Seit Tagen schon ziehen Sonnenstrahlen die Kälte aus dem Boden, verwandeln die braunen Wiesen rundum in saftig Grün. Emsig surrt und summt es in der Luft . Die schneebedeckten Berge im Hintergrund tauchen tief in Dunst. Der Frühling ist erwacht.
Und ein Motorrad. Das zornige Gebrüll eines Reihenvierzylinders zerreißt die Stille, huscht vorbei und folgt auf der Ideallinie dem grauen Asphaltband, das sich zwischen Hannober und Amtzell wie ein Bandwurm kilometerlang durch die hügelige Landschaft windet. Sanft geschwungene Kurven wechseln mit haarnadeligen Kehren. Kaum eine Gerade ist länger als zwei kurz aufeinanderfolgende Schaltvorgänge. Der vitale Vierzylinder steppt die Drehzahlleiter rauf und runter wie Fred Astair in seinen besten Jahren. Wow, was für eine Achterbahn mitten im Allgäu! Und was für ein ideales Terrain für Motorräder, die frei von überflüssigen Pfunden sind, die nur träge und ungelenk machen. Auf solch kurvenreichen Landstraßen sind sehnig, drahtige, agile und energiegeladene Zweiräder gefragt. Eines, wie es die neue Honda Hornet 600, ein sportliches Naked Bike der Mittelklasse ist.
An der haben die Japaner ordentlich Frühjahrsputz betrieben. Das letzte Mal war es vor zwei Jahren, doch im Gegensatz zu damals, als Honda hauptsächlich das Fahrwerk straffer abstimmte, blieb heuer, anno 2007, kein Bauteil unangetastet. Das beginnt beim verwindungssteiferen Rahmen, der aus drei Aluminiumgussteilen zusammengeschweißt wurde und den alten Stahlrohrrahmen ersetzt und setzt sich beim kompakten Reihenvierzylinder fort. Denn der befeuert auch die aktuelle CBR 600 RR, wurde für die Hornet allerdings über Airbox, Motormanagement, Nockenwellen und kleinere Drosselklappen (36 statt 40 Millimeter im Durchmesser) grundlegend anders abgestimmt. Weniger Spitzenleistung, 102 statt 118 PS, dafür aber eine fülligere Drehmomentkurve, hieß die Maxime.
Für Honda-Verhältnisse ist das Outfit der Hornet ausgesprochen gewagt. Die übereinander gepackten Scheinwerfer, das aufgesetzte, knubbelig Cockpit und der kurze Stummel von Schallddämpfer-Endtopf , der vorwitzig unter der kompakten Getriebeeinheit hervorlugt, katapultieren die Hornet aus einer biederen Vergangenheit in eine neue Welt. Obwohl diese modernen Stilmittel nun wirklich nichts neues sind. Kawasaki hat sie an der ER-6n bereits vorexerziert.
Zunächst aber mal Platz nehmen. Die Ergonomie der Hornet passt wie angegossen. Der angenehm gekröpfte, nicht allzu breite Rohrlenker, die wohlkonturierte, nur knapp gepolsterte und vorn schmal zusammenlaufende Sitzbank, die im Verbund mit der Wespentaille des Tanks für einen engen Knieschluss sorgt, der entspannte Kniewinkel, das sind alles Maßnahmen, die den Umgang mit der Hornet dauerhaft stress- und ermüdungsfrei gestalten. Auf ihr kann man stundenlang hocken bleiben. Selbst der Beifahrer findet auf der nicht als Tourer ausgewiesenen Hornet einen durchaus bequemen, freizügigen Sitzplatz vor. Auf der ebenen Fläche sitzt es sich relaxt. Und an den gut erreichbaren, seitlich angeordneten Haltegriffen kann sich der Mitreisende unverkrampft festhalten.
Bereits aus den Niederrungen des Drehzahlkellers spielt der 600er-Vierzylinder die Rolle des kultivierten Antriebs nahezu perfekt. Kommt der Motor nach einer lang anhaltenden Kaltlaufphase von seiner hohen Leerlaufdrehzahl von 2000/min runter, geht er seidig ans Gas und setzt sich beim Anfahren ohne Spiel mit der Kupplung könnerhaft in Szene. Ganz unauffällig schnurrt er dahin, nervt weder durch Konstantfahrruckeln noch durch herbe Lastwechselreaktionen.
