Mit viel Respekt fuhren die Journalisten zur Präsentation ins spanische Marbella. Doch: Surprise, Surprise, die KTM 1290 Super Duke R spuckt gar nicht Gift und Galle.
Mit viel Respekt fuhren die Journalisten zur Präsentation ins spanische Marbella. Doch: Surprise, Surprise, die KTM 1290 Super Duke R spuckt gar nicht Gift und Galle.
„Es gibt keine Konkurrenz!“ Markige Worte, aber man muss KTM-Pressemann Thomas Kuttruf recht geben. 180 PS, 144 Nm, 204 Kilogramm inklusive Sprit – das sind zweifelsohne Werte, die es in dieser Kombination nie gab. Und welche die bisherige Super Duke, die ja auch schon ziemlich biestig sein konnte, plötzlich wie ein zahmes Lämmchen erscheinen lassen. Doch nun wird die KTM 1290 Super Duke R von der Kette lassen. Die übernimmt mit ihrem bulligen, hochaufbauenden Tank zwar die typische Linienführung der Duke-Reihe, hat technisch aber praktisch gar nichts mehr mit dem alten Modell zu tun. Der Antrieb stammt im Grundsatz aus der RC8 R, wurde aufgeblasen, optimiert und verfeinert.
Das Chassis der KTM 1290 Super Duke R basiert auf dem KTM-typischen Gitterrohrrahmen, erstmals bei den Österreichern führt eine Einarmschwinge das Hinterrad. Das hält die Maschine durch den sich eng anschmiegenden Endschalldämpfer schmal. Unterm Motor winden sich die Krümmer kunstvoll in den Vorschalldämpfer. Dank ausreichenden Volumens konnte man sich Tricksereien mit Auspuffklappen sparen. Und selbstverständlich ist aktuelle Bosch-Elektronik inklusive Schräglagensensorik (jedoch ohne Kurven-ABS) an Bord, um die Urgewalt irgendwie im Zaum zu halten. Das ABS kann auf Supermoto-Modus umgeschaltet werden, dann greift es nur vorn ein und erlaubt lustige Spielereien mit dem Hinterrad. Speziell abgestimmte Dunlop-Pneus vom Typ Sportsmart 2 runden das Paket ab. Eingepackt und verhüllt wird die Technik von KTM-Hausdesigner Gerald Kiska mit typisch kantiger Handschrift.
Alles prinzipiell nichts Sensationelles – wären da nicht diese Eckdaten, die selbst abgebrühte Tester in Ehrfurcht erstarren lassen. Wie kann man ein Motorrad unter Kontrolle behalten, das solch aggressive Hooligan-Maschinen wie Aprilia Tuono oder Ducati Streetfighter zu wehrlosen Opfern degradieren möchte? Das zu erleben, hat KTM sich einen prickelnden Rundkurs für die KTM 1290 Super Duke R ausgedacht, von Marbella ausgehend nach Ronda und über kleinste Bergsträßchen wieder zurück.
Ergonomisch fühlt sich die KTM 1290 Super Duke R schon mal ganz hervorragend an: äußerst schlank gebaut, Fußrasten und Sitz passen perfekt für große wie kleine Fahrer, der sich hoch vor dem Körper aufbauende Tank stört in keiner Weise. Lenker und Armaturen lassen sich schnell auf persönliche Wünsche einstellen. Alle Bedienungselemente brauchen wenig Kraft, alles funktioniert völlig easy – zumindest im Stand.
Nun kommt der Augenblick der Wahrheit, der Druck auf den Starterknopf bildet das Startsignal. Nicht übermäßig laut, doch mit tiefbassiger, kraftvoller Stimme bollert der 1,3-Liter-Zweizylinder los. Was auffällt: Die Leerlaufdrehzahl ist mit über 1000/min nicht besonders niedrig, was angesichts der minimierten Schwungmassen nicht verwundert. Wer genau hinhört, erkennt, dass jede einzelne Verbrennung sauber und gleichmäßig kommt. Ein Hinweis auf ausgeklügelte thermodynamische Verhältnisse und ein gelungenes Mapping bei der KTM 1290 Super Duke R.
