Manchmal sind es die kleinen Dinge im Leben, die einem mächtig Freude bereiten. Beispielsweise ein lauschiger Spätsommerabend mit Freunden irgendwo in Südfrankreich, auf der Terrasse eines kleinen, aber feinen Landgasthofs. Der Hausherr serviert nicht Miniportionen »nouvelle Cuisine«, sondern einen riesigen Topf voll dampfender Muscheln in Weißwein. Und empfiehlt dazu nicht einen sündteuren Chateau Rothschild, sondern einen einfachen, ehrlichen Rosé vom Winzer vis-a-vis. Das hat was. Einen kurvenreichen Tag Revue passieren lassen und über die vielleicht wichtigste Nebensache der Welt philosophieren: Motorradfahren auf kurvengespickten, einsamen Landsträßchen.
Die Twins, die gleich neben dem Restaurant parken, sind dafür wie geschaffen, harmonieren quasi prima mit der kräftigen provenzalischen Küche: Ducati Monster 620 i.e., Cagiva Raptor 650 und Suzuki SV 650. Kleine, leichte Zweizylinder, die allesamt nicht mit überbordenden Leistungsdaten prahlen und auf effektheischende Plastikvorbauten verzichten. Motorräder, die direkt und trocken zur Sache kommen. So wie der leckere Landwein.
Bei der Neuen im Bunde der »Weniger-ist-mehr«-Fraktion der Mittelklasse-Twins knistern noch die Kühlrippen. Ducati spendierte dem jüngsten Spross der Monster-Familie, der 620 i.e., zwar 35 cm3 mehr Hubraum, eine elektronische Gemischaufbereitung und sogar einen ungeregelten Kat, setzt aber weiterhin auf jenen luftgekühlten Zweiventiler, der in seinen Grundfesten der Ducati 500 SL Pantah entstammt. Cagiva gibt sich bei der Wahl der Antriebsquelle pragmatisch. Statt eine kostenintensive Eigenkreation zu schaffen, kooperiert das kleine Werk in Varese mit Suzuki und fand im wassergekühlten V2 der SV 650 einen modernen und leistungsstarken Motor für die kleine Raptor. Gewisse Ähnlichkeiten mit der Monster in puncto Design, wie etwa der charakteristische Gitterrohrrahmen aus Stahl, liegen auf der Hand. Schließlich stammen beide aus der Feder des Argentiniers Miguel Galluzzi.
Gitterrohrrahmen? V2? Ansprechendes Design? Können wir auch, sagte sich Suzuki und präsentierte Anfang 1999 die SV 650-Baureihe. Mit durchschlagendem Erfolg, was nicht zuletzt am günstigen Preis des Mittwlklasse-Japan-Twins liegt. Zigtausend Fans hat die SV allein in Deutschland gefunden, zur Monster-Gemeinde bekennen sich weltweit inzwischen mehr als 100000 Gläubige, vermeldet Ducati stolz. Und mit der Monster 620 i.e. soll die Schar weiter kräftig wachsen.
Wobei sich Ducati treu bleibt, denn auch das Baby-Monster erschließt sich einem nicht spontan, wirkt in vielen Punkten etwas widersprüchlich. Das fängt bei der monstertypischen, nach vorne orientierten Sitzposition an. Passt eigentlich ganz prima zum sportlichen Image nur die Kröpfung des Lenkers wurde nicht entsprechend gewählt. Oder die Ausstattung: Zum einen glänzt die 620 i.e. mit vollständigen Instrumenten, bekannt aus der großen S4, die neben einem Drehzahlmesser eine Öltemperaturanzeige, eine Uhr und sogar eine Wegfahrsperre umfasst. Aber einen einstellbaren Bremshebel oder ein Bordwerkzeug, das diesen Namen auch verdient, hält in Bologna leider noch immer niemand für notwendig.
Ein tadelloses Kaltstartverhalten schon. Mit der ersten Kurbelwellenumdrehung erwacht der kleine Zweizylinder ohne Murren zum Leben, der Einspritzung sei Dank. Und die hydraulisch betätigte Ducati-Kupplung glänzt mit nie gekannter Leichtgängigkeit. Das satte Klong beim Einlegen des ersten Gangs wirkt dagegen vertraut. Ebenso die schlechte Dosierbarkeit der Kupplung, die viel Fingerspitzengefühl erfordert und allzu energisches Anfahren mit einem charakteristischen Rupfen bestraft.
