Top-Test
MV Agusta Brutale 1090 RR

Die Brutale hatte ihren Namen bislang verdient. War sie doch hart, kompromisslos und nicht einfach zu fahren. Die neue Generation ist da ganz anders: freundlicher, fahrbarer, kompromissbereiter. Aber nicht weniger aufregend.

MV Agusta Brutale 1090 RR
Foto: Künstle

Teil 1 Top-Test: Brutal Lieb

Die Brutale ist MV Agustas erstes Modell, seit Harley-Davidson die Firma im August 2008 übernommen hat. Gottlob hat man sich nicht verleiten lassen, diesen Meilenstein des Motorraddesigns neu zu gestalten, und hat die Linienführung nur dezent geändert. Trotzdem sind die 1090 RR und deren kleinere, etwas günstigere Schwester mit 990 Kubik völlige Neuentwicklungen: 85 Prozent aller Teile haben nichts mehr mit denen des Vorgängermodells zu tun. Berauschend ist sie trotzdem geblieben.

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MV Agusta Brutale 1090 RR
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Sogar gesundheitsgefährdend berauschend: Öfter als bei anderen Bikes fühlt man sich zu einer Rauchpause genötigt. In der man nichts weiter tut, als um das Motorrad zu schleichen, um Design, Detaillösungen und Verarbeitung zu bestaunen. Das Kino für zwischendurch wartet mit einem handgeschweißten Rahmen auf, dessen Nähte aus dem Lehrbuch stammen könnten. Außerdem filigrane Aluminium-Schmiederäder, liebevolle Exzenterverstellung der Fußrasten, Klemmung des Lenkers durch Scharnier, eingegossener Schriftzug im Scheinwerfer oder einfach nur der aufwändig lackierte Hinweis zum Anzugsdrehmoment für die Hinterradachsmutter. Dieses Bike ist nicht geboren für schlichtes Überbrücken von Distanzen. Es ist pures Lustobjekt.

Die nächste gute Nachricht: Man hat ebenso viel Spaß, wenn man fährt. Die neue Brutale springt selbst bei Temperaturen, bei denen man seinen eigenen Atem sieht, stets auf den ersten Knopfdruck an und läuft ohne nennenswert erhöhte Leerlaufdrehzahl sauber rund.

Gierig faucht es aus den beiden schräg angeschnittenen Endschalldämpfern. Die sind zwar länger als beim Vorgängermodell, der Brutale 1078, das Volumen der Gesamtanlage ist jedoch geringer. Ersten Gang reingetippt, Gasgriff gespannt, und ab geht's. Bereits beim Losfahren verwandelt sich das heisere Fauchen in ein zorniges. Eine Auspuffklappe macht's möglich. Der aggressive Sound stellt immer noch die Nackenhaare auf.

Die Maschine vermittelt vom ersten Meter an ein völlig anderes Gefühl als ihre Vorgängerinnen. Hier gibt es neuerdings Platz. Die Brutale wirkt nicht mehr gedrungen und ultrakompakt, sondern wesentlich erwachsener. Dabei ist der Radstand gerade mal um 28 Millimeter auf 1438 Millimeter angewachsen: Die Schwinge ist 20 Millimeter länger, der Lenkkopfwinkel von nunmehr 65 Grad um 0,5 Grad flacher.

Künstle
Infotainment: Vom Rundenzähler bis Tagestrip alles da, nur keine Uhr.

Es sind vielmehr die Proportionen, die das Bike strecken: Scheinwerfer, Tankform und das neu gestaltete Heck. Der Kniewinkel ist immer noch recht sportlich, doch der Sattel länger und ergonomischer geformt. Er lässt Spielraum zum Hin- und Herrutschen. Der Lenker ist etwas breiter, die Fußrasten können per Exzenter horizontal wie vertikal verstellt werden. Allein aus dem Wohlgefühl heraus glaubt man MV sofort, dass 85 Prozent aller Motorradteile neu sind.