Kupplung und Getriebe der KTM 1290 Super Duke R arbeiten auf den ersten Metern in nahezu perfekter Weise: leicht, exakt und geräuschlos. Gehen wir die Sache zunächst defensiv mit gebotener Zurückhaltung an. Also auf dem blank polierten, spiegelnden Asphalt in Marbella den Gasgriff zunächst nur streicheln, man möchte ja nicht schon im ersten Kreisverkehr quer stehen. Butterweich setzt der V2 trotz riesiger 108er-Kolben ein, lässt sich höchst sensibel kontrollieren und geht mit schier unglaublicher Geschmeidigkeit zu Werke. Schon knapp über Standgas, so etwa ab 2000/min, läuft er rund, wir blubbern verhalten mit kaum mehr als 3000/min durch die Stadt.
Noch einmal zum Mitschreiben: Dieser Motor hat zwei gewaltige Töpfe mit 650 cm³ Einzelhubraum und liefert daraus jeweils 90 Euro-3- und alltagstaugliche PS. Da ahnt man, was bei den KTM-Einzylindern wohl noch ginge. KTM hievt die Laufkultur auf ein für solche Hochleistungs-V2-Motoren bisher nicht vorstellbares Niveau. Möglich machen das einerseits Technologiesprünge, etwa das E-Gas mit elektronisch kontrollierter Drosselklappe oder die Doppelzündung mit getrenntem Mapping für jede Zündkerze, andererseits viel Know-how bei der Auslegung der Hardware und akribische Feinarbeit bei der Abstimmung.
Doch nun wollen wir endlich die Kraft dieses Mega-Twins spüren, denn außerhalb der Stadt werden die Straßen griffiger und die Kurven flüssiger. Dieses wunderschön in den kargen Fels gemeißelte Asphaltband zwischen Marbella und Ronda ist für jeden Motorradfahrer ein unvergleichliches Erlebnis, für den KTM-Hammer ein rauschhafte Zustände versprechendes Testfeld. Also den dritten Gang selektiert und dann das Gas sukzessive weiter aufwickeln. Richtig wohl fühlt sich der Kurzhub-V2 zwischen 3000 und 7000/min. Da vibriert er fast gar nicht, entwickelt bereits Bärenkräfte und drückt mit Macht aus den Kurven. Bei aller Explosivität versperrt einem keineswegs das Vorderrad der KTM 1290 Super Duke R ständig die Sicht. So kann man diesen einzigartigen Schub mit allen Fasern seines Körpers aufsaugen – und hat das Gas gerade einmal halb aufgedreht.
Mit dem Vertrauen wächst allmählich der Mut. Also nun mal ernsthaft durchladen. Was dann abgeht, setzt eine spontane Adrenalin-Beflutung in Gang. Die KTM 1290 Super Duke R fährt ihre Krallen aus, der Fahrer wird blass um die Nase. Der bedauernswerte Dunlop winselt mit schwarzen Strichen um Gnade. Selber spürt man das kaum, darf aber permanent künstlerisch wertvolle Asphaltradierungen der Vorderleute bestaunen. Der gute Grip der Pneus, die aus langer Schwinge und ausgewogener Balance resultierende Traktion und die gleichmäßige Motorcharakteristik verhindern allzu wilde Drifts und unkontrollierbare Gewaltausbrüche.