Zunächst einmal lässig herumrollen, behutsam die Reifen und die Motoren warmfahren, die grandiose Landschaft genießen. Der Suzuki-Motor der SV und der Raptor agiert etwas unauffälliger, weicher und vibrationsärmer. Auch er kommt seinem Job nach kurzer Warmlaufphase klaglos nach, glänzt bei sehr niedrigen Drehzahlen mit guten Manieren. Der Desmo-Twin der Ducati mag die Regionen unterhalb von 3000/min nicht so gerne, sortiert sich erst oberhalb dieser Marke in ein wundersames Gleichgewicht.
Das Tempo zieht an, das gemütliche Brummeln der Twins wandelt sich zunehmend in typisches V2-Stakkato, am schönsten und aggressivsten tönt es aus den zwei Edelstahl-Endstücken der Cagiva. Und die Ducati steuert bereits den nächsten Parkplatz an, gerade jetzt, wo der Spaß so richtig anfängt. Ungläubiges Kopfschütteln bei den Kollegen. Doch der Ducatisti hadert mit der werksseitigen Fahrwerkabstimmung der Monster. Mit der etwas überdämpften Upside-down-Gabel lässt sich gut leben, mit dem Sachs-Federbein dagegen überhaupt nicht. Also umständlich die Feder stärker vorgespannt. Dem Cagiva-Pendant, ebenfalls von Sachs, fehlt es auch etwas an Dämpfung, doch bei der Ducati ist eigentlich eine Feder mit höherer Federrate notwendig, damit das Heck nicht so stark einsinkt.
Zweiter Anlauf. Na also, geht doch: Mit deutlich angehobenem Hinterteil fährt sich die Monster so vorderradorientiert, wie man sich das bei einem sportlichen Naked Bike vorstellt. Wegen des jetzt fehlenden Negativfederwegs bedeutet das zwar deutliche Einbußen beim Komfort, doch dafür verbessert sich das Gefühl fürs Vorderrad und das Handling wesentlich. Wobei Schräglagenwechsel mit der Monster nicht ganz so leicht von der Hand gehen wie mit der Cagiva oder der referenzverdächtigen Suzuki. Raptor und SV wedeln mit spielerischer Leichtigkeit und fast ohne jeglichen Kraftaufwand durchs Kurvenlabyrinth. Die Suzuki folgt dem Straßenverlauf fast von allein, dafür strahlt die Raptor einen Tick mehr Souveränität aus. Ein Verdienst ihrer gut abgestimmten Gabel, die deutlich straffer agiert und über mehr Federungsreserven verfügt als die der Suzuki. Und der Cagiva im Verbund mit der passend gewählten Erstbereifung Pirelli MTR 21/22 eine hervorragende Lenkpräzision beschert.
Eine Monster dagegen fährt sich nicht beiläufig. Sie fordert einen aktiven Fahrer, der ihr mit einem kurzen, entschlossenen Lenkimpuls die Richtung vorgibt, bevorzugt die weichen, weiten Radien, liebt konstanten Zug am Hinterrad. Wer diesen Fahrstil pflegt, den verwöhnt sie typisch für eine Duc mit einem tadellosen Strich. Solange keine derben Verwerfungen im Asphalt lauern. Darauf reagiert die Monster schon mal mit einem nervösen, doch keineswegs bedrohlichen Zucken der Frontpartie. Zudem setzt in welligen und zügig gefahrenen Linkskurven der Seitenständer zu früh auf. Bei der Suzuki und der Cagiva nicht mal im Zweipersonenbetrieb ein Thema.
Ein Pfund, mit dem die Monster wuchert: das tadellose, feine Ansprechverhalten ihres Zweiventilers, das in allen Drehzahlbereichen überzeugt. Der Desmo-Twin ermöglicht so sorgloses Gasaufziehen bereits ab Kurvenscheitelpunkt. Diesbezüglich gerät der Suzuki-Zweizylinder etwas ins Hintertreffen. Bei abruptem Gasgeben in Regionen über 6000/min kommt er seinem Job nicht so spontan nach wie das Ducati-Triebwerk und reagiert bei hartem Gasgeben in niedrigen Drehzahlen also zumeist kurz nach dem Kurvenscheitelpunkt mit einem spürbaren Lastwechselschlag. Die Ducati geht weicher ans Gas, was vor allem Novizen die Linienwahl erleichtert.
Dennoch verabschiedet sich die Monster nach den Kurvenausgängen aus der ansonsten dicht gestaffelten Dreierformation. Weil ihr Motor einfach nicht so spritzig vorwärts drückt wie der japanische Vierventiler. Wobei das Triebwerk der Raptor 650 im direkten Vergleich mit der SV 650 im oberen Drehzahlbereich noch ein Quäntchen kraftvoller zu Werke geht. Egal, ob Cagiva oder Suzuki: Auf Landstraßen überkommt einen nie das beklemmende Gefühl, es fehle an Leistung. Beim fröhlichen Herhausbeschleunigen aus den Ecken gewinnen die beiden aber auch wegen ihren gut abgestuften, leicht und präzise schaltbaren Getriebe zusätzliche Meter.
