Fahrbericht Kawasaki Z 1000
POTZ 1000

MOTORRAD erfuhr in Japan, ob die Enkelin von Frankensteins Tochter erneut heftig Rauch ins Lager der schnellen Nackten lässt.

Kawasaki macht Ernst. Wie sonst ist es zu erklären, dass die Grünen anlässlich des ersten Fahrtermins im südjapanischen Myazaki sämtliche Speedlimits außer Kraft setzen. So stimmt der freundliche Tourguide, Testfahrer der Racing-Abteilung, beim Einfahren auf die Autobahn gleich mal mit einem mächtigen Wheelie auf die folgende Testrunde ein. Rund 300 Kilometer kreuz und quer durch die Präfekturen Myazaki und Kagoshima auf der Insel Kyushu. Über Expressways, sanft gewundene Küstenstraßen, passähnliche Pisten bis hin zu zähem Stadtverkehr.
Halt genau so wie im richtigen Leben, schließlich sollen ambitionierte Naked Bikes nicht bloß rumschnecken, sondern das komplette Repertoire beherrschen. Also flugs ans Hinterrad des vorauseilenden Japaners geklemmt. 140, 160, 180. Aggressiv fauchend kommt die Grüne in die Gänge. Dritter, Vierter, Fünfter. Der Wechsel braucht etwas Kraft, die Stufen der Sechsgangbox arretieren dafür zuverlässig. Jeweils für Sekundenbruchteile blitzen »80«-Schilder in den Augenwinkeln auf, während der Tacho in großen Ziffern 220 attestiert und die kleinen Flüssigkristalle wild übers Display des Drehzahmessers flitzen. Topspeedmäßig hätte die Z 1000 noch Reserven – was den Nippon-Cops wenig gefallen dürfte. Deren Einsatzgeräte, Honda VFR älteren Typs, wären zwar leichte Beute für die schnelle Kawa, aber...
Begnügen wir uns lieber damit, zwischen den vorschriftsmäßig umherschleichenden Autos hindurchzuschmuggeln. Das liebt die handliche Z 1000. Selbst bei Tempi jenseits der Naked-Normalität reichen sanfte Kommandos am Alu-Rohrlenker, um behände Spurwechsel einzuleiten. Nervosität? Keine Spur. Solange der Asphalt eben ist und der Pilot nicht allzu verkrampft hinter der Lenkstange hängt, brennt die Kawasaki sauber geradeaus. Auf wirklichen Windschutz dürfen Piloten allerdings nicht hoffen, die kleine, lenkerfeste Verkleidung mit dem grimmigen Gesicht soll verwegen aussehen und sonst gar nix. Wer unbehelligt vom Fahrtwind durch die Lande sausen will, soll sich gefälligst woanders bedienen.
Kawasaki setzt mit der aktuellen Tausender in guter Tradition konsequent auf pures, unverfälschtes Fahrerlebnis mit Ecken und Kanten. Wenn auch kultivierter als noch anno 1976. Damals titulierte MOTORRAD die Z 900 als »Frankensteins Tochter«, deren Motor ihrem Fahrer »einen Knüppel ins Kreuz schlägt« und die »Fuhre wie mit einer Riesenfaust nach vorn reißt«. Okay, ganz so brachial fühlt sich die aktuelle Z 1000 für heutige, an fulminante Leistungsentwicklung gewöhnte Sinne nicht an, dennoch gelang es den Entwicklern aus Akashi, der Z 1000 eine Extraportion Wildheit und Charakter zu verpassen.
Just wie vor 26 Jahren, als der Tester betonte, dass der Motor »kein absolutes Säuselwerk ist und seinen Fahrer spüren lässt, wie er unter einem arbeitet«, setzt auch der aktuelle Vierzylinder auf stete Präsenz. Je nach Drehzahl schickt das stabilitätsfördernd starr mit dem unten offenen Stahlrohrrahmen verschraubte Aggregat Vibrationen wechselnder Intensität Richtung Besatzung. Wen wundert’s, stammt das Basistriebwerk doch aus der supersportlichen ZX-9R und muss ohne Ausgleichswelle auskommen. Zudem wuchs der Hubraum um 54 auf 953 Kubikzentimeter – nicht unbedingt der Laufkultur förderlich, dafür einer starken Mitte zutrglich. Diesem Zweck dient auch der neue Zylinderkopf mit waagerecht angeordnetem Einlasstrakt, die modifizierten Nockenwellenprofile sowie eine Keihin-Einspritzanlage mit Sekundärdrosselklappen. Letztere steckt nicht nur in der aktuellen Sechser-Kawa, mit der die Z noch weitere Teile wie Schutzblech und Heckverkleidung gemeinsam hat, sondern auch in Suzuki-Modellen: Die Kooperation zwischen beiden Marken trägt Früchte.
