Brutale 675 und Street Triple im Vergleich
Die Triumph Street Triple und die MV Agusta Brutale 675 treffen sich im August in Aalen, Süddeutschland. Der Plan? Beide wollen im Kult-Zirkus Bonanza anheuern, in dem sonst nur Seiltänzer, Clowns und Tiere ihre Kunststücke vorführen und das Publikum zum Lachen bringen. "Ha, das können wir auch!", denken sich unsere beiden Mittelklasse-Funbikes. Auch sie wollen Tricks vorführen und richtige Zirkuskinder werden! Und tatsächlich, beide dürfen probeweise auftreten. Dichtes Gedränge im Zelt. Das Publikum fiebert dem Auftritt der Gastspieler entgegen. Aber welcher Drilling fährt sich in die Herzen der Zuschauer? Manege frei!
Die Street Triple fährt selbstbewusst ins Rampenlicht und zeigt ihr erstes Kunststück: einrädriges Fahren. Kontrolliert steigt ihre Front im Zirkuszelt, wobei sie sich beinahe instinktiv am Kipppunkt balancieren lässt. Die Engländerin profitiert von ihrem ausgereiften Dreizylinder, der bereits ab 2000/min fein anspricht, mächtig drückt und seine Leistung gleichmäßig entfaltet. Punktlandung! Die Zuschauer toben.
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Hoch die Front! Die Triumph reagiert so fein auf Gasbefehle, dass Wheelies zum Kinderspiel werden.
Die Brutale 675 startet zum Gegenangriff. Erster Versuch: Die Kupplung rupft, das Gas zuckt unkontrolliert, die Front springt hektisch in die Höhe und knallt unsanft wieder zu Boden. Fast hätte sie sich überschlagen. Das Problem: Ihr Motor ruckelt, spuckt und hustet bis 5000/min, dass sogar die Zuschauer verdutzt dreinblicken. Außerdem läuft das Gas nach. Soll heißen, nach dem Schließen des Gaszugs dreht der Triple kurz weiter. Im Alltag nicht weiter störend, aber bei der Wheelie-Disziplin kommt es auf die punktgenaue Dosierung der Power an.
Niederlage! Buhrufe aus den Zuschauerreihen. Tomaten und faule Äpfel fliegen nach vorne. Was für eine Blamage! Doch die Newcomerin lässt sich nicht aus der Fassung bringen. Sie kennt ihre wahren Stärken.
Vom Publikum angeheizt, startet die Street Triple zum nächsten und wichtigsten Kunststück, dem Kurvenwedeln. Sie flitzt quer übers Zirkusgelände, schlägt Haken zwischen Wohnmobilen und Tieranhängern. Mit ihrem nicht einstellbaren Standardfahrwerk fährt die Engländerin eher auf der weichen Seite. Wer hart bremst, taucht vorne tief ab, was Unruhe schafft. Daher geht es häufig leicht schaukelnd durch die Kurve. Bei zügiger Fahrt im Verbund mit mäßiger Asphaltqualität stempelt sogar das Vorderrad bedrohlich. Die Standard-Triple ist vorne einfach unterdämpft. Aus der Praxis wissen wir, dass sich die R-Version mit ihrem voll einstellbaren Fahrwerk diese Blöße nicht gibt. Handling und Sitzposition dagegen überzeugen auch bei der Standard-Version. Der Pilot sitzt fahraktiv nach vorne orientiert und kann Richtungsänderungen dank des breiten Lenkers blitzschnell einleiten.
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Die Brutale 675 ist das einzige Mittelklasse-Naked Bike, das über eine in acht Stufen einstellbare Traktionskontrolle verfügt.
Die Brutale 675 klebt der Street Triple bereits am Heck. Sie wittert ihre Revanche. Wieselflink verfolgt sie die Gegnerin und sticht schließlich in einer langen Rechtskurve vor dem Kassenhaus innen durch. Unglaublich, wie direkt und leichtfüßig die MV um Zelthaken zirkelt und dabei die Linie nach Belieben wechselt. Mit ihrem ähnlich breiten Lenker und der ebenfalls nach vorne orientierten Sitzposition wirkt sie noch angriffslustiger als ihre Gegnerin. Hier spürt der Fahrer die Rennsport-DNA, die sie von ihrer sportlichen Schwester F3 mitbringt.
Apropos Rennsport, da wäre beispielsweise die in acht Stufen einstellbare Traktionskontrolle. Die Brutale 675 ist das einzige Mittelklasse-Naked Bike, das über ein solches System verfügt. Und über ein funktionierendes dazu! In Stufe 8, dem sensibelsten Modus, reduziert die Elektronik den Schlupf am Hinterrad deutlich, vor allem beim harten Beschleunigen über Bodenwellen oder schlechten Belag. Sicher, das System arbeitet etwas hakelig und lässt hier und da kleine Rutscher durchgehen, aber es fängt das Temperament der MV angemessen ein.
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Erst im fünfstelligen Drehzahlbereich brennt bei der Brutale richtig die Hütte.
Weiter in Sachen Elektronik. Auch die vier Motor-Modi, S für Sport, N für normal, R für Rain und C für Custom (frei einstellbar) unterscheiden sich deutlich voneinander. Der S-Modus spricht äußert spontan an. Wird das Gas ein Viertel geöffnet, steht gefühlt bereits Vollgas an. Sanftes Gasanlegen im Kurvenscheitel scheint unmöglich. Der Gasgriff erfüllt hier mehr eine Schalterfunktion: On/Off - Gas ein, Gas aus. Viel sinnvoller ist da der N-Modus, der weicher anspricht und die Leistung kontrollierbarer an die Kette schickt. Dennoch liegt die MV damit in puncto Motorabstimmung hinter der Triumph Street Triple.
