Einfach Verkleidung dran und schon ein ganz anderes Motorrad? Ganz so ist es nicht. Aber ein Stück Kunststoff kann neben dem Aussehen auch den Charakter nachhaltig verändern. MOTORRAD nahm zwei Pärchen unter die Lupe.
Einfach Verkleidung dran und schon ein ganz anderes Motorrad? Ganz so ist es nicht. Aber ein Stück Kunststoff kann neben dem Aussehen auch den Charakter nachhaltig verändern. MOTORRAD nahm zwei Pärchen unter die Lupe.
Dass sich für viele die Frage »Mit oder ohne Verkleidung« nicht stellt, liegt sicher nicht allein in funktionellen Unterschieden. Es ist oft ebenso eine ästhetische Frage. Oder eine ideologische. Außerdem wird häufig die Ergonomie den Ausschlag geben, denn in vielen Fällen bietet die verkleidete Variante eine dramatisch veränderte Sitzposition.
Wie im Fall Suzuki. SV 1000 oder SV 1000 S da scheiden sich schon nach dem ersten Probesitzen die Geister. Obgleich Suzuki für das Modelljahr 2004 die betont vorderradorientierte Sitzposition der sportlichen S-Variante deutlich entschärfte und die Position der Fußrasten um 24 Millimeter nach unten sowie acht nach hinten verschob, ist vor allem die unterschiedliche Lenkerhöhe signifikant. 89 Zentimeter sind es bei der S, deren
96 bei der Unverkleideten, resultierend aus knapp über der Gabelbrücke liegenden Lenkerhälften auf der einen und einem touristisch gekröpften Rohrlenker auf der anderen Seite.
Auf der »S« stark über den Tank gespannt, verändert der Fahrer die Position des Oberkörpers bei höherem Tempo automatisch. Kopf und Schultern schieben sich Richtung Verkleidung und somit in den schützenden Windschatten der flachen Halbschale. Dass die unterschiedliche Sitzposition den Windschutz, den eine Verkleidung liefern kann, entscheidend beeinflusst, macht der Quervergleich zwischen der nackten und der verkleideten FZ6 von Yamaha deutlich.
Beide bieten praktisch die gleichen ergonomischen Bedingungen. Lediglich eine andere Kröpfung des Rohrlenkers und die daraus resultierende vier Millimeter geringere Lenkerhöhe unterscheiden die verkleidete Fazer von der nackten FZ6. Und damit bleibt bei der Fazer der Abstand von Oberkörper und Kopf zur Verkleidung relativ groß.
Diese Tatsache schlägt sich insbesondere in einem immensen Geräuschpegel nieder. Selbst im Vergleich zur unverkleideten FZ6 ist die Fazer ein rechter Radaumacher, der ohne Ohrenstöpsel nicht einmal mittelfristig auszuhalten ist. Die Ursache: Wegen des großen Abstands zur Verkleidung liegt der Kopf bei normaler Fahrerhaltung praktisch immer im Bereich heftiger Turbulenzen. Erst wenn der Fahrer ganz abtaucht oder sich aufrecht in die Rasten stellt, sinkt der Geräuschpegel auf oder unter das Niveau der nackten Schwester, auf der der Kopf des Fahrers im wirbel-
freien Luftstrom liegt.
Aus dieser Tatsache auf schlechten Windschutz zu schließen wäre aber falsch. Den Oberkörper entlastet die ausladende Fazer-Verkleidung nämlich spürbar von den anstürmenden Gewalten. Das ist auf der Landstraße oder bei Autobahn-Richtgeschwindigkeit weniger relevant. Soll aber eine lange Anfahrt beispielsweise in die Alpen zügig zurückgelegt werden, ist die Fazer eine echte Empfehlung. Und das, obgleich ein anderer Verkleidungsvorteil bei den Yamaha-Geschwistern kaum oder gar nicht zum Tragen kommt: Die Geradeauslaufstabilität ist nämlich bei beiden her-
vorragend. Auch die nackte FZ6 liegt wie das als Sprachbild
falsche, jedoch sprichwörtliche Brett auf der Straße, lässt sich bis zur Höchstgeschwindigkeit (Fazer 220 km/h, FZ6 210 km/h) zu keinerlei Wankelmut hinreißen. Da mag der ungeschützt im Wind hängende Fahrer noch so unfreiwillig-kräftig am Lenker zerren.
Womit man bei der Suzuki-Paarung landet. Die Geradeauslauf-Qualitäten von SV 1000 und Schwester S unterscheiden
sich in höheren Geschwindigkeitsregionen nämlich grundsätzlich, woran die Verkleidung wie die Sitzposition maßgeblichen Anteil haben. Tief geduckt, weitgehend unbelästigt von Winddruck und Turbulenzen zieht der S-Klasse-Fahrer bis hin zur Topspeed von 250 km/h ungerührt seine Bahn, während es auf der nackten
SV deutlich unruhiger zugeht.
Auf ihr dreht man gerne mal vor Erreichen der Höchstgeschwindigkeit von 235 km/h den Gashahn zu. Zum einen, weil der Winddruck dann eindeutig Richtung »Orkan« tendiert. Zum anderen, weil die über den Lenker eingeleitete Unruhe die Fuhre deutlich zum Pendeln bringt. Doch auch wer nicht mit Vollgas auf der Autobahn unterwegs ist, wird sich über die Segnungen der
S-Verkleidung freuen, denn die Geräuschkulisse nimmt niemals derart störende Ausmaße an wie auf der FZ6 Fazer.
So empfiehlt sich die nackte SV 1000 vor allem für Leute, die gerne aufrecht sitzen. Wer jedoch sportlichere Sitzhaltung schätzt, erkauft sich mit der aktuellen S-Version eindeutige Vorteile. Nicht ganz so eindeutig sieht die Sache bei den Yamaha-Schwestern aus. Dem unbestrittenen Vorteil der Fazer, ihrem deutlich besseren Windschutz, steht die enorme Geräuschentwicklung gegenüber. In puncto Stabilität geben sich beide kaum etwas. Das lässt die Wahl dann endgültig zur Geschmacksfrage werden.