BMW R 1200 R. R wie Roadster. Im Kurvenwerk spanischer Landstraßen durfte sie beim Fahrbericht zeigen, ob sie das Zeug zum Road Star besitzt.
BMW R 1200 R. R wie Roadster. Im Kurvenwerk spanischer Landstraßen durfte sie beim Fahrbericht zeigen, ob sie das Zeug zum Road Star besitzt.
Der Motor der BMW R 1200 R erwacht mit einem kurzen Aufbrüllen, schüttelt sich kurz, verfällt in einen gleichmäßigen Standgas-Leerlaufrhythmus. Nichts Besonderes, doch der kurze, dunkel getönte Aufschrei meldet einen Anspruch an: „Ich bin die neue Macht der Landstraße, besitze einen 125 PS starken 1170er-Boxermotor neuester Konstruktion und ein komplett neues Fahrwerk. Meine Vorgängerin war gefällig, komfortabel, aber fast zu dezent. So unauffällig wollte ich nicht bleiben.“
Schon gar nicht die Variante in weißer Lackierung und mit rotem Rahmen, die der MOTORRAD-Redakteur fahren durfte. „Sie soll vor allem jüngere Kundschaft ansprechen, die Varianten in Blau und Grau die gesetzteren Herrschaften“, sagt BMW-Pressesprecher Rudi Probst. Die Unterschiede betreffen neben der Lackierung von Tankabdeckung und Vorderradkotflügel die Farbe des Rahmens und der Bremszangen. Technisch sind alle drei Varianten der BMW R 1200 R identisch.
Wer sich gleich bei ihrem ersten Erscheinen auf der Intermot über die BMW R 1200 R informierte, wird vor allem wissen wollen, wie sich das neue Fahrwerk mit Telegabel statt Telelever bewährt. Tatsächlich ist hier sogar ein größerer Unterschied zur Vorgängerin zu sehen und zu spüren als in Sachen Motor. Die neue R 1200 R besitzt von der Radachse über die Gabel und ihre Klemmung bis hin zum konifizierten Alulenker eine sehr verwindungssteife Lenkpartie. Sie lässt sich präziser lenken, meldet gleichsam in Echtzeit, was der Vorderreifen macht, und zeigt beim Anbremsen und Einlenken ein „normales“ Fahrverhalten. Normal bedeutet, dass die Frontpartie beim Bremsen weiter eintaucht als mit Telelever, die Fahrwerksgeometrie sich dadurch in den Handling-fördernden Bereich verschiebt und so das Einlenken erleichtert.
Man nimmt dieses Angebot gerne an, wenn es über kurvige Straßen geht. Denn auch die neue BMW R 1200 R ist ein langes Motorrad geworden, mit 125 Millimeter Nachlauf und 1515 Millimeter Radstand. Das ist beim vorsichtigen Einschwingen auch deutlich zu spüren, doch wenn es ernst wird im Kurvengeschlängel, passt alles. Fast optimal. Nicht superagil, sondern gelassen, mit höchster Genauigkeit folgt die R der vom Fahrer vorausgeschauten Linie, wirkt in keinem Schräglagenbereich kippelig. Trotzdem lässt sie sich auch noch irgendwie ins engste Eck hineinklappen, das überraschend hinter einem Felsvorsprung auftaucht.
Mit wachsender Intensität des Kurvengenusses spürte der Tester jedoch das Bedürfnis, in bestimmten Situationen mehr Gewicht über das Vorderrad zu bringen, als ihm in der Serien-Sitzposition leichtfiel. Zum Beispiel in der zweiten Phase schneller Schräglagenwechsel oder in lang gezogenen Bergabkurven. Dabei half die als Sonderausstattung erhältliche hohe Sitzbank, eine von insgesamt vier Varianten. Sie ist 30 Millimeter höher als die Serienbank (820 statt 790) und im Sinne der Fahrdynamik die bessere Wahl, weil sie flexiblere Gewichtsverteilung ermöglicht. Die BMW R 1200 R fühlt sich damit sogar etwas handlicher an.
Das Testmotorrad war mit dem semiaktiven Dynamic ESA ausgestattet, bei dem je nach Fahr- und Fahrbahnzustand ständig die Dämpfung nachgeregelt wird. Im Zusammenspiel mit dem langen Chassis verschafft es der neuen BMW R 1200 R eine vorbildliche Bremsstabilität. Sie lässt sich fürchterlich zusammenbremsen und bleibt dabei stoisch in der Spur. An dieser Stelle auch ein Kompliment an diejenigen, die das Conti-ABS und die Brembo-Komponenten auf die Maschine abgestimmt haben.
