Klar kennt jeder schon den Ausgang dieser Geschichte. Der bayerische Reihenvierer besitzt die höhere Leistung. Wenn der Pilot das Gas richtig auswürgt, sieht der Triumph-Pilot nur das immer kleiner werdende Rücklicht. Da ist etwas dran.
Reine Theorie
Die Fahrleistungen der beiden Motorräder untermauern diese Einschätzung. Bei den Beschleunigungsmessungen ist die Triumph in keinem Bereich in der Lage, an der Vormachtstellung der BMW zu knabbern. Liegen sie beim Spurt bis 100 km/h noch dicht beieinander, es trennt sie lediglich ein Zehntel, wächst die Lücke bis 140 km/h auf fast 0,5 Sekunden – zugunsten der BMW.
Andere Messung, gleiches Ergebnis: Auch beim Durchzugstest im sechsten Gang sowie bei zwei Extramessungen im dritten und vierten Gang liegt die BMW in Front. Damit wäre die Geschichte zu Ende. Und doch wäre nur die halbe Wahrheit erzählt. Weil das echte Leben nur in ganz seltenen Fällen eine reine Beschleunigungs- oder Durchzugsprüfung ist. Und noch wichtiger: weil es in der Realität gesetzliche Grenzen gibt.
100 Kilometer pro Stunde heißt das Limit auf Landstraßen. Wir geben es ja zu: Sich daran zu halten fällt nicht immer leicht. Dennoch: Der wohl am häufigsten genutzte Tempobereich auf Landstraßen dürfte zwischen 50 und 120 km/h liegen. Darüber wird aus flott schnell Raserei. Wobei das die Frage aufwirft, warum im Rahmen des Erlaubten alle nach Leistung schielen. Schon eine 125er rennt locker über 100 km/h schnell – und das mit den in dieser Klasse üblichen 15 Pferdestärken. Selbst wenn der eine oder andere Überholvorgang ansteht oder eine Autobahnetappe nicht im Windschatten eines vorausfahrenden Lkw enden soll: 40 flotte Ponys im Zweiradmotor müssten genügen.
Das ist zumindest die Theorie. Dennoch finden fast alle Motorradfahrer viel Power richtig gut. Tief im Innern sind wir eben alle noch Quartettspieler, für die nur der nächste Stich zählt. Das ist keineswegs eine Übertreibung. Die Zulassungszahlen leistungsstarker Motorräder beweisen es – und zwar quer über alle Gattungen hinweg. Egal ob Enduro, Tourer, Sportler oder Naked Bike: In allen Kategorien zählt Power. Immer wollen mehr als 40 Prozent derjenigen, die sich für ein neues Motorrad entscheiden, mehr als 73 kW Leistung. Bei Tourern und Sportler liegt der Anteil sogar über 70 Prozent. Nur bei Choppern zählt Gemütlichkeit noch etwas. Da greift das Gros zu Modellen mit maximal 57 kW Leistung. Aber warum ist das so? Das Quartett-Gewinner-Gen bietet einen Erklärungsansatz. Ein anderer ist: Leistung macht an. Es ist einfach ein gutes Gefühl, eine S 1000 R mal kurz im fünfstelligen Bereich jubeln zu lassen. Wie das marschiert, wie das nach vorne schiebt. Druck ohne Ende. Wahnsinn. Ein kurzer Tanz auf des Messers Schneide. Motorischer Überfluss macht glücklich. Und auch wenn die Drosselklappen nicht den vollen Querschnitt freigeben, ist dieses Gefühl, zu können, aber nicht zu müssen, ein erhebendes. Da geht immer etwas. Das macht souverän.
Praxis
So viel zum theoretischen Teil der Betrachtung. Die Praxis auf der Landstraße vermittelt ein anderes Bild, denn das volle Abrufen der Motorleistung einer S 1000 R birgt auch Gefahren. Ganz ehrlich: Wirklich niemand wringt die potente Nackte auf der Landstraße gnadenlos aus. Wer am Scheitelpunkt einer Kurve kurz vorm Begrenzer steht, schickt im Idealfall 116 Nm gen Hinterrad. Ein Stresstest für die Traktionskontrolle und ein Unterfangen, das für kurzzeitigen Spaß ungeheure Konzentration und enormen Stress bedeutet. Warum das so ist, untermauern neben den Leistungskurven die Zugkräfte der beiden Motorräder. Im ersten Gang bei knapp über 50 km/h das Gas auf der BMW voll stehen zu lassen bedeutet, innerhalb weniger Umdrehungen die Zugkraft von 3500 Newton auf gut 4200 Newton anschnellen zu lassen. Bei einem Gewicht von Motorrad samt Fahrer von 300 Kilo wären im Idealfall dem Pneu 3000 Newton zuzumuten. Wegen des kurzen Radstands sucht das Vorderrad aber schon viel früher verzweifelt nach Bodenkontakt, muss die Traktionskontrolle regelnd eingreifen.
