Kein Traum mehr, sondern Realität: eine Monster mit 916er-Motor. Die S 4 soll anstelle der 900 i.e. die Führung in Ducatis Monster-Bande übernehmen.
Kein Traum mehr, sondern Realität: eine Monster mit 916er-Motor. Die S 4 soll anstelle der 900 i.e. die Führung in Ducatis Monster-Bande übernehmen.
Cagiva und Ducati, das verhält sich ungefähr so wie Max Biaggi zu Valentino Rossi. Die beiden sind die schärfsten Rivalen und haben sich bekanntermaßen rein gar nichts zu sagen, kommunizieren, wenn überhaupt, vorzugsweise über die italienische Boulevard-Presse miteinander.
Ducati mag zwar noch so oft behaupten, die Idee, eine Monster mit einem 916er-Triebwerk zu verheiraten, habe rein gar nix mit der Raptor zu tun. Tatsache ist, dass die Konkurrenz aus dem Hause Cagiva eine schallende Ohrfeige für Ducati war. Für die Bolognesen also eine Frage der Ehre. Und bei Pasta, Ferrari, Fußball und eben beim Thema Ehre versteht der ansonsten lebenslustige Italiener überhaupt keinen Spaß. Ergo muss die Raptor die Initialzündung für die Bolognesen gewesen sein.
Wobei sie sich bei Ducati nicht auf halbe Sachen oder gar faule Kompromisse eingelassen haben. Also nicht subito den potenten, wassergekühlten Vierventiler der 916 aus dem Teileregal geholt, in den Rahmen einer Monster 900 i.e. gesteckt, und fertig war die S 4. Nein, nein. Dafür stand zu viel auf dem Spiel. Zum Beispiel Einbußen bei der Fahrstabilität. Deshalb wählte Ducati den Rahmen des Tourensportlers ST 4, was einen im Vergleich zur 900 i.e. um einen Grad flacheren Lenkkopf und einen zehn Millimeter längeren Radstand bewirkte.
Eine überaus vertrauensbildende und praxisgerechte Entscheidung für das in der S 4 nominell 101 PS leistende 916er-Vierventil-Triebwerk. Dessen Adaption in das kunstvolle Stahlrohrgeflecht als sehr gelungen bezeichnet werden darf. Der Motor wirkt alles andere als lieblos hineingewurschtelt, die Schläuche des Wasserkühlers etwa schmiegen sich geradezu zärtlich an den V2, statt in der Gegend herumzubaumeln. Überhaupt wird die Technik der Monster sehr elegant präsentiert. Puristen mögen sich vielleicht am relativ breit bauenden und deshalb leider sturzgefährdeten Kühler stören, müssen jedoch zugestehen, dass er das Erscheinungsbild der Monster keineswegs stört. Außerdem ist das Teil eben unverzichtbar für den korrekten Wärmehaushalt dieses Triebwerks.
Das deutlich über das vorgegebene Ziel hinausschießt durchaus keine Seltenheit bei Ducati. Satte 112 PS und knapp 100 Newtonmeter maximales Drehmoment drückt der Twin auf die Prüfstandsrolle. MOTORRAD verbucht diese Tatsache wohlwollend unter der Rubrik »positive Serienstreuung« Eine baldmöglichste Messung eines der ersten Kundenmotorräder wird Klarheit schaffen. Bleibt allen künftigen S 4-Eigner nur zu wünschen, dass sie ebenfalls in den Genuss von solch überbordender Leistung kommen.
Werden Pferdestärken nämlich in so appetitlicher und gleichzeitig wohldosierbarer Art und Weise dargereicht wie bei diesem S 4-Triebwerk, dann besteht akute Suchtgefahr. Allerdings erst über Drehzahlen von 3000/min, darunter zeigt sich der Zweizylinder von seiner ruppigen Seite. Den Wunsch nach untertourigem Fahren quittiert er mit starken Missfallensbekundungen; widerwillig ruckelt die Monster durch die Lande. Untermalt wird das Ganze von einer nicht überhörbaren mechanischen Geräuschkulisse. Was sich hingegen über der für dieses Triebwerk magisch erscheinenden 3000er-Grenze abspielt, verdient allergrößten Respekt, zumal die nervigen Vibrationen spürbar abnehmen.