Bereits die alte Hornet hatte laut Honda 97 PS. Eine etwas optimistische Angabe, wie MOTORRAD in einem Vergleichstest mit Kawasaki Z 750 und Yamaha FZ 6 vor zwei Jahren befand. Auf dem Leistungsprüfstand kamen gerade mal 89 zusammen. Zu wenig um mit einer ellenlangen Gesamtübersetzung die versprochenen 230 km/h zu erzielen. Die Neue hingegen ist in ihren Angaben weitaus ehrlicher. Von den angegebenen 102 PS sind fast alle präsent. Exakt 100 bei 12200/min maß MOTORRAD nach. Und diesmal passt auch die erzielte Leistung besser zur Gesamtübersetzung des Sechsganggetriebes. Noch immer stehen 230 km/h als Topspeed im Fahrzeugschein, doch heuer ist sie viel näher dran. Mit tief geducktem Fahrer und nach langem Anlauf kratzt die digitale Anzeige an der 230er-Marke, während der Vierzylinder dabei mit knapp 13000/min im letzten Gang fast ausdreht.
Doch spaßig ist das nicht. Zu heftig ist der Winddruck, zu kräftezehrend die kauernde Sitzposition, um mit diesem Tempo gänzlich unverkleidet über die Bahn zu fegen.
Schnell zurück auf die Landstraße, zur Achterbahn im Allgäu. Hier ist die Hornet in ihrem Element. Schon deshalb, weil der Motor über den gesamten mittleren Drehzahlbereich ordentlich an Drehmoment zugelegt hat, und sich auch ohne viel Schaltarbeit schon mächtig ins Zeug legt, dass forsche Kurvenhatz zum puren Genuss führen. Zwischen 7000 und 10000/min spielt sie ganz unangestrengt mit ihrer Leistung, dreht sauber hoch und nimmt gut Gas an. Im letzten oberen Drittel, nimmt sich der Vierzylinder in seiner spontanen Leistungsentfaltung ein wenig zurück. In jenem Bereich, wo sie auch sehr direkt und ruppig auf Gasbefehle reagiert und aus dem Schiebebetrieb etwas hart ans Gas geht. Zum Glück man muss nicht ständig den Drehzahlmesser im Visier behalten, um, wie bei hochgezüchteten 600er-Vierzylinder-Aggregaten üblich, den oft schmalen Bereich verwertbarer Leistung nicht aus den Augen zu verlieren, und den richtigen Anschluss im nächsten Gang nicht zu verpassen. Vielmehr ist der Drehzahlbereich der Hornet benutzerfreundlich weit gesteckt. Nur ein Beispiel: Im Vergleich zur ihrer Vorgängerin nimmt die Neue von 60-100 km/h im Durchzug gut eine Sekunde weniger Zeit in Anspruch und bis 140 km/h kann sie nochmals eine halbe Sekunde gutmachen. Zu den weniger rühmlichen Dingen der Honda gehört das Getriebe. Es schaltet sich zwar leicht und auf kurzem Weg, doch nicht immer exakt. Mit Nachdruck gehören die Gänge sortiert. Lässigkeit beim Schalten wird gleich bestraft. Oft finden die Zahnräder nicht zueinander oder man bleibt beim schnellen runterschalten vor der Ampel in einem höheren Gang stecken. Auch die Kupplung fordert hohe Bedienkräfte.
Das Fahrwerk der Honda Hornet reduziert sich aufs Wesentliche. Um den Motor herum zentralisieren sich die Massen, was man am kurz geschnittenen Auspuff ganz deutlich erkennt. Das fördert die Balance, erleichtert das Handling. Sportfahrer mit Spieltrieb suchen an den Federelementen vergeblich nach Verstellmöglichkeiten der Dämpfung. Nur die Federbasis am Zentralfederbein ist verstellbar. Das ist schon alles. Wer mit der Hornet liebäugelt, aber auf Komfort bedacht ist, sollte lieber zur CBF greifen. Für den ist die neue Hornet noch weniger gemacht als die alte. Zu straff ist die Upside-down Gabel abgestimmt, zu unnachgiebig das Federbein. Was aus sportlicher Sicht seine Vorzüge hat. Ehrlicher und direkter kann eine Verbindung zwischen Mensch und Maschine kaum ausfallen. Teerflecken und Trennfugen lässt die Hornet den Fahrer gern spüren, aber die Federelemente zeigen sich durchaus auch nachgiebiger, wenn der Asphalt ruppiger, die Löcher tiefer werden. An der Sache ändert das nichts: Die Hornet zieht unbeirrt ihre Bahn, lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen, bleibt stabil in der Spur, stoisch ruhig und gelassen. Dabei lässt sie sich spielerisch sicher auf Kurs halten, wirkt nicht kippelig, lenkt gleichmäßig ein. Sicherlich mit ein Verdienst der serienmäßig montierten Michelin Pilot Power, wenn es neben verlässlichem Grip in jeder Lebenslage auch um hohe Lenkpräzision geht.
