Nun ist sie wieder da, die Triumph Bonneville. Und will uns zeigen, dass sie das Zeug dazu hat, den ehrwürdigen Namen mit neuem Leben zu erfüllen. Wollte nicht länger dulden, dass sich ausgerechnet eine japanische Firma, Kawasaki, als Hüterin britischen Erbguts hervortat. Gilt doch die W 650 als das britischte Bike überhaupt heutzutage, britischer als alles, was bisher aus Hinckley, dem Sitz der neuen Marke Triumph, kam. Die Maßstäbe sollen nun wieder zurecht gerückt werden. Keine leichte Übung, hatte die W 650 doch bewiesen, das ihr moderner Parallel-Twin, verfeinert mit einem Königswellenantrieb, der an sich ohne historisches Vorbild auskommt, genau den Geschmack der Klassikgemeinde getroffen hat.
Und wie hat Triumph den Spagat zwischen Klassik und Moderne geschafft? Mit fortschrittlicher Technik in einem Triebwerk, das nur so tut, als wäre er aus der guten alten Zeit. Und mit Hubraum. 790 Kubikzentimeter die W 650 begnügt sich mit 676 cm3 - verteilen sich auf die beiden breitflächig verrippten, senkrecht stehenden und luftgekühlten Zylinder, die von 36 Millimeter großen Keihin-Gleichdruckvergasern gespeist werden. Nach Altväter Sitte stampfen die 86 Millimeter dicken Kolben im Triumph-Triebwerk gleichzeitig auf und ab, es wird im 360-Grad-Abstand gezündelt. So weit das konservative Element. Die schaurigen Vibrationen ihres historischen Vorbilds, der T 120 (mehr dazu im Kasten auf Seite 44), wollten die britischen Ingenieure niemand mehr zumuten, bauten deshalb gleich zwei Ausgleichswellen ein und spendierten der Kurbelwelle eine vierfache Gleitlagerung. Die alte Bonneville musste noch mit zwei Lagern auskommen. Damals gelang es trotz mehrfach geänderten Wuchtfaktors der Kurbelwellenwangen nie, die Folgen der Motorschütteleien in den Griff zu bekommen. Im Zylinderkopf der neuen Bonneville geht es ebenfalls zeitgemäß her. Zwei kettengetriebene Nockenwellen öffnen und schließen die je vier Ventile über Tassenstößel. Herkömmlich werden die Brennräume gefüttert: per japanischer Gleichdruckvergaser. Die verfügen über Heizelemente, die unterhalb von zehn Grad die Vergasergehäuse erwärmen. Fortschritt, den man nicht sieht.
Beim Fahrwerk haben sich die Triumph-Designer dagegen nicht allzu weit vom Gestrigen entfernt. Traditionsgemäß blieb man bei der Doppelschleifenkonstruktion aus Stahlrohr, die allerdings so steif ausgelegt wurde, dass es kaum Anlass für Klagen gibt. Etwa durch ein massives Gußelement, das den Lenkkopf beherbergt und mit den eigentlichen Rahmenrohren verschweißt ist. Eine Rohrverstrebung nimmt den Motor an seinen oberen Befestigungspunkten auf. Wer glaubt, die einzelnen Scheibenbremsen vorn und hinten seien nicht klassisch genug, irrt: Seit 1976 hatte das Vorbild ebensolche Bremsen.
Bislang mussten Klassik-Liebhaber mit der Kawasaki vorlieb nehmen. Das nominell 50 PS starke luftgekühlte W 650-Triebwerk das Testexemplar leistete sogar 56 PS verbreitet genau den Flair, der von einem Klassiker moderner Bauart verlangt wird. Hauptsächlich ein Verdienst des wunderschön gezeichneten Motors. Der Twin vibriert nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. »Good vibrations«, die nicht wie bei den Vorfahren Blinker, Schrauben und alles, was sonst nicht niet- und nagelfest ist, abschütteln. Wie Kawasaki das hingekriegt hat? Mit reichlich Schwungmasse an der vierfach gelagerten Kurbel- und einer davor liegenden zahnradgetriebenen Balancerwelle. Pflichtgemäß marschieren auch bei der W 650 die Kolben gleichzeitig auf und ab, das Gemisch wird im 360-Grad-Rhythmus gezündet. Ganz im Sinne der britischen Vorbilder aus den »roaring sixties« ist der Motor langhubig ausgelegt. Im Kopf werkelt eine einzelne Nockenwelle, die je vier Ventile über Kipphebel betätigt.
