Schnüff, schnäuz – nicht wenige Ducatisti haben ihm wohl mit tränennassem Taschentuch nachgewinkt, in der Hosentasche vielleicht sogar die Hand zur Faust geballt und sich die Frage gestellt: Hat es Ende 2014 wirklich sein müssen, den letzten luftgekühlten Ducati-V2 aus dem Programm zu nehmen, die Monster 796 einfach in die Ecke zu stellen? Jetzt aber mal halblang, werden nun viele rufen, den Daumen auf die Tränendrüse halten und das hohe Lied auf die Scrambler anstimmen. Darauf, dass der 803er-Desmo-Due unter den karohemdsärmeligen Reitern angesagter und erfolgreicher ist, als er es in der Monster jemals war. Und sie haben recht. Seit drei Jahren ist die Scrambler hierzulande die meistverkaufte Ducati. Trotzdem: Nichts gegen das Retro-Moped, aber…
Immerhin ist dem Lifestyle-Bike zu verdanken, dass es den kühlberippten V2 wirtschaftlich in die Euro 4-Ära transportiert hat – und er deshalb, pardon, jetzt wieder in standesgemäßer Peripherie stecken darf. In der neuen Monster 797. Ein geändertes Mapping und der Schalldämpfer sind dann auch schon alles, womit sich der L-Twin unterm buckligen Tank von seiner Retro-Verwandtschaft unterscheidet. Was aber auch heißt: Statt ehemals 86 PS in der Monster 796 zupfen im Euro 4-Trimm nur noch gemessene 73 Pferde an der Kette. Schlimm? In der Scrambler stört das niemand. Und für den Tausch von Kühlerschläuchen gegen Feinripp akzeptieren die Fans wohl auch in der kleinen Monster so manches fehlende PS.
Zumal die Italienerin in Sachen Leistung trotzdem gut dasteht. Konkurrenz im engeren Sinn, also mit einem V2-Motor zwischen den Rahmenrohren, gibt es in der Hubraummittelklasse nämlich nur eine, die 76 PS starke Suzuki SV 650. Nach beinahe zwei Jahrzehnten – die erste SV wurde 1999 vorgestellt – schreibt das kleine Naked Bike noch immer an seiner Erfolgsgeschichte. In der Saison 2017 ist sie die bestverkaufte Suzuki.
Natürlich auch wegen ihres Preises. Mit rund 6500 Euro gibt’s die SV zum in dieser Klasse (Kawasaki Z 650 und Yamaha MT-07: je 6700 Euro) derzeit üblichen Taschengeld-Tarif. Die Duc hält sich weit entfernt von der pekuniären Kampflinie, darf sich mit 9000 Euro aber wenigstens markenintern in die Low-Budget-Aufstellung einreihen. Für weniger Geld sind bei Ducati nur die beiden Scrambler-Einstiegsmodelle erhältlich, die 62 und die Icon.
Zurückhaltend wie der Preis bleibt auch der Sound. Und das durchaus im positiven Sinn. Denn anstatt wie so viele ihrer großen Geschwister den Druck aufs Knöpfchen akustisch mit der Nachbarschaft zu teilen, bollert der puristische L-Motor der Duc bassig, aber gut gedämpft durch seinen Stummelauspuff. Um den Suzuki-V2 zu übertönen, reicht es aber allemal. So fein wie eine Nähmaschine schnurrt der 90-Grad-Twin vor sich hin, so als wollte er von der ersten Umdrehung an die Präzision japanischer Maschinenbaukunst demonstrieren, damit nochmals an ihren Titel des „verlässlichen Entleins“ erinnern. Den Slogan, mit dem MOTORRAD einst die tadellose Zuverlässigkeit der identisch motorisierten Gladius beim 50000-Kilometer-Dauertest würdigte.
Klack, mit feinem Klicken schieben sich die Schaltklauen der ersten Gänge ineinander. Abfahrt. Bevor die Motoren ihre Charaktere ins Spiel bringen können, zieht die Ergonomie die Aufmerksamkeit auf sich. Du bist, wie du sitzt – wenn dieser geflügelte Satz denn existierte, er würde das Gefühl auf dem Duo treffend umschreiben. Schmal reckt sich der Lenker dem Suzuki-Piloten entgegen, niedrig (780 mm) platziert ihn die Sitzbank, simpel geben sich Armaturen und Display. Das Arrangement signalisiert Bescheidenheit. Und passt deshalb zur SV. Vielleicht, weil sie sich ihrer wahren Werte bewusst ist. Doch davon später.
