Nachdem ich aus der Leserschaft doch durchaus Zuspruch für meine sehr persönliche Ducati 916-Geschichte erhalten habe (danke, danke!), schiebe ich noch eine weitere nach. Man traut sich ja nicht immer, aus dem Nähkästchen zu plaudern, viel lieber versteckt man sich hinter wichtigen Formulierungen und einem Berg von Messwerten. Die subjektive Wahrheit, das Gefühl verbrämt der Journalist gerne, um nicht zu sehr selbst ins Rampenlicht zu treten.
Bei einer Kawasaki 750 H2 ist das für mich unmöglich. Sie veränderte mein Leben, just in dem Moment, in dem es eine schwierige Wendung nahm. Hatte ich doch meine RD 250 schon nach drei stolzen Wochen Motorradlebens mitsamt meinem linken Bein an einer VW-Käfer-Stoßstange zerdeppert, weshalb ich auf Thomas und seine CB 500 Four angewiesen war, um zum Treff zu fahren.
Unser Treff: Die Haarnadelkurve an der Neuffener Steige. Zu dieser Zeit allsonntäglich immer von einem bunten Völkchen zum Gucken und Schaufahren benutzt, da musste man hin. Krücken rechts unter den Arm geklemmt, Gipsbein vorsichtig auf die Raste und Thomas am Gasgriff der Honda vertrauen. Jetzt ein Sturz und alles wäre hin, auch das frisch zusammengeschraubte Bein.
Verrückt? Klar. Wir waren völlig Plem-plem, heiß auf Maschinen, Sound und Schräglage. Und in der Schaukurve konnte man das alles haben, umsonst. Also hin, auch mit Gips. Vorsichtig absteigen, und da höre ich es schon: Möööönmöööönmööön, ein tiefer druckvoller Klang, eine Kawa, erkennbar am blechernen Schwirren der Kühlrippen. Rängräääng schaltet der Kerl vor der Kehre zweimal runter, biegt zackig ab und zieht noch in Schräglage schon wieder am Kabel.
Und dann passiert es! Der blaue Blitz zieht das Vorderrad hoch und fährt auf einem Rad den Berg rauf. „Hast du das gesehen? Der ist mindestens 100 Meter auf dem Hinterrad gefahren!“ „Das war eine H2“, klärte mich Thomas auf. Aha, die Kawasaki 750. Dreizylinder-Zweitakter, 750 Kubik, 74 PS, das brutalste und stärkste Motorrad der Welt.
Auf dem Hinterrad fahren, einfach so, weil der Motor so brutal geht, dermaßen Leistung hat. Was hab ich mit meinem müden Mofa Hochstart trainiert, die Kupplung der RD maltraitiert, mir tausend Dinge überlegt, wie man besser aufs Hinterrad kommt. Und dann muss ich mit ansehen, wie so ein langhaariger Kerl einfach aus der Fahrt heraus alles das hinkriegt, was ich noch nicht mal mit Kupplungschnappenlassen geschafft habe. Demütig fachsimpelte die ganze Kurve. „Die war frisiert, garantiert!“, „Hast Du nicht gehört, wie die klang? Da war was an den Steuerzeiten gemacht.“ Immer üppiger schossen die Spekulationen ins Kraut. „Da gibt es einen Amerika-Satz, Kolben und Zylinder, den hatte der bestimmt drauf, damit hat sie 86 PS.“Am Schluss war man sich einig, dass die H2 mindestens 90 PS haben musste, alles andere konnte rein physikalisch nicht möglich sein. In Wahrheit konnte der Kerl nur richtig gut fahren. Aber wie immer konnte das Problem ja nicht an den eigenen Fähigkeiten, sondern nur am Material liegen. Und ich schwor mir, dass ich so eine H2, sollte ich jemals zu Geld kommen, kaufen würde. Ein Traum, den ich mir bis heute nicht erfüllte. Thomas immerhin tauschte seine zuverlässige Honda gegen eine Kawasaki Mach 3, jenes giftige Mördergerät, das 60 PS aus 500 Kubik schreien konnte. Zumindest ein paar Minuten lang, bis sie entweder festging oder ein Loch im mittleren Kolben hatte. Sein Unglück und mein Gipsbein bewahrten mich vor einem ruinösen Leistungswettlauf.
So rüstete ich meine RD mit einem 400er-Unfallmotor auf und schaffte Hochstarts relativ routiniert. Das unscharfe Foto, das einen mit Jeans, T-Shirt und Stirnband bekleideten Spinner auf dem Hinterrad fahrend zeigt, wird nie veröffentlicht werden, es wäre heute noch einen deftigen Strafzettel wert...

Immerhin hatte ich 15 Jahre später die Ehre, eine blaue H2 zu bewegen. Längst waren 100 PS und mehr zu kaufen, die schlanke Kawasaki schon ein Oldie. Aber der Sound stellt einem schon im Stand die Nackenhaare hoch. Dieses unregelmäßige Brabbeln, wenn der Drilling nicht sicher ist, ob er zwei- oder viertakten soll, dieses leichte Schwirren der Kühlrippen, dieser unnachahmliche Geruch verbrannten Zweitaktöls, ich liebe es.
Von den wilden Zeiten ist heute wenig übrig geblieben. Der 750er war auf guten Durchzug abgestimmt, seine Drehfreude bei spätestens 7500/min zu Ende. Auch die gefürchteten Fahrwerksunruhen hatte Kawasaki bei der 750er ganz gut im Griff, mit heutigen Reifen fährt eine H2 handlich und sogar zielgenau. Ihre schmalen Reifen, der breite Lenker und die aufrechte Sitzposition lassen die wilde H2 zum gemütlich zu fahrenden Youngtimer mutieren, deren Qualitäten vor allem optisch präsent sind. Diese schlanke und klare Linie, diese wunderschöne asymmetrische chromglänzende Auspuffanlage, diese aus dem Rahmen hervorquellenden Zylinder, einmalig!
Gut erhaltene H2 sind kaum unter 6000 Euro zu haben. Damit kostet sie mehr als doppelt so viel wie bei ihrem Start 1972. Und zum Hochstarter machen ist sie längst zu schade.
Technische Daten

Motor:
Dreizylinder-Zweitaktmotor, drei Ver-gaser, Ø 30 mm, Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe, Bohrung x Hub 71,0 x 63,0 mm, Verdichtungs-verhältnis 7,0:1, Nennleistung 54 kW (74 PS) bei 6800/min, Max. Drehmoment 78 Nm bei 6500/min
Fahrwerk:
Doppelschleifenrahmen aus Stahl, Telegabel, Ø 37 mm, Zweiarmschwinge aus Stahl, zwei Federbeine, Scheibenbremse vorn, Ø 296 mm, Trommelbremse hinten, Ø 200 mm, Speichenräder mit Stahlfelgen, Reifen 3.25-19; 4.00-18
Maße und Gewicht:
Radstand 1410 mm, Federweg v/h 140/80 mm, Sitzhöhe 840 mm, Trockengewicht 192 kg, Gewicht vollgetankt 217 kg, Tankinhalt 17 Liter
Preis 1972: 5580 Mark inkl. Nebenkosten