Zwei Tage Perfektionstraining auf der Nordschleife. Ein Rookie in der "Grünen Hölle". Das Arbeitsgerät: die KTM 1290 Super Duke R. Was bringen Duke und Fahrer zustande?
Zwei Tage Perfektionstraining auf der Nordschleife. Ein Rookie in der "Grünen Hölle". Das Arbeitsgerät: die KTM 1290 Super Duke R. Was bringen Duke und Fahrer zustande?
Sie ist eine Rennstrecke wie keine andere auf der Welt. 20,8 Kilometer, 73 Kurven, nicht wenige davon blind, viele dafür verdammt schnell. Satte 300 Meter Höhenunterschied, wenig nennenswerte Auslaufzonen, stattdessen unbarmherzige Leitplanken und Fangzäune. Große Namen hat sie hervorgebracht. Caracciola, Fangio, Agostini und Reed fuhren hier Ruhm und Ehre ein. Einige hat sie das Leben gekostet. „Fordernd“ und „anspruchsvoll“ sind beschönigende Attribute, mit denen gern die sehr reale Gefahr umschrieben wird, die die Strecke nicht nur im Rennbetrieb in sich birgt.
Für Motorradfahrer ist die Nordschleife daher, abgesehen von den berüchtigten Touristenfahrten, bei denen man sich die Strecke neben schnellen Porsches und M-BMWs auch mal mit Lieferwagen und Reisebussen teilt, nicht mehr zu befahren. Fast, denn zu einer handvoll Events im Jahr öffnet die „Grüne Hölle“ ihre Pforten exklusiv für Zweiräder. Eines davon ist das zweitägige Perfektionstraining des MOTORRAD action teams. Das bietet den passenden Rahmen für einen Testauftrag der ganz besonderen Art.
Wir sind angereist, um herauszufinden, wie sich die KTM 1290 Super Duke R auf dem legendären Rundkurs schlägt. Offiziell. Inoffiziell, nicht weitersagen, wollte ich endlich einmal Nordschleife fahren, einfach so. Da bedarf es eigentlich keiner weiteren Erklärung, jeder Anlass wäre recht. Umso besser, dass die Kombination von Nordschleife und Super Duke R tatsächlich Sinn ergibt. Ein Super-Naked wie die 1290 sollte, „Ready to Race“, auch hier funktionieren. Oder gerade, denn im Grunde genommen ist die Nordschleife mehr abgesperrte Einbahn-Landstraße als konventioneller Rundkurs.
Weil die Strecke aber so fordernd und anspruchsvoll ist, steht vor dem Test des Materials die Prüfung des Fahrers. Will sagen: Um der KTM 1290 Super Duke R richtig auf den Zahn fühlen zu können, will erst mal der nötige Speed gefunden werden. Als Nordschleifen-Neuling hilft mir ein erfahrener Lehrer, mich mit Respekt ans Limit heranzutasten, denn Fahrfehler bestraft die „Grüne Hölle“ gnadenlos. Wer hier wie die Axt im Wald agiert, darf sich nicht wundern, wenn er später mit der Axt aus dem Wald befreit werden muss. Gut, dass MOTORRAD-Toptester Georg Jelicic hier zahllose Runden als Instruktor unter dem Gürtel hat. Schorschi gibt auf seiner Daytona 675 den Nordschleifen-Yoda, ich den jungen Padawan.
Tag 1, Montagmorgen. Nach einer unruhigen Nacht trübt der Blick aus dem Fenster des Hotelzimmers die Vorfreude: Regen, stehendes Wasser. Eifelwetter. Aber das schreckt weder uns noch die anderen Teilnehmer des Trainings, zu groß ist die Ungeduld, endlich fahren zu dürfen. Doch während wir noch bei der technischen Abnahme stehen, häufen sich draußen auf den geführten Runden bereits die Ausrutscher. Einiges an verkratztem, manch verbogenes Material trudelt bei Werner und Werner, dem Mechanikerteam ein. Die Nordschleife stellt gleich und unmissverständlich klar, dass sie ihren Ruf mit Recht trägt. „Wie Schmierseife“ sei der Fahrbahnbelag stellenweise, hört man von der Strecke. Entsprechend behutsam beginnt die erste Runde.