Und was gibt’s an Leistung zu ernten? Auf der Schnellstraße im Drehzahlbereich zwischen 4000 und 8000/min reichlich: und die entfaltet sich so lässig, dass erst ein Kontrollblick Richtung Tacho die tatsächliche Potenz offenbart. Kurz vor Einsatz des Drehzahlbegrenzers, also in fünfstelligen Regionen, lässt der Schwung nach. Im Gegensatz zur Geräuschkulisse. Heiser und rotzig schreit es aus den vier Rohren – Kawasakis Sounddesigner haben ganze Arbeit geleistet. Was verschmerzen lässt, dass ein Teil der drehmomentfördernden Maßnahmen buchstäblich verpufft. Einige Pferdchen bleiben nämlich laut Konstrukteuren in der wunderschönen, dank Wärmebehandlung golden schimmernden Vier-in-zwei-in-vier stecken. Mit 127 galoppieren 16 weniger als bei ZX-9R oder der erklärten Konkurrentin Yamaha FZS 1000 Fazer, aber satte 18 mehr als bei Hondas Hornet. Sei’s drum, das Edelstahlquartett sieht klasse aus, und U-Kats stecken auch noch drin – zusammen mit dem Sekundärluftsystem lässt das geringe Schadstoffwerte erwarten.
Mehr als nur erwarten darf der Kawa-Treiber eine wirksame Bremse – er bekommt sie. Energisch gehen die aus der ZX-9R bekannten Vierkolbenzangen mit den sechs Millimeter dicken 300-Millimeter-Scheiben ins Gericht, verlangen für knalligen Biss aber nach angemessener Handkraft. Ungewollte Stoppies sind somit weitgehend ausgeschlossen – selbst beim harten Verzögern aus hohem Tempo.
Bei dieser Gelegenheit macht die Upside-down-Gabel positiv auf sich aufmerksam. Geschmeidig gleiten ihre Rohre ineinander, ohne übertrieben soft oder gar unterdämpft zu wirken. Ein Zeichen für die gelungene Grundabstimmung des in Federbasis und Zugstufe justierbaren Teils. Da stört es nicht, dass nur im rechten Holm eine Dämpfungs-Verstellschraube wartet.
So bleibt das Vorderrad auch beim vehementen Beschleunigen mit entsprechend starker Entlastung der Front auf Kurs - bösartiges Lenkerschlagen ist kein Thema. Kleinere Unebenheiten sortiert die fein ansprechende 41er-Gabel akribisch aus, erst wenn es mit Schmackes über Bodenwellen oder Absätze geht, vorzugsweise in Schräglage, dringen Schläge bis zum Piloten durch. Dafür gibt sich das Fahrwerk mit dem hinteren via Hebelsystem angelenkten Federbein auf zerfurchten Landstraßen im Bergland wieder höchst komfortabel – und vor allem neutral. Obwohl hinten ein showträchtiger 190er-Schlappen rotiert, gelingt mit der Kawasaki stets ein sauberer Strich. Homogen schwingt die etwa 220 Kilogramm schwere Nackte in Schräglage und am Kurvenende wieder heraus. Kein Reinkippen, kein Rumzicken, kein Aufstellen. Klasse. Ega,l welcher Radius, egal, welches Tempo, die mit Bridgestone BT 019 und 012 bereifte Kawa hält den eingeschlagenen Kurs. Unterstützt wird das muntere Treiben von einer aktiven Sitzposition hinter dem nicht zu breiten Lenker. Dessen Lenkerböcke sind zwar vibrationsmindernd in Gummi gepackt, was die Gefühlsechtheit jedoch in keinster Weise beeinträchtigt. Das Handling ist messerscharf. Vor allem mittelgroß Gewachsene können sich nach Herzenslust im Sattel austoben, Riesen kommen sich etwas verloren vor.
Ebenso verloren wirkt der Motor, wenn der Fahrer bei Drehzahlen unterhalb 2000 im großen Gang voll aufzieht. Hier scheint es, als gönnten sich die beiden hintereinandergeschalteten Drosselklappen pro Saugrohr zunächst eine klitzekleine Pause. Gut gegen unerwünschte Lastwechselschläge, schlecht für herzerfrischende Spontaneität. Beim Mitschwimmen im zähen Stadtverkehr hat diese Sanftheit jedoch durchaus Vorteile und beweist, dass Kawasakis ambitionierte Naked-Novizin trotz selbstbewusst-kernigen Auftritts auch die leisen Töne des Alltags beherrscht.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023