Neu bedeutet aber nicht immer fehlerfrei. Auf den ersten Kilometern durch die innerstädtische Rushhour, gegeißelt durch ständiges Stop-and-go und das Durchschleichen bis zur Pole Position, nervt die Kupplungsbetätigung, die viel Kraft erfordert. Zwar ist serienmäßig eine Anti-Hopping-Kupplung verbaut, deren Mechanik super funktioniert, doch die ist hier in der Warteschleife ungefähr so vorteilhaft wie vier Stückchen Zucker im Glas Cola. Auch der Gasgriff könnte etwas leichter abrollen.

Ebenfalls auffällig: Der zweite Gang arretiert nicht immer sauber und hüpft in den Leerlauf zurück. Zur Ehrenrettung sei gesagt: Die Testmaschine kam direkt aus der Verpackung. Null Kilometer, nur Öl und Wasser drauf und los. Hier wird sich im Lauf der Zeit sicher noch einiges zusammenraufen. Das war's dann auch schon mit Innenstadt-Gemecker.

Das vollgetankt 214 Kilogramm leichte Bike zaubert selbst im härtesten Regenschauer noch ein Sonnengesicht. Sie hängt um Welten besser am Gas als all ihre Vorgängerinnen, gibt sich prima ausbalanciert, überrascht nicht mit hinterhältigen Gemeinheiten und lässt sich aus diesem Grund feinfühlig in den nervigsten Situationen bewegen. Bei Schleichfahrten, Regengüssen oder in 30-km/h-Zonen. Gerade eben in jenen Bereichen des Alltags, welche die kompromisslosen Brutales der Vergangenheit nie mochten. Und noch etwas fällt auf: Das sanft schaltbare Getriebe ist sehr schnell durchgesteppt.

Ohne es zu wollen, rollt man ständig in hohen Gängen durch die Gegend. Das kann nur eins bedeuten: Der Motor hat mächtig Druck. Er läuft, jetzt mit Ausgleichswelle, spürbar vibrationsärmer, hat schon in niedrigen Drehzahlen ordentlich Power und ist kurz übersetzt. Man ertappt sich stets beim Stadtcruisen in sehr niedrigen Drehzahlen um 3000/min. Außerdem haben die Techniker es geschafft, den Motor fahrbarer abzustimmen. Während die Brutale 1078 bei rund 6000/min mit der Leistungsentfaltung einer Handgranate schockte, benimmt sich die 1090 RR völlig kontrollierbar, schaufelt ihre Power sehr homogen ans Hinterrad.

Teil 2 Top-Test

Künstle
Die MV Agusta Brutale 1090 RR auf der Rennstrecke.

Zeitblende: 500 Kilometer zaghafte Ein- und Testfahren sind abgespult. An der letzten Tanke vorm Horizont und der Top-Test-Strecke wird das 20-Liter-Fass noch einmal randvoll gefüllt. Und das ernüchtert: Beim zaghaften Landstraßen-Swing genehmigt sich die Brutale 7,3 Liter auf 100 Kilometer. Das ist recht viel und ermöglicht höchstens 274 Kilometer Reichweite. Sparsamkeit scheint nicht gerade das Ziel des neuen Mappings in Verbindung mit dem Herstellerwechsel der Einspritzanlage (jetzt Mikuni) gewesen zu sein. Egal. Gleich darf die Maschine zeigen, was sie kann.

Helm auf, rauf auf die Bahn und endlich mal durchladen. Nach 3,3 Sekunden knackt man die 100er-Schallmauer, nach 9,8 Sekunden stehen 200 km/h auf der Uhr. Der Drehzahlmesser weist keinen roten Bereich auf, ein Schaltblitz mahnt bei rund 9000 Touren zum Hochschalten. Die Maschine schreit, als wäre Italien nicht teil der Europäischen Gemeinschaft und deren strikter Geräuschbestimmungen. Bassiges Ansauggeräusch, potentes Auspufffauchen - hier fahren neben den Augen auch endlich wieder die Ohren mit.

