Ducati gegen MV Agusta Teil I
Während sich in Deutschland die Rockergangs Bandidos und Hells Angels erbitterte Kämpfe liefern, tobt im Süden Europas eine ganz andere Schlacht. Ducati und MV Agusta schicken ihre stärksten Nacktkämpfer auf die Straße, um die Vorherrschaft bei den italienischen Top Nakeds auszufechten.
Die Ducati Streetfighter S steht schon seit gut einem halben Jahr in den Diensten der Roten aus Bologna und legte sich bereits mit der KTM 990 SMR an (PS 7/2009). Bei diesem Test bezog die Ducati allerdings Prügel - sie harmonierte nicht mit dem Serienreifen Pirelli Diablo Corsa III. Wohl deshalb besohlte Ducati sie für diesen Test um auf Metzeler Sportec M3. Serienmäßig steht sie aber wohlgemerkt nach wie vor auf den Pirellis.

Der zweite Kämpfer entstammt einem italo-amerikanischen Clan: MV Agusta und Harley-Davidson. Ebenfalls stark und durchtrainiert, verführt die neue Brutale 1090 RR darüber hinaus mit femininen Reizen. Wunderschöne Formen, liebevolle Details, perfekte Verarbeitung. Diese Schönheit lässt niemanden kalt. Allein die Schweissnähte ihres Gitterrohrrahmens sind ein Genuss fürs Auge. Gleiches gilt für die extravagante Exzenter-Verstellung der Fußrasten und die Dreifachklemmung der unteren Gabelbrücke. 2001 machte die Brutale erstmals die Straßen unsicher und war schon damals als 750er mit ordentlicher Spitzenleistung und betörendem Aussehen gesegnet. In den vergangenen neun Jahren blieb sie auf den ersten Blick äußerlich nahezu unverändert. Umso erstaunlicher, dass sie erstens ihre Betrachter nach wie vor mühelos um den Finger zu wickeln vermag und zweitens das 2010er-Modell insgesamt nur noch 15 Prozent ihrer Teile von 2009 in und an sich trägt.

Wer sich in Schlagdistanz zur MV begibt, erkennt nach einigem Hinschauen die Unterschiede: Die Sitzbank fällt etwas länger aus und ihr Heck bekam eine andere Form. Weitere sichtbare Änderungen betreffen die neue Instrumenteneinheit sowie die Spiegel mit integrierten LED-Blinkern, welche die neue Brutale schmücken. Weitere Modifikationen gibt die Italienerin erst nach einiger Recherchearbeit preis: Der Lenkkopf fällt mit 65 Grad ein halbes Grad flacher aus als bisher, die Schwinge verlor satte 1,2 Kilogramm und wuchs um 20 Millimeter, wodurch sich der Radstand um 28 auf 1438 Millimeter verlängert. Im neu konstruierten Motor, der entgegen der irreführenden Typenbezeichnung 1090 das Bohrung/Hub-Verhältnis der Vorgängerin übernimmt und damit seine Kraft weiterhin aus 1078 cm³ schöpft, arbeitet nun eine Ausgleichswelle. Zudem überarbeiteten die Italiener das Schmiersystem. Auch elektronisch rüstete MV sein Vorzeige-Naked Bike mit allerlei Gimmicks aus. So stehen der Kämpferin zwei unterschiedliche Mappings ("Sport" und "Rain") zur Verfügung, außerdem kommt bei ihr neuerdings eine achtstufige Traktionskontrolle zum Einsatz.

Derweil baut sich die Ducati mit breitem Lenker und grimmigem Blick vor der Konkurrentin auf und fordert diese zum Kampf. Die Brutale lässt sich nicht lange bitten. Mit heiserem Fauchen erwacht ihr Triebwerk zum Leben. Die etwas schwergängige Kupplung gezogen, den ersten Gang ins ebenfalls etwas rustikal zu bedienende Getriebe gedrückt, und los geht‘s. Bereits bei niedrigen Drehzahlen schiebt die Brutale mächtig an. Sie demonstriert Stärke und hebt majestätisch ihr Vorderrad. Zweiter Gang, wieder reißt die Brutale aggressiv an und wirbelt vehement durchs gesamte Drehzahlband. Außer der überarbeiteten Motorcharakteristik ist vor allem die gut gewählte Getriebeübersetzung für diese beeindruckende Vorstellung verantwortlich. So brummt die Brutale ihrer Konkurrentin trotz Leistungsdefizit im Durchzug von 50-150 km/h satte zwei Sekunden auf - Welten auf winkligen Landstraßen. Der Pilot genießt das Temperament der Brutale, freut sich über den perfekt für die Landstraße abgestimmten Motor. Erst an der Tankstelle kommt leichter Frust auf: Die Signorina lässt sich ihr loderndes Feuer mit 9,4 Liter Super auf 100 Kilometer teuer bezahlen. Immerhin leidet dank des wohlgeformten 23-Liter-Tanks nicht die Reichweite unter dem großen Durst der Italienerin.