Die Leistungskurve der Brutale 675 steigt viel spitziger als bei der Engländerin: also unten weniger, oben mehr Power. Hat der Drilling das Leistungsloch im Anfahrbereich bis 4000/min überwunden, dreht er willig hoch. Dabei fällt kaum auf, dass er bis 11 500/min leistungstechnisch der Street Triple hinterherhinkt und erst bei 12 500/min vier zusätzliche PS ausspuckt. Gefühlt wirkt die Italienerin im mittleren und oberen Drehzahlbereich sogar etwas quirliger.
In puncto Fahrwerk liefert die Brutale das Kontrastprogramm zur Street Triple. Die ebenfalls nicht einstellbare Gabel ist straffer abgestimmt, fängt Bodenwellen halbwegs auf, liefert aber kaum Feedback. Das Federbein ist viel zu hart, schickt Schläge ungedämpft an den Fahrer weiter und kickt ihn auf Bodenwellen regelrecht aus der Sitzbank. Beide Extreme, das Softe der Street Triple und das Harte der Brutale 675, sind nicht ideal. Dafür fährt die MV im Vergleich zielgenauer und sicherer durch kurvige Passagen. Somit gewinnt die Newcomerin in der Kurvendisziplin die Gunst der Zuschauer.
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Bequemer geht’s kaum: Die Sitzbank der Street Triple ist ein Sofa. Dazu traumhaftes Dreizylinder-Surren aus Original- bzw. Bodis-Töpfen.
Zuversichtlich setzt die Street Triple zum nächsten Trick an, dem Stoppie. Und kassiert gleich die nächste Klatsche! Die günstigen Nissin-Stopper wirken bei harten Verzögerungen stumpf, der Bremshebel liegt matschig in der Hand und transportiert kein sauberes Gefühl für die Bremsreserven. Ganz anders agiert der Brembo-Beschlag der MV: kräftiges Verzögern bei gleichzeitig guter Dosierbarkeit. Da wird der Ampel-Stoppie zur Routine. Wieder fliegen Tomaten und faule Äpfel, dieses Mal auf die Triumph.
Jetzt eine Aufgabe, bei der sportliche Bikes bekanntlich Federn lassen: Alltag und Komfort. Die Street Triple zeigt stolz ihre weiche Sitzbank, die an ein Oberklasse-Sofa erinnert. Der Fahrer brettert entspannt über Schlaglöcher und Gullydeckel, das Sitzkissen bügelt in Zusammenarbeit mit dem Fahrwerk alle Unebenheiten einfach weg. Volles Kontrastprogramm bei er MV. Hier sitzt der Pilot auf einer Art Granitplatte, die über den Asphalt schrabbelt und den Körper bis in die letzte Haarspitze erzittern lässt. Gut, die Rückmeldung über den Straßenbelag ist phänomenal, keine Frage, aber nach einer Stunde bettelt das Schmerzzentrum nach Morphium. Diese Tomatenrunde geht also wieder an die unbequeme Italienerin.
Und das Beste zum Schluss, der einzigartige und beliebte Sound der Drillinge. Die Street Triple flötet ihrem Fahrer eine wohlklingende Dreizylinder-Sonate ins Ohr. In niedrigen Drehzahlen trompetet sie, in oberen singt sie kernig-bassig. Wieder grenzt sich die Brutale ab und spielt ihr eigenes Konzert. Sie scheppert metallisch über das gesamte Drehzahlband, zwar nur unterschwellig, aber unüberhörbar. Bis 5000/min klingt sie zugestopft, darüber wird sie schnell laut, unangenehm laut. Hier könnte man ihr zugutehalten, dass sie mal wieder ihrem Namen treu bleibt: einfach brutal! Den Zuschauern gefällt der Krawall, sie vergeben den letzten Punkt an die neue Dreizylinder-Akrobatin.
Die Vorstellung ist vorbei, das Publikum hat entschieden: Die junge Italienerin bekommt den Job. Sie ist das neue Zirkuskind und darf die Massen auch zukünftig unterhalten. Die Engländerin trinkt erst einmal einen Frust-Tee und denkt sich insgeheim: Das nächste Mal komme ich als R-Version.
PS-Messwerte und -Urteil
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Die MV Agusta Brutale 675 attackiert die Triumph Street Triple im Mittelklasse-Sektor der Naked Bikes.
Archiv
Leistungsdiagramm der beiden Dreizylinder.
PS-Messwerte
Ein Konzept, zwei Welten. Die Triumph Street Triple baut ihre Leistung schön gleichmäßig auf und schiebt schon ab Standdrehzahl kräftig voran. Bei 3000/min stemmt sie doppelt soviel Drehmoment wie die Brutale 675. Bemerkbar wird das vor allem beim Ampelstart. Hier schießt die Engländerin der Italienerin gnadenlos davon. Die Triumph lässt sich insgesamt schaltfauler und niedertouriger fahren, wirkt dafür aber etwas langweiliger. Der Leistungsverlauf der MV ist viel spitzer. Bis 4000/min spricht der Motor überhaupt nicht an, ab 8000/min drückt er dann ordentlich und erst im fünfstelligen Drehzahlbereich brennt richtig die Hütte.
Fahrleistungen
| Beschleunigung* |
| Durchzug* | Höchstgeschwindigkeit* |
| 0-100 km/h
| 0-150 km/h
| 0-200 km/h
| 50-100 km/h
| 100-150 km/h
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MV Agusta Brutale 675 | 3,6 s | 6,4 s | 12,3 s | 4,7 s | 4,7 s | 222 km/h |
Triumph Street Triple | 3,7 s | 7,0 s | 13,8 s | 4,8 s | 5,8 s | 225 km/h |