Kennen Sie die Kino-Bullen Murtaugh und Riggs? Leathal Weapon mit Danny Glover und Mel Gibson? Der eine ist ein ruhiger, reifer Typ mit klaren moralischen Grundsätzen: Regeln werden eingehalten, geflucht wird nicht, kein Alkohol, keine Kippen, kein Ärger. Sein Anzug sitzt akkurat, ist aber nicht mehr das jüngste Modell. Der andere ist der einsame Wolf, nimmt sich ein Ziel und hält gnadenlos darauf zu. Da pfeift man schon mal auf Vorschriften. Sein Leben hat etwas grundsätzlich Anarchisches, wie seine Klamotten, sportlich, leger und ewig jung. Kennen Sie!
MV Agusta Brutale 1090 knurrt wie ein Rottweiler
Genau das steht hier vor uns, eine irre Kombination auf je zwei Rädern, zwei wie Himmel und Hölle – eben Murtaugh Honda CB 1100 und Riggs MV Agusta Brutale 1090 , Hondas neuestes Retro-Naked und MV Agustas Power-Bolzen. Gegensätze ziehen sich bekanntlich an, aber es geht ja immer noch um Motorräder. Also Film ab – wollen doch mal sehen. Vielfalt ist die Würze des Lebens. Am Ende der Charakterstudie können Sie entscheiden: mild oder wild?
248 Kilo Leergewicht, 1490 Millimeter Radstand, 114 Millimeter Nachlauf – das klingt für kompromisslose Sportfreaks nach Eisenhaufen. Dazu 90 PS? Fünfganggetriebe? Hämisches Gelächter vom Typ in der Lederkombi über die Honda CB 1100. „Junge, das klingt nach Fernsehabend mit Schwarzwaldklinik, Kuschelsex mit Licht aus.“ Dann legt er seine Karten auf den Tisch. 218 Kilo mit Sprit, agiler 1438-Millimeter-Radstand. Nachlauf 104 Millimeter. 144 PS stehen im Schein – „bei fetten 10.300 Umdrehungen, mein biederer CB-Freund“, zischt es unter dem schwarzen Visier hervor, und mit einem lässigen Druck auf den roten Knopf brüllt der Vierzylinder der MV Agusta Brutale 1090 los.
Da muss man als CB 1100-Fahrer schon einen gewaltig niedrigen Ruhepuls oder jeglichem Geltungsbedürfnis abgeschworen haben, um das Theater der MV Agusta Brutale 1090 einfach so wegzustecken. Neben ihr macht die Honda CB 1100 bei laufendem Motor im Leerlauf überhaupt keinen Stich. Nichts zu hören von dem luftgekühlten Vierzylinder. Selbst aufgesessen ertappt man sich beim Dreh am Gashahn: Läuft das Ding denn? – keine Vibrationen, kein Bollern, Brummeln, Brazzeln. Die Honda säuselt lammfromm. Daneben steht die Brutale und knurrt bei Standgas wie ein Rottweiler, der einem gleich an die Kehle will.
Das ändert sich auch auf der Fahrt nicht. Die MV Agusta Brutale 1090 kündet von ihrem Kriegspfad mit wildem Geschrei, die Honda schleicht dahin – immer. In diesem Punkt entscheidet klar die Gesinnung. Wer mit allen auskommen möchte, steht zur Honda CB 1100. Wem Nörgler egal sind, liebt die MV.
Honda CB 1100 kommt jenseits der 5000/min ins Schnaufen

Viel verblüffender wird die Sache auf freien Landstraßen. Denn wenn es so dahin geht, ist selbst der Sportfan erstaunt, wie fein die Honda das macht. Hier glänzt vor allem der durch einen kleinen Ölkühler unterstützte Motor der Honda CB 1100. Er lastwechselt zwar ein wenig, geht aber sehr schön von unten raus ans Werk. Sein seidenweicher Lauf und das ordentliche Drehmoment von 96 Nm bei 5200/min machen richtig Spaß!