Wozu sicher auch eine ganz unauffällig, aber im Hintergrund fleißig regelnde Traktionskontrolle beiträgt. Das merkt man daran, dass nach dem Abschalten elektronischer Helfer der Motor unter vollem Schub noch bissiger zupackt, als ob jetzt mehr Leistung freigegeben würde. Im immer noch sensibel kontrollierbaren Sport-Modus erlaubt die Elektronik ansehnliche Wheelies. Auch im dritten Gang, der übrigens seit mindestens 30 Kilometern drin ist. Nie wieder schalten – da ist die KTM 1290 Super Duke R nah dran. Wahrscheinlich wäre hier auch alles im Vierten möglich, diesem Drehmoment-Monster ist ohnehin alles egal.
Ähnlich kooperativ wie der Motor funktioniert auch das Fahrwerk. Die KTM 1290 Super Duke R ist gottlob kein gestrippter Supersportler, sondern von Grund auf als Power-Naked konzipiert. Das bedeutet eine moderate Geometrie mit nicht zu kurzem Nachlauf, die ein rundes, stabiles Fahrverhalten bewirkt. Neutral und direkt, nie nervös und hektisch. Dunlop konstruierte dafür einen Vorderreifen mit geringem Aufstellmoment, sodass sich eine verpeilte Linie in einer hundsgemein sich zuziehenden Kurve gewaltfrei korrigieren lässt. Selbst überraschende Notbremsmanöver in beachtlicher Schräglage katapultieren einen nicht gleich in die unappetitlich ausschauenden Felswände.
Komplettiert wird das Paket durch hochwertige WP-Federelemente mit breitem Einstellbereich. Wobei klar sein dürfte, dass engagierte Piloten bei solch einem Kraftpaket keine lasche Fahrwerkseinstellung fahren können, was leichte, aber tolerable Abstriche bei Komfort und Ansprechverhalten mit sich bringt. Möglicherweise hätte ein progressiveres Hebelsystem hinten mehr Spielraum gebracht.
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Kommen wir von solchen Verdachtsmomenten zu den gravierenden Schwächen der KTM 1290 Super Duke R, etwa zum sitzend schwer zu ertastenden Seitenständer. Oder zum beim Kuppeln häufig ungewollt betätigten Lichtschalter. Und schließlich zur provisorisch wirkenden, sich schon nach zwei Stunden ablösenden Schutzfolie auf dem Schwingarm. Der Leser merkt, die Liste wirkt bemüht. Ärgerlich ist, dass die persönliche Einstellung der Assistenzsysteme nach jedem Starten umständlich neu programmiert werden muss. Aber da soll es bald einen Blindstecker geben, der das verhindert.
Man munkelt, erste Prototypen der KTM 1290 Super Duke R seien beängstigende, gemeingefährliche Monstermaschinen gewesen, die man so nicht auf die Menschheit hätte loslassen können. Kaum zu glauben, was die KTM-Techniker daraus in der Serie gemacht haben: kein Kuscheltier, aber eben auch kein unberechenbares Biest. Ein ultrastarkes, trotzdem kultiviertes Power-Naked-Bike. Das verdient höchsten Respekt.
Die Basis des mächtigen 1,3-Liter-Motors ist der 75-Grad-V2, der 2008 mit 1148 cm³ Hubraum in der RC8 debütierte. 2010 bekam er in der RC8 R dann 1195 cm³ Hubraum und Doppelzündung und leistete nominell 175 PS. 2013 wurde ein gezähmter Ableger für die 150 PS starke Reiseenduro 1190 Adventure entwickelt. Für die KTM 1290 Super Duke R wurde noch einmal kräftig Hand angelegt. Ein von 105 auf 108 Millimeter angewachsener, trotzdem 50 Gramm leichterer Kolben vergrößert den Hubraum in Kombination mit zwei Millimetern Hubverlängerung auf 1301 cm³. Kleinere Ansaugkanäle sollen im Teillastbereich mehr Laufkultur bringen und den Drehmomentgipfel in tiefere Regionen schieben. Vergrößert wurden hingegen die Drosselklappen, die von 54 auf 56 Millimeter anwuchsen.