In der Linienführung bewiesen die japanischen Designer Fingerspitzengefühl. Konnten sie doch im werkseigenen Archiv die Konstruktionsunterlagen der W1 von 1965 studieren und als Vorlage verwenden. Damals bereits hatte Kawasaki einen Twin gebaut, der einer gewissen BSA 650 wie ein eineiiger Zwilling glich. Der Charme der 60er Jahre wird geprägt durch schwarz lackierter Doppelschleifenrahmen, zwei Federbeine, verchromte Speichenräder, ebensolche Schutzbleche, tropfenförmigen Tank, platte Sitzbank, rundliche Seitendeckel, Faltenbälge an der Gabel, ballonförmige Endtöpfe in Chrom. Das passt, das freut den Nostalgiker, dem es beim Anblick von schwülstigen Alubrückenrahmen und bunten Vollverkleidungen den Magen umdreht. Klar, bei den Bremsen sieht die Vergangenheitsbewältigung anders aus: Da muss eine zeitgemäße Scheibenbremse ins Vorderrad. Hinten genügt eine traditionelle Trommel. Ein guter Kompromiß.
Jetzt wird es Zeit, die beiden Retromaschinen auf die Piste zu schicken. Ob es ihren Erbauern gelungen ist, das Flair der Vergangenheit mit den Wohltaten heutiger Technik zu vereinen? Zunächst die Fahrposition: Auf beiden Retrobikes sitzt man aufrecht, mit mäßig angewinkelten Beinen und im Falle der W 650 mit sattem Knieschluss, aber etwas zu breitem Lenker. Auf der Triumph kauert der Fahrer noch niedriger, findet den Lenker ideal positioniert, ein bißchen schmaler als bei der Kawasaki.
Start the engines - per E-Starter. Wer`s braucht, kann die Kawasaki alternativ mit dem Kickstarter anwerfen. Ganz easy, ob kalt oder warm. Triumph sieht diese klassische Startmethode nicht mehr vor. Beide Maschinen springen nach kühler Nacht einwandfrei und auf der Stelle an, wenn der Choke an den Vergasern gezogen ist. Während die Triumph eine Minute braucht, um richtig rund zu laufen, ist die W 650 sofort abfahrbereit. Indem er angenehmes Beben ohne fieses Kribbeln in den Händen und Füßen erzeugt, weist sich der Kawasaki-Twin als würdiger Nachfolger britischer Zweizylinder der Vergangenheit aus. Das Bonneville-Triebwerk hingegen hat sich weit vom Ursprung entfernt, wurde mittels der beiden Ausgleichswellen gründlich von Vibrationen befreit.
Im ersten Moment enttäuscht die Leistungsentwicklung der Triumph ein wenig. Der richtige Bums kommt erst bei recht hohen Drehzahlen. Wann genau, lässt sich während der Fahrt nur erahnen, denn ein Drehzahlmesser fehlt. Nun offenbarten die Prüfstandmessungen, dass die Drehmomentkurven der beiden Motoren bis 7000 Touren ziemlich gleich verlaufen. Eigentlich ein bisschen traurig für den Bonneville-Twin mit seinem deutlichen Plus an Hubraum, dass er 7000 und mehr Touren braucht, um die Power der Kawasaki zu übertreffen: 66 PS, sechs mehr als angegeben, gegenüber den 56 der Kawasaki. Werden die Gänge ausgedreht, tut sich der Kawasaki-Twin schwer, dem Tempo der Triumph zu folgen. Mitschuld daran dürfte die viel zu lang geratene Sekundärübersetzung der W 650 tragen, erzwungen vom Procedere der Geräuschmessungsvorschriften. Wunderbar weich mit kurzen Wegen arbeitet die Triumph-Schaltbox, Hochschalten geht prima ohne Kupplung. Fast so perfekt funktioniert das Getriebe der Kawasaki - mit minimal höherem Kraftaufwand.