Wenn nicht die MV Agusta Brutale 1090 dabei wäre, denn legt ihr Reiter richtig los, stößt die CB schnell an ihre Grenzen. Murtaugh versucht Riggs zurückzuhalten – vergeblich. In der Praxis sieht das Bild so aus: Am Gaszug der MV gezupft, die Drehzahlen in den fünfstelligen Bereich katapultiert und die Brutale marschiert auf dem Hinterrad davon, dass die Arme lang werden. Die Honda CB 1100 kommt ins Schnaufen, denn ihr Antrieb wird jenseits der 5000/min richtig zäh. Lang wird bei ihr höchstens der Atem, den der Fahrer für scharfe Attacken braucht. Schaltfaules Dahinbügeln? Ja! Mal den Spurt anziehen? Geht. So richtig lospreschen? Geht nicht.
Einziges Manko der MV: kurze Fußrasten
Da kommt keiner wirklich in Verlegenheit, sich wegen der Straßenverkehrsordnung am Riemen reißen zu müssen. Wen interessiert es da, dass die Honda CB 1100 im fünften Gang bei 180 km/h abriegelt? Mit der Brutale steht man dagegen immer mit mindestens einem Bein in der Illegalität. Das provoziert die Brutale schon durch die Fahrerhaltung. Sprungbereit, extrem versammelt, direkt überm flachen Lenker – Angriffshaltung pur. Wie soll man sich da beherrschen? Das Einzige, was man der MV Agusta Brutale 1090 anlasten muss, sind die kurzen Fußrasten, die besonders auf der rechten Seite wegen dem Auspuff den Fuß in einen auf Dauer unbequemen Winkel zwingen. Glatt sind sie außerdem.
CB 1100 ergonomisch antiquiert
Ergonomisch antiquiert geht es dagegen auf der Honda zu. Das ist kein Konstruktionsmakel, schließlich wurde sie als Retro-Bike konzipiert. Wer sich also an die alten Z 900-Zeiten erinnert, kann sofort nachvollziehen, wie sich der Pilot auf der CB 1100 fühlt. Die Sitzbank ist tief, der Tank recht lang und der Lenker arg hochgezogen. Heute hat das ganz wenig mit Sportlichkeit zu tun. Gepaart mit dem Gewicht der Honda bekommt ihr Pilot auf kurvigen Abschnitten deshalb schön was zu tun. Damit das nicht ausartet, haben die Entwickler der Honda CB 1100 ein recht gutes Handling anerzogen. Der schmale 140er-Hinterreifen, überhaupt die 18-Zöller, haben daran einen wesentlichen Anteil. Der einmal eingeschlagenen Linie folgt die CB stoisch.
Sabotiert wird sportliche Action am nachdrücklichsten durch die mangelhafte Schräglagenfreiheit der 1100er. Die Rasten schleifen bei zügigem Tempo in fast jeder Kurve, selbst mit entfernten „Angstnippeln“. In wunderbar langen Kurven qualmte nicht selten die Außenseite des Testerstiefels. Wenn man sich darauf einschießt, ist das richtig lustig. Die Geräuschkulisse der schraddernden Rasten lässt ganze Wandergruppen am Wegrand erstarren, die Funken tun ihr Übriges. Weniger lustig wird das bei Bodenwellen im Kurvenbereich. Dann setzt die Honda CB 1100 rechtsherum abrupt mit dem Sammler auf, auch weil die Duo-Shocks am Heck nun wirklich auf der Komfortseite agieren. Einstellen lässt sich außer der Federbasis nichts. Auch nicht an der Telegabel, die für den Fahrzeugtyp akzeptabel gedämpft ist. Schließlich packt die ABS-Bremse nicht wirklich scharf zu, sodass die Honda vorn in einem erträglichen Maß abtaucht. Auf der letzten Rille bremsen geht sowieso nicht. Das „Combined-ABS“ arbeitet ordentlich, da gibt es nichts zu meckern. Dass es früh regelt, erklärt sich von selbst. Der Pilot muss es aber mit gewaltiger Handkraft am Hebel einfordern.