Die Triumph Street Triple RS gibt sich umgänglicher, fast möchte man „harmloser“ sagen. Mit gemessenen 128 Pferden ist der Dreizylinder gut bei der Musik, wirft mit 190 Kilogramm vollgetankt gegenüber der auch nicht fettleibigen BMW ein Weniger von 17 Kilogramm in die Waagschale, gewürzt mit kompakteren Abmessungen. Zudem offenbart der Blick auf die Zugkräfte, dass auch die RS ab guten 60 km/h in einer kurzen Drehzahlspanne richtig viele Newton gen Hinterrad schaufelt, jedoch deutlich unter denen der BMW bleibt. Ihre Power lässt sich leichter dosieren, ist kontrollierbarer. Dennoch: Wenn die Zugkräfte in einer kurzen Drehzahlspanne stark steigen, müssen alle Sinne beisammen sein. Pure Konzentration ist gefragt. Daher fliegen die zwei beim Landstraßentanz eher in den Gangstufen zwei bis vier durch die Radien, opfern ihre Fahrer bewusst einen Teil der Leistung für zähmbaren Vortrieb. Schließlich dauert der zügige Landstraßenturn in der Regel viel länger als die kurze, aber sehr synthetische Messung von reinen Beschleunigungswerten.
Beim lustvollen Kurventanz entscheidet über die Rangfolge zwischen den beiden daher eher die Vorliebe des Fahrers als die Potenz des Untersatzes. Im Wirrwarr aus Biegungen und Kehren laufen beide nicht in ihrem Grenzbereich, erweist sich ihr motorisches Potenzial nur in Teilen auslotbar. Da zählt vielmehr die saubere und sichere Linie. Die Male, bei denen die BMW sich in Richtung fünfstellige Drehzahlen bewegt, sind an einer Hand abzuzählen. Vielmehr werkelt ihr Motor im Bereich zwischen 6000 und 7000/min, dort, wo das Drehmoment sich zu einem spontanen Höhenflug entscheidet. Flugs den Überfluss genießen und die nächste Gangstufe per Schaltautomaten reingedrückt. So geht es zügig und rund voran. Bei der Triumph ergibt sich das nahezu gleiche Bild. Nur liegen die Drehzahlen etwas höher. Den Extraschub zwischen 8000 und 9000 Umdrehungen nutzt man gerne, um dann auch bei ihr nur wenig später ebenfalls per Schaltautomaten den nächsthöheren Gang einzulegen. Der Blick auf die Leistungskurven zum Vergleich verrät: Beide Bikes bewegen sich bei den genannten Drehzahlen kurzfristig im Bereich um 100 Pferdestärken. Für die Landstraße allemal genug, und alle, die es dann doch wissen wollen, finden noch genug Feuer nach oben, das gerne entzündet werden will.
Power ist nicht alles
Ab sofort zählen die Sekunden. Der MOTORRAD-Handling-Parcours wartet. Knapp über 800 Meter lang, gespickt mit Kurven und Kehren. Top-Tester Georg Jelicic gilt als Referenz. Rennerprobt und ans Leben an der Rutschgrenze gewöhnt, scheucht er die beiden Motorräder um den engen Kurs. Die Stoppuhr meldet Zwischenzeit nach Zwischenzeit, das Ergebnis ist eindeutig. Mit der schlanken Street Triple RS erreicht Georg immer bessere Zeiten und damit höhere Geschwindigkeiten als mit der S 1000 R. Die Motorpower der BMW erweist sich selbst im Dynamik Pro-Modus eher als Hindernis denn als Segen. Häufig bremst Georg die Traktionskontrolle aus, signalisiert der Bridgestone S 20 Evo, dass er genug hat. Ganz anders die Triumph. Ihre Pirelli Diablo Supercorsa SP kommen mit der geringeren Leistung gut zurecht. Dazu wirft die Streety ein Schräglagenplus in die Waagschale, rapportiert höchst sensibel mit ihrem Fahrwerk darüber, was gerade unter den Reifen passiert. Und sie fährt sich viel einfacher. Ihre geringe Leistung wirkt im Vergleich zur S 1000 R zwar unspektakulär, macht unterm Strich aber schnell.
Allerdings nur, wenn man das Potenzial zu nutzen weiß, wie der Autor zeigt. Der setzt auch im winkeligen Parcours mehr auf wohldosierbare Leistung denn auf den Tanz am haarscharfen Limit, wischt durch den Slalomabschnitt beispielsweise in Gangstufe zwei, während der Top-Tester hier im ersten durchpflügt. Das kostet zwar Geschwindigkeit, erlaubt aber viel mehr spaßige Runden, bei denen BMW und Triumph fast gleichauf liegen.
Was zeigt: Power ist eben nicht alles. Am Ende entscheidet vielmehr das Können des Fahrers, was geht und was nicht. Er ist der limitierende Faktor, denn genug Leistung haben auf jeden Fall beide Motorräder an Bord.
MOTORRAD-Fazit
Zurück zur Eingangsfrage: Macht Power schnell, oder überwiegt der Stress? Wie der Handling-Parcours zeigt, bringt viel Leistung nicht zwangsläufig bessere Zeiten. Hier zählt Kontrolle mehr als das reine Beschleunigungsvermögen, ist zu viel Power nur schwer zu handhaben. Zumal es im Alltag selbst mit der Triumph kaum Situationen gibt, in denen die Drosselklappen über einen längeren Zeitraum voll geöffnet werden. Und trotzdem: Die Leistung der beiden taugt auch als formidabler Freudenquell, bereitet einfach Spaß. Punkt!