Beide modernen Oldies legen dank ihrer schmal bereiften Räder - vorn im 19-Zoll-Format - ein agiles Kurvenverhalten an den Tag. Weder kippeln sie auf Bodenwellen, noch beantworten sie harsche Bremsmanöver in Schräglage mit unschönen Lenkimpulsen. Der Fahrwerkskomfort überrascht angesichts der schlichten Federelemente. Besonders die Triumph verfügt über eine feinfühlig ansprechende, stabile Telegabel mit 41er Standrohren und gleitet sanft über Bodenwellen hinweg. Nur sehr wüst angegangene langgezogene Kurven mit welligem Untergrund verursachen ein gutmütiges Rühren, das von der Hinterradfederung ausgeht. Etwas nervöser benimmt sich hingegen die Kawasaki auf geflickten Asphaltstellen oder welligem Grund. Beim scharfen Bremsen im Solobetrieb schafft`s die mit 39-Millimeter-Standrohren versehene Gabel gerade noch so, während sie mit Sozius bis zum Anschlag einfedert. Auch die hinteren Federbeine, die mit 85 Millimeter Federerweg auskommen müssen, stoßen dann an ihre Grenzen. Oberhalb von 130 km/h läßt der Geradeauslauf zu wünschen übrig, da die Fahrwerksgeometrie offenbar zu sehr in Richtung Handlichkeit ausgelegt wurde. Dagegen liegt die Bonneville ruhig, strahlt eine gewisse Behäbigkeit aus. Auch in der Nähe der Höchstgeschwindigkeit von immerhin 184 km/h macht sie keine Zicken. Die W 650 bringt es lediglich auf 168 km/h.
Besitzer von 70er-Jahre-Triumph Bonneville wissen ein Lied von den ziemlich bescheidenen Bremsen zu singen. Besonders, wenn die konische Duplex-Trommel im Vorderrad steckte, wie bei der Begleitmaschine in diesem Test. Befriedigend arbeitet dagegen das Pendant in der neuen Bonneville. Die gelochte Scheibe in der Frontpartie, die von einer Doppelkolbenzange gepackt wird, wirkt recht effektiv sowie fadingarm. Läßt sich gut dosieren, nicht zuletzt wegen der stahlummantelten Leitungen. Unterstützung findet sie durch die weich ansprechende Scheibenbremse im hinteren Speichenrad. Kawasakis W 650 kann nicht ganz mithalten. Ihr Verzögerungsapparat gefällt zwar durch wohlige Dosierbarkeit, doch bei sportlicher Fahrweise und erst recht, wenn ein Beifahrer an Bord ist, könnte die vordere Bremse ruhig etwas mehr Reserven mitbringen.
Für Ausflüge zu zweit taugen die beiden Retrobikes ansonsten ohne weiteres. Die Sitzbänke bieten genug Platz. Der Sitzkomfort ist bei beiden gut, allerdings kann sich der Bonneville-Beifahrer nirgends festhalten. Wird jetzt noch die Basis der Federbeine mit einem runden Stahlstift auf maximale Vorspannung verstellt, reicht die Bodenfreiheit der Triumph in Schräglage einigermaßen aus, während die Kawasaki davon ein bisschen mehr gebrauchen könnte. Apropos Werkzeug: Da hat sich Triumph einen Fauxpas geleistet. Erst muss die Sitzbank mit einem Inbusschlüssel abgeschraubt werden. Sonst kommt man nicht ans Werkzeug. Vorbildlich dagegen die Kawasaki: Links unterhalb der Bank sitzt ein Schloss. Ein Dreh, und die Bank kann abgenommen werden, das Werkzeug (sogar mit Speichenschlüssel) ist frei zugänglich.
Der Fahrspaß auf den beiden Retrobikes wird zum Glück nicht durch zu heftigen Benzinkonsum getrübt. Bei forschem Landstraßentempo fließen bei der Triumph 4,8 Liter Super auf 100 Kilometer durch die Düsen, während die Kawasaki 5,5 Liter Normal verbraucht. Bei Dauertempo 130 wurden jeweils 5,8 Liter/100 Kilometer gemessen.
