Kawasaki Z 900 RS und BMW R nineT im Vergleichstest
Duell der Retro-Bikes

Nach Choppern und Cruisern pfeift auch die Retro-Abteilung auf höher, schneller, weiter. Reicht es, einfach nur alt auszusehen? Die BMW R nineT und die neue Kawasaki Z 900 RS beweisen das Gegenteil. Welches Retro-Bike hat im Vergleichstest die Nase vorn?

Duell der Retro-Bikes
Foto: markus-jahn.com

Cruiser tun es, Chopper tun es und mittlerweile auch Retro-Bikes. Sie lassen die Ansprüche von höher, schneller, weiter an sich herabgleiten wie eine Teflonpfanne das Spie­gelei. Während bei Supersportlern jeder Quadratmillimeter im Zylinderkopf hochglanzpoliert wird oder Reiseenduros den multifunktionalen Bogen zwischen Mondlandefähre und Unterseeboot spannen wollen, lehnen sich die Langgabler und Puristen einfach entspannt zurück und rufen: Ohne mich. Schon seit geraumer Zeit schnalzt auch die Retro-Abteilung mit ihren ima­ginären Hosenträgern und verabschiedet sich lächelnd von der Leistungsgesellschaft. Wer auf alt macht, ist vom Druck befreit. Wen interessierte es schon, wie viel Kilometer pro Stunde der Guzzi V7 oder den Bonnevilles und Thruxtons von Triumph in der Applauskurve fehlten?

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BMW R nineT erfolgreichstes Retro-Bike

Es scheint ein Gegentrend auf Rädern zu sein. Der illustre Kreis der Gute-alte-Zeiten-Bikes wächst nämlich seit Jahren beständig. Mittlerweile schwappt die Nostalgiewelle mit voller Brandung. Auf die Retro-Dampflok sprangen bis dato neun Hersteller mit insgesamt 22 Modellen auf. Im Jahr 2017 verkauften sich hierzulande insgesamt 11.000 Klassik-Bikes, jede neunte Neu-Maschine! Doch im Revier des bislang so unbeschwert be­dingungslosen Grundauskommens von Mensch und Retro-Maschine tut sich etwas. Von Anfang an ging die BMW R nineT einen eigenen, sehr erfolgreichen Weg. Vielleicht, weil sie von Beginn an gar keine Anleihen an konkreten historischen Vorbildern nahm, mit Upside-down-Gabel und dem gar nicht so alten luftgekühlten Vierventil-Boxer ziemlich aktuelle Technik in ein grau meliertes Ambiente hüllte. Nicht zuletzt dieser Ansatz dürfte der Bajuwarin ihren Erfolg beschert haben. Mag ihre gelungene Optik sicher auch eine wichtige Rolle spielen, letztlich trumpft die nineT aber auch technisch auf. In Sachen Fahrdynamik lässt sie die Neosenioren-Konkurrenz noch älter aussehen. Und nicht zuletzt deshalb wohl auch im Verkaufsraum: Ein Drittel ­aller Retro-Fans greift zur nineT oder einer ihrer Schwestern (Pure, Urban G/S, Racer).

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Von 0 auf 100 km/h stehen bei der BMW 3,3 Sekunden, bei der Kawasaki 3,5.

Der Erfolg ist auch für den Retro-Neustart von Kawasaki vorprogrammiert. 1.700 Stück von der Kawasaki Z 900 RS und noch einmal 350 von deren Café Racer-Derivat wollen die Japaner in Deutschland im Premierenjahr verkaufen. Diese Zahlen würden für einen Top-Ten-Platz in den Verkaufscharts reichen. Auch die neue Alte setzt unter ihrer ehrwürdigen Z1-Hülle auf moderne Technik. Deshalb: Willkommen zurück! Welcome im Reich der Beschleunigung, des Durchzugs, der Lenkpräzision, des ABS-Regelverhaltens – und der 1000-Punkte-Wertung. Ganz unbedarft gehen die beiden nicht ins Rennen. Die BMW R nineT musste sich bereits im Jahr 2014 von MOTORRAD auszählen lassen, die Kawa kämpfte erst vor Kurzem (MOTORRAD 3/2018) um Punkte, ließ im Vergleich die Honda CB 1100 RS und Yamaha XSR 900 hinter sich. Was bleibt also? Nicht weniger als der finale Showdown in der Masters-Kategorie.

Sound der BMW wuchtiger

Wuchtig posaunt die BMW R nineT ihren Boxersound hinaus, lässt bereits erahnen, was akustisch angesagt ist, wenn bei höherer Drehzahl die Auspuffklappe auf Durchlass schaltet. Von Grundsatzdiskussionen, Stichwort „Laut ist out“, wollen wir zwar absehen, doch subjektiv grenzwertig offenmaschig ist der Klangteppich des Flat Twin auf alle Fälle. Die Kawasaki Z 900 RS bleibt in dieser Beziehung moderater. Zwar bläst sie im Drehzahlkeller geradewegs aus ihrem hochglanzpolierten Schalldämpfer, leitet ihre Abgase bei höheren Touren aber brav durch den Vorschalldämpfer. In beiden Fahrsituationen bleibt ihr Ton kehlig-rau, aber herzlich – und leiser als bei der BMW.

