BMW S 1000 R im Fahrbericht

BMW S 1000 R im Fahrbericht "Vielleicht haben wir den Preis etwas günstig kalkuliert"

Zur neuen BMW S 1000 R sagt BMW Motorrad-Boss Stephan Schaller: "Vielleicht haben wir den Preis etwas günstig kalkuliert". Eine BMW zu günstig? Wo ist da der Haken? Bei der Fahrpräsentation begab sich MOTORRAD auf die Suche.

"Vielleicht haben wir den Preis etwas günstig kalkuliert" BMW
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BMW-Fans waren sich immer einig: Die bayerischen Maschinen sind vielleicht nicht preisgünstig, sicher aber ihren Preis wert. Kritiker der Marke sahen das oft anders. Doch bröckelte das auf beiden Seiten über Jahrzehnte gefestigte Weltbild spätestens, als BMW jüngst den Einstandspreis von 12.800 Euro für die BMW S 1000 R, nackter Ableger des Supersport-Überfliegers S 1000 RR, kommunizierte.

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Etwas weniger Plastik, ein paar Pferdchen weniger und ein paar eingesparte Gimmicks können den Preisunterschied von rund 4000 Euro eigentlich kaum erklären. Aber kalkuliert wird ja nicht allein wirtschaftlich, sondern immer auch politisch. Der Preis ist wohl eher als Kampfansage an japanische und euro­päische Konkurrenz zu verstehen. Damit liegt die BMW S 1000 R mitten drin im Segment meist schwächer motorisierter Power-Nakeds­ weit unterhalb der ebenbürtig mo­torisierten italienischen Kraftpakete.

Traktionskontrolle, variable Mappings, Race-ABS

Nun könnte man argumentieren, dass sich so ein gestrippter Sportler quasi im Handumdrehen zurechtschnitzen lässt, also kaum neue Entwicklungs- und Herstellungskosten entstehen. Einspruch kommt da nicht nur vom Designer Edgar Heinrich, sondern auch von Technikern. Ein Sparpaket stellt die BMW S 1000 R ohnehin nicht dar, bereits der Basisversion gönnt BMW keineswegs selbstverständliche Ausstattungspunkte wie ASC-Traktionskontrolle, variable Mappings oder teilintegrales Race-ABS. Allerdings muss ein wenig tiefer in die Tasche greifen, wer nicht auf die von RR und HP4 bekannten nützlichen oder unterhaltsamen Gimmicks vom Schaltautomaten bis zum Tempomaten verzichten will.

Zusammengefasst hat BMW diese Leckereien in den Paketen Sport und Dynamik. Wetten, dass mehr als 90 Prozent der Käufer die ordern werden? Was dann unterm Strich bei der BMW S 1000 R 14.500 Euro macht – inklusive semiaktivem Fahrwerk DDC aus der HP4, und das bietet kein Mitbewerber.

Naked Bike

Griffheizung per Knopfdruck

Mit diesen beinahe unverzichtbaren Paketen waren folgerichtig auch sämtliche BMW S 1000 R bei der Präsentation in Mal­lorca ausgestattet. Wobei ein eher sekun­dä­res Feature für dieses Mal großen Zuspruch fand: Heizgriffe. Denn auch auf Mallorca kann es Ende November schon mal kräftig regnen, in höheren Lagen gar schneien. Und genau das passierte.

So sieht es links am Lenker aus, wenn alle Ex­tras an Bord sind. Einen Lehrgang braucht man nicht, die Bedienung erfolgt intuitiv.

Zum Einschalten der Griffheizung ist übrigens kein Lehrgang nötig, ein Knopfdruck reicht. Überhaupt sollten sich mal andere Hersteller an dem logischen und trotz vieler Funktionen einfachen Bedienkonzept der BMW S 1000 R orientieren. Die wichtigen Punkte haben eigene Schalter, überfrachtet wirken die Lenkerenden trotzdem nicht. Auf dem nicht unter allen Lichtverhältnissen gut ablesbaren Display geht es allerdings etwas gedrängt zu. Ein farbiges TFT-Display wie an der neuen RT wäre der Hit, jedoch für den Preis wohl nicht machbar.

Drehmomentwelle gleich nach dem Auskuppeln

Schön, dass BMW dem Streben widerstanden hat, durch einen flachen Lenker Druck aufs Vorderrad zu bekommen. Auf der BMW S 1000 R sitzt man aufrecht-entspannt, der Lenker streckt sich dem Fahrer entgegen, tiefer positionierte Rasten entspannen den Kniewinkel. Die Kupplung geht nicht besonders leichtgängig, der Rest der Bedienelemente schon. Heiser knurrt der gezügelte Supersportmotor bereits bei Standgas, kitzelt zart die Lenkerenden. Das klingt ziemlich gemein und verspricht einen heißen Ritt auf der Kanonenkugel. Den aber besagter Landregen ­vor­erst verhindert.

