Vergleichstest Allrounder
In Medias Tres

Die kleine Raptor kombiniert den SV 650-Twin mit einem Gitterrohrrahmen und italienischer Extravaganz aus der Feder des Monster-Schöpfers Miguel Galuzzi. Reicht das, um die beiden Originale zu vernaschen?

Mittelklasse bedeutet nicht zwangsläufig Mittelmaß, das ist spätestens klar, seit Suzukis SV-Modelle Zulassungscharts und Bikerherzen im Handstreich erobert haben. Quirligen Zweiradspaß gibt’s auch fernab der Formel »stärker, schneller, teurer«.
Eine Alternative lautet: V2-Motor mit 70 PS im Gitterohrrahmen, unter 200 Kilogramm Gewicht sowie eine aufrechte Sitzposition zum Preis von gut 12000 Mark. Okay, die 750er-Monster verfehlt dieses virtuelle Benchmarking, für – gemessene - 68 PS wandern 16 große Scheine über den Tresen des Ducati-Dealers. Egal, oder wollen Sie die jahrzehntelang in Metall gegossene Desmo-Aura ernsthaft in Mark und Pfennig aufwiegen?
Interessenten einer Suzuki SV 650 dürfen schnöden Kosten-Nutzen-Rechnungen entspannt entgegensehen: Für weniger als 12000 Mark wirft sie nicht nur – gemessene – 76 PS, sondern auch einen hübsch glänzenden Aluminiumrahmen samt ordentlicher Verarbeitung in die Waagschale.
Mit hübschem Glanz hat Cagivas Baby-Raptor auf den ersten Blick wenig im Sinn. Vor allem die in mattem »Jump-Grey« lackierte Testmaschine verbindet den reflektionsarmen Charme eines Stealth-Bombers mit dem verwegenen Formenmix einer Designer-Diplomarbeit unter dem Motto: Freies Gestalten für Fortgeschrittene. Trendig, chic und etwa 14000 Mark teuer. Als feste Größe fungiert Suzukis SV 650-V2, jedoch mit einer geänderten Airbox, modifizierter Gemischaufbereitung sowie einer Zwei-in-zwei-Auspuffanlage. Zusammen mit der geänderten Endübersetzung verspricht Cagiva mehr Leistung und hurtigeres Vorankommen. Und die Vareser halten Wort: Holla, geht das Teil ab! Egal, ob die Nadel des dreieckigen Drehzahlmessers bei 2000 Touren dümpelt oder schon im roten Bereich steht. Fast ansatzlos marschiert die Avantgardistin voran, bei 7000 Touren sollte der Lenker bereits gut festgehalten werden. Nachschlag gefällig? Gern, denn bis zum Einsatz des Begrenzers bei echten 10500 Umdrehungen feiert der V-Twin ein Freudenfest. Okay, wirklich sein müssen solche Exzesse nicht, im täglichen Leben reichen fünf-, sechstausend Touren lang hin. Trotzdem verführt das leise, vibrationsarme Aggregat zu kurzweiligem Ausdrehen inklusive Steptanz durch die leichtgängige Sechsgangbox.
Auf beides versteht sich die Motorenspenderin von Suzuki ebenfalls, wenn auch einen Tick distinguierter als der modifizierte Triebling der Cagiva. Dafür pflegt der Zwei-in eins-Schalldämpfer eine kernigere Aussprache, aus der die Suzi allerdings keinen Vorteil zieht. Besonders beim Aufenthalt in allerhöchsten Drehzahlgefilden gibt sie sich weniger gierig als die feurige Cagiva. Mit dieser teilt sie dafür die geschmeidigen Umgangsformen in vierstelligen Drehzahlregionen. Dort quirlt der SV-Sechsfünfziger derart munter los, dass unter Beachtung der StVO eigentlich nie der Wunsch nach mehr Leistung aufkeimt.
Und nun zur Abteilung Charakterdarsteller: Hoppla, jetzt komm’ ich, scheint das mittlerweile fast archaisch anmutende, zerklüftet-verrippte Ducati-Wahrzeichen seinem Fahrer zuzurufen, wenn mit einem strengen, trockenen Ruck die Zahnräder des ersten Gangs zusammenfinden. Was soll’s, die Monster wird nie zum alles verzeihenden Fahrschulmotorrad taugen. Zu schwergängig die hydraulisch betätigte Kupplung, zu überfallartig deren Kraftschluss, zu störrisch der Kaltlauf, zu knorrig das Getriebe, zu klein der Lenkeinschlag. Aber welcher puristisch ngehauchte Maschinenbau-Enthusiast gibt sich schon mit einem aalglatten Bike zufrieden? Er will Reinhorchen, Eigenarten verstehen lernen, ein bisschen zähmen und dann nur noch genießen.
