Bei Suzuki hat das Tradition. Die (Verkaufs-)Stars im Modellprogramm kommen eher volkstümlich als radikal daher. Bricht die Hoffnungsträgerin GSR 750 mit den überlieferten Werten?
Bei Suzuki hat das Tradition. Die (Verkaufs-)Stars im Modellprogramm kommen eher volkstümlich als radikal daher. Bricht die Hoffnungsträgerin GSR 750 mit den überlieferten Werten?
Im Grunde liegt die Sache auf der Hand. So zwingend, dass man fragen darf, warum Hamamatsu erst jetzt darauf gekommen ist. Schließlich gab es für einen drehzahlsüchtigen 600er auf dem Weg zur Arbeit oder auf dem Urlaubstrip schon in der Vergangenheit kaum Argumente. Erst recht nicht, wenn man, wie Suzuki, einen patenten 750er im Regal liegen hatte und den Gewichtsvorteil des kleinen Hubraums durch die kostensenkende Gleichteilestrategie in der Regel wieder verspielte.
Die Bandit-Schwestern, bei der die pummelige 650er annähernd so viel wiegt wie die fette 1250er, sind ein treffendes Beispiel. Ein gutes sind sie nicht. Die neue GSR 750 ficht das nicht an.
In ihrem Fall liegen die Dinge zum Glück ganz anders. Nicht Downsizing, sondern Upgrade ist das Gebot der Stunde, erzwungen nicht zuletzt durch die veränderte Konkurrenzsituation. Egal, ob Kawasaki Z 750, Yamaha FZ8, BMW F 800 R oder Triumph Street Triple: Mit 600 Kubikzentimetern bescheidet sich (außer Honda bei der Hornet) in dieser Klasse niemand mehr. Sie ist aus den tradierten Fugen geraten.
Ab sofort ist die GSR 600 daher Geschichte, es lebe die GSR 750. Mit 210 Kilogramm vollgetankt nur zwei Kilo schwerer als die 600er, aber mit 150 Kubikzentimetern mehr gesegnet. Trotz dieses Hubraumbonus beschränkt sich Suzuki allerdings auf alltagstaugliche 106 PS (die technische Basis des Motors, der kurzhubige GSX-R-Antrieb von 2005, brachte es nominell immerhin auf 148 PS). Das bedeutet: Leistungsexplosionen und Drehzahlexzesse sind angesichts der kleineren Drosselklappendurchmesser (32 statt 38 Millimeter), entschärfter Steuerzeiten, einer geringeren Verdichtung und gegossener statt geschmiedeter Kolben nicht zu erwarten. Hier stand neben der Kostenreduktion vielmehr gleichmäßiger Druck von unten im Lastenheft, um der zivilen Ausrichtung einen Sinn zu geben.
Mission erfüllt? Wer die von Suzuki präsentierten Leistungskurven betrachtet, die nicht so sehr in der Spitzenleistung, wohl aber beim Drehmoment weit über der 600er-Vorgängerin liegen, kann keinen Zweifel haben. Und tatsächlich: Gleichmäßig und damit wunderbar berechenbar pflügt sich der neue GSR-Motor durchs Drehzahlband, nimmt dank des patenten Zwei-Drosselklappen-Systems sanft und fein kontrollierbar Gas an und macht das Leben im Kurvenparadies des südspanischen Hinterlands erfreulich unkompliziert. Kurvenausgang, Gas auf, und mit Schwung aus dem Eck. Gefühlt schiebt der 750er über den gesamten Drehzahlbereich mit fein kontrollierbarem Nachdruck, vibriert dabei nur ganz dezent, lässt sich geschmeidig und zuverlässig schalten und trompetet seine Bemühungen weder prollig in den ansehnlichen Schalldämpfer noch röchelt er unangemessen aus der Airbox. In dieser Verfassung ist ein Dreiviertelliter zweifellos ein kerngesundes Landstraßen-Maß, liefert nicht nur leistungsmäßig, sondern mit 80 Newtonmetern bei 9000/min auch in Sachen Drehmoment den Klassenstandard ab. Aber – um diese Einschränkung kommt man nicht herum: Es gibt Motoren, die subjektiv kräftiger zupacken als so ein geschmeidiger Reihenvierer.
Dafür lässt der Anblick der GSR sicher so manchen Puls höher schlagen. Vom „Bad-Boy-Image“ ist während der technischen Präsentation die Rede, Suzuki ist zu Recht stolz auf die europäischen Anklänge und den gelungenen Mix aus kargem Streetfighter-Minimalismus einerseits und ausgewogenen Proportionen auf der anderen Seite. Ein Rahmenheck, nicht zu lang und nicht zu kurz, eine gefällige Lampenmaske mit dem in diesen Tagen unverzichtbar bösen Blick, ein Tank, der sich steil und schroff vor dem Fahrer aufbaut – mit dieser Erscheinung ist die GSR absolut mehrheitsfähig. Sie dürfte querbeet von der Bandit- bis zur GSX-R-Klientel viele locken, wobei allerdings gerade der engagierte Sportfahrer über so manches klassenübliche Detail hinwegsehen muss. Die einfache Kastenschwinge aus Stahl erfüllt nicht die Ansprüche eines Technik-Gourmets, die simplen Doppelkolben-Schwimmsättel am Vorderrad (zum Thema ABS siehe Interview rechts) sind zwar Klassenstandard, haben aber anderswo besonders in kaltem Zustand schon besser funktioniert. Der Brückenrahmen besteht trotz Aluminium-Anmutung ebenso wie das breite, verchromte Lenkrohr nur aus Stahl. Kurz: Der allgegenwärtige Kostendruck ist besonders in der stückzahlintensiven Mittelklasse auch bei Suzuki nicht zu übersehen.
