Ein chinesischer Zweizylinder treibt die neue Benelli Leoncino an. Ob er den Modellnamen eher schmusig oder eher fauchend interpretiert, klären die ersten Fahreindrücke.
Ein chinesischer Zweizylinder treibt die neue Benelli Leoncino an. Ob er den Modellnamen eher schmusig oder eher fauchend interpretiert, klären die ersten Fahreindrücke.
Die Assoziationen liegen nahe. Benelli, zarte 106 Jahre jung, lässt emotionsgeladene Feuerstühle auf die motorradbegeisterte Menschheit los. Reichlich Sprit konsumierende Krafträder, fordernd, roh, emotional. Alles Vergangenheit. Und damit auch die prägenden Dreizylinder der jüngeren Vergangenheit. Benelli wurde chinesisch, wird seit 2005 vom QJ-Konzern geführt. Der setzt weniger auf hochexklusive Modelle als vielmehr auf Stückzahlen, hat nicht nur den europäischen Markt im Visier. Eine der wichtigsten Zutaten dafür: Neue Zweizylinder-Modelle mit einem halben Liter Hubraum. Nach der TRK 502 (Top-Test in Heft 23/2017) folgt nun der nächste Aufschlag, die Benelli Leoncino 500.
Kennern der Marke dürfte der Name bekannt vorkommen. 1951 startete die Produktion der ersten Benelli Leoncino als 125er Zweitakter. 1956 folgte eine viertaktende Variante. Für die Italiener entpuppte sich das Löwenjunge als Erfolgsmodell, soll über 80.000-mal gebaut worden sein. Eine beeindruckende Zahl. An diese wird die neue Benelli Leoncino wohl nicht heranreichen, aber sie nutzt den gegenwärtigen Trend zum Retrodesign, zitiert so in zarten Zügen die selige Ahnin. Prägend hierfür: Der Löwe auf dem vorderen Schutzblech. Den gab es vor fast 70 Jahren schon, und auch jetzt ist er fester Bestandteil der neuen 500er. Deren Zweizylinder entwickelt gut 48 PS bei 8.500/min, die nur darauf warten, vollzählig auf den kleinen Straßen rund um Rimini antreten zu dürfen.
Also rauf auf die Wiederauflage der Benelli Leoncino und ausprobieren, ob der kleine Löwe wirklich fauchen kann. Und ja, die chinesischen Italiener können Sound. Mit einer wohligen Mischung aus leicht knurrigem Ansauggeräusch und feisten Auspufftönen nimmt die Leoncino die ersten Meter. Nicht zu laut, sondern gerade richtig, um emotional das Gehör zu kitzeln. Schon beim Einrollen fällt auf, wie geschmeidig der Zweier am Gas hängt. Der zylinderselektiv überwachte Motor tritt spontan, sanft und ohne Ruck an. In der Stadt rollt er lässig im sechsten Gang im Verkehr mit, dreht dann knapp über 2.000 Touren. Sobald das Ortsausgangsschild den Weg freigibt ins kurvige Hinterland, darf der Motor höherdrehen. Per leichtgängiger Kupplung, deren nicht einstellbarer Handhebel allerdings etwas weit absteht, schnell zwei Gänge im präzise schaltbaren Getriebe nach unten gesteppt und dem Junglöwen die Sporen gegeben. Klar, 48 PS Spitzenleistung bleiben 48 PS.
Zwischen 3.000 und 7.000 Touren marschiert sie für diese Leistungsklasse manierlich voran. Ab 6.000/min nehmen allerdings die Vibrationen zu, die vorher nicht zu spüren waren. Zwar dreht der Motor bei Bedarf noch höher – bis ihn der Begrenzer eine Spur zu ruppig stoppt – sein Elan ist in diesen Regionen aber flöten gegangen. Daher besser etwas früher als zu spät den nächsthöheren Gang nachgelegt. Beim launigen Treiben auf den vielen miesen Straßen halten die Pneus sauber die Spur. Die Kombination aus guter Erstbereifung mit Pirellis Angel ST und relativ langen Federwegen nimmt dem Hoppel-Asphalt den Schrecken. Fahrwerksseitig ist die Benelli Leoncino mit einer 50er Upside-down-Gabel mit 125 Millimetern Federweg und einem direkt angelenkten Dämpfer mit 128 Millimetern Arbeitsweg ausgerüstet. Beide sind in der Zugstufe einstellbar. Beim Dämpfer lässt sich zudem die Vorspannung variieren. Erst bei sportlichem Tempo entpuppt sich das Setup des Fahrwerks als zu soft. Sprinten kann der kleine Löwe also, ein Rennsportler ist er nicht. Will er auch gar nicht sein. Mit seiner bequemen Sitzposition, dem schmalen Knieschluss am 12,7 Liter fassenden Tank, dem gut in der Hand liegenden, breiten und konifizierten Lenker steht die Benelli Leoncino vielmehr für die Jagd nach guter Laune. Entspannt die Kurve kratzen und nicht die Bestzeit suchen, das ist ihr Credo.
