Fahrmodi sind verschiedene Eingriffsschwellen für (Kurven-)ABS und Traktionskontrolle sowie unterschiedliche Gasannahmen hinterlegt; im vierten Fahrmodus "Dynamic Pro" kann man sich sein Menü dafür selbst zusammenstellen. Der aufpreispflichtige Scheinwerfer "Headlight Pro" der F 900 R bietet gar Platz für adaptives Kurvenlicht und lächelndes Tagfahrlicht. Kein Wunder, dass die im Grundpreis günstige(!), alltagsstarke F 900 R als rollendes Aushängeschild des BMW-Werks Extras für gut 2.500 Euro an Bord hat. "Einmal mit alles, bitte."
Kawasaki mit 1-a-Getriebe
Mehr und mehr zum Standard mausern sich bidirektionale Schaltassistenten, kurz "Blipper" genannt. Gut so, man gewöhnt sich rasch daran, ans kupplungslose Hoch- und Runterschalten. Dies zeigt der Umstieg innerhalb unseres Testfelds auf die Kawasaki Z 900: Ihr fehlt diese Technik, dabei hatte sich unser Gehirn bereits auf die Komfort-Technologie kalibriert. Nicht schlimm angesichts der Bilderbuchkupplung und des konventionell betätigten 1-a-Getriebes der Kawa.
Aufpreispolitik bei KTM
KTM mag wie BMW Aufpreispolitik: Das "Tech Pack" ordern sicher viele Kunden. Es umfasst für 731 Euro Quickshifter, einstellbare Traktionskontrolle, abschaltbare Anti-Wheelie-Kontrolle (die 890er hebt gern das Vorderrad) sowie Track-Modus. Für den Fall der Fälle hat die 890er ein Erste-Hilfe-Set an Bord. Falls sich jemand bei den Loopings, also im Kurvenkarussell, schwindelig fährt. Für Paare bietet die KTM die größte Zuladung, immense 241 Kilogramm, mehr als viele Tourer.
Löblich: 10.000er-Wartungsintervalle sind hier das Minimum, Ducati und KTM umgarnen Vielfahrer (nutzen die wirklich Naked Bikes?) gar mit langen 15.000er-Intervallen und günstigen Service-Kosten.
Konnektivität
Neben allen möglichen fahrerischen Assistenzsystem rückt auch das Thema Konnektivität mehr und mehr ins Blickfeld. Ohne Smartphone-Anbindung machen’s nur noch die beiden Dreizylinder, bei BMW und Ducati lassen sich diverse Medien und sogar ein Navi ins Cockpit projizieren. Alle Hersteller unseres Sechser-Geschwaders nutzen ihre Motoren in mehreren Modellen: BMW bestückt das Crossover-Bike F 900 XR mit dem gleichen Twin. Die Ducati erbte den V2 ja von etablierten Modellen bis hin zum Supermoto-artigen Funbike Hypermotard. Kawasaki nutzte die Z 900 als Organ- und Rahmenspender für das wunderbare Retro-Bike Z 900 RS. KTM befeuert eine große Modellfamilie mit dem 890er-Twin, etwa die Reiseenduro Adventure.
Triumph verbaut den Dreizylinder auch in der Street Triple RS mit 123 PS. Yamaha strickt sein halbes Sortiment rund um den 690er-Twin der MT-07 und den Drilling aus der MT-09, etwa im Tourer Tracer 9. Und in der bisherigen Konfiguration mit 847 Kubik und 115 PS in der rudimentär klassisch angehauchten XSR sowie dem erfolglosen Dreirad Niken.
Alles Einheitsbrei also? Im Gegenteil. Fahrdynamisch sind alle sechs Überflieger. Für genügend Trennschärfe sorgt völlig unterschiedliche Zuspitzung der individuellen Qualitäten und eben auch der sehr individuellen Motoren.
Zylinderzahlen und Motorkonfigurationen
In dieser Fahrspaß-Klasse geht es um viel: um Zylinderzahlen und Motorkonfigurationen beispielsweise. Anzahl und Anordnung der Zylinder beeinflusst die maximal mögliche PS-Ausbeute ebenso wie die Art der Leistungsabgabe, den Drehmomentverlauf und Bauaufwand. Charme, Klang und Charakter. Mehr Zylinder bei ähnlichem Hubraum ermöglichen kleinere Kolben mit jeweils weniger Gewicht und insgesamt geringerer mechanischer Belastung. Je mehr Zylinder ein Motor bei gleichem Hubraum hat, umso gleichmäßiger wird die Drehmomentabgabe und umso höher die maximal mögliche Drehzahl und damit die erzielbare Spitzenleistung. Vorteil also für die öfter zündenden Vier- und Dreizylinder gegenüber den Twins.
Ducati Monster mit Testastretta-V2
In Motorradmotoren mit ihren hohen Drehzahlen und damit sehr kurzen Zeitintervallen für die einzelnen Takte gelten rund 300 cm³ an Einzelhubräumen als verbrennungstechnisch besonders gut beherrschbar. Da liegt die Ducati mit 468,5 cm3 deutlich drüber. Na und? Schließlich hat der hoch verdichtende, ultrakurzhubige Testastretta-V2 bereits in Multistrada und SuperSport seine prima Eignung für Landstraßen unter Beweis gestellt. Nun befeuert der echte V-Motor (nur ein gemeinsamer Hubzapfen) eben auch die komplett neu konstruierte Monster. Grundprinzipien des 90-Grad-V2 sind die ungleichmäßige Zündfolge (Zündabstand erst 270, dann 450 Grad) und ein guter Massenausgleich. Zum anderen der höhere Bauaufwand mit zwei getrennten Zylindern und vier Nockenwellen sowie die recht große Länge des "L-Twins". Drehzahlfest macht Ducatis exklusive Zwangssteuerung der Ventile per Desmodromik.