Zurück auf den verwinkelten Nebensträßchen zeigt der Blick in den Rückspiegel der 1090 RR, dass auch die Ducati bestens für den Straßenkampf gewappnet ist. Wie ein Abziehbild klebt die martialische Silhouette der Bologneserin unbeirrbar im Spiegel der Brutale. Fast schon gewalttätig schleudert der rote Straßenkämpfer seinen Piloten quasi ab Leerlaufdrehzahl nach vorn, rüttelt diesen bis etwa 3000/min erst einmal wach und bollert dann voran, als wolle er seine Gegner überrollen. Äußerst beeindruckend. Wie die Brutale arbeitet auch die Duc mit einer Traktionskontrolle. In acht Stufen unterteilt, unterdrückt sie in der empfindlichsten Einstellung (Stufe acht) im ersten Gang effektiv Wheelies, regelt auf losem Untergrund aber recht unsensibel. Immerhin regelt sie. Der gleiche Test mit der MV bringt den Piloten in Schwierigkeiten. Ohne den Hauch eines Regelvorgangs schmeißt sie mit durchdrehendem Hinterrad mit Dreck und Staub um sich, keilt wild mit dem Heck aus und entfacht mit dieser Vorstellung eine hitzige Diskussion. Während ihr die Tester bei der Präsentation auf der Rennstrecke eine sauber regelnde Traktionskontrolle bescheinigten, lässt die Brutale auf losem Untergrund Schlupf zu. Laut Hersteller ist das darauf zurückzuführen, dass die Elektronik nicht die Geschwindigkeit zwischen Vorder- und Hinterrad abgleicht, sondern auf Basis hinterlegter Beschleunigungskurven regelt, aber erst bei normaler Fahrgeschwindigkeit. Burnout-Garantie trotz Traktionskontrolle!

Mit kräftigem Bollern huscht plötzlich die Streetfighter an der MV vorbei. Die Ducati klappt mühelos in eine 180-Grad-Kehre ab, zieht eine saubere Linie und macht es der Brutale schwer, den Anschluss zu halten. Verblüffung über die Performance der feuerroten Ducati. Bislang zählten enge Kurven zu den Schwachpunkten des Streetfighters. Was ist passiert? Die Antwort ist schwarz und rund. Während sie bislang auf Pirelli Diablo Corsa III wilderte, stand das Testmotorrad heuer auf Metzeler Sportec M3. Zähes Einlenken, Aufstellen bei Bodenwellen und weite Linien sind passé. Handlich und neutral biegt der Zweizylinder ab und bleibt in der Kurve mühelos auf Kurs. Da kann die Brutale nicht ganz mithalten. Nicht wirklich unhandlich, aber etwas träger als der Bologneser Fighter, folgt sie den Richtungswünschen des Piloten. Einmal in Schräglage, hält die MV unbeirrbar die eingeschlagene Richtung - trotz ihrer umfangreichen Modifikationen trägt die Brutale noch immer echte Racing-Gene in sich. Beim Anbremsen wird sie hinten allerdings sehr leicht. Die Kämpferin macht das Beste daraus und nutzt das leichte Heck und die gut funktionierende Anti-Hopping-Kupplung, um bei Bedarf die Anbremszonen mit langen schwarzen Strichen zu signieren.

Die Federelemente der Brutale überzeugen. Sie sprechen sensibel an und filtern selbst böse Schläge sauber weg. Vorausgesetzt, die Fahrwerkseinstellung stimmt. PS empfiehlt für die Landstraße, die Highspeed-Druckstufe des Federbeins komplett zu öffnen, Lowspeed-Druck- und -Zugstufe sollten hingegen weit geschlossen sein. Das Testmotorrad fiel mit zu viel Negativfederweg am Federbein auf, was sich aber bequem beheben lässt: Einfach die Federbasis so weit erhöhen (Feder mehr vorspannen), bis das Heck aufgrund des Eigengewichts der Maschine von ganz ausgefedertem Zustand um 12 bis 15 Millimeter einsinkt. Da diese Maßnahme das Heck anhebt, sollte es für eine gute Balance des Bikes über die Schubstange wieder auf die ursprüngliche Höhe abgesenkt werden. Insgesamt fällt das Fahrwerk der MV Agusta soft aus, was aber auf der Landstraße nur beim Anbremsen auf groben Bodenwellen stört. Dann geht die Gabel hart auf Block, über einen hydraulisch-weichen Anschlag verfügt die Forke offenbar nicht.
Unzulänglichkeiten gibt es auch beim Fahrwerk der Streetfighter. Das altbekannte Ducati-Problem "vorne weich, hinten hart" stört zwar auf gut ausgebautem Asphaltband nicht so sehr, führt aber auf zweitklassigen Sträßchen zu einem inhomogenen Fahrverhalten. Wesentlich mehr stört die Sitzposition des Fighters. Der breite, tiefe und weit vorn montierte Lenker spannt den Piloten weit über den Tank und zwingt ihn in eine passive Körperhaltung. Beim Anbremsen lastet viel Druck auf den Handgelenken, was mit der Zeit schmerzt. Zudem vermisst der Pilot das Gefühl, Herr des Geschehens zu sein.