Mit breiter Brust empfängt die Monster ihren Reiter. Und das im Wortsinn. Stattliche zehn Zentimeter ausladender spreizt ihm die Italienerin die Arme, positioniert ihn vorderradorientiert. Die mit 83 Zentimeter luftigere Sitzhöhe lässt sich mit einer Nachrüst-Bank (230 Euro) um 25 Millimeter reduzieren. Die Duc signalisiert Selbstbewusstsein. Schmale Spiegel – wer soll schon von hinten drängeln? Die im Display fehlende Ganganzeige oder Benzinuhr – Banalitäten. Dafür lässt sich die Anzeige vom Lenker aus bedienen oder das Handy ganz hip über den USB-Anschluss im Heck aufladen. Unterm Strich: Bequem sitzt es sich auf beiden. Auf der Suzuki entspannter, auf der Ducati engagierter.
Die ersten Schwünge verändern den Blickwinkel, rücken die Motoren in den Fokus. Dem zunächst so breitschultrigen Auftritt lässt der Desmo-Due eher die sanfteren Töne folgen. Nachvollziehbar, schließlich stutzen zahme elf Grad Ventilüberschneidung und ein einzelner statt zwei Drosselklappenkörpern den Luftikus für die Scrambler und Euro 4 zurecht. Geschadet hat’s ihm, von der reduzierten Spitzenleistung einmal abgesehen, nicht. Ganz im Gegenteil. Das typische Ducati-Poltern unterhalb von 3000 Umdrehungen ist passé. Bereits ab 2000/min läuft er rund, klettert sauber und kinderleicht dosierbar die Drehzahlleiter hoch. Erst auf den obersten Sprossen bekommt er ein wenig Höhenangst, atmet flach und lässt es dann bei 9100 Touren auch gut sein. Intuitiv klickt man ohnehin deutlich früher, etwa bei der 7000er-Marke in den nächsten Gang und hält den Zweiventiler in seiner kräftigen Mitte. Allerdings: Im Vergleich zu den von MOTORRAD bislang gemessenen, Euro 3 homologierten Scramblern hat der Euro 4-V2 in der Monster etwas Spitzenleistung (3 PS) und Durchzugskraft eingebüßt. Insofern wundert man sich beim dennoch grundsätzlich gelungenen Auftritt des Antriebs nur nebenbei über das hakig zu schaltende Getriebe und die beim Anfahren aggressiv zubeißende Kupplung.
Und darüber, dass das Rampenlicht letztlich auf den schüchternen Suzuki-V2 schwenkt. Es hat seinen Grund, dass Generationen von Gladiusen, V-Stroms und SVs ihren Erfolg im Wesentlichen diesem wassergekühlten Vierventiler zu verdanken haben. Noch bessere Laufkultur ganz unten, kaum weniger Druck in der Mitte und dazu noch 1300 Touren Nachschlag oben (Maximal-Drehzahl 10400/min): Mit dieser Kombination setzt sich der Evergreen erstklassig in Szene. Ja, komplettiert den 645er mit unauffälliger Schaltung und Kupplung zum Susi-Sorglos-Motor. Nebenbei gefragt: Wie steht’s eigentlich um Fahrmodi? Die braucht weder der famose Suzuki-Triebling noch der Ducati-Desmo. Die Abstimmungen sind gelungen und niemand wird das überflüssige Gezappe vermissen.
Zigarettenpause, Benzingespräche. In der Ducati und Suzuki stecken die beiden einzigen V2-Motoren in der Hubraum-Mittelklasse. Eigentlich schade, denn ein V2 baut schmal, besitzt einen betörenden Sound und Druck aus dem Drehzahlkeller. Dennoch setzt die Konkurrenz fast ausschließlich auf Reihenmotoren mit zwei, drei oder vier Zylindern. Aus Kostengründen? Experten schütteln den Kopf, sehen den Fertigungsaufwand nicht als Grund, sondern führen eher die schwierige Konfiguration der Peripherie als V-Killer an. Die Spreizung eines V2 benötigt viel Bauraum, der letztlich dem Krümmer des hinteren Zylinders, dem Luftfilterkasten und dem Tank fehlt. Reihenmotoren bieten den Konstrukteuren mehr Freiheiten.
Der V2 ist also ein Glaubensbekenntnis. Eins, das vor allem Ducati treffsicher inszeniert. Statt des rudimentären, an den Zylindern verschraubten Lenkkopfträgers der beiden großen Schwestern, hängt der verrippte Vau der Monster 797 öffentlichkeitswirksam im attraktiven feuerroten Gitterrohrrahmen. Stil und Selbstbewusstsein haben sie, die Italiener. Man mag fast sagen: im Gegensatz zu den Japanern. Fast unsichtbar verschwindet der aufrechte Zylinder der SV zwischen schwarzen Rahmenprofilen und Kühlwasser-Ausgleichsbehälter. Schade.