Neu ist gegenüber dem System mit doppelten Drosselklappen der RC8 das echte E-Gas, das die einzelnen Klappen per Stellmotor betätigt. Der Gasgriff liefert die Steuersignale. Das eröffnet unendliche Möglichkeiten in der Abstimmung.
Das „Übersetzungsverhältnis“ zwischen Gasgriff und Drosselklappe kann beliebig variiert werden, zudem ist ein unterschiedliches Ansprechverhalten in verschiedenen Modi möglich. Auch schließen die Drosselklappen immer etwas weicher, selbst wenn man das Gas brutal zudreht. Bei niedrigsten Drehzahlen öffnen sie selbst bei Vollgas nicht voll, erst dadurch erreicht dieser Hochleistungsballermann schon ab Standgas diese überragende Laufkultur.
Motor
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-75-Grad-V-Motor, je zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile, Tassenstößel, Trockensumpfschmierung, Einspritzung, Ø 56 mm, geregelter Katalysator, Batterie 12 V/11 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping), Sechsganggetriebe, X-Ring-Kette.
Bohrung x Hub: 108,0 x 71,0 mm
Hubraum: 1301 cm³
Verdichtungsverhältnis: 13,2:1
Nennleistung: 132,0 kW (180 PS) bei 8870/min
Max. Drehmoment: 144 Nm bei 6500/min
Fahrwerk
Gitterrohrrahmen aus Stahl, Motor mittragend, Upside-down-Gabel, Ø 48 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Lenkungsdämpfer, Einarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein, direkt angelenkt, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 240 mm, Zweikolben-Festsattel, ABS, Traktionskontrolle.
Alu-Gussräder: 3.50 x 17; 6.00 x 17
Reifen: 120/70 ZR 17; 190/55 ZR 17
Maße und Gewichte
Radstand 1482 mm, Lenkkopfwinkel 65,1 Grad, Nachlauf 107 mm, Federweg vorne/hinten 125/ 156 mm, Sitzhöhe 835 mm, Trockengewicht 189 kg, Tankinhalt/Reserve 18,0/3,5 Liter.
Garantie: zwei Jahre
Serviceintervalle: alle 15000 km
Farbe: Orange
Preis: 15.495 Euro
Den Zusatz „R“ trägt die KTM 1290 Super Duke R auch deswegen, weil in ihr Racing-Gene schlummern, die mit wenigen Umbauten oder Handgriffen zur Entfaltung kommen. Auf Rennstrecken – vornehmlich auf nicht gar so schnellen, enger verwinkelten –kann sie selbst Angriffe engagierter Stummellenker-Racer kontern. Das dokumentierte der ehemalige GP-Star Jeremy McWilliams in einschlägigen Videos mit wilden Drifts auf überzeugende Weise.
Etwas moderater agierende Journalisten konnten sich davon auf der kniffligen Piste im Ascari Race Resort in Ronda einen Eindruck verschaffen. Dazu hatte KTM einige Maschinen mit Zubehör aus dem Power-Parts-Sortiment aufgepäppelt. Auch hier begeistert in erster Linie der brutale Schub in der Beschleunigungsphase – da wird kaum ein Superbike folgen können. Schön, dass man sich auf die Traktionskontrolle verlassen kann, man braucht sie. Die straffer abgestimmten WP-Racing-Federelemente, Slicks und ein etwas höher eingestelltes Heck sorgen für eine aggressivere Abstimmung mit mehr Druck auf dem Vorderrad. Die Stabilität ist bis zu den hier erreichbaren 250 km/h tadellos. Sicher ist ein echtes Racebike noch einen Tick handlicher und liefert durch die gebückte Sitzposition und eine extremere Geometrie im Grenzbereich mehr Feedback vom Vorderrad, aber für ein Naked Bike fährt sich die KTM 1290 Super Duke R sensationell leicht und handlich. Überholen wird ohnehin schwierig: Die Druckwellen der brüllenden Akrapovic-Anlage machen aus Windschatten kräftigen Gegenwind.