Georg rollt eine saubere Linie vor, es gilt, die Strecke zu lernen. Doch das ist schwieriger als gedacht, denn der Erstkontakt mit dem geweihten Asphalt ist schlicht überwältigend. Antoniusbuche, Schwedenkreuz, Metzgesfeld – Schilder verkünden weltbekannte Streckenabschnitte, die wahlweise Helden oder tragische Figuren schufen. Bergauf geht es und bergab, blinde Kurven, stellenweise hat es etwas Grip, anderswo fast nicht. Die einzige verlässliche Konstante: das Hinterrad der Daytona. Und Leitplanken. Schon jetzt ist klar: Nordschleife, das ist Kopfsache. Zwei Schnupper-Runden schenkt mir die Eifel, bevor mehr Regen und die Bereifung der Triumph ein Weiterfahren erst mal sinnlos machen. Im Fahrerlager steht niemand Geringerer als Helmut Dähne, lebende Rennlegende, TT-Sieger und Halter des ewigen Nordschleifen-Rundenrekords. Der hat noch immer seine RC 30 und die rote Kombi mit den weißen Streifen, ist hier als Gastinstruktor tätig: „Schnell fahren? Davor musst du erst mal viele Runden fahren. Lern die Strecke und ihre Tücken, dann üben, üben, üben. Mit der Zeit kommt auch der Speed. Aber denk dran: Hier stürzen, das tut verdammt weh!“
Gegen Mittag hat Petrus endlich ein Einsehen, und der Asphalt beginnt abzutrocknen. Also wieder hinaus, immer noch Kribbeln im Bauch wie beim ersten Date. Jetzt heißt es Kopf auf Linie bringen. Nach einigen Runden stellt sich so etwas wie ein erstes Gefühl für die Strecke ein. Aber noch immer herrschen tückische Verhältnisse, denn meist genau da, wo man es nicht gebrauchen kann, ist der Asphalt dann doch noch feucht. Trotzdem, ich bin fürs Erste recht zufrieden. Kurze Verschnaufpause, Manöverkritik. Schorschis Rückmeldung holt mich auf den Boden der Tatsachen zurück: „Halbwegs okay, aber stellenweise fährst du einen Stuss zusammen. Such dir markante Punkte zum Einlenken. Aremberg, Kallenhardt, Bergwerk, länger außen bleiben, sonst wird’s hintenraus knapp. Die Dreifach-Rechts ganz flüssig, mit dem Gas lenken. Du fährst bei dem Bummeltempo jetzt schon viel zu schräg. Runde Linie, und viel präziser!“
Er hat viele Tipps parat, aber noch ist die Erinnerung an einzelne Sektionen einfach zu wirr und bruchstückhaft, die ganze Runde verschwimmt in einem Rausch aus Grau und Grün. Also weiter, Schluss mit Bummeltempo ist das Ziel, aber so richtig rund will es einfach nicht laufen. Anspruch und Wirklichkeit finden heute nicht zusammen.
Wieso, das lässt sich anhand der spektakulären Fuchsröhre veranschaulichen. Steil bergab geht es hier mit großer Geschwindigkeit. Links, rechts, links, immer knapp an den Curbs vorbei hinunter ins Tal, heftige Kompression, und danach hinauf blind über eine Kuppe, hinter der die Eingang-Links zu Adenauer Forst wartet. Hier zieht die Triumph jedes Mal weit davon, die Gashand will einfach nicht offen bleiben. Das Stammhirn klemmt jedes Mal ab. So, als wollte es sagen: „Junge, du fährst schon fast 200, links und rechts ist ’ne Wand, und mein ist der Überlebensinstinkt. Also schön sutsche!“ Gegen Zigtausend Jahre Evolution helfen die besten Vorsätze nichts.