BMW F 900 R mit längstem Hub
Zweizylinder-Reihenmotoren trugen früher ihre Hubzapfen entweder um 180 Grad versetzt als Gegenläufer oder nebeneinander (360 Grad) als echte Paralleltwins, bei denen beide Kolben synchron auf- und ablaufen. Heute sind eher 270 Grad Hubzapfenversatz en vogue. Dies imitiert bei einfacherer Fertigung exakt die Zündfolge des 90-Grad-V-Zwos. Macht hier die F 900 R so. Den Twin fertigt Loncin in China nach BMW-Vorgaben. Er hat den längsten Hub des Sextetts, absolut wie relativ – fast 90 Prozent der Bohrung. Gut für viel Kraft von unten, nicht für feurige Drehfreude.
KTM 890 Duke imitiert 75-Grad-V2
KTM treibt den Zündversatz durch versetzte Hubzapfen auf die Spitze: Die 890er imitiert mit ihrer 285-Grad-Kurbelwelle den Zündabstand und damit Klang und Charakter der hauseigenen 75-Grad-V2-Motoren. Ganz nebenbei: KTMs erstes Modell mit V2-Motor, die Adventure 950 aus dem Jahr 2003, hatte 98 PS und galt als Rase-, Pardon: Reiseenduro erster Güte. So viel zum Thema Leistung der aktuellen Mittelklasse. Wer sie mit "Mittelmaß" übersetzt, hat etwas missverstanden. Wozu mittlerweile auch ein Paket elektronischer Helferlein einen guten Teil beiträgt.
Dreizylinder von Triumph und Yamaha
Der Triumph-Triple mit "nur" 765 cm³ trägt seine drei Hubzapfen auf der Kurbelwelle um 120 Grad versetzt. Daraus resultieren eine konstante Zündfolge alle 240 Grad (Reihenfolge: Zylinder 1-3-2) sowie die lineare Leistungsabgabe und der Klang eines "halbierten Sechszylinders". An sich versprechen Dreizylinder kompaktere Bauweise mit weniger Bauteilen als ein Vierzylinder. Die Zylinderbank und damit auch die Kurbelwelle bauen schmaler, gut für Gewichtsdiät und Handling.
Yamahas toller Triple hat Yamaha 2013 die Markenehre gerettet und als Freudenspender mittlerweile in einer ganzen Modellfamilie satte Gewinne beschert. Doch erst seit 2021 ist die MT-09 eine echte 900er, keine 850er mehr wie zuvor.
Kawasaki Z 900 mit Vierzylinder
Kawasakis Vierzylinder basiert auf dem im Jahr 2010 für die Z 1000 komplett neu entwickelten Motor. Die Z 900 stapelt tief, kratzt mit 948 Kubik fast am vollen Liter, markiert hier mit 125 PS die Leistungsspitze. Dieser Motor kommt "idealen" Einzelhubräumen nahe. Der Vierzylinder zündet naturgemäß gleichmäßig alle 180 Grad, also jede halbe Kurbelwellenumdrehung.
Fazit
- Ducati Monster: Einstand nach Maß. Ungeheuer(lich): Eine Monster gewinnt einen Vergleichstest! Ja, denn Bolognas Ingenieure haben geliefert. Funktional fährt diese Monster um Klassen besser als alle ihre Vorgängergenerationen.
- Triumph Street Triple R: Die Streety ist eine Wucht! Sie serviert Fahrdynamik in einer begeisternden Dimension. Wann ist ein Motorrad ein bewegendes Motorrad? Wenn das eigene Leben ärmer wäre, hätte man es nicht gefahren. Passt.
- BMW F 900 R: Viel Vernunft, etwas weniger Fun, so legt die BMW ihren Schwerpunkt. Die F 900 R trifft nicht mitten ins Herz, brilliert dafür im Alltag. Für hohes Gewicht und die Aufpreispolitik entschädigt höchster Ausstattungskomfort.
- KTM 890 Duke: Nein, ans hohe Fahrwerksniveau der wertiger wirkenden R-Version reicht die Standard-890-Duke nicht heran. Sie ist eine fahraktive und sehr agile Spaßmaschine mit tollem Motor – hat nur leider etwas wenig Komfort.
- Kawasaki Z 900: Sie ist nicht ohne Grund der Verkaufsschlager unseres Sextetts: Die Z bietet sehr viel Motor für überschaubares Geld – bärenstark, mit toller Kupplung und klasse Getriebe. Nur bei der Assistenz hält sie sich etwas zurück.
- Yamaha MT-09: Vergesst den sechsten Platz! Er zeigt nur, wie eng umkämpft es in diesem hochkarätigen Testfeld zugeht. Der erstarkte, spritzig-famose Dreizylinder ist mehr denn je eine Wucht. Und das Preis-Leistungs-Verhältnis klasse.