Trotz langer Federwege erreicht die neue BMW R 1200 R jedoch nicht den Federungskomfort der „alten“ R. Selbst die ausgezeichnet arbeitende Gabel bügelt wellige Fahrbahnen nicht ganz so glatt wie der Telelever. Die Hinterhand reicht kurze Schläge, welche die Gabel weitgehend schluckt, auch im gemäßigten Road-Modus ziemlich trocken zum Fahrer durch. Andererseits gerät sie auch nicht ins Pumpen, wenn dieser unter vollem Leistungseinsatz über lang gezogene Bodenwellen aus der Kurve feuert. Insgesamt stößt das Fahrwerk der neuen R im Vergleich zum Vorgängermodell also in den sportlichen Bereich vor, mit einem kleinen Verlust an Komfort, aber deutlichen Gewinnen bei Lenkpräzision und Rückmeldung.
Damit ist es Zeit, sich wieder dem Motor zuzuwenden, der seit seinem kurzen Weckruf vom Anfang dieser Geschichte im Hintergrund bleiben musste. Auch der „Wasserboxer“ trägt viel zur neu gewonnenen Sportlichkeit der BMW R 1200 R bei. Vor allem im Drehzahlbereich über 5500/min. Das nimmt man in den unteren Gängen nicht unbedingt wahr, da schnalzt er einfach steil linear in Richtung Begrenzer. Doch wenn man ihn mit hoher Last aus tieferen Drehzahlregionen hochziehen lässt, scheint er ab dieser Marke noch irgendwo eine Extra-Drosselklappe zu öffnen und reißt selbst im Road-Modus unwiderstehlich an. Vehementer noch, als es der luftgekühlte Boxer mit der kurzen Übersetzung in der R nineT vermag.
Andererseits fehlt es im unteren Bereich an gar nichts. Im zweiten Gang bei knapp über Standgasdrehzahl kräftig aus einem engen Asphalthaken herauszuziehen, kann er auch. Lediglich ein dezentes Schütteln deutet dabei seinen Unwillen an. Das ist ein Verdienst der Kurbelwelle mit größerer Schwungmasse, die in der R 1200 GS Adventure debütierte und seither in allen Modellen mit dem teilwassergekühlten Boxer verwendet wird; die R 1200 GS hat sie nachträglich bekommen. Ein weiterer positiver Effekt der neuen Welle liegt in der besseren Laufkultur, wobei die Motoren einer kurz zuvor gefahrenen GS und der R 1200 R in diesem Punkt leichte Unterschiede zeigten. Der R-Motor lief ruhiger, mechanisch und akustisch. Es ist aber gut möglich, dass dies nicht nur an Fertigungstoleranzen, sondern auch am neuen Ansaug- und Auspuffsystem der BMW R 1200 R liegt. Dass diese kein Kupplungsrupfen beim scharfen Anfahren zeigte, liegt aber wohl schon an Toleranzen.
Mit der Serienausstattung werden Motorleistung und Gasannahme von der Elektronik in zwei Modi serviert, „Rain“ und „Road“. Das Testmotorrad war voll ausgestattet; es besaß also auch die Fahrmodi Pro, die kombiniert sind mit einer Traktionskontrolle. Sie regelt sehr unauffällig. Wer nicht gleich forsch in den Grenzbereich vorstößt, merkt ihr Wirken nur, wenn beim Gasaufziehen in großer Schräglage der Vortrieb etwas verhaltener ausfällt als erwartet. Dann war die Elektronik mal wieder vernünftiger als der Fahrer. Der hat dann die Möglichkeit, einfach auf „Dynamic“ umzustellen oder sich sogar selbst einen Fahrmodus zurechtzuprogrammieren. Doch dies alles auszuprobieren würde den Rahmen sprengen, den die leider zu wenigen Fahrberichtskilometer gesteckt haben. Das checken wir in einem ausführlichen Test. Nur noch so viel schon jetzt: Der Titel „Road Star“ passt für die BMW R 1200 R.
Motor: Luft-/wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor, eine Ausgleichswelle, je zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Schlepphebel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, 2 x Ø 52 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 508 W, Batterie 12 V/12 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping), Sechsganggetriebe, Kardan.
Bohrung x Hub: 101,0 x 73,0 mm
Hubraum: 1170 cm³
Verdichtungsverhältnis: 12,5:1
Nennleistung: 92,0 kW (125 PS) bei 7750/min
Max. Drehmoment: 125 Nm bei 6500/min
Fahrwerk: Brückenrahmen aus Stahl, Motor mittragend, Upside-down-Gabel, Ø 45 mm, Einarmschwinge aus Aluminium, Federbein, direkt angelenkt, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 270 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, Teil-Integral-Bremssystem, ABS.
Alugussräder: 3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen: 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17
Maße + Gewicht: Radstand 1515 mm, Lenkkopfwinkel 62,3 Grad, Nachlauf 125 mm, Federweg v/h 140/140 mm, Sitzhöhe 790 mm, Leergewicht 231 kg, zulässiges Gesamtgewicht 450 kg, Tankinhalt/Reserve 18,0/4,0 Liter.
Gewährleistung: zwei Jahre
Farben: Grau, Blau, Weiß
Preis: 12.800 Euro
Nebenkosten: 390 Euro