Mächtiger V2, Flat-Track-Styling, megacooler Auftritt. Als Indian 2019 mit der FTR 1200 um die Ecke kam, wurde uns warm ums Herz. Dieses Motorrad sprengt das eingebrannte Klassendenken auf, ist Naked Bike, Cruiser und Scrambler in einem und zitiert dabei mit ihrem Vorbild FTR 750 knallharten Ami-Rennsport. Ja, das Herz wurde sogar so warm, dass wir die FTR in der S-Version gleich in den Dauertestfuhrpark aufnahmen. Nach rund anderthalb Jahren und knapp 20.000 Kilometern trifft sie jetzt zum ersten Generationenvergleich auf ihre jüngere und gewissermaßen auch kleinere Schwester: die Euro-5-taugliche FTR 1200 S, Jahrgang 2021.
Nachfolgerin mit dezenterem Klang
Kleiner bezieht sich freilich nicht auf den Motor. Der nach wie vor 1.203 Kubikzentimeter messende 60-Grad-V2 leistet immer noch 125 PS bei 8.250/min und, viel wichtiger, 120 Nm bei 6.000/min. Gib Gas und das Herz wird nicht nur warm, es geht dir auf! Drehzahl? Egal. Um dieses Gefühl voll auskosten zu können, müssen wir aber erst mal dem Stadtverkehr entkommen. Von je einer Ausgleichswelle beruhigt schieben der Euro-4- und der Euro-5-Big-Twin die beiden Schwestern also erst mal noch ruhig tuckernd durch den Verkehr. Dass Indian das Feintuning dieses mechanisch großartigen Motors angegangen ist, fällt schon hier sofort auf. Zunächst beim Klang. Der beim neuen S-Modell serienmäßige Akrapovic-Doppelauspuff entlässt deutlich dezenteres Grummeln in die Umgebung als die inzwischen gut eingefahrene Tüte des 2019er-Exemplars. Die alte FTR verzückt zusätzlich beim Beschleunigen aus dem Drehzahlkeller mit lebhaftem Ansaugzwitschern, von dem bei der Neuen nichts mehr zu hören ist.
Es ist insgesamt also ruhiger auf der optisch jetzt etwas lauteren FTR geworden. Auch beim Mapping (nach wie vor stehen die drei Fahrmodi "Regen", "Standard" und "Sport", an die auch die Traktionskontrolle gekoppelt ist, zur Auswahl) hat sich was getan. Ausgeprägt konstantfahrruckelnd holpert sich die Dauertest-FTR in den ersten Minuten durch die Stadt auf Betriebstemperatur, bis sich diese Eigenheit der Gemischaufbereitung dann auf ein erträgliches Maß reduziert. Eine besondere Herausforderung stellt das erste Anfahren dar, bei dem die Dosierung der kalten Kupplung Fingerspitzengefühl fordert. Die Indian FTR 1200 lebt unter dir, packt deine Aufmerksamkeit immer wieder. Mal angenehm, mal weniger. So verhält es sich grundsätzlich auch bei der Nachfolgerin, doch der Angenehm-Anteil spielt sich klar in den Vordergrund. Das Kaltstartverhalten ist immerhin etwas besser, Indian lässt sich hier aber noch Luft nach oben. Einmal warm und in Bewegung läuft der Euro-5-Twin aber jetzt bei konstanter Gasgriffstellung viel schöner, beinahe ruckfrei. Und auch nach Passieren des Ortsschilds wird die Entwicklung erfahrbar. Bekannte Eigenheiten, zum Beispiel der störende Gasstoß der Elektronik beim Einkuppeln nach dem Runterschalten, sind verschwunden, du wirst kaum noch von den schönen Seiten des Motors abgelenkt. Ab 2.000/min läuft der V2 rund und schaufelt einen riesigen Drehmomentberg zum Hinterrad. Das verführt zum relaxten Powercruisen. Trotzdem steigert sich der Twin oben raus noch mal, lässt aus der Mitte bis über 8.000/min den Sportler raushängen. Objektiv zieht die Neue im sechsten Gang wegen länger gewordener Übersetzung weniger stark durch, davon ist subjektiv aber nichts zu spüren. Positiver Nebeneffekt der geänderten Sekundärübersetzung: Die FTR regelt nicht mehr bei 193 km/h, sondern erst bei 209 km/h ab. Am Getriebe selbst und dessen Abstufung hat sich nichts geändert, trotzdem fühlt sich die fast jungfräuliche Gangbox knackiger an, wechselt die Fahrstufen präziser, aber wie gewohnt selten geräuschfrei.