Tunnel bekommen durch den Sound eine leicht erotische Note. Der Antrieb hat in jeder Drehzahl immens Power und hängt gut am Gas. Selbst während der Fahrt kann man zwischen zwei Mappings wählen: Sport und Normal - zwei Mal auf den Anlasserknopf gedrückt, schon wechselt der Fahrmodus. Das Sport-Mapping setzt Gasbefehle noch digitaler und radikaler um. Etwas, das auf der Rennstrecke durchaus Sinn macht. Allerdings ist die Gasannahme in höheren Drehzahlen dann ruppiger. Für den Alltag hingegen ist der weichere Normal-Modus allererste Wahl.

Überholvorgänge absolviert die auf 253 km/h übersetzte Tausender wie ein Geschoss aus dem Lauf. Und selbst härteste Trennfugen auf der Fahrbahn ignoriert die Brutale, bleibt stoisch auf Kurs.

Der Prüfstand wird dem 1090er später die bereits gefühlte, völlig harmonische Leistungsabgabe bestätigen. Mit 141 PS Spitzenleistung bei 11100/min und einem maximalen Drehmoment von 109 Newtonmetern bei 7700/min. Wobei bereits bei nur 4500 Umdrehungen satte tourenfreundliche 100 Newtonmeter anliegen.

Der Motor tickert, wieder fließt Energie in den Tank. Merkwürdig, wer die Brutale sportlich bewegt, braucht nur 0,5 Liter mehr auf 100 Kilometer als wenn er vergleichsweise gemütlich übers Land zuckelt. Gut zu wissen. Helm wieder auf und abtauchen auf die Top-Test-Strecke.

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Die Brutale im Wheelie.

Nässe und eine glitschige Laubschicht dominieren die ersten Kilometer. Diese Situationen zu meistern, gehört wahrlich nicht zu den Stärken des serienmäßig montieren Dunlop Qualifier RR. Vorsicht ist also geboten. Aber selbst hier, unter extremsten Bedingungen, benimmt sich die Brutale vorbildlich. Mehr noch: Das vergleichsweise soft abgestimmte Fahrwerk teilt exakt mit, ob die Räder, übertrieben gesagt, über Linden- oder Eichenblätter rollen. Die Rückmeldung ist fantastisch. Der Pilot kann sich ganz auf die widrigen Umstände konzentrieren.

Die achtstufige Traktionskontrolle funktioniert zwar auf der Rennstrecke tadellos (siehe MOTORRAD 22/2009), kann das Ausbrechen des Hinterrades unter extremsten Bedingungen wie Eis, Öl oder eine nasse Laubschicht allerdings nur bedingt verhindern. Wie auch Ducati setzt MV auf ein System, bei dem ein Sensor nur am Hinterrad Reibwertsprünge erkennt. Wenn das Rad beispielsweise auf nassem Laub kontinuierlich und nicht abrupt durchdreht, greift die Traktionskontrolle nicht, oder kaum. Dazu müsste das System einen Abgleich von Vorderrad- und Hinterraddrehzahl vornehmen können.

Zurück auf trockenem Asphalt. Rein in die Kurven. Herrlich leicht und zielgenau lenkt die MV. Radien lassen sich selbst in tiefer Schräglage noch exakt korrigieren, falls man sich verschätzt hat. Die Fahrwerksabstimmung ist geglückt: stoisch bei Topspeed, rückmeldungsgenau auf Schlechtwegstrecken, kursstabil im Kurvendschungel. Verbesserungswürdig gibt sich nur der Lenkungsdämpfer: Völlig geöffnet kann er Kickback nicht verhindern, nahezu geschlossen dämpft er gut, präzises Einlenken und Geradeausfahren sind jedoch erschwert.

Die Bremsen gehören zu den besten, die je im Motorradbau verwendet wurden, ein überdimensionaler Bremsfallschirm ist nichts dagegen: kristallklarer Druckpunkt, bestens dosierbar, brutal in der Verzögerung. Endlich sind wir angekommen, beim Wort brutal. Wie schön, dass es am Ende in einem positiven Zusammenhang genannt werden kann.

