Das kennen wir aus Spielbergs »Jurassic Park«: Wenns den Raptoren zu wohl wird, setzen sie Junge in ihre schöne neue Welt. Anders als in Hollywood klappt die Fortpflanzung der Raptoren in Italien derzeit noch nicht ohne menschliche Hilfe. Und so machte sich Cagiva-Entwickler Miguel Galluzzi erneut ans Werk und schuf nach der Raptor 1000 nun die Raptor 650. Die Ähnlichkeit ist frappierend. Auf den ersten Blick ist das Raptor-Baby kaum vom Muttertier zu unterscheiden. Mächtiger Gitterrohrrahmen, gleicher bauchiger Tank, keinerlei Schnickschnack.
Erst bei genauem Hinsehen entdeckt das geübte Auge ein paar Unterschiede: minimale Veränderungen am Rahmen wie beispielsweise die Motorlagerung, kleinere Schalldämpfer, schmaleres Hinterrad, ein neuer Luftfilterkasten, was dem Benzintank einen Liter mehr an Volumen verschafft, schwarzes statt weißes Zifferblatt im dreieckigen Drehzahlmesser. Und insgesamt ein schlankeres, leichteres Erscheinungsbild. Das liegt vor allem am kleineren Motor. Er stammt wie bei der großen Raptor von Suzuki, statt des TL 1000-Triebwerks werkelt der bewährte und viel gelobte SV 650-Antrieb in der kleinen Raptor. Cagiva verpasste dem Twin anstelle der Zwei-in-eins-Auspuffanlage des Orginals zwei Schalldämpfer und änderte die Gemischaufbereitung sowie Endübersetzung. Das soll vor allem im mittleren Drehzahlbereich mehr Power bringen.
Also los, keine Angst vor kleinen Tieren und auf zur Probefahrt mit diesem allerersten Prototyp der Raptor 650 Detailänderungen in der Serie noch vorbehalten. Es sitzt sich angenehm, mit leicht nach vorn geneigtem Oberkörper und etwas nach hinten abgewinkelten Beinen. Eine gute Position für eine perfekte Kontrolle des Motorrads. Nicht ganz so gastfreundlich zeigt sich die Cagiva gegenüber einem Beifahrer. Das schmale, spitz auslaufende hintere Sitzpölsterchen scheint aus einer Kinderstube entwendet.
Äußerst erwachsen gibt sich der jüngste Spross aus dem Haus Cagiva dann auf der Straße. Die Raptor 650 wiegt 26 Kilogramm weniger als die 1000er und bringt eine ausgewogene Gewichtsverteilung mit rund 47 Prozent vorn, 53 Prozent hinten. Mit den Pirelli-Reifen vom Typ MTR 21/22 wirkt die Baby-Raptor ausgesprochen handlich und behende. Und die neue Auspuffanlage mitsamt optimierter Gemischaufbereitung und Endübersetzung zeigt Wirkung. Die angegebenen knapp 73 PS schieben mächtig voran. Jenseits von 6000 Umdrehungen dürfte es kein Motorrad dieser Klasse geben, das mit der Raptor mithalten kann. Die Nadel des Drehzahlmessers wieselt eilig in den roten Bereich bei 10000/min. Schade eigentlich. Denn man würde gern noch weiter drehen. Andererseits reichen die vom Werk versprochenen 207 km/h für ein vollkommen nacktes Motorrad mehr als aus.
Wie bei allen Nakeds sind kurvige Landstraßen das bevorzugte Revier der Baby-Raptor. Erstaunlich, mit welcher Präzision die Cagiva die Biege macht. Eine Ducati Monster 600 wirkt zwar flinker, dafür hält die Raptor 650 die Spur wie ein Traktor. Bei dem stabilen Rahmen aus hauseigener Cagiva-Produktion wackelt nix, verwindet sich nix. Wie auf Schienen zieht die Raptor ihre Bahn. Die vordere Scheibenbremse mit gegenüber der 1000er leicht geänderter Belagmischung packt so gut zu, dass man ihren Einsatz immer weiter hinausschiebt und die hintere Bremse ganz vergisst. Die stabile Upside-down-Gabel mit neuer Dämpfungabstimmung und härteren Federn als beim Muttertier steckt alles klaglos weg, Lastwechsel ebenso wie Schräglagen auf welligem Untergrund. Das Vorderrad klebt regelrecht auf dem Asphalt und beginnt selbst bei noch so buckeliger Fahrbahn nicht zu stempeln.
In Sachen Einstellbarkeit von Federung und Dämpfung der Raptor 650 beschränkte sich Cagiva auf das Nötigste. Sprich: Nur die Federbasis des Federbeins lässt sich verstellen, damit die Raptor auch problemlos mit zwei Personen oder viel Gepäck bewegt werden kann. Zum einen will Cagiva so den Preis niedrig halten, zum anderen wird die kleine Raptor Rennstrecken wohl nur vom Besucherparkplatz aus kennelernen. Und für alle anderen Einsätze reicht nach Meinung der Cagiva-Techniker eine vom Werk optimal eingestellte Federung und Dämpfung.
Bei den Farben lassen einem die Italiener die Wahl zwischen Gelb, Marineblau und Jump Grey, was auch immer Letzteres bedeuten mag. Im November werden wirs wissen, dann sind die Neuen beim Cagiva-Händler zu haben. Gleichzeitg kommt auch eine rüssel- und klauenbewehrte V-Raptor 650, ganz im Stil der 1000er. Wie die sich fährt, bleibt derzeit noch ein Geheimnis der Macher in Varese. Ebenso der definitive Preis der Raptor 650, der sich aber in der Größenordnung um 14000 Mark bewegen dürfte.
Fahrbericht Cagiva Raptor 650 : Baby-Boom
Cagiva setzt auf Familienbande und schickt die kleine Raptor vor die Tür.