Wer so an die Sache rangeht, freut sich über ihre spielerische Handlichkeit, die spürbar vom Zusammenspiel aus breitem Lenker und dem mit 160 Millimetern Breite nicht zu üppig gewählten Hinterreifen profitiert. Und das trotz eher die Stabilität fördernder, konservativ gewählter Fahrwerksdaten mit 1.460 Millimetern Radstand, 100 Millimetern Nachlauf und einem Lenkkopfwinkel von 65,5 Grad. So rollt die Retro-Benelli neutral durch jedwede Biegung – von der engen Haarnadel-Kurve bis zum lang gezogenen Radius – und lässt sich selbst beim Griff zur Bremse in Schräglage nicht aus der Bahn werfen. Allenfalls ein leichter Aufstellimpuls ist zu spüren. Mehr nicht. Wobei die Bremsen ihre Sache gut meistern. Überwacht von einem Bosch-ABS, das erst spät und mit feinen Intervallen regelt, genügen zwei Finger am einstellbaren Bremsgriff, um die Gabel ordentlich zusammenzustauchen. Die Hardware aus zweiteiligen, radial montierten Festsätteln, die Benelli selbst fertigt, samt 320 Millimeter messenden Scheiben an der Front erlaubt sichere und punktgenaue Verzögerungen, ohne den Fahrer mit übertriebenem Initialbiss vor Rätsel zu stellen. Insgesamt also ein gutes Paket, das Benelli Einsteigern, Aufsteigern und Freunden von Retrobikes für 5.990 Euro anbietet.
Bleibt noch die spannende Frage, ob sich die Produktion in China an der Fertigungsqualität ablesen lässt – positiv oder negativ. Unterm Strich wohl beides. So erfüllen die Schweißnähte des sauber lackierten Rahmens beispielsweise eher funktionale Ansprüche und reizen weniger das detailverliebte Auge des Betrachters. Das goutiert dagegen das zwar bei direkter Sonneneinstrahlung schlecht ablesbare LC-Display, das hingegen bei Form und Funktion überzeugt. Tank- und Ganganzeige, zwei Tageskilometerzähler, Motor- und Außentemperatur: alles drin und wirklich gut verpackt. Ebenso gefällt der LED-Scheinwerfer oder der an der linken Schwingenseite angeschlagene, schwebende Kennzeichenträger mit seiner Gitterrohrkonstruktion. Zaubern können sie in China nicht, Grund zum Zaudern bietet die neue Benelli Leoncino 500 aber auch nicht. Die Zeichen stehen demnach gut für ein gelungenes Comeback des jungen Löwen.
Benelli Leoncino 500
Motor:
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-Reihenmotor, eine Ausgleichswelle, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, 2 x Ø 37 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 320 W, Batterie 12 V/8 Ah, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 42:14.
Bohrung x Hub: 69,0 x 66,8 mm
Hubraum: 500 cm³
Verdichtungsverhältnis: 11,5:1
Nenneleistung: 35,0 kW (48 PS) bei 8.500/min
Max. Drehmoment: 46 Nm bei 6.000/min
Fahrwerk:
Gitterrohrrahmen aus Stahl, Upside-down-Gabel, Ø 50 mm, verstellbare Zugstufendämpfung, Gitterrohrschwinge aus Stahl, Zentralfederbein, direkt angelenkt, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 260 mm, Einkolben-Schwimmsattel, ABS.
Alugussräder: 3.50 x 17; 4.50 x 17
Reifen: 120/70 ZR 17; 160/60 ZR 17
Maße und Gewichte:
Radstand 1.460 mm, Lenkkopfwinkel 65,5 Grad, Nachlauf 100 mm, Federweg vorn/hinten 125/128 mm, Sitzhöhe 815 mm, Leergewicht 207 kg, zulässiges Gesamtgewicht 400 kg, Tankinhalt/Reserve 12,7/2,0 Liter.
Garantie: zwei Jahre
Farben: Rot, Schwarz
Preis: 5.990 Euro
Nebenkosten: inkl.
Benelli blickt zwar auf eine lange Geschichte zurück, produziert aber inzwischen auf Masse, anstatt auf Exklusivität. Deswegen ist die Verfügbarkeit der Benelli Leoncino am Gebrauchtmarkt sehr gut, sodass man aus allen verfügbaren Farben wählen kann. Hier ein aktueller Überblick über gebrauchte Benelli Leoncino: gebrauchte Benelli Leoncino in Deutschland.