Fahrbericht Aprilia RSV mille R Tuono

Fahrbericht Aprilia RSV mille R Tuono Blitz und Tuono

Tuono heißt auf italienisch Donner und steht bei Aprilia für ein blitzschnelles Naked Bike auf Basis der Mille R. Vor kurzem wurde die Tuono präsentiert. In der Toskana und natürlich an einem Donnerstag.

Dieser Passo del Muraglione ist ein Schlingel. Ein richtiger, im ursprünglichen Sinn des Worts. Windet sich wie eine ekstatische Riesenschlange in Hunderten von Kurven und Dutzenden von Kehren. Kurvt über die bewaldeten Hügel des Apennin, des italienischen Zentralgebirges, als gelte es, jedem Baum, jedem Fels einzeln auszuweichen. Wer hier locker und doch konzentriert fährt, kann sich von Kurve zu Kurve in einen Zustand hineinsteigern, in dem er alles andere vergisst. Wer mit zusammengebissenen Zähnen agiert, stochert nur freudlos durch die Gegend.
Es gehört schon Vertrauen dazu, auf dieser schwierigen, faszinierenden Bahn ein neues Motorrad zu präsentieren. Aber was soll da im Fall der Aprilia RSV mille R Tuono schon schiefgehen? Wie der erste Teil des Namens andeutet, entstand dieses exklusive, in einer Serie von nur 200 Exemplaren geplante Naked Bike aus der Mille R. Von ihr hat sie den Motor, die leichten Räder und das übrige Fahrwerk bis hin zu den bissigen Brembo-Bremsen übernommen. Allerdings stellt die Tuono ihre Technik weitgehend unverhüllt zur Schau, kaschiert nur einen Ausgleichsbehälter hier, eine Kühlerflanke da hinter einer Karbon- oder Karbon-Kevlar-Abdeckung. Und sie besitzt statt tief montierter Lenkerstummel einen breiten, hochgelegten Rohrlenker, der in aufwändig gefrästen Aluteilen gehalten wird.
Allerbeste Voraussetzungen also für einen beschwingten Kurventanz. Für gute Übersicht, Lenkpräzision und sportlich straffe Federungsarbeit gleichermaßen. Voraussetzungen, welche die Tuono gekonnt umsetzt. Geduckt im Hanging-off-Stil eine bergab führende Kurve zu nehmen, durch eine lang gezogene Biegung zu schmettern oder sich in Offroad-Manier mit gedrücktem Motorrad um einen kantigen Felsen zu tasten - das sind Fahrmanöver, die auf der Tuono sehr geschmeidig ineinander gleiten. Sogar im forcierten Rhythmus, den der Muraglione vorgibt, provoziert sie keine hektischen Aktionen. Dabei spielt auch die Leichtigkeit eine Rolle, mit der sie sich einlenken lässt; dank des breiten Lenkers hat die Handlichkeit gegenüber der ohnehin schon flinken Mille R noch einen Tick gewonnen. Und ohne dass ein direkter Vergleich möglich war, lässt sich eines sagen: Die Tuono bleibt über den ganzen nutzbaren Schräglagenbereich auf wunderbare Weise neutral. Aufstellmomente, wie sich zum Beispiel eine Triumph Speed Triple über den breiten Hinterreifen in die Lenkung holt, kommen bei ihr nicht auf.
So ist es letztlich nur eine Kleinigkeit, die in ganz engen Kehren den Genuss zu trüben vermag. Die Tuono ist, wie auch die Mille oder die Mille R etwas zu lang übersetzt. Im Scheitelpunkt einer Kehre läuft der Motor auch im ersten Gang mit zu wenig Drehzahl, also unterhalb 3000/min. Hier werden Motorlauf und Lastwechsel etwas hackig; im Unterschied zu großen vierzylindrigen Naked Bikes aus Japan erfordert sauberes Fahren in diesem Drehzahlbereich Gewöhnung, Konzentration und manchmal eine schleifende Kupplung. Wenn es geht, sollte man ihn meiden. Andererseits bringt die geringe Schwungmasse des Aprilia-Motors, die im unteren Drehzahlbereich die Laufkultur mindert, oben hinaus eine sehr sympathische Spritzigkeit. Eine Spritzigkeit auch, welche auf die Frontpartie stets erhebend wirkt. Was für starke Motorräder mit etwas verminderter Vorderradlast typisch ist, auf denen der Fahrer zudem noch aufrecht sitzt. Bei der Tuono ist die Wheelieneigung aber nur gerade so weit ausgeprägt, dass man mit ihr spielen und trotzdem zwischen den Kurven noch ungeniert das Gas aufreißen kann.
Lediglich bei gemächlicher Fahrt fällt auf, dass die starke Neigung der Sitzbank nach vorn nicht ganz zum Tuono-Konzept passt. Sie ist ganz offensichtlich dafür ausgelegt, dass der Fahrer häufig stark beschleunigt oder sich mit viel Körperspannung gegen kräftige Verzögerung stemmt. Wer einfach nur so auf der Tuono dahincruisen, flanierend ihre edlen Teile zur Schau stellen will, rutscht auf der abschüssigen Bank ständig gegen den Tank. Vielleicht würde ein etwas griffigerer Sitzbankbezug ja schon helfen.
Weil es den nicht gibt, muss man sich klar machen, dass die Tuono eben eine Sportlerin ist, die entsprechend gefahren werden will. Fast optimal für Leute, die eine zügige Gangart und die dafür nötigen Fahrwerksreserven zu schätzen wissen, sich aber nicht dauernd in Richtung des Drehzahlmessers verneigend den Bauch klemmen wollen. Und denen ein solcher Komfortsportler satte 17999 Euro wert ist. Es sei zugunsten der Tuono noch darauf hingewiesen, dass Aprilia den hohen Preis nicht mit der kleinen Stückzahl allein rechtfertigt, sondern wirklich viele teure Teile verwendet. Die Öhlins-Federelemente sind da an erster Stelle zu nennen, klar. Auf weniger plakative Art, doch darum nicht minder hochwertig sind aber auch die oben erwähnten Karbon- oder Karbon-Kevlar-Teile. Sie bestehen nicht aus billigen, mit Harzüberschuss zusammengepappten Laminaten, sondern aus Prepreg-Matten, die im Hochdruckofen gebacken und dann mit dem Hochdruck-Wasserstrahl aufs Genaueste zugeschnitten wurden. Der Zulieferer arbeitet auch für die GP- und Superbike-WM-Teams. So bleibt für Anleger angesichts des hohen Preises nur die Frage offen, wie lange Aprilia es sich verkneifen kann, diese gelungene Naked Bike-Adaption in größeren Stückzahlen zu produzieren. Weniger exklusiv, doch mit der selben Dynamik. Bedarf wäre vorhanden. Schließlich gibt es nicht nur in Italien Muragliones.

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