Fesch, in der stylishen Zweifarblackierung geradezu sexy wirkt die neue BMW R 1200 R. Was kann der Roadster im Vergleich mit dem luftgekühlten Vorgänger fahrerisch?
Fesch, in der stylishen Zweifarblackierung geradezu sexy wirkt die neue BMW R 1200 R. Was kann der Roadster im Vergleich mit dem luftgekühlten Vorgänger fahrerisch?
Es ist ein Morgen wie in einem Van-Gogh-Gemälde. Auf einem irrwitzig blauen Himmel weiden Schäfchenwolken, kreiseln träge am Firmament. Wie eine Achterbahn schlängelt sich die Straße um zunächst cremefarbene, dann rostrote Felsvorsprünge. Darauf stehen Pinien als große grüne Schirme. Warmes Licht streichelt dein Motorrad. Und wie! Bei BMW ist seit zwei Jahren unter dem neuen Design-Chef Edgar Heinrich eine andere Zeit angebrochen. Für den komplett runderneuerten Roadster BMW R 1200 R zog sein Team alle Register, bis hin zum Ducati-artig rot lackierten Gitterrohrrahmen dieser weißen Lackvariante „Style 1“. Schöner, schon im Stand dynamischer als die alte R 1200 R. Von ihr wurden seit 2007 über 50000 Exemplare gebaut.
Sie ist als Referenz dabei, mit dohc-Boxer als letzter luftgekühlter Evolutionsstufe. Und wirkt erstaunlich barock neben der wild geschminkten jüngeren Schwester. Alles nur Make-up? Nein. Es ist alles neu, was da glänzt. Motor, Fahrwerk, Bremsen, nichts stammt mehr vom Vorgänger. Die neue BMW R 1200 R trägt Telegabel statt Telelever, Wasser- statt Ölkühler, Einarmschwinge links statt rechts, schwarzes statt silbernes Kardangehäuse. Der Wasserboxer ist Rechtsträger, pufft zum Bürgersteig aus. Aggressiver, kerniger klingt die neue R. Sie bollert sonor, tief und kräftig. Dezenter pröttelt der alte Boxer. Obwohl auch er schon eine Auspuffklappe hat, zur Drehmomentsteigerung.
Seidig hängt der Wasserboxer am Gas, reagiert feinfühlig per Ride-by-Wire auf minimalstes Öffnen des Kurzhubgasgriffs. Wow, das drückt selbst im Drehzahlkeller satt aus den Kurven und Kehren. Begeisternd spritzig und temperamentvoll reißen bis zu 125 PS und 124 Newtonmeter an. Bei jeder Drehzahl überflügelt der Wasserboxer seinen auch nicht gerade schwachbrüstigen Vorgänger deutlich. Er ist zudem drehfreudiger und riegelt erst rund 1000 Umdrehungen später ab. Spielt aber auf der Landstraße keine Rolle. Wichtig dagegen: Dank geänderter Airbox und neuen Schalldämpfern ist die neue BMW R 1200 R bis weit in mittlere Drehzahlen der stärkste BMW-Boxer, liegt noch vor GS und RT.
Dieser füllige Drehmomentverlauf macht spurt- und charakterstark. Erstaunlich: Beide Boxer-Generationen haben identische Werte für Hub wie Bohrung, also auch gleiche Hubräume von 1170 Kubikzentimetern. Da verdient solch eine Kraftkur ganz ohne Nachteile besonderen Respekt. Zwei Lambdasonden sorgen wie bisher für zylinderselektive Steuerung. Für Tempo 100 rotiert die neue Kurbelwelle 3800/min, die im alten Motor bloß 3600/min. Trotzdem braucht der Wasserboxer der BMW R 1200 R weniger Benzin. Respektiert man auf der Landstraße alle Tempolimits, reichen ihm 4,6 statt 4,9 Liter auf 100 Kilometer. Bessere thermische Bedingungen ermöglichen magereres Gemisch. Und weniger gekrümmte Ansaugwege verbessern die Strömung.
Zwei Fahrmodi, „Road“ und „Rain“, sind bei der neuen BMW R 1200 R Standard. Im Regenmodus ist die Gasannahme sanfter, regeln ABS und die Basis-Traktionskontrolle ASC (beides serienmäßig) früher, defensiver. Extra kosten zwei zusätzliche Fahrmodi: „Dynamik“ ist aggressiver als der „Road“-Modus. Im entbehrlichen „User“-Mode darf man E-Gas-Annahme und Schlupfkontrolle individuell programmieren. Optional ist auch die höherwertige Traktionskontrolle DTC mit Schräglagenerkennung. Sie bekommt auf der Teststrecke viel zu tun, grätscht im „Road“-Modus immer wieder regulierend rein. Zu erkennen an der gelben Warnleuchte im Cockpit, die oft blinkt. Das tut sie im „Dynamic“-Modus seltener, weil dieser mehr Schlupf, also ein mitunter minimal auskeilendes Hinterrad zulässt.