Schluss mit Grundsatzdiskussionen. Aufsatteln. Gierig stürzt sich die Ducati in die Kurven, münzt die sportliche Sitzposition und die ordentliche Rückmeldung der Diablo Rosso 2-Reifen in einen sauberen Strich um. Nur auf Holperpisten zerren die Bodenwellen in Schräglage frech am breiten 180er-Hinterradpneu – und schütteln den Piloten durch. Komfort ist nicht die Stärke der Upside-down-Gabel von Kayaba und des direkt an der hübschen Zweiarm-Aluschwinge angelenkten Sachs-Federbeins. Nachjustieren ist kaum möglich. Die ziemlich progressiv abgestimmte Gabel ist nicht zu verstellen, der straff gedämpfte Monoshock funktioniert mit komplett aufgedrehter Zugstufe am besten. Und auch an die Bremse muss man sich gewöhnen. Bissig krallen sich die Brembo-Monoblock-Zangen in die Scheiben, verlangen ein äußerst sensibles Händchen am Hebel. Dennoch: Die Kombo aus Bremse, Federung und Reifen vermittelt Wertigkeit, rechtfertigt ein Stück weit den Preisaufschlag zur Suzuki.
Die in dieser Beziehung nicht mithalten kann. Dürre 41er-Telegabel, Schwimmsättel, die in 290er-Scheiben zwicken, in der Dämpfung nicht einstellbare Federelemente, der suboptimale Dunlop Sportsmart 2 – der Zubehör-Bestellzettel für die SV scheint mit dem Rotstift ausgefüllt worden zu sein. Vor diesem Hintergrund zieht sich die SV nicht mal so schlecht aus der Affäre. Die weiche Federung schluckt Kreuz- und Querfugen locker weg, der schmale 160er-Pneu lässt sich von Verwerfungen in Schräglage nicht so schnell aus der Façon bringen und die Bremse gefühlvoll dosieren – sofern man die Defizite der SV positiv deutet. Beim flotten Eckenwetz aber gautscht sich die Gute durch ihre Federwege, lässt ein anständiges Feedback der Reifen vermissen und braucht für den schnellen Stopp eine kräftige Hand. Kurz, die SV will so behandelt werden, wie sie selbst gestrickt ist: vernünftig.
Dann zieht sie ihre Trümpfe Schlag auf Schlag aus dem Ärmel. Raten Sie mal: Welches Bike bremst im ABS-Regelbereich am effizientesten? Die Suzuki steht nach 41 Metern (Ducati: 45 m). Welches besitzt die höchste Zuladung? 221 Kilo dürfen auf die Suzuki (Ducati: 193 kg). Welches verbraucht am wenigsten Sprit? Die Suzuki schluckt bei natürlich vernünftiger Fahrweise auf 100 Kilometer 3,6 Liter (Ducati: 4,6 l). Und wer schnalzt am schnellsten von 0 auf 140 km/h? Die Suzuki bringt’s in 7,2 Sekunden hinter sich (Ducati: 8,3 sek). Und welche fast 30 Prozent weniger kostet als die andere, liegt auf der Hand.
Ziehen diese Argumente? Wer Ja sagt, wird verstehen, dass die bodenständige SV 650 der Ducati in der Endabrechnung letztlich den Rang abläuft. Wem diese Aspekte schnuppe sind, der muss nicht zwangsläufig bei der Ducati landen. Er kann wählen – zwischen Feinripp oder Kühlerschlauch.
MOTORRAD-Testergebnis
1. Suzuki SV 650
Mit dem grandiosen V2 setzt Suzuki nach wie vor Maßstäbe und überspielt das Diktat des Rotstifts. Denn Bremsen und Fahrwerk spielen nicht auf Augenhöhe mit dem brillanten Antrieb. Ihre Punkte sammelt sie in rationalen Kriterien. Die Diskrepanz zur Ducati könnte kaum größer sein.
2. Ducati Monster 797
Es muss nicht immer retro sein. Die Mischung aus luftgekühltem V2 und modernem Outfit besticht auf Anhieb. Auch wenn der 797 ein paar Punkte fehlen – viele werden sich nach dieser Monster gesehnt haben. Zumal auch der Preis für die wertig gemachte Ducati im Rahmen bleibt.