Das Video zum Fahrbericht

Doch dafür gibt es schließlich den Rain-Modus, der die Leistung der BMW S 1000 R auf 136 PS zügelt, Gasannahme, ABS und DTC-Traktionskontrolle defensiv herunterregelt. Auch im Road-Modus bleiben die Helferlein aktiv, greifen auf dem glib­brigen, blank polierten Asphalt rund um Palma immer noch ausreichend früh und zuverlässig ein. Die Gasannahme ist hier ­direkter. Eine erste Drehmomentwelle schwappt bereits gleich nach dem Auskuppeln über den R-Fahrer hinweg.

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Ganz unten ins Drehzahlband haben die Techniker einen hübschen kleinen Peak gebastelt, der gleich mal zeigt, wo der Hammer hängt. Trotz tief greifender Umbaumaßnahmen ist und bleibt das akustisch wie physisch stets präsente R-Triebwerk ein bissiger 1000er-Vierzylinder mit völlig anderem Charakter als das sanft pulsierende Drehmomentmonster KTM 1290 Super Duke. Mächtig Qualm bietet auch die BMW S 1000 R immer und überall, jedoch auf eine viel direktere, aggressivere Weise. In den unteren drei Gängen hat die Elektronik auch auf abtrocknendem Asphalt alle Hände voll zu tun, das aufsteigende Vorder- und das durchdrehende Hinterrad einzufangen. Giftig dreht der Reihenvierer blitzartig hoch, ist jederzeit augenblicklich da. Obwohl er ganz oben viel früher als der RR-Motor zumacht, wirkt er keineswegs wie ein kastrierter Rennmotor, hat im Gegenteil durch die äußerst kraftvoll zu Werke gehende Mitte seinen speziellen Charakter.

Sinnfrei, aber extrem unterhaltsam

Sinnfrei, aber extrem unterhaltsam ist dieses einmalige Brabbeln der BMW S 1000 R im Schiebe- und Teillastbetrieb. Winzige Tröpfchen unregelmäßig eingespritzten Benzins ergeben eine prickelnd heisere Soundkulisse. Wer hätte vor Jahren gedacht, dass ausgerechnet BMW sich solche lustigen Sachen ein­fallen lässt? Auf den Benzinverbrauch soll das laut Projektleiter Stefan Zeit keinen ernsthaften Einfluss haben. Die Zeiten vornehmer Zurückhaltung sind bei den Bayern ­oh­nehin längst passé, die extrovertierte Streetfighter-Klientel wird sich auf jeden Fall köstlich amüsieren.

Wegen des brutalen Schubs, aber auch wegen des hohen Geräuschniveaus erscheint die BMW S 1000 R kurz übersetzt. In der Tat müsste sie bei rund 260 km/h in den Begrenzer drehen, denn bei Tempo 130 vermeldet der Drehzahlmesser bereits rund 5500 Umdrehungen. Die Übersetzung entspricht zwar der der Doppel-R, obenheraus fehlen aber 2000 Umdrehungen in der Maximaldrehzahl. Auf der Landstraße unterstreicht das eng gestufte Sportgetriebe den wilden Charakter, auf der Autobahn angelt der Schaltfuß mitunter vergebens nach dem siebten Gang. Apropos Schaltung: Der Schaltassistent macht den Quickstepp durch die Gänge beim Beschleunigen zum Genuss mit Suchtfaktor, aber auch ohne Schalthilfe sitzen die Gänge präzise.

Neutral, präzise und berechenbar

Das Fahrwerk ist bei einer Umwandlung vom Supersportler zum Streetfighter die größere Baustelle. „Als wir vor drei Jahren das erste Mal einen Rohrlenker auf unsere S 1000 RR geschraubt haben, benahm sich die Maschine zwar äußerst spektakulär, war aber eigentlich unfahrbar“, erklärt Produktmanager Sepp Mächler. Da war viel Fein­arbeit und Erprobung erforderlich.

Die sich auf jeden Fall gelohnt hat. Schön neutral, präzise und berechenbar rollt die BMW S 1000 R durch die Kurven, wenn auch die Pirelli Rosso Corsa bei Nässe und Kälte nicht erste Wahl sind. Die Balance wirkt ausgegoren und ausgewogen. Leicht und handlich, gleichzeitig aber immer stabil bleibt der Bayern-Streetfighter auf Kurs, strahlt nicht die hektische Nervosität manch anderer Umbauten aus. Nur 207 Kilogramm gibt BMW als Gewicht für die vollgetankte Maschine an, je nach Ausstattung könnte da möglicherweise das ein oder andere Kilogramm hinzukommen.

Erst der Codierstecker unterm Sitz schaltet das Wildsau-Programm Dynamic Pro ohne Wheelie-Kontrolle und Hinterrad-ABS frei.