Die hydraulische Ölbadkupplung lässt sich leicht ziehen, ist aber nicht ideal dosierbar. Sie arbeitet ein wenig digital: an/aus. Trotzdem bleibt bei halbherzigem Anfahren nur der alte, luftgekühlte Motor unvermittelt mal stehen. Gegenüber den ersten wassergekühlten GS haben nun alle neuen Boxermodelle ein gutes Kilogramm mehr Schwungmasse. Als Anti-Abwürg-Programm. Und Pfund zum Wuchern für bessere Laufkultur. Erst in der zweiten Drehzahlhälfte vibriert und kribbelt es spürbar in Griffgummis, Kunststoffblenden überm Tank und Fußrastengummis.
Für die neue BMW R 1200 R ist optional der Schaltautomat Pro verfügbar. Damit kann man ohne Kupplungsbetätigung hoch- und runterschalten. Doch anders als bei bisher getesteten RT und GS macht er hier richtig Laune, funktioniert bestens. Einfach und schnell steppt man damit durch die Gänge. Beim Zurückschalten gibt die Elektronik sogar automatisch Zwischengas zur Drehzahlanpassung. Die Abstimmung erscheint perfekt, man kann selbst in hoher Schräglage ohne Ruck schalten, klasse! In den Gängen vier bis sechs kuppelt man nur noch selten. Konventionell betätigt sind die Schaltschläge nämlich ausgeprägter spürbar.
Linker Haken, rechter Haken, dann die Gerade. Sensationell, wie handlich die neue BMW R 1200 R um die Ecken zirkelt. Leichtfüßig-spielerisch. Kurskorrekturen sind selbst in großer Schräglage ein Kinderspiel, ganz ohne Kraftaufwand. Enger, weiter? Kein Problem, nach Belieben. Diese sportive Leichtfüßigkeit begeistert, schafft Vertrauen, vermittelt Sicherheit. Fein. Das komplett neue Chassis sticht das ältere aus. Die neue BMW R 1200 R zirkelt noch präziser, fährt auf den Millimeter exakt, findet telepathisch die richtige Linie. Blickrichtung gleich Fahrtrichtung. Irgendwann gehen deine Gedanken mitten im Kurvenrausch spazieren. Nicht weil das Fahren so langweilig ist, sondern weil alles so einfach geht.
Die neue BMW R 1200 R macht unauffällig schnell. Zumal die Rückmeldung besser ist als mit Telelever. Du spürst die Straße. Eine gute Wahl, an einem 180er-Hinterreifen festzuhalten. Die Metzeler-Gummis Z8 Interact Roadtec (vorne M, hinten C) rollen schön rund und homogen ab bis zur Reifenkante. Sie haften prima, sehr berechenbar. Irgendwann schleifen die moderat hoch montierten Fußrasten. Kurz danach kommt der Hauptständer. Also besser zügeln. Inklusive Hauptständer und Kofferträger kommen 242 Kilo zusammen, acht mehr als bisher.
Trotzdem fährt sich die neue BMW R 1200 R gefühlt erheblich leichter. Dabei haben sich die Fahrwerkseckdaten gegenüber der alten auf dem Papier eher in Richtung gute Stabilität und Geradeauslauf verschoben: Nachlauf und Radstand (immerhin 1515 Millimeter) minimal länger, Lenkkopf etwas flacher. Im direkten Vergleich erscheint die alte R massiger, steifer und weniger handlich, obwohl sie ja leichter ist. Auch beim Rangieren wirkt die bisherige R 1200 R träger – wegen des schwergängigeren Lenkungsdämpfers. Er bringt sich beim morgendlichen Losfahren im kalten Zustand in Erinnerung.