Technische Daten

Künstle
Die neue MV Agusta Brutale 1090.

MOTOR
Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, eine Ausgleichswelle, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung Ø 46 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 350 W , Batterie 12 V/9 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 41:15.
Bohrung x Hub 79,0 x 55,0 mm
Hubraum 1078 cm³
Verdichtungsverhältnis 13,0:1
Nennleistung 106,0 kW (144 PS) bei 10600/min
Max. Drehmoment 115 Nm bei 8000/min

FAHRWERK
Gitterrohrrahmen aus Stahl, verschraubt mit Alu-Gussteilen, Motor mittragend, Upside-down-Gabel, Ø 50 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Einarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Fest-sättel, Scheibenbremse hinten, Ø 210 mm, Vierkolben-Festsattel.
Alu-Schmiederäder 3.50 x 17; 6.00 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 190/55 ZR 17
Bereifung im Test Dunlop Qualifier RR

MAßE+GEWICHT
Radstand 1438 mm, Lenkkopfwinkel 65,0 Grad, Nachlauf 104 mm, Federweg v/h 125/120 mm, zulässiges Gesamtgewicht 393 kg, Tankinhalt/Reserve 20,0/4,0 Liter.

SERVICE-DATEN
Service-Intervalle 6000 km
Öl- und Filterwechselalle 6000 km
Motoröl SAE 10W 60
Leerlaufdrehzahl 1200 ± 50/min
Luftdruck vorn/hinten Solo und mit Sozius 2,3/2,3 bar

Garantie zwei Jahre
Farben Rot/Silber, Schwarz/Weiß
Preis 18500 Euro
Nebenkosten 250 Euro

MV Agusta
Udo Dörich der Geschäftsführer von MV-Deutschland.

"Nicht zum Orthopäden müssen"

Udo Dörich, 48, Geschäftsführer von MV-Deutschland, über die Zukunft von MV Agusta und die brandneue Brutale 1090 RR.

 ? Herr Dörich, die heikelste Frage gleich vorweg: Harley, Eigentümer von MV Agusta, will die Marke verkaufen. Ist die Ersatzteilversorgung sichergestellt?

 ! Eins ist sicher: Die Marke MV Agusta wird immer bestehen, und es wird auch garantiert immer Ersatzteile geben. Zudem ist MV derzeit eine schuldenfreie Firma mit neuen, faszinierenden Modellen – die beste Ausgangsbasis, die eine Marke haben kann.

 ? Die alten Brutale-Modelle waren kompromisslos. Die neue 1090er verhält sich wesentlich umgänglicher, ist sogar ansatzweise komfortabel. Eine neue Philosophie?

 ! Ja, im gewissen Sinn schon. Die Vorgänger-Modelle waren fahrwerksseitig recht hart abgestimmt. Das funktionierte im Alltag auf schlechten Wegstrecken nur bedingt, die Fahrer mussten eine gewisse Leidensfähigkeit mitbringen. Doch Brutale-Eigner sind eh meist Menschen, denen genau diese Kompromisslosigkeit entgegen kam. Das neue Modell ist so abgestimmt, dass man nach der Tour nicht zum Orthopäden muss, und soll damit in Zukunft eine breitere Masse an Kunden anlocken, ohne die bisherigen zu verlieren.

 ? Durch verschiedene Schäden in der Vergangenheit hat sich MV Agusta nicht gerade den Ruf von Zuverlässigkeit erworben. Hat man beim neuen Motor besonderes Augenmerk auf Standfestigkeit gelegt?

 ! Seit Harley bei MV eingestiegen ist, ticken die Uhren ein wenig anders. Die wichtigste Forderung der jetzigen Eigner an die Modellpalette war in der Tat Standfestigkeit. So wurde nicht nur die Qualität der Bauteile nochmals erhöht, sondern auch das Kühlsystem umfassend geändert. Wir haben jetzt beispielsweise 65 Prozent mehr Kühlwasserdurchsatz bei niedrigen Drehzahlen. Aber auch das Layout des Ölkreislaufs wie auch die Ölbohrungen wurden umfassend geändert. Diesbezüglich wurden zudem die Zulieferer gewechselt. Harley möchte schnellstmöglich den Punkt erreichen, an dem man nicht mehr über Qualität sprechen muss.

