Nein, mit Boxen oder Boxermotor hat sie gar nichts am Hut. Doch dynamisch und schlagkräftig wie Rocky Balboa in seinen besten Tagen ist die Corsaro Avio allemal.
Nein, mit Boxen oder Boxermotor hat sie gar nichts am Hut. Doch dynamisch und schlagkräftig wie Rocky Balboa in seinen besten Tagen ist die Corsaro Avio allemal.
Es ist dieser Moment, wenn man aufs Knöpfchen drückt und der extrem kurzhubig ausgelegte V2 zum ersten Mal einatmet. Seinen Herzschlag durch den Wassermantel des Gehäuses schickt und aus den beiden hochgereckten Edelstahldämpfern leicht verärgert grummelt. Dann ist es geschehen: Jedem mit ein wenig Benzin im Blut wird der Puls ansteigen. Hier schwingt etwas mit, das man bei vielen Motoren neuester Generation weggezüchtet hat: Verheißung.
Auf Kraft, Macht und puren Spaß. Die Verheißung verstärkt sich, wenn man Platz nimmt. Arretiert zwischen dem 18-Liter-Tank und dem Beifahrer-Thron findet man auf der Corsaro Avio ein sehr ansprechendes Sitz-Arrangement vor. Der Alu-Lenker ist mit seiner leichten Kröpfung und 79 Zentimeter Breite optimal ausgewogen, liegt prima in den Händen und verlangt dem Fahrer eine leicht vorgebeugte Sitzposition ab. Nennen wir es Angriffshaltung.
Denn das trifft es. Bereits knapp über Standgasdrehzahl drückt der V-Zweizylinder 75 Newtonmeter ans Hinterrad. Ab 3000 Touren schnellt die Drehmomentwoge dann über 100 Newtonmeter und hält sich auf diesem Niveau, bis der Drehzahlbegrenzer bei 8500/min abregelt. Dabei dreht der Motor so unglaublich willig und gierig, dass man kaum glaubt, hier einen 1200er mit gewaltigen 107 Millimeter Bohrung unter sich zu haben. Wer aus engen Kehren oder beim Ampelstart zu arg an der Brause dreht, schickt das Vorderrad automatisch in Richtung Himmel. Und das passiert sogar im zweiten Gang. Der fast hyperventilierende Durchmarsch durch alle Drehzahlregionen, die saubere, weiche Gasannahme erinnern an die erste Version des Suzuki SV 650-Motors. Nur: Der italienische Hengst pumpt gemessene 125 PS bei 8400 Umdrehungen aus seinem Gehäuse.
Was für Morini-Freaks keine große Überraschung ist. Denn die 10995 Euro teure Avio ist lediglich eine um 1500 Euro günstigere, leicht gezähmte Variante der normalen Moto Morini Corsaro. Deren nominell 140 PS starker Motor lieferte auf dem MOTORRAD-Prüfstand respektable 139 PS, hatte aber auch ein verbesserungswürdiges Mapping. Für dem Einsatz in der Avio wurde die Leistung gekappt, die Verdichtung erhöht und das Mapping auf Höchstleistung getrimmt (siehe Diagramm). Die Avio-Version läuft im unteren und mittleren Drehzahlbereich geschmeidiger und produziert ihre Power linearer, ohne den Bums vermissen zu lassen. Auf den zusätzlichen Ölkühler und die Anti-Hopping-Kupplung der stärkeren Schwester muss sie allerdings verzichten. Ansonsten sind beide Modelle bis auf unterschiedliche Farbgebung identisch.
Die voll einstellbaren Federelemente sind straff abgestimmt, das Feedback ist gut. Allerdings spricht die Federung nicht besonders sensibel an. Bei der Bremsanlage kommen vorn Vierkolben-Festsättel sowie 320er-Scheiben von Brembo zum Einsatz, hinten unterstützt durch eine 220er-Scheibe mit Zweikolbensattel. Sie garantieren eine sehr effektive und bestens dosierbare Verzögerung. Ein kleiner Wermutstropfen im italophilen Ensemble ist das eigentümliche Fahrverhalten der Test-Avio. Das von MOTORAD gefahrene Exemplar mit jungfräulichem Kilometerstand kippelte beim Einlenken, als ob das Lenkkopflager zu fest angezogen wäre. Ein Verhalten, das man von der stärkeren Schwester in dieser Form nicht kennt. Und es änderte sich auch nach korrekter Einstellung des Lenkkopflagers kaum. Weitere Kritikpunkte: der Kupplungshebel verlangt nach herzhaftem Händedruck, die Leerlaufsuche ist manchmal vergeblich, und der italienische Hengst trinkt rund sieben Liter auf 100 zügigen Landstraßenkilometern. Trotzdem gelingt es der Morini, nicht nur Herz, Ohren und Augen zu betören, nein, die Avio bleibt für italienische Verhältnisse auch noch bezahlbar. Wenn das kein Grund zum Zuschlagen ist ...
Motor:
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-87-Grad-V-Motor, je zwei oben liegende, zahnrad-/kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Einspritzung, ø 54 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 460 W, Batterie 12 V/14 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Kette, Sekundärübersetzung 40:17.
Bohrung x Hub 107,0 x 66,0 mm
Hubraum 1187 cm³
Verdichtungsverhältnis 12,5:1
Nennleistung 88,0 kW (120 PS) bei 8500/min
Max. Drehmoment 102 Nm bei 6700/min
Fahrwerk:
Gitterrohrrahmen aus Stahl, Upside-down-Gabel, ø 50 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufen-dämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, ø 220 mm, Zweikolben-Festsattel.
Alu-Gussräder3.50 x 17; 5.50 x 17Reifen 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17 Bereifung im TestPirelli Diablo
Maße und Gewichte:
Radstand 1440 mm, Lenkkopfwinkel 65,5 Grad, Nachlauf 103 mm, Federweg v/h 129/130 mm, Sitzhöhe* 830 mm, Gewicht vollgetankt* 221 kg, Zuladung* 164 kg, Tankinhalt/Reserve 18,0/3,0 Liter.
Garantie: drei Jahre
Farben: Silber/Blau
Preis: 10995 Euro
Nebenkosten 250 Euro