Italienisches Design erntet nur selten schlechte Kritiken, und auch angesichts der Moto Guzzi Bellagio, vorgestellt im Frühling 2007, kann zunächst niemand meckern. Ihr Kleid passt zum lässigen Flanieren, ihre Formen lassen Raum für die Selbstdarstellung des Flaneurs und finden einen guten Kompromiss zwischen Barock und Custom Style. Trotzdem heißt die Note unterm Strich ungenügend, Thema verfehlt.
Auch italienische Designer dürfen nämlich nicht einfach malen, wie sie wollen, sondern müssen umhüllen, was da ist. Im Fall der Bellagio alles andere als eine Bummelantin, viel mehr ein überraschend konkretes, gut ausbalanciertes und handliches Motorrad mit stabilem Fahrwerk sowie ordentlichen Bremsen. Angetrieben von einem Motor, der die Kurbelwelle des 850er-Guzzi-Zweiventilers mit den Zylindern des 1200ers paart und seine Kraft somit aus knapp 940 cm³ schöpft. Bei den ersten Versuchsfahrten muss es der Testcrew gegangen sein wie Pferdezüchtern, die nicht erklären können, wieso einer eher beliebigen Anpaarung ein feurig-edles Ross entspringen konnte: Dieser V-Twin hat Kultur in jedem Drehzahlbereich, er ist spontan und äußerst drehfreudig.
Kernige, gut gebaute Motorräder

Guzzi beziffert die Leistung zurückhaltend mit 75 PS. Genug, um die Vorfreude auf Landstraßen zu wecken. Wo nun wiederum die anfangs beschriebenen Formen und die Sitzhaltung stören, was schließlich bei Italomotos im westfälischen Dorsten-Wulfen aufstieß. „Die Bellagio ist kein Cruiser“, stöhnt Michael Nitzsche, der Chef. Er muss es wissen, denn er hat die letzten fünf Jahre versucht, das Ding unter dieser Bezeichnung zu verkaufen. Deshalb wanderte vor fünf Monaten ein Exemplar in seine Werkstatt: „Die Jungs hatten da so ne Idee.“
Die Jungs, das sind Mechaniker Kevin Mainka sowie Werkstattleiter Michael Scheidner, und die stehen auf kernige, gut gebaute Motorräder. Solche, wie die Bellagio eines sein möchte in den Tiefen ihrer eisernen Seele. Also rissen sie ihr die Klamotten vom Leib und bedeckten ihre Blöße alsdann mit dem sportlichen Leibchen der V7 Racer, bestehend aus verchromtem Tank sowie kompakter Einmann-Sitzbank. Passte, nachdem etliche Halterungen angefertigt und montiert waren. Den hohen Lenker ersetzen unter die obere Gabelbrücke geklemmte Lenkerstummel. Verstellbare Griffe für Kupplung und Bremse erleichtern die Kontaktaufnahme, der einsame Rizoma-Spiegel sorgt für gerade noch ausreichende Rücksicht.
Als unbedingt verzichtbar stuften Mainka und Scheidner die serienmäßige Zwei-in-zwei-Auspuffanlage der Bellagio ein, an deren Stelle sie die sich kreuzenden Krümmer und den Sammler der Griso sowie einen schlanken Termignoni-Schalldämpfer montierten. Ein Paar Seitendeckel mussten gebaut werden, LED-Blinker dran, hinten mit integriertem Rück- und Bremslicht - fertig. K&N-Luftfilter, Stahlflex-Bremsleitungen und ein voll einstellbares Wilbers-Federbein komplettieren die Aufrüstung.
936 CR tauften die beiden Mechaniker ihre Kreation, was erstens den exakten Hubraum und zweitens die genauere Gattung benennt: Café Racer. Mit knurrigem Brabbeln übt sich der warm laufende Zweiventiler in dieser neuen Rolle. Die Sitzprobe fällt ebenso wohlig aus, denn obwohl die Fußrasten am angestammten Platz blieben, passt das Sitzplatz-Arrangement durchaus zu lässigen Sportausflügen. Nur die mit den ganz langen Beinen wünschen sich die Rasten etwas weiter hinten. Geräuschlos flutscht der erste Gang ein, die leichtgängige und gut dosierbare Zweischeiben-Trockenkupplung stellt den Kraftschluss her.
Und jetzt kommen endlich Kurven

Kurvensuche rund um Dorsten, das dauert. Wird aber gerade überhaupt nicht langweilig, weil dieser Motor sein gesamtes Drehzahlband nutzt, weil er sehr spontan am Gas hängt, mit Serien-Airbox und -Auspuff irgendwie auch seinen Drehmomenthänger abgegeben hat und einfach gierig hochdreht. Selbst vornehme Geister werden sich dabei erwischen, wie sie den V2 - auf der Suche nach noch mehr Tönen - hin und wieder in den Begrenzer jagen.
Und jetzt kommen endlich Kurven. Berechenbar und weich lenkt die Metzeler-Roadtec-bereifte CR ein, bleibt ohne jeden Kraftaufwand sauber in der Spur und bietet beachtliche Schräglagenreserven. Vor allem im zweiten und dritten Gang des präzise rastenden Sechsganggetriebes drückt der V-Twin herrlich vehement wieder aus engen Radien heraus, dabei kann das Gas - dem gut entkoppelten Guzzi-Kardan sei Dank - sogar ziemlich robust angelegt werden. Die vordere Bremse mit zwei Doppelkolbenzangen braucht einen gewissen Zugriff, spielt dann aber ebenfalls wirksam und gut dosierbar mit. Die Gabel spricht manierlich an und vernachlässigt selbst auf welligem Asphalt ihre Führungsaufgaben nicht. Mit „dickerem“ Öl ist sie von Michael Scheidner auf ihren neuen Einsatz vorbereitet worden. Das Wilbers-Federbein macht den gewohnt guten Job.
Drängende Fragen harren einer Antwort: Wieso musste die Bellagio erst ins Münsterland kommen, bis jemand sie wach küsste? Weil der Prophet im eigenen Laden nichts gilt. Was sind gegen diesen kernigen Landstraßensportler die kleinen V7? Süüüß. Gibt’s die CR auch ohne den Chromtank? Na klar, die Tank-Sitzbank-Kombination der V7 Spezial lässt sich ebenfalls anpassen. Sähe das dann nicht so ähnlich aus wie die legendäre V7 Sport? Jaaaaa, und limonengrün lackieren könnte man sie auch!
Michael Nitzsche und seine Leute wollen eine kleine Serie bauen, sind aber für
individuelle Wünsche offen.
Technische Daten

Daten
Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, eine untenliegende Nockenwelle, zwei Ventile pro Zylinder, Einspritzung, Ø 40 mm, Zweischeiben-Trockenkupplung, Hubraum 936 cm³, Bohrung x Hub 95,9 x 66,0 mm, 55 kW (75 PS) bei 7200/min, 78 Nm bei 6000/min, Sechsganggetriebe, Kardan, Stahlrohrrahmen, Alu-Einarmschwinge, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Scheibenbremse hinten, Ø 282 mm, Reifen 120/70 ZR 18, 180/55 ZR 17, Gewicht vollgetankt 230 kg;
Preis: 16 990 Euro.
Hersteller:
Italomotos/Michael Nitzsche & Team, Hervesterstraße 39, 46286 Dorsten, Tel. 0 23 69/2 18 42, www.italomotos.de