Der Hans ist einer von den Menschen, von denen man
eigentlich nie viel mitkriegt. Die leise im Hintergrund vor sich hinwerkeln, es aber faustdick hinter den Ohren haben.
1967 heuerte Hans Hinn beim schwäbischen Familienbetrieb nahe
Tübingen an. Seit 1934 baute die Familie Maisch und Co., kurz: Maico, Motorräder. Oder besser: motorisierte Zweiräder. Vom Mofa »Wiesel« über die 250er-»Blizzard«, die 175er-»Passat« bis zur 400er-»Taifun« mit Zweizylindermotor im Pfäffingen der Nachkriegsjahre gings stürmisch zu.
Dem Zweitakter verschrieben, räumten speziell die Maico-Crosser alles ab, was im Stollenmetier abzuräumen war, nur am Motocross-Weltmeistertitel schrammten die Pfäffinger haarscharf vorbei. Für Hans Hinn und seine Leidenschaft zum simplen und doch kapriziösen Zweitakter genau der richtige Arbeitsplatz. Weil der gelernte Mechaniker einer der ganz Geschickten war, landete er bereits ein Jahr später bei
Ingenieur Erich Stögerer im Versuch. Der Auftrag: Ein knackiges Straßenmotorrad sollte es werden. Schnell, sportlich und besser als die Japaner.
Da in den Fabrikhallen am idyllischen Flüsschen Ammer das Geld dürftig, die Ideen aber reichlich sprudelten, stockten die eifrigen Maico-Mannen den 125er-Drehschiebermotor zum 250er auf, indem sie schlicht und ergreifend einen größeren Zylinder auf das Gehäuse pfropften. »Eigentlich hätte ich schon gern einen längeren Hub verwendet, aber das hat die kleine Kurbelwelle net hergegeben. Und ein neues Gehäuse mitsamt Welle entwerfen? Der Otto Maisch hätt mir den Kopf runtergrissen«, sinniert dreißig Jahre später Konstrukteur Stögerer über die verpassten Chancen.
War letztlich aber egal, denn Hans Hinn, in der Zwischenzeit als Tuning-Genie mit den Überströmkanälen auf du und du, entlockte dem aufgebohrten Motor jede Menge Leistung und machte die Maico mit strammen 28 PS absoult konkurrenzfähig. Wie so oft drehten sich die Räder bei Maico nur deshalb weiter, weil die Belegschaft für jedes Problem eine Lösung austüftelte. Manchmal machten ihnen jedoch die Kaufleute einen Strich durch die Rechnung.»Die Herrschaften haben Stahlfelgen bestellt, die schon im Lager zusammengerostet sind, weil die Kupferschicht unterm Chrom fehlte«, schüttelt Hans heute noch den Kopf über den grimmigen Sparkurs. Was die Buchhalter weiters nicht juckte.
Geiz ist geil, wie man heute weiß, und die Kaufmänner in
Pfäffingen waren nun mal vom Sparvirus infiziert. So sehr, dass
ein wildgewordener Bürohengst eines Morgens entnervt das
Kommando gab: »Machet den scheiß Prüfstand endlich aus! Der macht net bloß Krach, des koscht au noch Benzin, und dMotorräder gehn außerdem kaputt dabei.«
Hans und seine Mitstreiter ließen sich von solchen abstrusen Anfällen nicht abhalten und machten das Unmögliche möglich: 1973 rollte der erste Prototyp der luftgekühlten MD 250 durchs Fabriktor. Ein kleiner Schock fürs
japanische Zweitaktlager. Warum? Weil der 28-PS-Motor sich mit lediglich 128 Kilogramm mühen musste. Der leichte und zierliche Stahlrohrrahmen stammte in seiner Grundkonstruktion vom Straßenrenner, der RS 125. Obwohl aus der Not heraus geboren, war die Maico bei den Möchtegern-Rennfahrern heiß begehrt. Ein Straßenflitzer wie aus dem Bilderbuch, die MD 250.
Denn Gewicht galt damals als Schande, weshalb jeder aufrechte Sportfahrer sich nach der Devise »Loch an Loch und hält doch« am japanischen Schwermetall zu schaffen machte. Auch die schicke Grimeca-Bremse mit Kühllufthutzen schürte den Neid der Japan-Fraktion. Fette 160 Kilo schleppten RD und Konsorten damals durch die Landschaft und konnten sich trotz eines Leistungsplus von zwei PS gerade noch im Windschatten der fetzigen Schwabenkonstruktion halten.
Logisch, dass Hans Hinn ein paar Exemplare der flotten
MD 250 konserviert hat. In der abenteuerlichen Maico-Werkstatt in Reusten bei Tübingen fand nicht nur eine ganze MD-250-Familie ihr Zuhause, auch der gute Geist existiert dort nach dem
Abriss der Werkshallen weiter, schwebt zwischen Zylindern, Dreh-
schiebergehäusen, Getrieberädern und Kurbelwellen umher.
Versteckt im staubigen Regal: original Konstruktionszeichnungen, Gussformen und Zylinderrohlinge. Ein Paradies.
