Die Parallele ist verblüffend - es ist gruselig. Und der Schreck sitzt tief, als sich dieses Berliner Monster in blinder Wut im zweiten Gang beim Gasanlegen aus der Kurve heraus aufrichtet. Genau wie der verstörte Riese mit der markanten Hals-Schraube und der tiefen Narbe quer über die kantige Stirn, als ihm die Situation entglitt. Der ominöse Dr. Frankenstein wollte mit seinem Monster Gott spielen. Marc Rittmeier von DSB Berlin (www.dsb-berlin.de) handelte dagegen im Auftrag eines Kunden. Schuf diesem jedoch ein Monster mit ähnlich gigantischer Kraft, das ohne das gewisse Maß an Genie und Wahnsinn seines Konstrukteurs wohl nie den Lebenshauch bekommen hätte.
Doch bevor das Monster zum Spielen ausbüchsen darf - übrigens nicht mit dem blinden Mädchen am Bach, sondern mit PS in Oschersleben - sehen wir uns das Geschöpf genauer an. Das Herzstück allein beeindruckt durch seine Komponenten und technische Lösungen. Motorgehäuse, Kolben und Zylinder stammen von der Ducati 1098 R. Die Pleuel spendierte die Standard-Version des Superbikes, das Getriebe kommt von einer Hypermotard 1100. Die gigantische Tüftelei des DSB-Teams für den deutlich größeren Hub, für den unter anderem die Zylinder durch dickere Fußdichtungen angehoben, die Kolbenhemden und Kurbelwangen gekürzt und ein neuer Spannmechanismus für neue Zahnriemen angefertigt werden mussten, kann man sich vorstellen. Über dem Ganzen thront ein Konglomerat aus Multistrada 1200-Einspritzdüsen und 1098-Drosselkörper. Für etwas serienmäßiges war unter dem Monstertank kein Platz.

Damit sein Baby das fossile Leben eingehaucht bekommt, musste Marc die Düsen deshalb direkt in den Ansaugstutzen unterbringen, die Druckregleraufnahme und die Spritleitungen selbst anfertigen. Danach war gerade noch Platz für Luftfilter aus dem Motocross-Bereich, die direkt über die ovalen Ansaugtrichter gestülpt werden. Nach Anpassen der Airbox ging der Tank drauf, ohne auch nur eine Strebe im engen Gitterrohrrahmen ändern zu müssen.
Dass die originale S4R-MonsterSchwinge aus Stahlrohr überhaupt noch vorhanden ist, grenzt ebenfalls an Zauberei, denn beim Naked Bike wird der Schwingendrehpunkt durch das Motorgehäuse geführt. Beim Superbike-Spendermotor allerdings nicht. Bis die Jungs aus Berlin die Fräse zückten, das passende Loch bohrten und eine Stahlbuchse für die Schwingenlagerung einpressten. Dagegen wirken die eigens angefertigte Auspuffanlage mit Termignoni-Dämpfern oder das Öhlins-Fahrwerk mit eloxierter FG43-Gabel und S46-Federbein geradezu harmlos, von den Dymag-Karbonrädern ganz zu schweigen.
Aber jetzt los, lassen wir das Monster aus dem Labor! Sanft nimmt der Motor seine Arbeit auf, keine Spur von ungezügelter Power - solange es die Boxengasse hinunter geht. Kaum in die Hotelkurve eingereiht und den Hahn ein paar Millimeter aufgedreht, zerrt die Kraft am Pirelli-Slick und spuckt einen hinaus auf die kurze Gerade. Die brutalen Brembo-Monoblocks stauchen das Monster dann so zusammen, dass die Gabel tief und zu plötzlich einsinkt später beheben wir das mit mehr Druckstufe.

Erstaunlich leicht lässt sich der Wüterich einlenken. Kein Vergleich mit dem Original von 2004, das in jeder Situation eine starke, führende Hand braucht. Die superleichten Räder und die Slicks lassen grüßen. Und dann ist es ausgangs der Hasseröder-Kurve so weit: Das Bike stellt sich unvermittelt auf die Hinterhand, brüllt wie Frankensteins Kreatur auf der Flucht vor der lynchlüsternen Meute und macht sofort deutlich, dass es mit nett und brav endgültig vorbei ist. Aber die Leistung der Monster 1260 ist einfach verdammt geil, zumal sie so schön abrufbar ist. Die Motorabstimmung ist den DSB-Machern geradezu perfekt gelungen. Und wie der Twin nach oben dreht, einfach Sahne. Auf der Gegengeraden zieht der nackte Wahnsinn dem Rittmeister ordentlich die Arme lang und es stellt sich das Gefühl ein, als habe dieser Twin gar keinen Begrenzer, als würde der Kraftschub niemals enden.
Das Einzige, was einen auf der DSB-Monster auf der Rennstrecke einbremst, ist das Gesamtkonzept. Die Monster ist eben nur sehr bedingt für die Piste gebaut, und die brutale On-Top-Power macht es auch nicht besser. Da kann Marc Rittmeier noch so tüfteln, der nackte Flitzer wirkt stellenweise sehr nervös, hangelt sich etwas unruhig durch die langen Kurven und hat an der Vorderhand sein größtes Manko. Von dort fehlt das Feedback, traut man sich, auch angesichts der drohenden Abreibung durch den Besitzer, nicht wirklich, mit Druck auf dem Vorderrad in die Kurven hineinzustechen. Im Gegensatz dazu kann man mit dem leichten Vorderbau und dem leicht wedelnden Heck beim Herausbeschleunigen locker leben.
Aber das weiß Marc selbst. Seine Monster ist eine Auftragsarbeit. Der Kunde wollte ein gigantisches Monster mit Straßenzulassung, mit dem es sich vortrefflich ballern lässt und das den großen Auftritt liebt - nicht die präzise Racer-Klinge. Aus handwerklicher Sicht sind schließlich beide Monster gelungen, das in Marry Shellys Schauerroman ebenso wie das aus der Berliner Zauberwerkstatt. Über Moral müssen wir nicht entscheiden. Aber wer sich die Zeit nimmt, vor diesem Zweirad-Kunststück niederzuknien und die Details zu genießen, der hat hin und wieder das Gefühl, das Menschen alles schaffen können - man muss eben nur verrückt genug sein.
Technische Daten

PS-Daten
Antrieb:
Zweizylinder-V-Motor, 4 Ventile/Zylinder, 127 kW (173 PS) bei 9100/min, 144 Nm bei 7300/min, 1260 cm3, Bohrung/Hub: 106/71,5 mm, Verdichtung: 13,5:1, Zünd-/Einspritzanlage, 64-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Kupplung, Sechsganggetriebe, Kette
Fahrwerk:
Stahl-Gitterrohrrahmen, Lenkkopf-winkel: 66,0 Grad, Nachlauf: 95 mm, Radstand: 1430 mm, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, Federweg v./h.: 127/127 mm
Räder und Bremsen:
Karbonräder, 3.50 x 17/6.00 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/55 ZR 17, 330-mm-Doppelscheibenbremse mit radial angeschlagenen Vierkolben-Festsätteln vorn, 245-mm-Einzelscheibe mit Zweikolben-Festsattel hinten
Gewicht (vollgetankt):
195 kg, Tankinhalt: 15 Liter Super
Grundpreis :
zirka 29000 Euro