Wer Ventilfedern schon immer für eine Ingenieurskrücke hielt, Vibrationen für legitime Lebensäußerungen und röhrendes Anschaugschlürfen für einen essentiellen Bestandteil von Verbrennungskraftmaschinen, der wird den 90-Grad-Zweiventiler tief ins benzinumtoste Herz schließen. Unterm Monster-Tank rumpelt, rappelt, saugt und pufft es fast wie anno dunnemals. Vor allem im unteren Drehzahlbereich scheinen sich die Komponenten im Inneren des V2-Denkmals noch nicht so richtig über ihre Rollen im Klaren zu sein. Erst ab geschätzten 3000 Umdrehungen hebt sich der Vorhang: Ventil- und Kurbeltrieb stimmen gemeinsam das desmodromisch gesteuerte Hohelied an und kümmern sich quasi im Vorbeigehen um angemessene Beschleunigung – nur knapp hinter der zehn PS stärkeren Konkurrenz.
Sound hin oder her, im Stadtverkehr nervt starker Charakter manchmal. Der untenrum ruppige Motor und die widerborstige Kupplung machen den Fahrer bisweilen glauben, er habe einen Gang zu hoch gewählt. Die wohlerzogenen Konkurrentinnen zeigen der sonnengelben Diva, wie es geht. Kultiviert und fein dosierbar zockeln beide bei Bedarf klaglos durchs City-Chaos oder um hochalpine Haarnadelkurven. Lastwechsel? Duc: Aber hallo. Suzi: doch, schon. Cagiva: na ja. Vereint schlägt das Triumvirat zu, sobald flottes Durchschlängeln im Kampf um die Ampel-Pole ansteht. Niedrige Sitzhöhe und Rohrlenker in Schulterbreite wecken bei Anfängern und Fortgeschrittenen gleichermaßen Vertrauen, also genau die richtige Basis, um forschere Aufgaben anzugehen.
Gesagt, getan. Im Sattel der drei Mittelklasse-Twins dürfen sich selbst Aushilfs-Cadaloras als wahre Helden fühlen. Angstfrei Vollgas geben bis Topspeed roundabout 200 oder mit lockerer Hand durch die Lande wuseln - so leicht kann das Leben sein und doch so facettenreich, schließlich legt jede Nackte Wert auf ihren eigenen Stil. Bei der Italien-Fraktion heißt das: vorn straff, hinten weich. Die Upside-down-Gabel der Monster gibt sich leider genauso bockig wie ein willensstarkes Kleinkind. Für die einen ist es glasklare Rückmeldung, für die anderen schlicht Belästigung. An der Cagiva-Front geht es gesitteter zu, sensibel ansprechend setzt die 43er-Gabel bei Bedarf Unebenheiten kontrollierten Widerstand entgegen und verschont den Fahrer vor nahezu allen straßenoberflächlichen Belästigungen. Achtern herrscht dagegen Flaute: Die Federbeine von Raptor und Monster halten relativ wenig Dämpfung parat. Rasantes Beschleunigen auf welligem Parkett führt wegen geringer Vorderradlast - speziell bei der Cagiva – schon mal zu Unruhe im Lenker. Monster-Treiber können zwar die Zugstufe des Sachs-Federbeins justieren, am besten belässt man es in der mittleren Einstellung. In puncto Balance trumpft die Suzuki auf, selbst wenn ihre 41er-Gabel zur Kategorie der Softies zählt. Insgesamt gefallen allerdings die SV-Federelemente mit einer komfortablen Auslegung, ohne unsportlich oder gar schwammig zu wirken.
Stichwort Komfort. Haben Sie sich auch schon mal über die bescheidene Asphaltqualität auf ihrer Hausstrecke geärgert, die Supersport-Piloten andauernd in die Rasten zwingt? Werden sie doch zum Sitzenbleiber, unsere drei Protagonisten bieten genügend Reserven, um auf sämtlichen handelsübliche Bundes-, Landes- und Kreisstraßen unbeirrt im Sattel kleben zu bleiben, wenn die straff gedämpfte Racing-Fraktion bereits zum Rodeo-Stil übergehen muss. Landschaftsumarmend hinter dem breiten Duc-Lenker, angeschmiegt an die fließenden Tankflanken der SV und verwachsen hinter dem mächtigen Tank der Raptor, erfreuen sich Piloten unterschiedlichster Statur an einer perfekten Integration.