 ? Wann ist MV an dem Punkt angekommen, an dem man nicht mehr über Qualität sprechen muss?

 ! Ich bin zuversichtlich: jetzt! Die Verarbeitungsqualität war schon immer überragend. Und der neue Motor ist potent und standfest.

 ? Wurden die Fehler der Vergangenheit von Harley-Technikern aufgedeckt und behoben?

 ! Nein. Punkte, an denen man optimieren könnte, waren in Italien durchaus bekannt. Doch zwei Dinge standen dem im Weg: Alle Motoren basierten auf dem Ur-Entwurf der ersten F4-Modelle, das verhinderte tiefgreifende Änderungen. Hinzu kam der finanzielle Engpass, der die Weiterentwicklung oder den Bau eines neuen Motors quasi unmöglich machte. Als Harley die Marke übernahm, lagen die Konstruktionspläne und Designentwürfe bereits in der Schublade. Durch die Finanzspritze wurden sie realisiert.

Technik-News

Hersteller
Neue Strategie: Die neu entwickelte Eaton-Ölpumpe, soll die Schmierung verbessern, zusätzlich ist der Ansaugbereich (Foto) geändert.

Neue Herzstücke

Der Motor aller bisher gebauten Brutale basierte letztlich auf dem Antrieb der ersten F4 mit 750 cm3 aus dem Jahr 1998. In der Brutale 1090 debütiert ein völlig neu entwickelter Antrieb, der mit dem alten bis auf den Schriftzug des Herstellers nur noch wenig identische Bauteile aufweist.

Zwar sind die Italiener von den Grundprizipien wie Vierzylinder-Reihe und radial angeordneten Ventilen nicht abgewichen, doch die komplette Änderung des Ölkreislaufs und die Verwendung einer Ausgleichswelle machten es letztlich notwendig, auch den Motorblock zu ändern. Im neuen Ölkreislauf sorgt nur noch eine statt vormals zwei Ölpumpen dafür, dass der lebenswichtige Schmierstoff ankommt.

Die Pumpe baut zudem sogar weniger Druck auf als die beiden Vorgängerinnen. Funktionieren soll das System jedoch besser als zuvor, da man den Ölkreislauf samt Ölwanne optimiert hat. Unbestätigten Gerüchten zufolge stammen Öl- wie Kühlkreislauf aus der Feder von Porschetechnikern. Abwegig ist das nicht. Denn schon bei der Entwicklung der wassergekühlten 60-Grad-V-Motoren für die V-Rod-Modelle arbeitete Harley mit Porsche zusammen.

Der überarbeitete Öl- und Kühlkreislauf soll den Antrieb in Verbindung mit vielen neu entwickelten Komponenten, unter anderem auch Pleuel und Kurbelwelle, absolut standfest machen. Zudem ist der Motor trotz der hinzu gekommenen Ausgleichswelle im Vergleich zum Antrieb aus der Brutale 1078 sogar 2,6 Kilogramm leichter.

Aufgefallen

PLUS

  • Bordwerkzeug mit kleiner Ausnahme (siehe unten) großzügig
  • Soziusplatz etwas besser als bei den alten Modellen
  • Einfacher Schnappverschluss für Soziusbank
  • Höhenverstellung für Schubstange gut zugänglich
  • LED-Zusatzbeleuchtung sehr auffällig

MINUS

  • Gasgriff schwergängig
  • Drehzahlmessernadel zittert
  • Inbusschlüssel fürs Öl-Nachfüllen im Bordwerkzeug nicht vorhanden
  • Spiegel vibrieren
  • Lenkungsdämpfer lässt sich durch kleines Handrad nur umständlich verstellen
  • Kontrollanzeigen im Cockpit leuchten schwach und sind schwer erkennbar

MOTORRAD-Messungen

Künstle
Die MV Agusta Brutale 1090 RR unter der Lupe.