Die Brutale zeigt, wie es besser geht. 15 Millimeter schmaler und ganze 55 Millimeter höher baut ihr Lenker und bringt den Piloten so in eine sportlich-entspannte Sitzposition. Die verstellbaren Fußrasten sind allerdings recht hoch montiert und zwingen dem Fahrer einen engen Kniewinkel auf. Bis auf diesen Umstand sitzt es sich auf der MV recht bequem.
Bei den Bremsen leistet sich keine der beiden eine Schwäche. So fechten die Streithähne mutig ihren Kampf aus, ohne letztlich einen Sieger zu finden. Wie vermutlich auch die verfeindeten Rockergangs in Deutschland.
Technische Daten: MV Agusta Brutale 1090 RR

Antrieb:
Vierzylinder-Reihenmotor, vier Ventile/Zylinder, 106 kW (144 PS) bei 10600/min, 115 Nm bei 8000/min, 1078 cm³, Bohrung/Hub: 79,0/55,0 mm, Verdichtungsverhältnis: 13,0:1, Zünd-/Einspritzanlage, 46-mm-Drosselklappen, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Anti-Hopping-Kupplung, Sechsganggetriebe
Fahrwerk:
Stahl-Gitterrohrrahmen, Lenkkopfwinkel: 65,0 Grad, Nachlauf: 103,5 mm, Radstand: 1438 mm. Upside-down-Gabel, Ø Gabelinnenrohr: 50 mm, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Federbein mit Umlenkung, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Federweg vorn/hinten: 130/120 mm
Räder und Bremsen:
Leichtmetall-Schmiederäder, 3.50 x 17"/6.00 x 17", Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/55 ZR 17. Erstbereifung: Dunlop Qualifier RR. 320-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, 210-mm-Einzelscheibe mit Vierkolben-Festsattel hinten
Maße und Gewicht:
Länge/Breite/Höhe: 2009/850/ 1240 mm, Sitz-/Lenkerhöhe: 830/1020 mm, Lenkerbreite: 705 mm, 214 kg vollgetankt, v./h.: 51/49%
Hinterradleistung im letzten Gang:
93 kW (127 PS) bei 221 km/h
Fahrleistungen:
Beschleunigung 0-100/150/200 km/h 3,3/5,7/9,8 s, Durchzug 50-100/100-150 km/h 3,7/3,6 s
Höchstgeschwindigkeit (Werksangabe):
265 km/h
Verbrauch:
Kraftstoffart: Kraftstoffart: Super. Durchschnittstestverbrauch: 9,4 Liter/100 km, Tankinhalt: 23 Liter, Reichweite: 246 km
Grundpreis:
18500 Euro (zzgl. Nebenkosten)
Technische Daten: Ducati Streetfighter S