Mit Nachdruck, aber immer schön kontrollierbar katapultiert der V2 die Ducati ab 3000/min nach vorn. Drehzahlen über 8000/min braucht es eigentlich nie, zumal der Twin obenraus etwas von seinem Temperament verliert. Ein gutes Rezept gegen ein unter Volllast dauerhaft aufstrebendes Vorderrad: Die weit nach vorne orientierte, jedoch nicht unbequeme Sitzposition, in Verbindung mit einer lang gewählten ersten Fahrstufe und Sekundärübersetzung. Die Gänge zwei bis fünf des sich knorrig, aber präzise zu schaltenden Getriebes folgen dann kurz abgestuft, der Sechste tendiert drehzahlsenkend in Richtung Overdrive. Ein gelungener Kompromiss, der sicherlich zu den guten Verbrauchwerten beiträgt. Knapp über sechs Liter Super bei flotter Landstraßenfahrt sind ein respektabler Wert.
Zügige Fortbewegung, das mag sie, die Monster, dafür wurde sich geschaffen. Und mit einem adäquaten Fahrwerk ausgestattet. Lediglich bei der beachtlichen Höchstgeschwindigkeit von 234 Sachen macht sich ein leichtes Rühren um die Lenkachse bemerkbar. Auf der anderen Seite fegt sie nicht ganz so handlich wie eine Monster 900 i.e. durchs Kurvenlabyrinth. Die S 4 verlangt nach einem aktiven Piloten, will mit mehr Nachdruck zum Richtungswechsel animiert werden. Dafür nimmt sie einem auch ein heftiges Zerren an den weit abstehenden Lenkerhälften nicht übel. Der für eine entspanntere Sitzposition sorgende Rohrlenker bleibt den kleineren Monstern vorbehalten.
Die größte Monster folgt präzise und stabil der gewünschten Umlaufbahn, agiert selbst auf miesem Fahrbahnbelag souverän, lässt sich neutral in Schräglage einlenken und erschreckt ihren Fahrer beim Hineinbremsen in Kurven nicht mit ungebührlichem Aufstellmoment. Dabei bevorzugt sie die weiteren, weicheren Linien. Und möchte am liebsten unter Zug um Ecken bewegt werden. So werden die Lastwechselreaktionen, die wegen eines relativ großen Spiels im Antriebsstrang gern auftreten, erfolgreich unterbunden. Hat man sich auf diese Eigenheit eingestellt, fällt es plötzlich kinderleicht, enge Kehren auch im ersten Gang schnell und ohne Kippeln zu durcheilen. Am Kurvenausgang darf ruhig heftig am Gasgriff gedreht werden, denn die Monster verhält sich auch mit viel Last am Hinterrad neutral und stellt sich nicht abrupt auf.
Dann gilt es den mächtigen Druck und den betörenden Klang des Twins zu genießen und sich auf das Anbremsen der nächsten Kurve zu freuen. Klasse, diese Brembo-Anlage: nicht zu bissig, standfest und prima zu dosieren. Die Gabel dürfte auf harten Absätzen einen Tick feinfühliger ansprechen, insgesamt macht die voll einstellbare Vorderradführung seinen Job aber unauffällig und gut. Selbiges gilt für das Sachs-Federbein im Heck. Was bei der fröhlichen Kurvenhatz noch auffällt: Die Schräglagenfreiheit ist links herum zu gering, weil nicht etwa die Fußraste, sondern der Ausleger des Seitenständers hart aufsetzt. Schade. Die Pirelli Dragon Corsa, mit denen die Test-S 4 rollt, hätten deutlich mehr Gripreserven zu bieten.
Also ein nicht in allen Punkten perfektes Motorrad. Aber zweifellos ein begeisterndes Naked Bike. Dem Vergleich mit der Cagiva Raptor und Konsorten kann die Monster S 4 beruhigt entgegensehen. Er folgt subito in MOTORRAD 24/2000.