Am Schluß bleibt noch etwas zu meckern über Detaillösungen. Warum zeigen diverse Schrauben am Rahmen der Kawasaki und die Fittings der Bremsschläuche schon nach ein paar tausend Kilometern Korrosionsspuren? Und wollen wir uns heutzutage noch die Fummelei beim Abschließen der Triumph antun, weil die auf einen zentrales Zünd/Lenkschloß verzichtet? Wie dem auch sei. Die Triumph kommt spät, aber nicht zu spät. Der bessere Klassiker heißt heute wie damals Bonneville. Dabei hat der Kawasaki außer ihrer Herkunft nicht viel gefehlt: ein bisschen mehr Hubraum vielleicht, ein stabileres Fahrwerk und eine gescheite Übersetzung. Good vibrations hat sie auf alle Fälle.
Die Klassiker - Triumph Bonneville und Kawasaki W 1
Das meistverkaufte europäische Motorrad der 60er Jahre hieß Triumph Bonneville. Der mit 650 cm3 Hubraum ausgestattete, langhubige zweizylindrige Gleichläufer, dessen Name von Rekordfahrten auf dem Salzsee in Utah herrührt, galt seit 1959 als Urtyp des sportlichen großen Viertakters. Die beiden Zylinderbohrungen saßen in einem Graugussblock, die je zwei Ventile wurden über Stoßstangen betätigt. Bis 1962 waren Getriebe und Kurbelgehäuse getrennt. Später bildeten Motor- und Getriebegehäuse eine vertikal teilbare Einheit, die Duplex-Primärkette lief im Ölbad. So wie beim leider nicht ganz originalen hier abgebildeten T 120 Modell von 1972. Die Bonneville war ein starker Sprinter, der Motor entwickelte 1972 49 PS bei 7200 Touren. Erkauft wurde sein für damalige Verhältnisse enormes Drehmoment MOTORRAD maß 53 Nm bei 5500/min durch eine hohe Kolbengeschwindigkeit wegen des großen Hubs von 83 Millimetern: 19,7 m/sec bei 7200/min. Vollgasfest war eine Bonneville nicht. Dafür dank eines Gewichts von vollgetankt 187 Kilogramm sehr wendig. Der Erfolg von Triumph spornte Kawasaki an, ebenfalls einen großen Twin zu bauen. Die Meguro Manufacturing Company, die zu Kawasaki gehörte, hatte sich schon früher im Kopieren englischer Motorräder geübt. Mit der 1965 auf den Markt gekommenen W1 im Bild das einzige existente Exemplar im Besitz vom deutschen Kawasaki-Importeur - bauten die Japaner schlicht eine BSA A 10 von 1961 nach. Mit einem Vergaser war sie für 47 PS bei 6500/min gut, das Drehmoment lag ebenfalls auf dem Niveau von Triumph. In Japan ein Verkaufsschlager, wollte sie in Europa niemand haben.
2. Platz
Sie kommt dem Ideal der alten zweizylindrigen Klassiker made in Great Britain verdammt nah. Vor allem in der Optik und vom Auftritt ihres königswellengesteuerten Gleichläufers. Bislang hatten die Liebhaber von Paralleltwins keine andere Wahl, als genau diese Kawasaki W 650 zu erwerben. Kleine Fahrwerksschwächen und die von der Geräuschmessung erzwungene zu lange Sekundärübersetzung lassen die W 650 jedoch hinter die Triumph zurücktreten.
1. Platz
Die beinahe zu spät gekommene, lang ersehnte Bonneville hat den Platz unter den Retrobikes erobert, der ihr gebührt. In direkter Thronfolge zu ihrem Urahn gleichen Namens aus den 60er Jahren. Triumph hat es geschafft, in der neuen Bonneville moderne Technik mit dem Flair aus guten alten Zeiten zu verbinden. Puristen mag der Motorlauf zu sanft und die Optik verwässert erscheinen. Darüber kann man streiten. Nicht jedoch über das gelungene Gesamtkonzept.