Antrieb:
Zweizylinder-90-Grad-V-Motor, vier Ventile/Zylinder, 109,0 kW (148 PS) bei 9500/min*, 115 Nm bei 9500/min*, 1099 cm³, Bohrung/Hub: 104,0/64,7 mm, Verdichtungsverhältnis 12,5:1, Zünd-/Einspritzanlage, 60-mm-Drosselklappen, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Trockenkupplung, Sechsganggetriebe
Fahrwerk:
Stahl-Gitterrohrrahmen, Lenkkopfwinkel: 64,4 Grad, Nachlauf: 114 mm, Radstand: 1475 mm. Upside-down-Gabel, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Zentralfederbein mit Umlenkung, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Federweg vorn/hinten: 120/127 mm
Räder und Bremsen:
Leichtmetall-Schmiederäder, 3.50 x 17"/6.00 x 17", Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/55 ZR 17. Erstbereifung: Pirelli Diablo Corsa III. 330-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, 245-mm-Einzelscheibe mit Zweikolben-Festsattel hinten
Maße und Gewicht:
Länge/Breite/Höhe: 2140/925/1135 mm, Sitz-/Lenkerhöhe: 825/965 mm, Lenkerbreite: 730 mm, 198 kg vollgetankt, v./h.: 48,0/52,0 %
Hinterradleistung im letzten Gang:
109 kW (148 PS) bei 246 km/h
Fahrleistungen:
Beschleunigung 0-100/150/200 km/h: 3,2/5,5/8,8 s, Durchzug 50-100/100-150 km/h: 5,0/4,3 s
Höchstgeschwindigkeit (Werksangabe):
250 km/h
Verbrauch:
Kraftstoffart: Super bleifrei. Durchschnittstestverbrauch: 8,2 Liter/100 km, Tankinhalt 16,5 Liter, Reichweite: 201 km
Grundpreis:
18700 Euro (zzgl. Nebenkosten)
PS-Bewertung & Fazit

Ducati Streetfighter S:
Antrieb:
Viel Druck aus dem Drehzahlkeller, dazu hohe Laufkultur, weiche Gasannahme und ein gut schaltbares Getriebe. Volle fünf Sterne für den Duc-Antrieb.
(5 von 5 Sternen)
Fahrwerk:
Mit den Serienreifen Pirelli Diablo Corsa III ergatterte die Ducati in einem früheren Test einen Punkt weniger. Gabel und Federbein arbeiten asynchron.
(4 von 5 Sternen)
Ergonomie:
Der entspannte Kniewinkel geht in Ordnung, der tiefe und breite Lenker nicht. Er dient der Show, spannt den Piloten weit über den Tank: Eine inaktive Haltung.
(3 von 5 Sternen)
Fahrspaß:
Motor und Fahrwerk machen an, die Duc ist wie für die Landstraße gemacht. Schmerzende Hand- gelenke aufgrund des tiefen Lenkers vermiesen die Laune.
(3 von 5 Sternen)
INSGESAMT: 15 Sterne
MV Agusta Brutale 1090 RR:
Antrieb:
In Sachen Durchzug fährt die MV der Ducati davon, dafür beschleunigt sie langsamer. Außerdem säuft die Brutale. Getriebe und Kupplung arbeiten recht rustikal.
(4 von 5 Sternen)
Fahrwerk:
Das unhandlichere Einlenken der Brutale sowie der offensichtlich fehlende hydraulische Anschlag der Gabel kosten Punkte. Das Fahrwerk spricht gut an.
(3 von 5 Sternen)
Ergonomie:
Der Kniewinkel dürfte größer ausfallen, dafür überzeugen Sitzbank und Lenker. Auch auf längeren Strecken lässt es sich auf der Brutale aushalten.
(4 von 5 Sternen)
Fahrspaß:
Ein erfreulich starker Vierzylinder mit viel Druck aus der Mitte, dazu betörender Sound und tolle Formen. Die neue Brutale ist ein echter Spaßmacher.
(4 von 5 Sternen)
INSGESAMT: 15 Sterne
PS-URTEIL
Streetfighter S:
Die Duc glänzt mit ihrem bären-starken Motor. Lediglich die nicht serienmäßige Bereifung hebt sie auf eine Ebene mit der gelungenen Brutale RR.
15 Sterne
Platz: 1
Brutale 1090 RR:
Die Brutale überzeugt voll und teilt sich den Sieg mit der stärkeren Ducati. Ihr Motor ist ein Gedicht, ebenso die Ergonomie. Das Handling könnte besser sein.
15 Sterne
Platz: 1
FAZIT
Die Brutale 1090 RR macht ihre Sache sehr gut und bleibt beim ersten Vergleichstest auf gleicher Augenhöhe mit der italienischen Konkurrentin von Ducati. Stünde die Ducati auf Originalreifen, dürfte die MV den Sieg sogar allein einfahren. Vor allem der starke Motor der Brutale und ihre Ergonomie machen Laune. Die Ducati leidet unter ihrem tiefen, breiten und geraden Lenker. Dafür ist ihr Motor auf der Landstraße eine Wucht.
Leistungsdiagramme

Bis knapp über 6000/min liegen die Kurven der Brutale und die der Streetfighter nahezu deckungsgleich übereinander. Dann holt die Ducati kurz Luft, um ab 7000/min kräftig zuzulegen. Der Leistungszuwachs ist auch im Fahrbetrieb zu spüren. Die Ducati wirkt drehfreudig und stellt über den gesamten Drehzahlbereich Leistung im Überfluss zur Verfügung.