Als die Straße zunehmend abtrocknet, können die Tester schließlich noch den nur per Codierstecker aktivierbaren „Wildsau“-Modus Dynamic Pro genießen. Noch führt die BMW zwar nicht auf Knopfdruck selbsttätig lustige Stoppies, Wheelies und Bremsdrifts auf, aber sie gibt einem kunstfertigen Piloten beste Möglichkeiten dazu. Gleichzeitig wird das Fahrwerk noch weiter gestrafft, die Traktionskontrolle geschärft. Das alles auf Knopfdruck automatisch kombiniert – ein fantastisches Vergnügen. Die eingeschüchterte Superbike-Konkurrenz hat die S 1000 RR in der ersten Kurve außenrum überholt, ob die BMW S 1000 R nun auf dem Hinterrad an der Streetfighter-Konkurrenz vorbeiwheelt? Sicher wird die Gegenwehr in Gestalt von Brutale 1090 RR, Speed Triple, 1290 Super Duke oder Monster 1200 S härter. 2014 wird ein heißes Jahr.

Technische Daten

Die S 1000 RR setzte 2009 in ihrem Segment Maßstäbe durch exorbitante Leistung und ein ausgewogenes Gesamtpaket.

Motor

Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Schlepphebel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 48 mm, geregelter Kat, Lichtmaschine 350 W, Batterie 12 V/9 Ah, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping), Sechsganggetriebe­, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 45:17.

Bohrung x Hub 80,0 x 49,7 mm

Hubraum 999 cm³

Nennleistung 118,0 kW (160 PS) bei 11.000/min

Max. Drehmoment 112 Nm bei 9250/min

Fahrwerk

Brückenrahmen aus Aluminium, Upside-down-Gabel, Ø 46 mm, verstellbare Federbasis, elektronisch verstellbare Zug- und Druckstufendämpfung, Lenkungsdämpfer, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, elektronisch einstellbare Dämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Doppelkolben-Schwimmsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Einkolben-Schwimmsattel, ABS, Traktionskontrolle.

Alu-Gussräder3.50 x 17; 6.00 x 17

Reifen120/70 ZR 17; 190/55 ZR 17

Maße+Gewicht

Radstand 1439 mm, Lenkkopfwinkel 65,4 Grad, Nachlauf 98,5 mm, Federweg v/h 120/120 mm, Sitzhöhe 814 mm, Leergewicht* 207 kg, Tank­inhalt/Reserve 17,5/4,0 Liter.

Garantie zwei Jahre

Farben Rot, Blau, Weiß

Preis 12.800 Euro

Preis Testmotorrad 14.500 Euro

Nebenkosten 390 Euro

Technik im Detail

Klar, man kann einfach einem Supersportler die Kleider vom Körper reissen und einen Rohrlenker draufsetzen. Die Chance, bei diesem Pokerspiel zu verlieren, ist groß. Ein professioneller Umbau erfordert dagegen viel Feinschliff.

Schon während der Entwicklung des Supersportlers S 1000 RR waren weitere Modellvarianten berücksichtigt, doch für den aktuellen Umbau zum Naked Bike musste an Motor und Chassis ausgiebig getüftelt und probiert werden. Das Triebwerk sollte mehr auf Drehmoment getrimmt werden. Ziemlich schnell kristallisierte sich heraus, dass dafür eine neue Gussform für den Zylinderkopf mit engeren Kanälen nötig war.

Die reduzierte Maximaldrehzahl erlaubt Nockenprofile mit steileren Ventilerhebungskurven, die eine gute Füllung bei niedrigen Drehzahlen ergeben. So konnten über den gesamten Bereich bis 7500/min mindestens 10 Nm gewonnen werden. Erst bei 9500/min holt die RR drehmomentmäßig auf, beide liefern als Maximum 112 Nm ans Getriebe. Leistungsmäßig bringt die BMW S 1000 R immer noch tapfere 160 PS bei 11.000/min. Zum Vergleich: Die RR kommt bei 13.000/min und 193 PS zum Höhepunkt. Das Sporttriebwerk wurde also um gut 30 PS und 2000 Umdrehungen gekappt. Das neue Ride-by-Wire eliminiert den Gaszug der RR und gibt erweiterte Möglichkeiten bei der Motorabstimmung.

Am Fahrwerk waren ebenfalls vie­le kleine Änderungen erforderlich. Der Rahmen blieb grundsätzlich unverändert, etwas weniger in den Brücken durchgeschobene Gabelholme heben die Front der BMW S 1000 R minimal an. Das Heck wurde hingegen weiter abgesenkt, was in Summe einen um 0,8 Grad flacher stehenden Lenkkopf ergibt. Die Schwingenachse durchstößt den Rahmen nun 3 mm tiefer, die Schwinge steht dadurch flacher. Der Radstand wurde auf relativ einfache Weise um 22 mm verlängert, indem die Achse infolge der längeren Kette weiter hinten posi­tioniert ist. Für höhere Zuladung bekam die Hinterradfederung eine progressiver wirkende Hebelei. Die Federelemente der Basisversion sind gegenüber der RR schlich­ter gestrickt: Hinten ist die Druckdämpfung nicht variabel, vorn die Federbasis fix. Unverändert übernommen wurden Räder und Bremsen.

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