Schwarz und böse, silber oder rot und ein bisschen weniger böse – in diesen drei Varianten ist die Honda CB 1000 R erhältlich. Und wie in dieser Beschreibung anklingt – egal für welche Lackierung man sich entscheidet, stets signalisiert ihr Äußeres ein wohl dosiertes Maß an Machismo und rauem Charme. Bullig wirkt die hoch aufragende Front, das kurze Heck macht auf Streetfighter, Lackflächen in gedeckten Farben kontrastieren scharf mit gefrästen, gebürsteten oder naturfarben eloxierten Aluminium-Oberflächen. Der Druck auf den Starterknopf entfesselt einen kernig-dunklen Auspuffton, beim ersten Griff zum Kupplungshebel erwartet der Fahrer einen kräftigen Händedruck in Form strammer Rückstellkräfte.
Triebwerk der Fireblade von 2004
Weit gefehlt. Mit Leichtigkeit lässt sich der Hebel zum Lenker ziehen, der Vierzylinder, der auf dem Triebwerk der Fireblade vom Typ SC 57 aus dem Jahr 2004 basiert, läuft im unteren und mittleren Drehzahlbereich nahezu vibrationslos und beim Dahinrollen fühlt sich die Honda an wie das zweirädrige Pendant einer Luxuslimousine. Nur gelegentlich lässt das Getriebe beim Einlegen des ersten Gangs einen leichten Schlag hören; die überwiegende Zahl der Schaltvorgänge verläuft, als würde man den Hebel mit einem Wattebausch betupfen und als würde dieser Impuls bereits ausreichen für das Einlegen des nächsten Gangs. Egal ob man mit Kupplungseinsatz schaltet oder den Quickshifter bemüht. Zugegeben, dieser letzte Vergleich ist ein wenig übertrieben, doch wer den wahren Charakter der Honda CB 1000 R herausarbeiten will, der braucht eben die spitzere Formulierung. Um es auf den Punkt zu bringen: Unter dem trickreich zurechtgestylten Macho-Outfit steckt ein höchst kultiviertes und zivilisiertes Motorrad.

Dieses Hauptmerkmal des CB-Charakters bringt freilich nicht nur Vorteile mit sich. Im Bestreben, die Honda CB 1000 R so alltagstauglich und sicher wie nur möglich zu machen, sind die Motorentwickler übers Ziel hinausgeschossen und haben dem Vierzylinder eine merkwürdige Leistungsentfaltung anerzogen. Lapidar ausgedrückt: Er fängt schwach an und lässt stark nach. Schon bei 3.000/min liegt das Drehmoment gute 15 Nm unter demjenigen des Vorgängermodells (Typencode SC 60) und zwischen 4.500 und 8.000/min bilden Leistungs- und Drehmomentkurve eine ausgeprägte Delle, die in manchen Bereichen bis zu zehn PS und 20 Nm unter den Werten eines 2016er-Modells liegt. Bei der Präsentation auf der Eicma in Mailand und der Fahrpräsentation gingen die Honda-Vertreter offensiv mit dieser Charakteristik um, indem sie mit dem Sicherheitsgewinn argumentierten, den sie mit sich bringe. Man soll beim Beschleunigen in Schräglage bloß nicht zu viel Zug auf den Hinterreifen bringen. Es ist sogar glaubhaft, dass tatsächlich Absicht und nicht etwa Unvermögen hinter dieser Abstimmung steckt. Doch wie auch immer, das Argument verfängt nicht; beim Fahren entlarvt es sich rasch als Kopfgeburt von realitätsfernen Bedenkenträgern.
Wechsel in den Sport-Fahrmodus hilft nicht
Denn statt ein sattes, sich gleichmäßig aufbauendes Drehmoment bereitzustellen, das einen runden, gelassenen Fahrstil fördert, lässt einen der Motor nach jeder etwas engeren Kurve erst einmal im Drehmomentloch hängen. Zu Anfang dachten die Tester, dafür sei eine sehr defensive Abstimmung der Traktionskontrolle verantwortlich, zumal es sich beim Beschleunigen aus den Kurven so anfühlt, als würde ein Schräglagensensor das volle Drehmoment erst dann freigeben, wenn die Honda CB 1000 R wieder fast gerade steht. Bei genauer Beobachtung stellte sich heraus, dass auch dann nicht mehr freigegeben wird, wenn das Motorrad aufgerichtet ist. Selbst dann nicht, wenn die Traktionskontrolle in der schärfsten Stufe steht.