Ergonomie-Kritik? Enger Beinwinkel und weiche Bank an der Cagiva - sonst nix. Ach doch, sobald jemand hintendrauf am Vergnügen teilhaben soll, wird es auf der Raptor ungemütlich. Erstens ist das Sitzpolster für den Transport von Menschen weitgehend ungeeignet, und zweitens entsprechen die Dämpfungsreserven ab etwa 140 Kilogramm Lebend-Ladung in etwa dem einer Portion Tiramisu. Mit Reisebus-Qualitäten warten Monster und SV zwar ebenfalls nicht auf, Platzangebot und Fahrwerksabstimmung laden aber immerhin zu spaßigen Mitfahrten ein. Die Japanerin entpuppt sich sogar als ambitionierte Soziusfreundin – sowohl Sitzpolster als auch sonstiges Umfeld bieten fast schon Tourenniveau.
Punkte macht die Cagiva dafür mit dem Designer-Drehzahlmesser, doppeltem Tageskilometerzähler und einstellbarem Bremshebel. Bis auf den einfachen Tripzähler zieht die SV gleich, ihr wie provisorisch drangeschraubter Drehzahlmesser wirkt irgendwie rührend. Und die Duc? Setzt ihre puristische Roadster-Philosophie bis ins Cockpit fort. Simpler Tacho, nicht mal mehr mit weißem Zifferblatt, ein paar Kontrollleuchten, das war’s. Der Maschinist muss sich darüber hinaus auf die Hebeleien einstellen und nicht umgekehrt. Hat was von Spartakiade. Nicht ohne Reiz im Zeitalter von Memory-Funktionen und elektrisch verstellbaren Scheiben. Motorradfahren ohne Filter eben.
Wohlan, konzentrieren wir uns wieder auf die Straße. Schnelle, schöne, griffige Kurven. Monster zuerst. Stur und unbeirrbar donnert die Italienerin über die Piste. Stichwort Kreiselkräfte. Sie sind der Freund des Zweiradlers, ohne ihre Hilfe würde er des öfteren auf der Nase liegen. Zur Monster pflegen sie ein besonders inniges Verhältnis, denn je flotter es vorwärtsgeht, umso sturer vergolgt sie ihre Bahn und wirkt dann deutlich unhandlicher als ihre Konkurrentinnen. Für Ducatisti ist es unbeschreiblich souveräne Gefühl, das die Bologneser auf wundersame Weise in alle ihre Modelle implantieren. Im Gegensatz dazu scheint die Suzi servogelenkt zu sein. Mit minimalem Kraftaufwand kann sie quasi auf der Stelle wenden und fährt um fast alles, was sich sonst so auf der Straße tummelt, Kreise. Trotzdem erweist sich die Raptor als ebenbürtige Gegnerin. Einen Tick weniger handlich, kontert sie mit vorbildlicher Lenkpräzision und Kurvenstabilität, so dass die Cagiva die Testarena in Sachen Fahrwerk loorberumkränzten Hauptes verläßt.
Beim Bremsen geht das güldene Siegerkraut Richtung Nippon, und zwar in doppelter Hinsicht, schließlich vertraut die Suzuki auf japanische Stopper. Sanft progressiv und dabei hervorragend dosierbar pressen sich die Beläge an die Scheiben, hinten bisweilen sogar recht vehement. Richtig wild paaren sich dagegen die 320-Millimeter-Scheiben der Ducati mit den Belägen der Brembo-Zangen. Beim unbedachten Zugriff probt das Monster den Aufstand. Stoppie-Fans werden die Augen vor Freude, Grobmotorikern unter Umständen vor Schmerzen tränen. Fast schon erholsam kontrolliert agiert der Verein aus Nissin-Pumpe und Brembo-Zangen an der Raptor-Front. An die famosen SV-Stopper kommt er dennoch nicht heran.
So ähnlich sieht’s auch in der Gesamtschau aus. Cagivas mutige Mischung aus kongenialem Styling und bewährter Technik muss sich dem japanischen Chartbreaker, wenn auch knapp, beugen. Und unser aller Monster, Ducatis konsequenter Desmo-Roadster, geht sowieso ihrer eigenen Weg.