Auch die Bremsen bringen den Fahrspaß auf den Punkt. Knackiger brauchen Stopper wie diese nicht zu Werke gehen. Ihre Dosierbarkeit ist prima, das feinfühlig regelnde, im Handhebel kaum pulsierende ABS, ist gegen 700 Euro Aufpreis, sein Geld wert. Auch wenn die Hornet mit diesem Sicherheitspaket und der damit verbundenen Kombibremse um ganze vier Kilogramm schwerer wird als die ABS-lose Vorgängerin.
Trotzdem, ein Sonderangebot ist die neue Hornet auch mit ABS nicht. Zum Preis von 8360 Euro sollte der Kunde erwarten können, dass nicht nur die Griffweite des Handbremshebel, sondern auch die des Kupplungshebels selbstverständlich verändert werden kann. Auch eine schmutzabweisende Abdeckung zum Hinterrad darf einfach nicht fehlen. Sie muss ja nicht in Fahrzeugfarbe lackiert sein und zusätzliche 189 Euro kosten.
Änderungen im Detail
Design
Aggressivere Optik mit übereinander angeordnetem Doppelscheinwerfer
Aufgesetztes Cockpit
Schlankere Linien
Kompaktes, offenes Heck mit LED-Rücklicht
Motor
Komplette Antriebseinheit aus der 2007er-CBR 600 RR mit speziell für die Hornet über Airbox, Motormanagement, Nockenwellen und Einspritzanlage abgestimmter Leistungscharakteristik
Kompakte, unter dem Motor geführte Vier-in-eins-Auspuffanlage
Fahrwerk
Verwindungssteiferer Aluminium-Mono-Backbone-Rahmen mit Motor als tragendem Element
Überarbeitete Aluminium-Kastenschwinge
41er-Upside-down-Gabel mit Cartridge-System
Straffere Abstimmung von Gabel und Zentralfederbein
Leichte Fünfspeichen-Aluminium-Felgen
Sonstiges
ABS mit Verbundbremse (gegen Aufpreis)
Elektronische Wegfahrsperre
Größerer 19-Liter-Tank für mehr Reichweite
War sonst noch was?
Plus
Federbasisverstellung am Federbein ist leicht erreichbar
Der Öleinfüllstutzen ist leicht zugänglich, das Schauglas gut sichtbar
Gut sortiertes Werkzeugset, um alle wichtigen Einstellungen von der Spiegeljustierung bis hin zur Kettenspannung vornehmen zu können
Minus
Sehr schnell bis zur Sitzbank hin verschmutzendes Heck, weil eine Radabdeckung fehlt, die auch das Federbein schützen könnte
Fummelige Sitzbankarretierung, nicht mit einem Griff möglich
Die Spiegelausleger könnten etwas länger ausfallen. Die Oberarme bedecken etwa ein Drittel der Spiegelfläche
Gewöhnungsbedürftig
Beim Aufblinken des letzten Balkens auf der LED-Tankuhr im Cockpit verbleiben gut fünf Liter Reserve. Das reicht noch für rund 120 Kilometer
Fazit
Die neue Hornet sticht die alte aus. Ihr Motor geht leistungs- und drehmoment-stärker zur Sache. Das Fahrwerk ist konsequenter auf Sport getrimmt, ohne den Fahrer anzustrengen. Geblieben ist das stimmige Konzept, eine gute Alltagstauglichkeit und die in allen Lebenslagen sichere Beherrschbarkeit bis hin zum narrensicheren optionalen ABS. Das sollte man sich auf alle Fälle leisten.