Eines der vielen Extras der neuen BMW R 1200 R ist ihr semiaktives Fahrwerk Dynamic ESA. Es reguliert selbsttätig je nach Fahrbahn- und Fahrzustand (Beschleunigung/Verzögerung) die Dämpfung nach. Mit weicherer Grundabstimmung im „Road“-Modus und straffer, sportlicher Dämpfung in der „Dynamik“-Stufe. Binnen Millisekunden werden die Dämpferventile vorn und hinten während der Fahrt permanent weiter geöffnet oder geschlossen. Vielleicht manchmal zu schnell. Denn kurze Stöße und harte Kanten reicht die Einarmschwinge bei Tempi jenseits der 60 bis 70 km/h erstaunlich ungefiltert an den Hintern weiter. Auf solch trocken servierten Störimpulsen verhärtet sich die Hinterhand.
Bodenwellen dagegen planiert es geradezu, liegt richtig satt. Im Soziusbetrieb fischt das Federbein der neuen BMW R 1200 R mehr Unbill heraus, besser als das der Alten. Und die neue Upside-down-Gabel spricht schön fein und komfortabel an. Sportiv und doch tourentauglich. Der 2015er-Roadster lässt sich selbst auf der Bremse gut einlenken, stellt sich kaum auf. Und das trotz brachialer Bremsleistungen – nicht nur in Notsituationen. Wenn die radial angeschlagenen Brembo-Monoblocks auf die 320er-Scheiben beißen, drückt es dir von innen mit Wucht den Liquor gegen die Schädeldecke. Dabei taucht die Upside-down-Gabel weit ab, geht voll auf Block, daran ändert auch die semiaktive Federung nichts. Einen Bremsnickausgleich bietet nur die bisherige Telelever, die bleibt auf der Bremse vorn oben und kann so Bodenwellen besser absorbieren.
Bei Vollbremsungen wird das Hinterrad des 2015er-Modells leicht, bleibt normalerweise ganz knapp über dem Boden. Nur Seitenwind oder Bodenwellen lassen es mitunter minimal auskeilen. Noch stabiler und stoischer lässt sich die alte R zusammenbremsen. Allerdings mit deutlich längeren Bremswegen: Die herkömmlichen Vierkolben-Festsättel beißen schwächer zu, und das ältere ABS regelt gröber. Zumal die alte BMW R 1200 R für starke Verzögerung eine ziemlich hohe Handkraft erfordert. Nicht gut für die Dosierung.
Gewohnt gut hier wie dort: die Ergonomie. Das magische Dreieck Sitz – Lenker – Fußraste kennt man vom Vorgänger. Der Lenker liegt wie von selbst zur Hand, der alte war noch einen Tick breiter. Die Haltung ist betont aufrecht, sehr angenehm. Positiv: Beim 2015er-Modell ist der Tank ein wenig schmaler, spreizt die Beine weniger. Höhenverstellbar ist die neue Sitzbank allerdings nach wie vor nicht. Doch mit 770 Millimeter Sitzhöhe ziemlich niedrig. BMW bietet vier verschiedene Sitzbänke an, satte acht Zentimeter liegen zwischen der niedrigsten und der höchsten. Letztere soll eine fahraktivere Position näher am Lenker bieten. Und dank schmalen Zuschnitts nicht nur für große Fahrer geeignet sein. Weil der Wasserboxer von oben beatmet wird, lässt er Füßen und Unterschenkeln mehr Raum. Gut beim Fahren und Rangieren. Komfortabler, besser bettet die alte BMW R 1200 R allerdings den Beifahrer: Der Rücksitz ist größer, dicker gepolstert und der Kniewinkel noch entspannter.
Trotzdem geht der Sieg im Schlagabtausch beider Boxer eindeutig an die neue BMW R 1200 R. Sie bietet in vielen Disziplinen mehr: Rückmeldung und Handlichkeit, Stabilität und Agilität, Power und Bremsleistung, Ausstattung und Design. Das Bessere ist des Guten Feind. Die neue BMW R 1200 R liefert ebenso viel Genuss und Allround-Qualitäten wie die alte, aber deutlich mehr Dynamik und Sport.
Motor: Luft-/wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor, eine Ausgleichswelle, je zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Schlepphebel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, 2x Ø 52 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 508 W, Batterie 12 V/12 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping), Sechsganggetriebe, Kardan, Sekundärübersetzung 2,989.
Bohrung x Hub: 101,0 x 73,0 mm
Hubraum: 1170 cm³
Verdichtungsverhältnis: 12,5:1
Nennleistung: 92,0 kW (125 PS) bei 7750/min
Max. Drehmoment: 125 Nm bei 6500/min
Fahrwerk: Brückenrahmen aus Stahl, Upside-down-Gabel, Ø 45 mm (mit ESA: elektronisch verstellbare Zug- und Druckstufendämpfung), Einarmschwinge aus Alu, Federbein, direkt angelenkt, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung (mit ESA: elektronisch verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung), Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 270 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, Teilintegral-Bremssystem, ABS.
