Fahrbericht MV Agusta Brutale 800 RR (2018)
Endlich mit Euro 4-Dreizylinder

Unsere Italien-Korrespondentin Eva Breutel fuhr die komplett überarbeitete MV Agusta Brutale 800 RR mit dem neuen Euro 4-Dreizylinder. So viel vorab: An den 140 PS soll sich nichts geändert haben.

Endlich mit Euro 4-Dreizylinder
Foto: MV Agusta

Die MV Agusta Brutale 800 RR präsentiert sich endlich im Euro 4-Dress. Doch keine Bange, die Überarbeitung gilt nur für Fahrwerk und Motor, ihre rassige Schönheit durfte sie behalten. Ebenso ihre beeindruckende Losbrechkraft: Die neue Norm kostet das scharfe Naked Bike nämlich kein einziges seiner 140 PS – ein echtes Kunststück, das den Mannen um Entwicklungschef Brian Gillen da gelungen ist. Dass MV mit Euro 4 so viel später dran ist als die Konkurrenz, liegt übrigens nicht etwa an verschlafenen Ingenieuren, sondern an der finanziellen Schieflage des italienischen Herstellers in den letzten Jahren.

Unsere Highlights

Um die Norm ohne Leistungsverlust zu schaffen, ließen die Techniker kaum eine Schraube der MV Agusta Brutale 800 RR unangetastet, zu den Neuerungen zählen Zylinderkopf und Ventile ebenso wie Getriebe und Elektronik. Nebenbei wurde gleich noch mit ein paar Problemen aus der Vergangenheit aufgeräumt und fehleranfällige Bauteile gegen stabilere getauscht. So funktioniert der Anlasser jetzt tadellos, und die Gasannahme gelingt dank der überarbeiteten Elektronik ohne jegliches Ruckeln.

Soundcheck der Euro 4-Brutale

Auch für Neulinge zu empfehlen

Geschmeidig nimmt das auf Höchstleistung getrimmte Kraftpaket Fahrt auf, gibt sich bei gemäßigtem Tempo überaus wohlerzogen. Die MV Agusta Brutale 800 RR ist ausgesprochen einfach zu fahren, selbst Neulinge dürften sich auf ihr wohlfühlen, solange sie nicht unvermittelt das Gas voll aufreißen – dann allerdings ist im ersten und zweiten Gang ein Wheelie unvermeidlich. Ergonomie und Sitzposition passen wie angegossen, im etwas dünn gepolsterten Sattel kommt vom Start weg Feierlaune auf. Weil die schnelle Italienerin so kompakt baut, fühlt es sich an, als hielte man nicht den Lenker, sondern das Vorderrad in Händen, so direkt und beruhigend erfolgt die Rückmeldung vom gut harmonierenden Pirelli Diablo Rosso III.

Selbst durch das geschäftige Verkehrsgewusel zwischen Lago di Varese und Lago Maggiore findet der temperamentvolle Dreizylinder einen lustvollen Weg, weil er schon ab 3.000/min überzeugend nach oben zieht und in jeder Sekunde seine geballte Kraft erahnen lässt. Auch bei 50 km/h im fünften Gang lässt sich die RR klaglos durch die Städtchen und Dörfer entlang der Uferpromenade dirigieren.

Mehr Spaß kommt aber auf den hügeligen Nebenstrecken im Hinterland auf, wo das formidable, voll einstellbare Fahrwerk der MV Agusta Brutale 800 RR zeigt, was es kann. Mit leicht verlängertem Radstand und Nachlauf fühlt es sich jetzt stabiler an, die RR lässt sich zielgenauer lenken, was ihr gerade in schnellen Wechselkurven gut steht. Ein zusätzlicher Befestigungspunkt des Motors am Rahmen erhöht die Steifigkeit, das leicht nervöse Gebaren, das früher in lang gezogenen Kurven auftrat, ist wie weggeblasen.

Weniger Lärm, mehr Sound

Ab 7.000/min legt der gut abgestimmte Motor dann nicht nur eine Schippe, sondern eine ganze Wagenladung drauf und schraubt sich wild durchs Drehzahlband, bis ihn der Begrenzer bei 12.300/min wieder einfängt. Bei solcher Gangart stellt der überarbeitete Blipper, der das Schalten ohne Kupplung erlaubt, seine Berechtigung unter Beweis. Sowohl nach oben wie auch nach unten funktioniert er weich und präzise, vom knochigen Krachen der ersten MV-Blipper keine Spur. Wobei sich die mechanischen Geräusche generell stark verringert haben: laut den Technikern um 51 Prozent, unter anderem dank neuer Gehäusedeckel mit speziellen Dämmungen. Weniger Lärm, mehr Sound, lautet die Devise – tatsächlich faucht der Dreizylinder zwar leiser, aber subjektiv noch betörender aus seinen bildschönen Orgelpfeifen.

Die MV Agusta Brutale 800 RR bleibt auch mit Euro 4 ein echtes Sportgerät mit straffem Fahrwerk und leidenschaftlichem Charakter, trotz aller guten Manieren wird aus ihr kein gemütlicher Tourer. Doch dass sie jetzt auch bei gelassener Fahrweise gute Laune verbreitet, darf in Zeiten immer vollerer und immer schlechterer Straßen als echter Mehrwert gelten.

Fazit

Während die MV Agusta Brutale 800 RR selbst ein Freudenspender erster Güte ist, fällt die Freude beim Blick aufs Preisschild eher verhalten aus: 15.670 Euro plus Nebenkosten sind für die RR fällig. Zugegeben, die Verarbeitung ist allererste Sahne, ebenso die Komponenten und das Fahrwerk. Die Technik allerdings ist ist nicht auf dem allerneuesten Stand: So fehlen beispielsweise ein Kurven-ABS oder ein TFT-Display einschließlich Connectivity.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023