Erst jenseits der 8.000er-Marke überflügelt der überarbeitete Motor der Honda CB 1000 R seinen Vorgänger und zieht dem Fahrer beim Beschleunigen die Arme lang. Wer ihn aber auf der Landstraße bis in diese Bereiche ausdreht, ist alles andere als sicher unterwegs. Der Wechsel in den Fahrmodus Sport hilft auch nicht weiter. Die Leistungsentfaltung bleibt die gleiche, nur die Gasannahme wird härter, und das passt dann gar nicht mehr zusammen. Harsche Lastwechsel und wenig dahinter – danke, kein Bedarf. Und für alle diejenigen, welche die Tester des Heizertums und Leistungsfetischismus zeihen wollen, sei hier noch einmal betont: Die satt und gleichmäßig sich entwickelnde Leistung einer in der Spitze „nur“ 125 PS starken SC 60 hätte längstens genügt.
4,8 Liter auf 100 Kilometern
Dass die neue Honda CB 1000 R von 60 bis 140 km/h trotz alledem im letzten Gang zwei winzige Zehntelsekunden schneller durchzieht als ihre Vorgängerin, liegt am geringeren Gewicht und an der kürzeren Sekundärübersetzung. Dazu muss ergänzt werden, dass ein Teil des Gewinns an Zugkraft dazu dient, den im Vergleich zum früheren 180/55er-Hinterreifen etwas größeren Abrollumfang des aktuellen 190/55ers zu kompensieren. Und immerhin zeigte sich bei der Verbrauchsmessung, in welchem Bereich die Motorenentwickler mit Erfolg gearbeitet haben: 4,8 Liter auf 100 Kilometer sind für eine 1000er dieser Leistungsklasse sehr moderat. Ob diese Bescheidenheit im Benzinkonsum die positive Seite der zurückhaltenden Leistungsentfaltung darstellt? Nun, die Suzuki GSX-S 1000 schluckt noch weniger Sprit, liefert aber füllige Leistungs- und Drehmomentkurven sowie höhere Spitzenwerte. Auch in Euro4-Homologation.

Im Vergleich grundlegender Fahrwerksdaten ergeben sich zwischen der alten und der neuen Honda CB 1000 R nur geringe Unterschiede. Bei der neuen fallen der Radstand um zehn und der Nachlauf um einen Millimeter länger aus als bei der Vorgängerin, der Lenkkopfwinkel ist gleich. So sind es letztlich die bereits erwähnte hohe Frontpartie und der etwas weiter nach hinten gerückte Sitz, die für ein völlig anderes Fahrgefühl sorgen. Drei Zentimeter höher als bei der SC 60 liegt der Lenker, relativ aufrecht und sehr bequem sitzt der Fahrer dahinter, während er sein Motorrad mit guter Spielübersicht dirigiert.
Akzent eindeutig auf Komfort
Bei betont sportlicher Fahrweise auf der Honda CB 1000 R kann sich der Fahrer jedoch dabei beobachten, wie er versucht, mehr und mehr Gewicht nach vorn zu bringen, im Versuch, eine präzisere Vorderradführung und bessere Rückmeldung zu erhalten. Das geht nur bis zu einem gewissen Grad; es sei denn, man wollte im öffentlichen Verkehr einen Fahrstil pflegen wie Top-Tester Karsten Schwers auf dem Foto links. Und er ist fürs Foto auch nur in einem kleinen Segment der Kreisbahn besonders scharf gefahren. Nach dem Fotobereich musste er die Maschine wieder aufrichten und auf einen weiteren Bogen ausweichen. Die Geschwindigkeit und Rundenzeit in der Kreisbahn fuhr er in normaler Sitzhaltung, gleichmäßigem Tempo und ohne Anrempeln der Pylonen.
Dies bedeutet letztlich, dass die entspannte Sitzposition auf der Honda und ihre leicht hecklastige Auslegung ab einem bestimmten Bereich die Vorderradführung beeinträchtigen. Dieser Bereich ist keinesfalls nur auf der Rennstrecke oder im Top-Test-Parcours zu erreichen, sondern von ambitionierten Fahrern durchaus auch auf kurvenreichen Landstraßen. Mit zu geringer Haftung des Vorderreifens hat diese leichte Unsicherheit nichts zu tun. Es geht eher darum, wie Fahrwerksgeometrie, Dämpfungsabstimmung, Gewichtsverteilung und Ergonomie es einem erlauben, den Grip des Reifens zu nutzen. Und hier legt die Honda CB 1000 R den Akzent eindeutig auf Komfort, nicht auf Sportlichkeit.
Front fühlt sich verdächtig leicht an
So erklären sich ihre ordentlichen, aber nicht gerade berauschenden Leistungen im langsamen Slalom des Parcours mit seinen eng gezogenen Bögen. Im schnellen Slalom, wo flinke Schräglagenwechsel bei höherem Tempo entscheidend sind, macht sich neben der Hecklastigkeit die sanfte Abstimmung der Dämpfung bemerkbar. Selbst mit geringer Vorspannung muss die Zugstufe am Federbein ganz geschlossen sein – schon die Mechaniker von Honda Deutschland hatten sie bei der Testmaschine ganz zugedreht. Trotzdem keilt die Schwinge in den Schräglagenwechseln beim Durchgang durch die Nulllage noch kräfig nach unten aus und lässt die Heck hüpfen. Auch die Front fühlt sich verdächtig leicht an. Weil sich die Honda CB 1000 R beim Anfahren und Beschleunigen nach dem Umkehrpunkt gerne aufs Hinterrad stellt, sind während der ganzen Slalomfahrt selten beide Räder am Boden. Ein deutliches Signal – mehr geht nicht.