Brutale straff gedämpft und vorn voll einstellbar
Die MV kennt hier keine Gnade. Obwohl die Standard-Brutale 1090 ohne Öhlins-Fahrwerk antritt, ist sie straff gedämpft und zumindest vorn voll einstellbar. Sie trampelt etwas unsensibel über verworfenen Asphalt, liefert aber auf perfekten Landstraßen glasklares Feedback. Super, wie knackig sich die Brutale übers Vorderrad in schnelle Bögen fahren und feist vor engen Kehren zusammenbremsen lässt. Abwinkeln? Ha, ein Gedanke und schon liegt sie in Schräglage.
Am Treffpunkt kann sich Riggs schon die Kippe anstecken, bis Murtaugh mit der CB auftaucht. Während der absteigt, gleitet der Blick über die Honda CB 1100. Ihr optischer Mittelpunkt ist der wuchtige, tief gerippte Vierzylinder mit den glänzenden Krümmern. Zusammen mit dem Doppelschleifenrahmen ergibt sich ein stimmiges Bild. Auch das Fahrwerk und die horizontale Linie vom Rundscheinwerfer über den Tank, die Sitzbank bis zur Heckleuchte verleihen der CB eine coole Retro-Linie, die uns angemacht hat. Selbst die Digitalanzeige ist zwischen zwei stilechten Analog-Uhren dezent ansehnlich untergebracht. Coolness zum Anfassen. Aber warum nur hat das Ding keine Speichenräder? Ein Stilbruch, der bei 11.000 Euro nicht sein darf!
Honda für Coole, MV für Adrenalin-Junkies
Die MV Agusta Brutale 1090 ist, was die Optik betrifft, komplett aus einem Guss. Der rote Gitterrohrrahmen, die Einarmschwinge, der Instrumentenkeil, die Doppelender am Auspuff. Sie ist die bedrohlich gehisste Freibeuter-Flagge der Landstraße.
Zwei Typen eben, wie Himmel und Hölle. Eine Typberatung ist da nicht nötig. Wer es cool mag, greift zur Honda CB 1100, schüttelt Stress und Leistungsdruck mit dem artigen Luftkühler einfach ab. Leistungssportlern und Adrenalin-Junkies muss man die Welt nicht erklären. Sie schaffen sich ihre eigene Welt, mit eigenen Gesetzen. Riggs fährt MV Agusta Brutale 1090!
PS-Daten Honda

Honda CB 1100
Antrieb Vierzylinder-Reihenmotor, vier Ventile/Zylinder, 66 kW (90 PS) bei 7 500/min*, 93 Nm bei 5 000/min*, 1140 cm³, Bohrung/Hub: 73,5/67,2 mm, Verdichtungsverhältnis: 9,5:1, Zünd-/Einspritzanlage, 32-mm-Drosselklappen, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe, G-Kat, Kette
Fahrwerk Stahl-Doppelschleifenrahmen, Lenkkopfwinkel: 63,0 Grad, Nachlauf: 114 mm, Radstand: 1490 mm, Telegabel, Ø Gabelinnenrohr: 41 mm, einstellbar in Federbasis. Zwei Federbeine, einstellbar in Federbasis. Federweg vorn/hinten: 120/89 mm
Räder und Bremsen Leichtmetall-Gussräder, 2.50 x 18/4.00 x 18, Reifen vorn: 110/80 V 18, hinten: 140/70 V 18, Erstbereifung: Bridgestone BT 45, 296-mm-Doppelscheibenbremse mit Dreikolben-Schwimmsätteln vorn, 256-mm-Einzelscheibe mit Einkolben-Schwimmsattel hinten
Maße und Gewicht Länge/Breite/Höhe: 2195/835/1130 mm, Sitz-/Lenkerhöhe: 785/900 mm, Lenkerbreite: 750 mm, 259 kg vollgetankt, v./h.: 48,5/51,5 %
Hinterradleistung im letzten Gang 63 kW (85 PS) bei 174 km/h
Verbrauch Kraftstoffart: Super bleifrei. Durchschnittstestverbrauch: 6,5 Liter/100 km, Tankinhalt 15 Liter, Reichweite: 231 km
