Fahrbericht MV Agusta Brutale Oro

Fahrbericht MV Agusta Brutale Oro Geliebte Sünde

Sie werden sündigen. Versprochen. Werden Ihr Bankkonto plündern, werden filigrane Schweißnähte anbeten und Ihre Freunde vernachlässigen. Die MV Agusta Brutale kommt. MOTORRAD durfte sich probeweise verführen lassen.

Ein Traum ist wahr geworden. Wäre er menschlich, besäße er unwiderstehlichen Charme, wäre extrem gut gebaut, überdurchschnittlich intelligent und hätte die Ausstrahlung eines Topmodels. Jemand, der an jedem Ort dieser Welt Aufmerksamkeit erregt. Der in Diskussionen ebenso glänzt wie im Schwimmbad. Und diesen Glanz auf Sie überträgt. In Ihre Augen, in Ihre Seele.
Im vorliegenden Fall ist dieser wahr gewordene Traum rein mechanisch und heißt MV Agusta Brutale Oro. Und der Mann, der diese Träume Wirklichkeit werden lässt, ist Massimo Tamburini, die Koryphäe des italienischen Motorradbaus. Sein vor zwei Jahren erschienenes Meisterwerk, die MV Agusta F4, lobpreisten Scharen von Journalisten, Testern und Motorradfans der ganzen Welt. Rühmten das souveräne Fahrgefühl, das Design, die Verarbeitung und Technik. Ein neuer Stern war am Motorradhimmel aufgegangen.
Die Brutale, in sachen Motor und Fahrwerk mit der F4 nahezu identisch, setzt noch eins oben drauf. Verweigert sich den neugierigen Blicken der Technikliebhaber nicht durch eine Vollverkleidung, stößt mit dem extravagant geformten Scheinwerfer, der Instrumentierung und dem Superbikelenker eine ganz neue Tür ins Reich der Naked Bikes auf. Zum einen durch ihren Preis von 56719 Mark für das Oro-Modell, zum anderen durch eine schier endlose Vermählung von Detaillösungen und edlen Werkstoffen. Das Spektrum reicht von Magnesiumschwinge und -rädern bis zur Instrumentenblende aus Karbonfaser. Jede Schweißnaht wie aus dem Lehrbuch. Kein Halter, nahezu kein Millimeter der Brutale, der nicht liebevoll gestylt, gefräst und entgratet wurde. Auch die Lackierung scheint nicht von dieser Welt. Man hat Angst vor jeder Fliege, deren Körper an diesem Kunstwerk zerschellt, es verunstalten, es beschmutzen könnte. Die Brutale ist eines der wenigen Bikes, die ab Werk einen Ehrenplatz in einer Vitrine verdienen. Ein Objekt, das die besten Filme, die besten Bücher zu Nebensächlichkeiten degradiert, die Betrachter mit purer Anwesenheit fesselt.
Die Faszination wird umso größer, wenn der Hintern sich an die Sitzbank schmiegt, der rechte Daumen den zierlichen Choke zur Seite schiebt und den Anlasser betätigt. Die 127 Pferde zum Leben erweckt. Sie durch ein voluminöses Edelstahllabyrinth unter dem Motor laufen lässt, um sie anschließend aus zwei kurzen Endtöpfen auf der rechten Seite der Brutale ins Freie zu entlassen. Fanfaren der Macht. Bassig, knurrig, fauchig. Der Ruf nach der Rennstrecke. Ihre Abstammung vom Sportler F4 kann die brutale nicht verleugnen. Das wird schon bei der Boxenausfahrt in Imola klar.
Ungemein straff für eine Nackte abgestimmt, saugt sie sich auf dem Asphalt der legendären Rennstrecke förmlich fest, liegt so satt und stabil wie ein Containerschiff auf dem Ozean. Ein Verdienst der mächtigen, 50 Millimeter starken Upside-down-Gabel von Showa und des Sachs-Federbeins. Der breite Einstellbereich beider Komponenten ist selbstverständlich. Die Gesamtübersetzung ist gegenüber der F4 kürzer, sorgt für katapultartige Beschleunigung aus Bögen jeglicher Art. Und ermöglicht darüber hinaus, dass die Brutale trotz des Luftwiderstands in den Bereich der maximalen Leistung, bei 12500/min, drehen kann. Rechnerisch ist sie somit über 250 km/h schnell.
Fast so viel zeigt der digitale Tacho am Ende der Zielgeraden denn auch an. Dann folgt eine schnelle Linkskurve. Zwei Sechskolbenzangen von Nissin verbeißen sich in die 310 Millimeter großen Scheiben mit klarem Druckpunkt, reduzieren die Geschwindigkeit exakt auf das Maß, das die Augen aufspüren, um Körper und Motorrad als eine Einheit durch das Geschlängel surfen zu lassen. Die Brutale bewegt sich im Takt der Rennstrecke. 179 Kilogramm Trockengewicht grooven lässig, präzise, handlich und absolut neutral durch Kurven aller Art. Und das schnell und stabil. Der breite Lenker und die leichten Magnesiumfelgen tragen zur überragenden Handlichkeit bei und reduzieren überdies die Lenkkräfte, der breite 190er-Hinterreifen den Schlupf.
Das ist auch nötig. Zwar wirkt der wassergekühlte Vierzylinder unterhalb von 7000/min etwas müde für einen 750er, darüber jedoch explodiert er förmlich. Dreht gierig, vibrationsarm und leicht in höchste Sphären. Die harten Lastwechselreaktionen nerven leider, verwässern die Linienwahl aber kaum. Die Brutale lässt den Adrenalinspiegel des Fahrers kräftig steigen und vermittelt ihm das Gefühl, das Leben sei ein Rennen. Und er der Sieger.
Zu dieser Art von unvergleichlicher Lustempfindung beim Motorradfahren trägt mit Sicherheit auch das Bewusstsein bei, nur einer von weltweit 300 Glücklichen zu sein. Auf diese Stückzahl limitiert MV Agusta die Brutale Oro. Der Produktionsbeginn ist für September geplant. Eine vergleichsweise günstige Variante des Naked Bikes mit weniger teuren Werkstoffen, aber nicht minder faszinierender Aura wird es erst ab dem Winter geben. Für zirka 27000 Mark ist der italienische Schöpfer dann bereit, auch eisern sparende Ottonormalverdiener zu verführen. Damit Träume nicht nur Träume bleiben.

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