Fahrleistung

Höchstgeschwindigkeit* 255 km/h
Beschleunigung

0-100 km/h 3,3 sek
0-140 km/h 5,4 sek
0-200 km/h 9,8 sek
Durchzug
60-100 km/h 3,0 sek
100-140 km/h 3,0 sek
140-180 km/h 3,4 sek
Tachometerabweichung
Effektiv (Anzeige 50/100) 48/96 km/h
Drehzahlmesserabweichung
Anzeige roter Bereich1 1500 /min
Effektiv 11500 /min

Verbrauch
Landstraße 7,3 l/100 km
Theor. Reichweite Landstraße274 km
KraftstoffartSuper

Maße+Gewichte
L/B/H 2009/850/1240 mm
Sitzhöhe 825 mm
Lenkerhöhe 1020 mm
Wendekreis 6850 mm
Gewicht vollgetankt 214 kg
Zuladung 179 kg
Radlastverteilung v/h 51/49 %

Die Brutale ist für ein kraftstrotzendes Naked Bike fast ideal übersetzt. Trotzdem: Der 6. Gang könnte ruhig als Overdrive zum Spritsparen ausgelegt sein. Im Vergleich zum Vorgängermodell liegen sowohl Leistung wie auch Drehmoment unter den Werten der Neuen. Dafür ist die 1090er fahrbarer. Durch sanftere Gasannahme und gleichmäßigere Leistungsentfaltung.

Fahrdynamik

Handling-Parcours I (schneller Slalom)
Rundenzeit 20,2 sek
Referenz Triumph Street Triple R 19,5 sek

vmax am Messpunkt 108,2 km/h
Referenz Triumph Street Triple R 124,7 km/h

Trotz des soft abgestimmten Fahrwerks lässt sich die MV sehr präzise um die Pylonen zirkeln. Am Umkehrpunkt ist die Gasanahme etwas verzögert.

Handling-Parcours II (langsamer Slalom)
Rundenzeit 28,1 sek
Referenz Triumph Street Triple R 24,7 km/h

vmax am Messpunkt 55,8 km/h
Referenz Triumph Street Triple R 59,0 km/h

Große Schräglagenfreiheit, präzises Lenkverhalten - die MV nimmt den langsamen Slalom gelassen und läuft trotz softer Fahrwerksabstimmung stabil.

Kreisbahn (Ø 46 Meter)
Rundenzeit 10,3 sek
Referenz Triumph Street Triple R 10,2 sek

vmax am Messpunkt 52,6 km/h
Referenz Triumph Street Triple R 56,4 km/h

Im stabiler Schräglage umrundet die Brutale die Kreisbahn und lässt sich auch durch die Trennungsfuge nicht aus der Ruhe bringen. Sie verhält sich im Grenzbereich sehr neutral.

Bremsmessung aus 100 km/h
Bremsweg 38,5 m bei 37,0 m eine Restgeschwindigkeit von 19,7 km/h
Referenz BMW K 1200 R Sport 37,0 m

Die Bremsanlage der Brutale 1090 RR lässt sich sehr fein dosieren. Leider geht die Gabel auf Block, so dass der Reifen die restliche Dämpfungsarbeit übernehmen muss. Das führt letztlich zu einem stempelnden Vorderrad. Andernfalls wären noch bessere Verzögerungswerte möglich.

*MOTORRAD-Messung; 1MOTORRAD-Testparcours, Werte vom Bremsentest aus den drei besten Fahrversuchen gemittelt; Referenz: Motorrad aus der jeweiligen Kategorie mit den bisherigen Bestwerten; 2Leistung an der Kurbelwelle. Messungen auf Dynojet-Rollenprüfstand 250, korrigiert nach 95/1/EG, maximal mögliche Abweichung ± 5 %

Die Konkurrenz

fact (1), Künstle (2)
Die Konkurrenten von Ducati, Honda und Yamaha.