Alugussräder: 3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen: 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17
Bereifung im Test: Metzeler Roadtec Z 8, vo. „M“, hi. „C“
MAßE + Gewicht: Radstand 1515 mm, Lenkkopfwinkel 62,3 Grad, Nachlauf 125 mm, Federweg v/h 140/140 mm, zulässiges Gesamtgewicht 450 kg, Tankinhalt/Reserve 18,0/4,0 Liter.
Service-Daten
Service-Intervalle: 10.000 km
Öl- und Filterwechsel: alle 10.000 km, 4,0 Liter
Motoröl: SAE 5 W40
Zündkerzen: NGK LMAR8D-J
Leerlaufdrehzahl: 1150 ± 100/min
Reifenluftdruck: solo (mit Sozius)
vorn/hinten: 2,5/2,9 (2,5/2,9) bar
Gewährleistung: zwei Jahre
Farben: Grau, Blau, Weiß
Preis: 12.800 Euro
Preis Testmotorrad*: 16.040 Euro
Nebenkosten: 390 Euro
*Komfort-Paket (400 Euro), Touring-Paket (1430 Euro), Dynamik-Paket (745 Euro), Style 1 (410 Euro), Keyless Ride (255 Euro)
Beim umfangreichen Zubehör für die BMW R 1200 R sind viele Einzeloptionen günstiger zu Paketen gebündelt:
Landstraße
Das optionale, beim Testmotorrad verbaute Dynamic-ESA regelt die Zug- und Druckstufendämpfung in zwei Modi („Road“ und „Dynamic“) selbsttätig während der Fahrt. Die Federbasis der Upside-down-Gabel ist nicht einstellbar, die des Federbeins auf Knopfdruck in drei Stufen: solo, solo mit Gepäck und Soziusbetrieb.
Luftdruck vorn/hinten: 2,5/2,9 bar
Die Sache scheint klar: Wasser- statt Ölkühler, Zylinder technisch günstiger von oben nach unten statt von hinten nach vorn durchströmt. Doch neuer Motor hin oder her: Die Revolution findet sich beim Fahrwerk.
Von den Kühlmedien Luft/Wasser statt bislang Luft/Öl spricht BMW. Was auf der einen Seite sicher korrekt ist, denn Luft spielt immer eine Rolle. Aber Öl auch, einen Großteil der Innenkühlung übernimmt nach wie vor der Ölkreislauf. Die „Teilwasserkühlung“ umspült punktgenau die heißesten, thermisch höchstbelasteten Stellen der Zylinder. Der ursprüngliche Vorteil des Boxermotors, beide Zylinder voll im kühlenden Fahrtwind zu tragen, ist damit nicht mehr so wichtig. Doch tiefer Schwerpunkt und handlingfördernd längsliegende Kurbelwelle (Rotation quer zur Fahrtrichtung) bleiben bestehen. Der neue Boxer saugt die Luft durch je einen Ansaugschnorchel links und rechts in die Airbox, der luftgekühlte Motor hatte nur einen.
Auch beim Chassis tat sich Revolutionäres: Die Upside-down-Gabel mit satten 140 Millimeter Federweg bedeutet nach 20 Jahren Telelever in allen Boxer-Modellen einen echten Paradigmenwechsel. Technisch ermöglicht erst sie den zentral platzierten Wasserkühler, ein Dreieckslenker wie bei den aktuellen GS und RT erfordert zwei seitlich platzierte Kühler. Für die Aufnahme der Gabel war ein tragender Lenkkopf, somit ein völlig neues Rahmenkonzept erforderlich. Bisher wurden die Kräfte von Schwinge und Telelever praktisch direkt in den Motor eingeleitet, der eine zentrale Rolle in Bezug auf Festigkeit und Steifigkeit des Gesamtverbunds spielte. Nach wie vor trägt der Motor mit, der Gitterrohrrahmen muss nun aber größere Kräfte und Momente übertragen. Das Rahmenheck ist reparaturfreundlich angeschraubt. Nur das semiaktive ESA-Fahrwerk ist umfangreich einstellbar, in der Standardversion bietet die Upside-down-Gabel keinerlei Verstellmöglichkeiten.
Neu: Gitterrohrrahmen mit geschraubtem Heck und mittragendem Boxer. Die Upside-down-Gabel übernimmt Federung und Dämpfung