Bis zu diesem Punkt lenkt die Honda CB 1000 R willig ein und taucht in tiefere Schräglagen ab, ohne zu kippeln oder andererseits störrisch zu wirken. Das geht fast spielerisch von der Hand und bereitet viel Spaß. Jeder, der sich für sie interessiert, möge aber bitte genau überlegen, was er von ihr erwartet. Freunde des lockeren Kurvenschwingens werden voll auf ihre Kosten kommen und nebenbei hohen Federungskomfort genießen. Nur bei harten Stößen sind die großen ungefederten Massen der Einarmschwinge zu spüren, die träger reagiert als die Gabel und die Hinterhand über Bodenwellen rumpeln lässt.
Traktionskontrolle lässt Wheelies zu
Bewusst – so der Pressetext – lässt die Traktionskontrolle der Honda CB 1000 R Wheelies zu. In diesem Punkt scheinen die Entwickler keine Sicherheitsbedenken zu haben. Bei der Abstimmung des ABS agierten sie wiederum sehr vorsichtig. Trotz verhältnismäßig langem Radstand und viel Gewicht auf der Hinterhand regelt das ABS defensiv; die mittlere Verzögerung von 9,2 m/s² liegt auf dem Niveau, über das Honda schon seit langen Jahren nicht hinausgehen will, damit selbst in Gefällstrecken keine hohen Stoppies oder gar Überschläge passieren. Dabei könnte eine Sensorbox, welche die Position des Motorrads im Raum erfasst, stärkere Verzögerungen zulassen, und zugleich das Abheben des Hinterrads begrenzen. Diesen Aufwand hat man sich ebenso gespart wie ein mehrfarbiges Anzeigeinstrument. Wenigstens sind die meisten Informationen gut ablesbar, der Drehzahlmesser aber nicht. Für 12.985 respektive 14.485 Euro (Modellvariante +) darf man mehr erwarten.

Was die klassischen Verarbeitungstugenden betrifft, bietet die CB Honda 1000 R hingegen gewohnt hohen Honda-Standard. Schönes Oberflächenfinish, eine sorgfältig geschweißte Edelstahl-Auspuffanlage, diskret verlegte Kabel und Schläuche, hochwertige Komponenten und Reifen erfreuen selbst kritische Betrachter. Mit der in den letzten Jahren gestiegenen Wertschätzung klassischer Formen geht ein Bewusstsein einher für das, was Motorrad-Designer Material-Authentizität nennen. Was aussieht wie Metall, sollte auch Metall sein, und die Honda gibt sich in dieser Beziehung keine Blöße. Sehr edel wirken die gelaserten Modellbezeichnungen in den Alu-Kühlerverkleidungen. Die Testmaschine mit dem + hinter der Modellbezeichnung bietet für 1.500 Euro Aufpreis diverse Sonderausstattungen wie den Quickshifter, der Hinauf- und Herunterschalten ohne Kupplung ermöglicht, sowie Heizgriffe, ein Schutzgitter für den Kühler und einen Kotflügel aus Alublech-Applikation. Auf den Fotos ist die Maschine mit der Abdeckung des Soziussitzes zu sehen, die es zusätzlich zur hinteren Sitzbank gibt. Deren silberfarbener Mittelteil besteht übrigens auch aus Alublech.
MOTORRAD-Fazit
Wie ist er denn nun beschaffen, der wahre Charakter der Honda CB 1000 R? Das weiß Honda wohl selbst noch nicht genau. Immerhin hat der Top-Test eines zutage gebracht: Im Widerstreit zwischen Macho-Aussehen und Softie-Auftritt überwiegen die Softie-Merkmale – gute Fahrbarkeit und Laufkultur, viel Komfort. Was die merkwürdige Leistungscharakteristik bewirken soll, bleibt unverständlich.
Die Konkurrenz
Ducati Monster 1200
Zweizylinder-V-Motor, 147 PS, Gewicht 219 kg, 0–100 km/h 3,4 sek, Vmax 250 km/h, Verbrauch 4,7 Liter, 14.695 Euro*

Suzuki GSX-S 1000
Vierzylinder-Reihenmotor, 146 PS, Gewicht 212 kg, 0–100 km/h 3,0 sek, Vmax 240 km/h, Verbrauch 4,7 Liter, 11.724 Euro*1
Triumph Speed Triple S
Dreizylinder-Reihenmotor, 150 PS, Gewicht 214 kg, 0–100 km/h 3,4 sek, Vmax 250 km/h, Verbrauch 4,5 Liter, 14.200 Euro*
*inkl. Nebenkosten, 1: Aktionspreis