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Auffallend leichtes Lenkverhalten begeistert bei der Kawasaki.

Die bereits beim ersten kurzen Gasstoß an ihre Vergangenheit erinnert. Deutlich fühlbar neigt sich die BMW R nineT nach rechts. Aha, alter Boxer. Mit mehr Schwungmasse ausgestattet als sein spritziger Nachfolger. Und die Kawasaki Z 900 RS? Kribbelt sacht in den Lenkerenden. Kein vierzylindertypisches, erst auf die Dauer wahrgenommenes Schmirgelpapier-Kribbeln, sondern ein Lebenszeichen, das die Techniker mit einer nicht vollständig auswuchtenden Ausgleichswelle bewusst inszenierten. Gleich die Kampflinie ansteuern? Nein, erst mal einfühlen. Denn wieder geben sich die beiden grundverschieden. Relativ tief greift man zum Lenker der BMW nach unten, dünn spannt sich das Polster über die Sitzbank. Unwillkürlich macht sich das Gefühl breit, auf einem der angesagten Custom-Roadster zu sitzen, mit FUEL statt für MOTORRAD unterwegs zu sein. Passt schon, schließlich soll die R nineT genau dieses Feeling vermitteln.

Sitzposition auf der Kawa entspannter

Und die Kawasaki Z 900 RS wohl das, worauf die Z1-Treiber im Jahr 1971 standen. Hoher Lenker, tiefe und ziemlich weit vorn platzierte Fußrasten, flacher Tank, wenig konturierte, aber plüschige Sitzbank. Punktlandung beim Spirit der 70er-Jahre. Die ganz spezielle Ergonomie der beiden grenzt beim ­Piloten an Gehirnwäsche. Es ist unmöglich, diese irrationalen Aspekte zu verdrängen. Wir wollten doch nüchtern punkten? Okay. Es sitzt sich entspannter und mit offenerem Kniewinkel auf der Z. Pluspunkte. Und katastrophal auf dem Beifahrersitz der BMW R nineT. Viele Minuspunkte.

Allmählich kommen wir in Juroren-Stimmung – und die Straße in Partylaune. Rechts, links, rechts windet sich die Asphaltbahn durch den südfranzösischen Pinienwald. Bevor wir abschweifen, ein paar Fakten. Dass die Kawa-Geschichtsforscher bei der Konzeption der Kawasaki Z 900 RS gewaltig Hand an die Basis-Z-900 angelegt haben, dürfte Retro-Freaks bekannt sein. Nur noch mal im Schnelldurchgang: Nockenwellen mit zahmeren Steuerzeiten, geringere Verdichtung, mehr Schwungmasse, 20 PS ­reduzierte Spitzenleistung, Anti-Hopping-Kupplung, geänderte Getriebeübersetzung – all das wurde dem mit neuem Zylinder- und Gehäusedesign versehenen Motor spendiert. Voll einstellbare Gabel, längerer Radstand, Radialbremsen sowie eine höhere Front und ein tieferes Heck verpasste man dem Fahrwerk. Und natürlich das i-Tüpfelchen: Tank und Heckbürzel im legendären Z1-Design. Macht in Summe ein fast neues Bike – allerdings zum ­Tarif von rund 12.000 Euro, also knapp 3.000 Euro Aufpreis zur Basis-900er.

R nineT ist deutlich teurer

Bevor wir die nächsten Schwünge noch etwas schräger nehmen, reicht’s noch für die Neuigkeiten an der BMW R nineT. Denn fast ­unbemerkt schärften die Bayern die mit gut 16.000 Euro ganz schön teure ­nineT bereits im vergangenen Jahr nach. Brems- und Kupplungsarmaturen stammen nun von Nissin statt Magura. Ein immerhin 1,3 Grad flacherer Lenkkopfwinkel sowie der elf Millimeter längere Radstand und der um fünf Millimeter größere Nachlauf sollen offensichtlich etwas mehr Ruhe ins agile Fahrwerk bringen. Genauso wie die neue Gabel. Die stammt aus dem Superbike S 1000 RR, wurde mit weicheren Federn (8,0 statt 9,5 N/mm) und weniger Dämpfung dem moderateren Einsatzzweck angepasst. Was heißt hier moderat? Für den Blick auf die neu gestalteten Instrumente reicht’s kaum noch. Jetzt geht’s wirklich um Punkte.

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Die Kawa ist knapp 3.000 Euro günstiger.