Neue Indian FTR 1200 endlich mit 17-Zöllern
Dass Indian gezielt die Schwächen der FTR 1200 anvisiert hat, fällt an einer anderen Stelle deutlicher auf: Die Amerikaner geben einen Teil des ursprünglichen Konzepts auf, um es für das Einsatzgebiet Landstraße ganz rational zu verbessern. Die Rede ist von den Radgrößen. Mit 19 Zoll vorn und 18 hinten stand die FTR bislang vor dem Problem, dass es in diesen Dimensionen keine "richtigen" Sportreifen gibt, und da der Dunlop-DT-3-R-Serienpneu unglücklich gewählt war (besonders bei Nässe kam er schnell an seine Grenzen), musste beim ersten Reifenwechsel zwangsläufig ins Reiseenduro-Regal gegriffen werden. Kein existenzielles Problem, denn diese Gummis können beinahe alles – auch sportlich. Aber sie bilden doch immer den Kompromiss, taugen auch für den Schotterweg, den man wohl nie befahren wird. So auch der für den Test montierte Michelin Anakee Adventure, optisch ähnlich radikal wie der Serienreifen. Er verhilft der Dauertest-FTR aber in allen Belangen – außer vielleicht beim Driften – zu besserem Fahrverhalten. Leichte Vibrationen und markante Abrollgeräusche verursacht die grobe Profilierung trotzdem, davon abgesehen zirkelt die FTR Jahrgang 2019 aber ruhig und unaufgeregt auf den Michelins um die Kurven. Sehr handlich fällt sie über die dünnen Laufflächen in Schräglage, setzt über den breiten Lenker eingeleitete Impulse willig um. Je höher die Geschwindigkeit, desto härter musst du aber am Lenker zerren, dann machen sich die Kreiselkräfte der großen Räder bemerkbar. In Wechselkurven müssen die 237 Kilos außerdem erst mal wieder hochgestemmt werden, um dann erneut abtauchen zu können.
Völlig anders das Gefühl auf der neuen FTR. Sie rollt (endlich) auf Naked-Bike-üblichen 17-Zöllern an den Start, die von High-Performance-Gummis, Metzelers M9 RR, umhüllt sind. Indians Ansage ist damit klar: "Ihr wollt Sportreifen? Da habt ihr sie!" Der 180er-Hypersport-Hinterreifen hält der urgewaltigen Power des 1200ers tapfer stand, fordert die von einer Sechs-Achsen-IMU überwachte Traktionskontrolle nur ganz selten. Im Standard-Modus kappt die Elektronik beim Beschleunigen in Schräglage das Drehmoment, lange bevor der Metzeler an die Haftgrenze gelangt. "Sport" lässt nur theoretisch auch mal einen kurzen Slide zu.
Geometrie automatisch sportlicher
Die Kombination von 17-Zöllern mit um 30 Millimeter gekürzten Federwegen und einem schmaleren Lenker ergibt ein völlig neues Fahrgefühl. Das Feeling fürs Vorderrad wird direkter, die Position insgesamt aktiver. Und durch die neuen Raddimensionen verändert sich die Geometrie automatisch in Richtung sportlich. Zum Beispiel wird der Lenkkopfwinkel um ein Grad steiler, der Nachlauf sogar um ganze 30 Millimeter kürzer. Die FTR klappt damit im ersten Moment nicht mehr ganz so easy ab, lässt sich aber viel präziser durch die Kurve dirigieren und vor allem schneller von einer auf die andere Seite werfen. Schräglagenfreiheit ist nach wie vor kein Thema, und je schneller die Gangart, desto klarer die Verbesserung. Ein Performance-Naked-Bike wird damit natürlich nicht aus der Indian FTR 1200. Will sie aber auch nicht sein. 235 Kilo vollgetankt lassen sich nicht leugnen, und die voll einstellbaren Sachs-ZF-Federelemente sind wie gewohnt soft abgestimmt, wollen dazu bei niedrigen Temperaturen nicht gerade sensibel ansprechen. Trotz ganz neuen Fahrgefühls setzt Indian in Summe auf Evolution statt Revolution.
Gut so, eine FTR 1200 als glattgebügeltes Motorrad ohne Ecken und Kanten wollen allerhöchstens emotionslose Testredakteure. Sie würden auch anführen, dass sich die Bremswirkung der Brembo-Anlage immer noch erst bei hartem Zupacken voll entfaltet und die Dosierbarkeit darunter leidet. Oder dass man mehrere Minuten einplanen muss, um den 13-Liter-Tank randvoll zu bekommen. Lass sie meckern, liebe FTR. Spätestens beim Dreh am Gasgriff hast du ihr Herz wieder.
Fazit
Mit Trick 17 klappt’s. Die FTR 1200 fährt auf 17-Zoll-Rädern und Premium-Reifen deutlich harmonischer als bisher und bietet nebenbei ein ganz neues, erfrischendes Fahrgefühl. Die eigenständige Flat-Track-Cruiser-Naked-Bike-Identität behält sie aber auch 2021. Indian nutzt die Umstellung auf Euro 5 außerdem dazu, das Mapping auf ein gutes Niveau zu bringen und dem Konstantfahrrucken beizukommen. In Summe eine erfolgreiche Evolution. So geht Modellpflege.