Mut zur Häßlichkeit. Unter diesem Slogan wird das ausklingende 20. Jahrhundert in die Annalen eingehen. Nie war häßlich so chic wie heute. Häßlich ist trendy, häßlich ist Trumpf. Überall: in der Kunst, in der Mode, jetzt auch bei Motorrädern. Aktuelles Beispiel: die CB 600 F Hornet. Hondas Mutprobe - sozusagen. Inspiriert vom Streetfighter-Kult.
Für einen Streetfighter ist die Hornet zwar noch lange nicht häßlich genug, doch immerhin - dieser Mülleimer zwischen den Rädern weist vielversprechende Ansätze auf: Sieht so richtig schön unansehnlich aus, der wassergekühlte Vierzylinder. Er stammt aus der CBR 600 F, besitzt den Charme eines Notstromaggregats und disponiert über mehr Schläuche als ein Kärcher-Hochdruckreiniger. Wer hätte gedacht, daß dieser Motor je aus seiner Plastikhöhle herauskommen und einen Platz an der Sonne erobern würde?
Vom Undercover-Agent zum Showtalent. Was für eine Karriere. Gewisse charakterliche Veränderung bleiben da nicht aus. Sie halten sich allerdings in Grenzen. Hinsichtlich eines fülligeren Drehmomentverlaufs im unteren und mittleren Bereich habe man zu kleineren Vergasern gegriffen und auf ein paar PS Spitzenleistung gepfiffen, sagt Honda. Und das hört sich ja auch unheimlich gut an. Nur leider stimmt es nicht. Zumindest nicht ganz.
Wahr ist: Die CB hat 34er statt 36er Vergaser. Wahr ist: Sie bringt keine einhundertundmehr PS, sondern echte 96. Wahr ist aber auch: Sie zieht schlechter als die CBR 600 F, sowohl untenrum als auch in der Mitte und obenraus sowieso. Das beweisen nicht nur die Meßwerte (CBR siehe Vergleichstest Seite 12 bis 25), auch gefühlsmäßig geht die Hornet weniger beherzt zur Sache. Wirkt irgendwie verstopft.
Überhaupt macht die Hornisse gegen ihr Muttertier keinen einzigen Stich: Sie wird von den gleichen Lastwechselreaktionen geplagt, vibriert ebenso aufdringlich, dreht unwilliger aus - man kann sich stundenlang mit einem Gang beschäftigen. Überflüssiger Weise verbraucht der Nackedei auch noch mehr Sprit als der Supersportler. Okay, die Hornet verfügt über ein abgasreinigendes Sekundärluftsystem (SLS), aber so etwas gilt nicht als Freibrief.
Warum Honda die CB auf den Namen eines Insekts getauft hat, wird erst klar, wenn man sich auf die Tonart der Neuen konzentriert. Da hebt nicht etwa irgendein asoziales Streetfighter-Geplärre an, sondern ein Summen und Surren, das sich so gar nicht nach kampflustig hochgezogener Auspuffanlage anhört. Allerdings auch nicht unbedingt nach gefährlicher Wespenart. Sie hat so gar nichts Beängstigendes an sich, die CB. Ob´s ihren Erschaffern nun paßt oder nicht.
Und damit legen wir die Sache mit dem Streetfighter zu den Akten, um dem Motorrad in der Hornet eine Chance zu geben. Zumal die 600er durchaus manierliche Qualitäten besitzt.
Vor allem der kleine Leut freut sich über die geringen Abmessungen, die humane Sitzhöhe und das niedrige Gewicht. 197 Kilogramm, mit vollem Wanst, sprich Sprit und allen lebenserhaltenden Säften an Bord - da kann keiner meckern. Gut, daß die Leichtigkeit auch spürbar ist. Trotz extrabreiter CBR 900-Bereifung, das heißt 130er vorn, 180er hinten, läßt sich die 600er am breiten Lenker locker ums Eck biegen. Wer mit zu viel Kraft einlenkt, hat allerhand Korrekturarbeiten am Hals - so zackig haut sich die Kleine auf die Seite.
Bremsen in Schräglage? Geht erstaunlich gut: Der Bridgestone BT 50 zettelt keinen allzu großen Aufstand an. Die Angeber-Walzen machen erst auf in Straßenfarbe lackierten Rübenäckern Mätzchen. Wenn der Asphalt Wellen schlägt, beginnt die CB zu schunkeln. Beulen, Rillen, Bitumenstreifen - sie reagiert auf jeden Mist, stellt sich auf, läuft aus dem Ruder. Mit Michelin TX 11/TX 23 besohlt, ebenfalls als Erstausrüstung erhältlich, benimmt sich die Hornet nicht so daneben (siehe Fahrbericht MOTORRAD 5/1998).
Im Auf und Ab holpriger Landstraßen verlieren auch die Federelemete an Überzeugungskraft. Herrschte bis hierher das Gefühl, Honda hätte einen guten Kompromiß aus Stabilität und Komfort gefunden: Jetzt ist Schluß damit. Ohne Ende nervös mogelt sich die Hornet durchs Flickwerk, zappelt herum wie Joe Cocker in Hochform.
Die - sagen wir mal - preiswerten Komponenten fordern eben ihren Tribut. Mit zwei Personen im Sattel funktoniert die Sache jedoch prima. Tatsächlich zählt die Hornet zu den wenigen Motorrädern, die unter Doppelbelastung besser agieren als im Solobetrieb. Und zum Glück bietet sie angenehme Mitfahrbedingungen. Wäre das Polster nicht gar so sparsam ausgelegt, säße man perfekt.
Alles andere als perfekt nimmt sich die Doppelscheibenbremse am Vorderrad aus. Ziehen, ziehen, ziehen - heißt die Devise. Ohne mördermäßigen Zugriff ist da nichts zu holen. Dosierbarkeit: gleich null. Wirkung: in Ordnung.
Von welcher Seite man die CB 600 F auch betrachtet: Sie liefert stets ein zwiespältiges Bild. Selbst in puncto Verarbeitung, normalerweise DIE Honda-Domäne. Was so ein Rotstift alles anrichten kann. Macht aus einer Hornisse Mineralwasser.
Mein Fazit
Wenn Sie mich fragen: Selters! Irgendwie hat man sich von der Hornet mehr versprochen. Vielleicht, weil sie von Honda ist und von Honda stets etwas mehr erwartet wird. Klar mußte hier und da gespart werden, um einen konkurrenzfähigen Preis zu erzielen. Nur - daß man das gleich so merken muß? Grund zum Weinen gibt´s trotzdem keinen, wo die CB 600 letztlich landet, zeigt sich erst beim Stechen gegen Bandit und Fazer. Womöglich purzelt sie ins Sektbad.