Ducati Streetfighter S (oben)
Zweizylinder-V-Motor,Sechsganggetriebe, 148 PS, Gewicht 198 kg, Vmax 250 km/h, Verbrauch 5,2 Liter, Preis 18955 Euro*

Honda CB 1000 R (mitte)
Vierzylinder-Reihenmotor, Sechsganggetriebe, 125 PS, Gewicht 220 kg,Vmax 230 km/h, Verbrauch 5,2 Liter, Preis 10460 Euro*

Yamaha FZ1 (unten)
Vierzylinder-Reihenmotor, Sechsganggetriebe, 150 PS, Gewicht 230 kg, Vmax 252 km/h,Verbrauch 5,4 Liter, Preis 10820 Euro*

*inklusive Nebenkosten

Punktewertung

MOTOR
Ritt auf der Kanonenkugel: Selten war die Kraftentfaltung eines Antriebs derart beeindruckend, die neue Brutale ist ein Durchzugsmonster. Hier passt alles zusammen: Die knackigkurze, sportliche Getriebeübersetzung gepaart mit der machtvollen Umsetzung von Gasbefehlen sorgt für hervorragende Fahrleistungen. Einzige Mankos: Die Arretierung des zweiten Gangs könnte besser und die Betätigungskraft für die Kupplung etwas geringer sein.

FAHRWERK
Gar nicht mehr Brutal: Mit der hypersportlichen Fahrwerksauslegung ihrer Vorgängerin hat diese Brutale gar nichts mehr gemein. Im Gegenteil: Die 1090 ist sehr komfortabel abgestimmt, die Gabel sogar zu weich. Sie kommt im Zweipersonenbetrieb an ihre Grenze. Besonders hervorzuheben: Die 214 Kilogramm schwere Maschine gibt sich sehr handlich, lässt sich sehr leicht und präzise lenken und bleibt auf der angepeilten Linie.

ALLTAG
Alte Weisheit: Kraft kommt von Kraftstoff. Der bärige Motor genehmigt sich mit 7,3 Litern auf 100 Kilometer ordentlich einen. Ansonsten bleibt die 1090 wie ihre Vor-gängerin eine Diva: Mit Spiegeln, in denen man nicht viel sieht, einem wenig komfortablen Soziusplatz und miserablen Möglichkeiten zur Gepäckunterbringung. Gut dagegen: Die vielfältigen Infos des Cockpits und die im Vergleich zur alten Brutale verbesserte Ergonomie für den Fahrer.

SICHERHEIT
Nahezu perfekt: In puncto Verzögerung gibt es kaum Besseres. Brillante Dosierbarkeit, extreme Wirkung, die Bremsen sind der Hit, wenngleich nur ohne ABS lieferbar. Trotz serienmäßigen Lenkungsdämpfers zuckt die Brutale in wirklich extremen Situationen noch mit dem Lenker.

KOSTEN
Von Giselle Bündchen verlangt auch niemand Kochkünste - so what? Die Brutale braucht viel Sprit, viel Reifen und hat kurze 6000er-Inspektionsintervalle. Eine Diva zu unterhalten, war noch nie günstig.

PREIS-LEISTUNGSNOTE
Bestnote: 1,0
Wertung: 4,0
Keine Koffer, kein ABS, kein Windschutz, hoher Verbrauch, schlechter Soziusplatz. Okay. In der Preis-Leistungs-Note spiegelt sich der Spaßfaktor leider nicht wieder.

Fazit

Die neue Brutale ist für MV ein Riesenschritt nach vorn und spricht die breitere Masse der Motorradfahrer an. Sie ist fahrbarer und alltagstauglicher als ihre Vorgängerinnen, hat dabei jedoch kaum etwas von ihrer Faszination verloren. Die Ehe zwischen MV und Harley hat ein tolles Kind hervorgebracht. Wäre schade, wenn es jetzt zu Grabe getragen werden müsste.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023