Unsere Highlights

1. Platz - Suzuki SV 650

Alea iacta est - die Würfel sind gefallen. Und zwar zugunsten der clever gemachten SV 650. Angesichts dieser preiswerten Fahr- und Spaßmaschine muss man sich fragen, warum die übrigen Japaner nicht nachziehen. Flott, sparsam und nett anzuschauen. Auch wenn die handliche 650er in keiner Disziplin extrem herausragt, bereitet sie ruhigen oder ambitionierten Charakteren gleichermaßen Spaß ohne Reue. Selbst im Passagierbetrieb gibt sich das Erfolgsmodell keine Blöße.

2. Platz - Cagiva Raptor 650

Spes saepe fallit – Die Hoffnung täuscht oft. Um sechs Punkte ist die Spätgeborene am Auftaktsieg vorbeigeschrammt. Was etwa der Differenz im Soziuskomfort gegenüber der SV entspricht. Wer nicht beabsichtigt, mit dem Designerstück ins Transportgewerbe einzusteigen, darf die Raptor somit guten Gewissens zu seinem persönlichen Sieger krönen. Die Kreuzung japanischer Motorenbaukunst mit italienischem Chic ist den Varesern nahezu hundertprozentig gelungen. Gratulation!

3. Platz - Ducati M 750 Monster

Quod erat demonst(e)randum - was zu beweisen war. Ducatis unerhört betörendes Kultmobil muss sich der Jugend beugen. Zumindest was messbare Kriterien angeht. In Sachen Charakter macht sie der Konkurrenz noch etwas vor. Mit ihrer schnörkellosen Ausstattung und dem ehrlichen Charakter zwingt sie ihren Piloten, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: lustvolles Motorradfahren. Als Mitgift schenkt sie ihm schienengleiche Stabilität und den einzigartigen Ducati-Sound.

2. Platz - Cagiva Raptor 650

Spes saepe fallit – Die Hoffnung täuscht oft. Um sechs Punkte ist die Spätgeborene am Auftaktsieg vorbeigeschrammt. Was etwa der Differenz im Soziuskomfort gegenüber der SV entspricht. Wer nicht beabsichtigt, mit dem Designerstück ins Transportgewerbe einzusteigen, darf die Raptor somit guten Gewissens zu seinem persönlichen Sieger krönen. Die Kreuzung japanischer Motorenbaukunst mit italienischem Chic ist den Varesern nahezu hundertprozentig gelungen. Gratulation!

3. Platz - Ducati M 750 Monster

Quod erat demonst(e)randum - was zu beweisen war. Ducatis unerhört betörendes Kultmobil muss sich der Jugend beugen. Zumindest was messbare Kriterien angeht. In Sachen Charakter macht sie der Konkurrenz noch etwas vor. Mit ihrer schnörkellosen Ausstattung und dem ehrlichen Charakter zwingt sie ihren Piloten, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: lustvolles Motorradfahren. Als Mitgift schenkt sie ihm schienengleiche Stabilität und den einzigartigen Ducati-Sound.

1. Platz - Suzuki SV 650

Alea iacta est - die Würfel sind gefallen. Und zwar zugunsten der clever gemachten SV 650. Angesichts dieser preiswerten Fahr- und Spaßmaschine muss man sich fragen, warum die übrigen Japaner nicht nachziehen. Flott, sparsam und nett anzuschauen. Auch wenn die handliche 650er in keiner Disziplin extrem herausragt, bereitet sie ruhigen oder ambitionierten Charakteren gleichermaßen Spaß ohne Reue. Selbst im Passagierbetrieb gibt sich das Erfolgsmodell keine Blöße.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023