Toll, wie lässig sich das Duo in Schräglage klappen lässt. Dass die Gewichtsdifferenz (BMW R nineT 222 kg, Kawasaki Z 900 RS 216 kg) wirklich spürbar ist, mag niemand beschwören. Eher sorgt das auffallend leichte Lenkverhalten der Kawa für Begeisterung. Ein Gutteil des Lobs geht wohl aufs Konto des neu entwickelten Dunlop GPR 300. Ob schnelle Bögen oder enge Ecken – immer bleibt die Z mit dem neuen Pneu neutral auf Kurs, er grippt gut, stellt sich beim Bremsen in Schräglage nur minimal auf und gefällt letztlich auf ganzer Linie. Die allerletzte Rille wird trotzdem ungenutzt bleiben. In Linkskurven ritzt der Seitenständer recht früh eine Schramme in den Asphalt, rechtsherum kratzt der Vorschalldämpfer über die Straße. Für den beschwingten Strich reicht der Winkel bis zum Touchdown aber allemal.

Und die nun etwas länger gestreckte BMW?

Fährt sich ohne den direkten Vergleich zur Vorgänger-Version wie bisher. Was durchaus ein Lob ist. Präzise und sportiv zieht die Bayerin auf den Metzeler Z 8 ihre Linie, lässt sich deutlich tiefer als die Kawasaki Z 900 RS abwinkeln, profitiert in den Ecken vom durch den flacheren Lenker generierten Druck auf dem ­Vorderrad und gibt sich nur beim Handling etwas ungelenker. Ob die souveräne BMW R nineT tatsächlich ihren Lenkungsdämpfer braucht? Man mag’s bezweifeln. Beim Bremsen sollte sich der nineT-Treiber ein feinfühliges Händchen bewahren. Denn die Beläge beißen heftig in die Scheiben. Hilfreich für den Bremsweg in der Not, im Alltag wäre mehr Nachsicht angenehmer. So wie bei der Kawa. Gefühlsechter Druckpunkt, progressive Bremskraft – die neuen Radialbremsen vermitteln ein gutes Gefühl. Pluspunkte. So wie bei der Federung. Herrlich, wie die voll einstellbare Gabel jede Asphaltrunzel aufsaugt, der Monoshock hinten zwar straff, aber immer noch ordentlich federt. Da mag die neue Gabel der BMW nun sämiger dämpfen, an den Komfort der Japanerin kommt die nineT vor allem durch das nach wie vor stramme Heck nicht ran. Minuspunkte.

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Kombi an der Kawasaki: Rundinstrumente mit Chromringen kreisen die Digitalwelt ein.

Ja und? Der Boxer meldet sich zu Wort. Selbstbewusst schiebt der klang- und charakterstarke 1170er-Flat-Twin an, schüttelt sich im Drehzahlkeller ein wenig, um dann loszuspurten. Das wohlige Wummern, der Druck in der Drehzahlmitte und die Luftkühlung passen so perfekt zum sportlich angehauchten Retro-Konzept wie der Pastis zum französischen Abendessen. Dass die BMW R nineT die Kawasaki Z 900 RS zudem noch ausbeschleunigt, mag erfreuen, bleibt im stimmigen Arrangement eher ein angenehmer Nebeneffekt. Ganz viele Pluspunkte.

Retro-Szene hat eine neue Chefin

Trotzdem begeistert der Motor der Z 900 RS. Bereits ab 1.500/min bringt der Frühaufsteher Zug auf die Kette, lässt sich dadurch so typisch schaltfaul wie fast alle seine Reihenvierer-Kollegen fahren. Dass ihm zugunsten etwas fülligerer Drehzahlmitte oben raus 20 PS auf die Standard-Z-900 fehlen, stört selten. Eigentlich nie. Dominant schiebt sich das grobkörnige Kribbeln in den Lenkerenden im geschichtsträchtigen Umfeld in den Vordergrund. Damit überspielt es sogar die superleichtgängige Kupplung, die präzise ­Schaltung und das so erfreulich unkom­plizierte Wesen des Vierers. Minuspunkte? Vergibt man deshalb nicht gern. Höchstens für das mit 3.000/min übertrieben hohe Standgasniveau in der zudem außergewöhnlich lange dauernden Warmlaufphase. Müssen wir jetzt noch Gepäck verzurren, den Verbrauch bestimmen, den Durchzug messen? Ja. Nicht nur, weil es die 1.000-Punkte-Wertung so will. Sondern weil diese beiden auch ohne die verklärenden Nebelschwaden netter Worte überzeugen. Wer auf alt macht, muss sich eben doch nicht bei allem raushalten. Darf bewertet und gemessen werden. Was ­unterm Strich auch ein überraschendes ­Ergebnis zutage fördert. Die Retro-Szene hat eine neue Chefin: die Kawasaki Z 900 RS. 679 Punkte. Gratulation.

MOTORRAD-Testergebnis

Kawasaki Z 900 RS

Allein die sensible Gabel und die kräftigen Bremsen werten die Klassik-Variante der Z 900 spürbar auf. Die geglückte 70er-Jahre-Optik liefert Kawasaki Z 900 RS einfach dazu. Ein Knicks vor der neuen Königin der Retro-Bikes.

BMW R nineT

Das puristische Konzept ist ein Erfolgsfaktor. Doch die relativ straffe Federung, die bissige Bremse und die magere Ausstattung kosten die BMW R nineT viele Punkte. Trotzdem: Der luftgekühlte Boxer bleibt eine Wucht.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023