Grundpreis 10.990 Euro (zzgl. Nebenkosten)
PS-Daten MV Agusta

MV Agusta Brutale 1090
Antrieb Vierzylinder-Reihenmotor, vier Ventile/Zylinder, 106 kW (144 PS) bei 10 300/min*, 112 Nm bei 8100/min*, 1078 cm³, Bohrung/Hub: 79,0/55,0 mm, Verdichtungsverhältnis: 13,0:1, Zünd-/Einspritzanlage, 46-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, G-Kat, Kette
Fahrwerk Stahl-Gitterrohrrahmen, Lenkkopfwinkel: 65,0 Grad, Nachlauf: 104 mm, Radstand: 1438 mm, Upside-down-Gabel, Ø Gabelinnenrohr: 50 mm, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Zentralfederbein mit Umlenkung, einstellbar in Federbasis und Zugstufe. Federweg vorn/hinten: 125/120 mm
Räder und Bremsen Leichtmetall-Gussräder, 3.50 x 17/6.00 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17 hinten: 190/55 ZR 17, Erstbereifung: Pirelli Diablo Supercorsa SP, 310-mm-Doppelscheibenbremse mit radial angeschlagenen Vierkolben-Festsätteln vorn, 210-mm-Einzelscheibe mit Vierkolben-Festsattel hinten
Maße und Gewicht Länge/Breite/Höhe: 2009/850/1240 mm, Sitz-/Lenkerhöhe: 840/1030 mm, Lenkerbreite: 715 mm, 218 kg vollgetankt, v./h.: 50,9/49,1 %
Hinterradleistung im letzten Gang 98 kW (133 PS) bei 217 km/h
Verbrauch Kraftstoffart: Super bleifrei. Durchschnittstestverbrauch: 8,0 Liter/100 km, Tankinhalt 23 Liter, Reichweite: 287 km
Grundpreis 14.490 Euro (zzgl. Nebenkosten)
PS-Urteil
Müßig, an dieser Stelle einen Sieger zu benennen. Schließlich geht es um zwei grundsätzlich unterschiedliche Auslegungen des Themas Naked Bike. Da mag der Hubraum etwa gleich sein, die Honda und die MV Agusta Brutale 1090 stehen sich jeweils am entgegengesetzten Ende der Kategorie gegenüber. Gefallen hat uns die Honda CB 1100 trotzdem, weil sie abgeklärt wirkt, versierten Fahrern noch genug Spielwiese bietet und die Retro-Welle Coolness besitzt. Die MV ist dagegen das, was sportliche Motorradfahrer so an den Bikes schätzen: alles geht!
Die Alternativen
Die Wilden
Die KTM 1290 Super Duke mal außen vor, ist vor allem die Aprilia Tuono mit ihrem V4 und 167 PS der wilde Hund unter den Naked Bikes. Da mag es die Ducati Streetfighter mit dem Testastretta-V2 auf ein klein wenig mehr Drehmoment bringen (115 Nm), sie ist im Vergleich zur Aprilia sehr radikal und extravagant. Etwas, das die Triumph Speed Triple R kaum kennt. Gut, sie ist fahrwerkseitig für die Landstraße ganz schön hart abgestimmt, aber ihr Dreizylinder ist ein extrem gefälliges Power-Tool.
Die Milden
Den Retro-Chic hat nicht Honda mit der CB 1100 erfunden. Seit geraumer Zeit, man denke nur an die Ducati-Sportmodelle, bedienen die Hersteller die Liebhaber des klassischen Motorrads. So auch Moto Guzzi mit der Griso, die erstaunlich sportlich ist. Die Triumph Bonneville ist sicher ein Paradebeispiel für die Klasse, auch wenn sie leistungsmäßig mit dem Twin keine Bäume ausreißt. Die Yamaha XJR 1300 ist selbst ein Klassiker. Sie imitiert nicht, sie ist einfach noch so zu haben.