Später lässt der Denkapparat den Tag Revue passieren, im mentalen Kino läuft „Grüne Hölle“ in Breitwand-3-D und Dolby Digital. Auf Dauerschleife, ganz automatisch. Zwar reißt irgendwo zwischen Hohe Acht und Wippermann stets der Film, doch erstaunlich viele Abschnitte sind hängen geblieben. Die Vorstellung lässt jedenfalls auf besseres Wetter und mehr Runden am folgenden Dienstag hoffen.
Tag 2. Früh raus, gleich der Blick aus dem Fenster. Draußen ist’s trocken, Sonne, perfekte Bedingungen, und das wird auch den ganzen Tag so bleiben. Ausgeruht und mit voller Konzentration geht es gleich ganz tief in die Materie. Zahlreiche Schulungsrunden vervollständigen und festigen die innere Straßenkarte. Mit zunehmender Temperatur und zunehmendem Gummiabrieb an den richtigen Stellen steigt der Grip von Turn zu Turn beträchtlich. Irgendwann vor Mittag zwischen Klostertal und Galgenkopf, an einer der richtig kniffligen Stellen, passiert es. Jetzt ist er da, der Flow. Jetzt spielt der innere Videospieler die Kurven ab, bevor sie da sind. Dann sagt das Großhirn zum Stammhirn: „Hör zu, Kollege. Ich weiß, was kommt. Ich hab das im Griff.“ Das Stammhirn pariert fleißig, lässt laufen. Das Gezuckel hat ein Ende, aus dem ständigen Korrigieren der verhagelten Linie wird Planen und Zurechtlegen Kurve nach Kurve, Verwalten von Fahrbahn und Grip.
Die Instruktoren sagen, sie sehen so was an der Haltung des Fahrers. Ganz locker, der Blick geht immer weiter nach vorne. Jetzt ist die Nordschleife die schnellste Achterbahn der Welt, und ich mittendrin. Adrenalin, Endorphine, ein wilder Cocktail der Glückshormone, Format Long Island Iced Tea. Intravenös. Runde um Runde unendlicher Spaß. Jetzt endlich fühlt sich auch die KTM 1290 Super Duke R so richtig wohl. Stimmt, da war ja noch die Geschichte mit der Super Duke.
Also, wie macht sich die KTM 1290 Super Duke R? In zwei Worten: Sie fetzt. Wie der 1300er durch die schnellen Passagen Flugplatz, Schwedenkreuz, Kesselchen und schließlich Döttinger Höhe brennt, das macht schlicht süchtig. Nicht spitz, auf den letzten paar Hundert Umdrehungen, sondern mit der groben Hubraumkelle, übers gesamte Drehzahlband pfeffert der orange Herzog durch die „Grüne Hölle“, dass einem fast schwindlig wird. Über die letzte Betonplatte aus dem Karussell heraus, aber nicht nur da, lupft er immer schön das Vorderrad, einfach weil’s so schön ist. Doch nicht bloß die schiere Power macht an. Piekfeine Gasannahme, sanftestes Ansprechen, das braucht es in delikaten Passagen wie Wehrseifen, Breidscheid und Brünnchen, und damit macht die KTM nicht nur Ringeinsteigern mächtig Freude. Die so wichtige Verbindung von Gashand und Hinterrad, die ist dank penibel abgestimmtem Ride-by-Wire wunderbar analog und gefühlsecht. Auch auf das Handling ist Verlass. Nicht eben hyperhandlich, aber neutral, in Schräglage ausreichend stabil und dank breitem Lenker mit überschaubarem Krafteinsatz lässt sich die Super Duke umherfeuern.
