Ihr Stapellauf ist längst geglückt. Jedoch anders, als es sich der deutsche Importeur gewünscht hätte: Die GSX 1200 lief sozusagen im falschen Hafen aus. In Japan schon seit Frühjahr 1995 auf dem Markt, brachten ausgerechnet »Graue« den größten Banditen nach Deutschland - nicht ohne Erfolg. Der drehmomentstarke, luft-/ölgekühlte Motor der GSF 1200 - bereits bekannt aus GSX-R 1100 und GSX 1100 G - hinterließ beim ersten Test in MOTORRAD 11/1995 einen bärenstarken Eindruck.
Allerdings blieb der mahnende Zeigefinger des Importeurs nicht aus, daß das für Deutschland homologierte Modell, das 1996 kommen werde, fahrwerkstechnisch und überhaupt ganz anders sei.
Ganz so anders ist die Offizielle aber gar nicht. Auf den ersten Blick machen nur die schwarz lackierten statt polierten Seitendeckel am Motor, die fehlenden Zierblenden am Ölkühler und die am Heck montierten Haltegriffe darauf aufmerksam, daß es sich um eine andere Bandit 1200 handeln muß. Bestenfalls fallen noch der geänderte Kettenspanner an der Schwinge und der elektronische Drosselklappensensor an der Mikuni-Gemischfabrik auf.
Weitere Änderungen entziehen sich den Augen des Betrachters: die stärkere Rohrwandung des Doppelschleifenrahmens, die modifizierte Motoraufhängung, die noch weniger Vibrationen ins Fahrwerk überträgt, und die geänderte Dämpferabstimmung von Telegabel und Zentralfederbein, die den hohen Anforderungen des deutschen Marktes an Fahrstabilität auch in höheren Geschwindigkeitsbereichen gerecht werden soll.
Schön und gut. Doch schlecht abgestimmt erschien den MOTORRAD-Testern die Japan-Ausführung keineswegs. Tadelloser Geradeauslauf bis 180 km/h - schneller lief die durch einen Speed-Limiter begrenzte Bandit nicht - verbunden mit einer für dieses Gewicht und diesen Hubraum ungewohnten Handlichkeit - was will man bei einem unverkleideten Motorrad mehr? Die deutsche Ausführung erscheint noch einen Tick fahrstabiler und bleibt es auch bis zur unbeschränkten Höchstgeschwindigkeit von 205 km/h. Ob es sich wirklich um einen spürbaren Unterschied handelt, bedürfte es eines direkten Vergleichs. Spürbar ausgewogener erscheint indes die Federungsabstimmung. Straff, aber nicht unkomfortabel hält das Bandit-Fahrwerk auch auf holperigem Asphalt in Schräglage die Spur. Bei kräftigem Zugriff fein dosierbar und ausgesprochen wirkungsvoll, verdient die vordere Doppelscheiben-Bremsanlage das Prädikat »narrensicher«.
Nicht so der Motor. Seine ungezügelte Leistungscharakteristik war bereits beim Japan-Modell mit Vorsicht zu genießen. Die für Deutschland homologierte 98-PS-Variante hat die unbändige Kraft des luft-/ölgekühlten Reihenvierzylinders nicht zügeln können. Oder nicht wollen? Noch immer heißt die Devise jedenfalls: Vorsicht beim Gasaufziehen! Besonders in den unteren Gängen verliert das Vorderrad der schweren Bandit bei heftigem Gasstoß erschreckend schnell Bodenkontakt und wird selbst im zweiten und dritten Gang noch noch spürbar leicht.
Die brutal füllige Drehmomentkurve macht Beschleunigungsorgien zu einem heiklen Balanceact zwischen atemraubendem Vortrieb und rückwärtigem Abwurf. Schwieriger wird's vor allem, wenn eine zweite Person mitfährt. Die kann sich bestenfalls darüber freuen, daß die Sitzposition kommod und die Fußrasten dem Beschleunigungstrieb der Bandit angemessen weit hinten positioniert sind. Eine Vmax im Schafspelz also, der man äußerlich kaum ansieht, welche Kräfte in ihr schlummern.
Dennoch kommt die deutsche Ausführung an die bei der Japan-Version gemessenen, atemberaubenden Beschleunigungs- und Durchzugswerte nicht heran, obwohl die Leistungsmessung auf dem Prüfstand stolze 110 PS ergab. Doch bei kaltem Wetter mit Minusgraden kommt nun mal kein Motorrad auf seine Bestwerte, was die Höchstgeschwindigkeit eindeutig untermauert: Mit 206 km/h bleibt die Bandit weit hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Warm anziehen muß sich auf alle Fälle die Konkurrenz: Denn der Preis der Bandit ist heiß. 14490 Mark nur kostet das Big Bike. Fast eine Sensation. Da frieren bisweilen die Gesichter der Konkurrenten ein.