Auf der anderen Seite ist jedoch die große Erfahrung der Japaner in funktioneller Hinsicht allgegenwärtig. Die GSR überzeugt mit einer Ausgewogenheit, die selbst verwöhnte Landstraßen-Cracks auf Anhieb überzeugt. Ein gutes Beispiel sind die ergonomischen Verhältnisse. Nicht übertrieben breit der Lenker, nicht übertrieben hoch die Fußrasten – das macht unter dem Strich eine fahraktive, vorderradorientierte, nicht unbequeme und sogar langstreckentaugliche Sitzposition. Dazu liefern die 41er-Upside-down-Gabel von Kayaba und das Federbein eindeutige Angaben über den Straßenzustand, ohne unnachgiebig hart zu sein oder unterdämpft vor sich hin zu schaukeln. Das Federbein verteilt auf Querfugen zwar hin und wieder einen deftigen Schlag ins Kreuz, sollte im Gegenzug jedoch auch den Zweipersonenbetrieb klaglos wegstecken. Die GSR rollt auf den haftfähigen Sportreifen Bridgestone BT 016 neutral in jedes Eck, hält tadellos den einmal vorgegebenen Radius und lässt sich selbst unter beherztem Leistungseinsatz nicht von der vorgegebenen Linie abbringen. Sie ist kein Ausbund an Handlichkeit, aber auch nicht supernervös. Und daher unter dem Strich ein ganz typischer Vertreter der japanischen Streetfighter-Kultur, die einen aggressiven Auftritt in der Regel mit eher gelassenen Fahreigenschaften verbindet. Genau in den klassenüblichen Zielkorridor fällt auch die Preisgestaltung für Suzukis neuen Mittelklasse-Feger. 8290 Euro (ohne ABS) werden für die neue GSR 750 fällig.
Motor
Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 32 mm, geregelter Katalysator mit Sekundärluftsystem, Lichtmaschine 400 W, Batterie 12 V/8 Ah, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 42:17.Bohrung x Hub 72,0 x 46,0 mm, Hubraum 749 cm,³
Nennleistung 78,0 kW (106 PS) bei 10000/min
Max. Drehmoment 80 Nm bei 9000/min
Fahrwerk
Brückenrahmen aus Stahl, Up-side-down-Gabel, Ø 41 mm, verstellbare Federbasis, Zweiarmschwinge aus Stahl, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Scheibenbremse vorn, Ø 310 mm, Doppelkolben-Schwimmsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 240 mm, Einkolben-Schwimmsattel, ABS, Alu-Gussräder 3.50 x 17; 5.50 x 17, Reifen 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17
Maße+Gewichte
Radstand 1450 mm, Lenkkopfwinkel 64,8 Grad, Nachlauf 102 mm, Federweg v/h 120/135 mm, Sitzhöhe 815 mm, Gewicht vollgetankt 210 kg, Tankinhalt 17,5 Liter.
Garantie zwei Jahre
Farben Schwarz, Rot, Weiß
Preis 8290 Euro
Suzuki-Verkaufsleiter Paul M. Rowney über die späte Auslieferung der ABS-Version der neuen GSR 750.
Zur Präsentation der neuen GSR 750 und auch zu den ersten Tests ist noch kein ABS lieferbar. Warum nicht?
Suzuki hat dieses Motorrad mit Fokus auf Europa entwickelt und dabei auf die Stimmen aus den Märkten gehört. Die meisten Kunden in Europa messen dem ABS noch nicht denselben Wert bei wie in Deutschland, es wird in manchen Märkten nach wie vor überwiegend abgelehnt. Während der Entwicklungsprozesse stehen jedoch nur eingeschränkte Ressourcen zur Verfügung. Daher wurde zuerst das Motorrad ohne ABS entwickelt. Für alle künftigen Modelle, die mit ABS ausgestattet sein werden, wird jedoch die ABS-Version das „Basismodell“ darstellen.
Wann werden ABS-Motorräder in Deutschland zu haben sein?
In der zweiten Jahreshälfte. Leider erwarten wir aufgrund der jüngsten Ereignisse in Japan eine leichte Verzögerung, sodass vor Mitte August vermutlich nicht damit zu rechnen ist.
Wie hoch wird der ABS-Aufschlag ausfallen?
Zwischen 300 und 500 Euro.
Wie hoch schätzen Sie den Anteil der ABS-Versionen der GSR in diesem Jahr ein, wie wird er sich grundsätzlich entwickeln?
In diesem Jahr wegen der späten Verfügbarkeit der ABS-Modelle mit zirka 40 Prozent. Normalerweise erwarten wir, dass die Modelle mit ABS über 90 Prozent der verkauften Einheiten in Deutschland darstellen. In Europa wird sich der Anteil der ABS-Modelle in den nächsten zwei Jahren auf zirka 60 Prozent erhöhen.