Hinter der surrenden Drehbank im grauen Arbeitskittel, die Zigarette im Mundwinkel und die Brille auf der Nasen-
spitze: Walter Nieser, der legendäre Maico-Rennmechaniker und
einer der alten Weggefährten von Hans Hinn. Wer behauptet, man könne die Zeit nicht anhalten, der irrt. Hier im Ammertal ist
alles möglich. Hier treffen sie sich regelmäßig, der Ingenieur Stögerer, der ehemalige Maico-Werksfahrer Peter Frohnmeyer, und gelegentlich kommt hoher Besuch aus München. Ex-Maico-Rennfahrer Heinz Paschen, heute verantwortlich für die Entwicklung der BMW-Formel-1-Motoren, schwelgt gerne mit der Maico-Truppe
in alten Erinnerungen. Wie gesagt, die Zeit steht manchmal still
im Ammertal.
Aber eben leider nur manchmal. Als wir mit Hans zum Fototermin auf dem einstigen Werksgelände ankommen, geben sich dort, wo einst die altehrwürdigen Hallen prangten, die Pfäffinger Hausfrauen den Einkaufswagen in die Hand. Ein Supermarkt. In der noch existierenden ehemaligen Montagehalle dahinter stellt ein Garten-Spezialist seine Blumenkübel und Gartenzwerge aus. Ein bisschen wehmütig spickelt Hans durch die verdreckten Fenster, an denen noch ein paar uralte, vergilbte Maico-Aufkleber prangen.
Um jegliche Sentimentalität im Keim zu ersticken, gehts ans Eingemachte, und ruck, zuck ist die schlanke Maico 250 aus der Werkstatt bugsiert. Schnell noch einen Tropfen Öl auf die Kette, Choke raus, drei-, viermal treten: Läuft nicht. »Zmager«, grummelt der Walter. »Zkalt«, knurrt der Hans, nestelt am Choke, tritt. Läuft, wie man hört und sieht. Was für ein Moped. So winzig, so spartanisch, so transparent. Die Bordelektrik kommt mit vier Kabeln aus, der Rahmen mit daumendicken Rohren, die Doppel-Simplex-Bremse mit einer Trommel, klein wie eine Keksdose. Nur der grobschlächtige Fächerzylinder setzt sich mächtig in Szene.
Schon schön, so eine olle Maico. Wie gesagt, eher Moped wie Motorrad, aber ganz schön zackig. Unten rum brutzelt der Drehschiebemotor noch ein bisschen fett vor sich hin, qualmt die Landschaft voll. Bei 3000/min gehts voran, und ab 5000/min hatte eindeutig der Hans die Finger im Spiel, munter jubelt die MD 250 bis über 8000/min, lupft, schwupps, das Vorderrad und pfeift dabei lustig mit dem Drehschieber. Hurtig in den nächsten Gang, aber der versteckt sich irgendwo zwischen Schaltautomat und Getriebewelle.
Ziehkeilgetriebe, schießt es mir durch den Kopf. Ziehkeile, das hatten eigentlich nur Mopeds. Ziehkeile muss man, wie der Name sagt, ziehen. Gestern wie heute. Lang und länger, das Schalten war ein Akt. Dafür geht die federleichte MD 250 wie verrückt. Na ja, damals eben. Heute würde man eher sagen: passabel. Was jedoch beim Fahrwerk einer maßlosen Übertreibung nahe kommt. Die dürren Rahmenröhrchen exaktes Maß: 22 x 2 Millimeter mühen sich redlich. Aber vergeblich. Es biegt und schlingert, wenn mans knackig laufen lässt, bei Bodenwellen und Schlaglöchern melden sich Gabel und Federbeine krank, und erst unter energischem Zugriff bewirkt die Grimeca-Doppelsimplex-Bremse so etwas Ähnliches wie Verzögerung.
Trotzdem nett. Ammertal rauf und wieder runter, ein Abstecher auf die Schwäbische Alb, durch enge Täler, über weite Hügelketten. Mit jedem Kilometer dreht sich die Zeit ein Stück zurück. Kleine Ausfahrt? Von wegen, der Sprit ist gleich alle. Und schon tickerts im Kopf: Wie viel Öl brauchts für zwölf Liter Sprit bei Mischung 1:50? Ähhh, tja...? Ein Liter Öl auf 50 Liter Sprit... macht auf zehn 0,2 Liter, macht auf zwölf, ähhh...? Spätestens beim Umschalten des Benzinhahns auf Reserve dämmerts: Im Sattel einer
Maico MD 250 bleibt die Zeit tatsächlich stehen.
Technische Daten - Maico MD 250
Motor: luftgekühlter Einzylinder-Zweitaktmotor, Hubraum 245 cm3, Bohrung x Hub 76 x 54 mm, Verdichtung 1:12, Leistung 27 PS bei 7800/min, ein Bing-Rundschiebervergaser, Ø 32 mm, Einlass über Plattendrehschieber, Gemischschmierung 1:50, Sechsgang-Ziehkeilgetriebe. Fahrwerk: Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr, Gewicht vollgetankt 128 kg, Marzocchi-Telegabel, Stahlrohrschwinge mit zwei Girling-Federbeinen, Trommelbremsen, Ø vorn 180 mm, hinten 160 mm, Bereifung vorn 2.75-18, hinten 3.25-18. Fahrleistungen: 0100 km/h in 6,6 sek, Höchstgeschwindigkeit 159 km/h, Preis 1973: 3300 Mark.