Die schnellen Wechselkurven in Hatzenbach sind stets ein kleines Fest. Weniger Feierlaune verbreitet die KTM 1290 Super Duke R durchs wellige Bergwerk, besonders aber im Caracciola-Karussel. Das direkt angelenkte hintere Federbein spricht zu unsensibel an, poltert einfach über die Betonplatten. Ein Wahnsinnserlebnis ist das aber trotzdem. Klostertal, hartes Anbremsen aus hoher Geschwindigkeit. Klaglos, standfest und mit guter Dosierbarkeit baut die Radialbremsanlage überschüssigen Speed ab. Sie funktioniert einfach, lässt Hirnkapazität frei für wichtigere Dinge. Die Bremsstabilität der Super Duke allerdings ist der eines Supersport-Motorrads unterlegen, immer wieder schwänzelt das Heck ein wenig. Wir verbuchen das mal in der Kategorie „Unterhaltungswert“.
Natürlich hat ein Naked Bike einige konzeptbedingte Nachteile. Der Gewichtigste: Weil die Sitzposition sehr aufrecht ist und weil Gewicht auf dem Vorderrad und etwas Gefühl für selbiges fehlen, sind schnelle, lang gezogene Radien nicht unbedingt das Metier des Super-Nakeds. Man spürt schon, was passiert, nur lange nicht so klar und transparent wie bei einem guten Sportler. Das zeigt sich besonders gegen Ende der Runde, Pflanzgarten, Schwalbenschwanz, Galgenkopf. Dann ist Vertrauen gefragt, der Metzeler wird schon kleben. Tut er, der Sportec M7 RR ist bisher eine hervorragende Wahl. Der baut zügig Haftung auf, ist handlich, präzise, enorm gripstark, hat einen Grenzbereich und funktioniert für einen Sportreifen auch im Nassen sehr zuverlässig. Der Sieger des letztjährigen Sportreifen-Tests holt hier das Beste aus der KTM 1290 Super Duke R. Und jetzt, wo die Runden richtig schnell werden und das Thermometer Richtung 30 geht, kündigt er brav an, am oberen Ende seines Temperaturfensters angekommen zu sein. Jetzt dürfte gern ein noch sportlicherer Pneu auf die Felgen: Ein Racetec RR oder Pirelli Supercorsa SP sollte es dann schon sein.
So oder so, wenn es um Spaß und Erlebnis geht und nicht um Rundenzeiten, sind Super Duke R und Nordschleife eine geniale Kombination. Einem Neuling ermöglicht die KTM 1290 Super Duke R viele kräfteschonende Runden. Sie lässt dich ohne divenhaftes Gehabe einfach in Ruhe die Strecke lernen. Und dann kann man es fliegen lassen – Power, Bremse und mit kleinen Abstrichen Fahrwerk hat es mehr als genug. Nur die letzten fünf Prozent, da hapert es dann ein wenig. Dafür fehlt es etwas an Rückmeldung und Präzision, die sollte man vielleicht doch mit einem waschechten Sportler angehen. Aber auf der Nordschleife, erst recht als Rookie, kann man es auch bei 95 Prozent gut sein lassen. Und bis zu diesem Punkt ist die Super Duke an Erlebniswert schwer zu überbieten.
Zurück im Fahrerlager. Ich bin endlich zufrieden, Yoda Jelicic ist es auch. Kein Wunder, denn auf den letzten der insgesamt etwa 30 Runden ist etwas Magisches passiert. Mit jedem schnelleren Durchgang verändert die Strecke wieder und wieder ihr Gesicht. Plötzlich tauchen da Unebenheiten auf, die man vorher nicht wahrgenommen hat, werden Wellen zu Schlägen, dann ist da eine Kurve, wo vorher noch keine war.
Jetzt erst fängt die „Grüne Hölle“ überhaupt erst an, ihr wahres Gesicht zu offenbaren. Dann muss sich nächstes Jahr wohl wieder ein Grund finden, herzukommen. Alle, die schon einmal hier gefahren sind, wissen sowieso, worum es geht. Allen anderen muss man raten: Fahr mal Ring!