Aufmerksame PS-Leser haben es gemerkt: Wir hatten kürzlich schon einen nackten S 1000 RR-Umbau. Aber die zuletzt vorgestellte kalifornische BMW wirkt gegen das aktuelle Eisen wie Makrele gegen Raubfisch. Das liegt vor allem daran, dass US-Tuner Ken Zeller lediglich zeigen wollte, wie einfach man aus dem derzeit unantastbaren Superbike-König ein schlagkräftiges Naked Bike machen kann. Wunderlich-Tuner Frank Hoffmann geht dagegen lieber in die Vollen. Insofern ist die Piranha die logische Konsequenz aus der Zeller-BMW und damit ausreichend erklärt, warum die Piranha hier und jetzt vor uns steht.
Was sie Gott sei Dank nicht lange tut. Hoffmann wirft den Vierzylinder an, was den Tester durch markantes Knurren aus dem Remus-Slip-on augenblicklich in den Sattel lockt. Die sportliche Sitzposition wirkt durch das angehobene Heck hinter dem ultrabreiten Magura-Lenker erst einmal widersprüchlich. Noch widersprüchlicher auf der Rennstrecke ist jedoch das Fehlen von Reifenwärmern. „Is egal“, brüllt Hoffmann in den Testerhelm. „Die Conti Sport Attack2 kleben wie Sau. Nach zwei Ecken geht’s voll.“

Na klar! Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Und so muss die erste Runde in Almeria für eine echte Warm-up-Lap herhalten. Nach dieser Runde stellen sich in der ersten Rechts nach Start/Ziel beim Reinballern trotzdem noch die Nackenhaare auf: Bitte, bitte, lass Hoffi recht haben! Doch das geht nicht lange, denn zum einen liefert die perfekt straff abgestimmte FGRT-Öhlins-Gabel feinstes Feedback und zum anderen hat der Tuner nicht zu viel versprochen. Der Gummi klebt erstaunlich gut, weshalb das Gas auch früh aufgedreht und im Tiefflug mit ordentlich Schmackes über die erste Kuppe gebügelt werden kann. Der Reifen ist außerdem noch recht handlich und zielgenau - Respekt!
Mit der knackigen Bremse macht der technisch anspruchsvolle Kurs auf der andalusischen Hochebene noch mehr Spaß und sogar die sonst größte Spaßbremse, die enge Schikane im hintersten Eck dieser Piste, wird zum Erlebnis. Bam-Bam! So einfach wie die Piranha ließ sich keine der Serien-S 1000 RR umklappen, die der Tester vorher probieren konnte. Dabei muss man nicht einmal übermäßig am breiten Lenker reißen, sondern kann mit Schenkeldruck und entschlossenem Oberkörpereinsatz locker durch dieses Nadelöhr navigieren. Zweifel an der Perfektion der Piranha zeigen sich dann in der anschließenden langen Rechts hinaus auf die endlose Gerade. Vom Öhlins-Federbein kommt etwas Unruhe und das Bike will am Kurvenausgang etwas weit gehen. Nach ein paar Runden der Bestätigung sorgt ein Boxenstopp für die Problemlösung: Hoffmann als Fahrwerksspezialist korrigiert deutlich die Druckstufe.
Mit diesem Setup bügelt die nackte Wunderlich-Waffe schließlich wie ein Rennmotorrad über die Piste. Gnadenloser Schub, glasklares Feeback, brutale Bremsen - das ist Spaß pur. Ja, bis es jedes Mal erneut auf die Gerade geht, die in Almeria ja gar nicht enden will.

Am nächsten Tag kündet mördermäßiger Muskelkater im Nacken davon, wie heftig man sich bei der Leistung gegen den Winddruck wehren muss und wie vergeblich das hinter der optisch aggressiven, aber hier nahezu wirkungslosen Lampenmaske ist. Aber die Piranha besitzt schließlich eine Straßenzulassung. Die Rennstrecke ist entsprechend ein Kann-, aber sicher kein Muss-Faktor. Und das erklärt auch die zunächst zahmere Abstimmung der Federelemente und die Reifenwahl.
Für genussvolles Ballern in freier Wildbahn spricht die Ausstattung der Wunderlich-Nackten ganz besonders - und das betrifft nicht nur Fahrwerk oder breiten Lenker. Die vorschriftsmäßigen Maßnahmen sind sehr dezent im sehr stimmigen Umbau untergebracht. Dazu gehören vor allem die unauffälligen LED-Blinkerleisten links und rechts vorn am Kühler-Spoiler und die zierliche Einheit aus Kennzeichenhalter, Blinkern und integriertem Rücklicht. So sollte die nackte BMW in Serie gehen, was so sicher nicht passiert. Dann nimmt man halt eine verschraddelte S 1000 RR und die Telefonnummer von Wunderlich zur Hand.

PS-Urteil
Die Piranha unterstreicht das Potenzial der BMW, sowohl als Sportler als auch als Naked Bike eine große Fan-Gemeinde hinter sich zu scharen. Wer es nicht bis zur Serien-Premiere erwarten kann oder fürchtet, dass die Serie nicht radikal genug ausfallen wird, ist mit der Wunderlich-Piranha prima bedient. Wie bedingungslos die eigene Piranha ausfällt, kann dabei jeder selbst entscheiden.
PS-Daten

Antrieb
Vierzylinder-Reihenmotor, 4 Ventile/Zylinder, 142 kW (193 PS) bei 13000/min*, 112 Nm bei 9750/min*, 999 cm³, Bohrung/Hub: 80,0/49,7 mm, Verdichtung: 13,0:1, Zünd-/Einspritzanlage, 48-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Kupplung, Sechsganggetriebe, Kette, Traktionskontrolle
Fahrwerk
Leichtmetall-Brückenrahmen, Lenkkopfwinkel: 66,0 Grad, Nachlauf: 99 mm, Radstand: 1423 mm, Ø Gabelinnenrohr: 46 mm, Federweg v./h.: 120/60 mm
Räder und Bremsen
Leichtmetall-Gussräder, 3.50 x 17/6.00 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/55 ZR 17, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, 220-mm-Einzelscheibe mit Einkolben-Schwimmsattel hinten, ABS
Gewicht (vollgetankt)
189 kg*
Grundpreis
35000 Euro (zzgl. NK)*
*Herstellerangabe