Die Ducati-Schaltbox arbeitet ebenfalls überraschend leichtgängig, ihr Fahrer muss sich jedoch mit deutlich längeren Schaltwegen arrangieren. Und sie mag keine schnellen Gangwechsel, Hektiker straft die Monster des öfteren mit Zwischenleerläufen. Das ärgert. Umso mehr, weil der Ducati-Pilot häufiger schalten muss, um den leistungsstärkeren Konkurrentinnen bei beherzter Kurvenfahrt auf den Fersen zu bleiben. Zur Ehrenrettung des Twins aus Bologna sei angemerkt, dass er mit gemessenen 67 PS die Papierform deutlich übertrifft, dokumentiert in den nur geringfügig schlechteren Durchzugswerten der Monster. Am Rande bemerkt: Schön, dass die Verbrauchswerte in Ordnung gehen. Alle drei Motoren geben sich auf der Landstraße mit rund fünf Litern zufrieden. Das verhilft der Cagiva wegen ihres riesigen Tanks zu kapitalen Reichweiten.
Neue Kurve, neues Glück: Das deutlich vernehmbare Surren zweier mächtiger 320er-Bremsscheiben reißt die auf Japan-Power setzenden Kollegen aus ihren Allmachts-Fantasien. Die Ducati bremst sich vehement ins Spiel zurück, zeigt ihr Vorderrad, holt die paar Meter, die sie beim Beschleunigen verloren hat, ganz locker wieder rein. Weil sie über die beste Bremsanlage diese Vergleichs verfügt. Zumindest vorne, hinten tut sich fast nix. Die kleine Monster, jetzt mit toll zupackenden, standfesten Vierkolbensätteln. Und das alles superb und punktgenau zu dosieren. Klasse. Damit übertrifft die Ducati sogar die guten Stopper der Suzuki.
Bei der Cagiva hingegen sorgt das Brembo-Ensemble am Vorderrad nicht gerade für Beifallsstürme. Obwohl sie über die gleichen Bremssättel wie die Ducati verfügt, arbeitet die Raptor-Bremse stumpf, nur durchschnittlich dosierbar und erfordert hohe Handkräfte. Cagiva sollte mal die Bremsbeläge der Monster ausprobieren, sie wirken offensichtlich Wunder. Dafür benimmt sich die Raptor beim Bremsen in Schräglage beinahe vorbildlich, ein Aufstellmoment kennt sie kaum. Nicht gerade die Paradedisziplin der 600er-Monster, während der weicher abgestimmten Suzuki, dem bequemsten und alltagstauglichsten Motorrads dieses Vergleichs, diese Angewohnheit gänzlich fremd ist.
Zu zweit lässt sich das Zweizylinder-Vergnügen auf längere Sicht nur auf der Suzuki genießen. Das Sitzplatzangebot auf der Cagiva und der Ducati fällt einfach zu knapp aus. Was letztlich, neben ihrem günstigen Preis, entscheidend ist für einen knappen Sieg der SV 650. Mit ihr verhält es sich wie mit besagtem Rosé: Passt zu allem, schmeckt jedem. Die Cagiva Raptor 650, sozusagen eine SV in Edelausführung, rechtfertigt die knapp 2000 Mark Aufpreis zur Suzuki mit ihrer guten Verarbeitung und den feineren Detaillösungen, vergleichen lässt sie sich mit einem spritzigen Sauvignon Blanc, einem rassigen Weißwein. Und die Monster 620 i.e.? Sie polarisiert allein schon mit ihrem Preis: 15159 Mark, kein Pappenstiel. Und gleicht einem roten Cabernet Sauvignon: rau, etwas ungestüm, mit langem Abgang: Love it or leave it, der passende Wein für Ducatisti. Doch egal, ob vergorener Rebensaft oder Motorräder, in beiden Fällen gilt: Sie sollten Genuss ohne Reue garantieren. Was den kleinen Twin attestiert werden kann: Sie verursachen auch nach exzessivem Genuss keinen dicken Kopf.
2. Platz - Cagiva Raptor 650
Wenn man so will, die SV in Sportausführung, verfeinert vom italienischen Edeltuner. Die Raptor glänzt mit dem besseren Fahrwerk und den feineren, liebevoller gemacht Detaillösungen, ohne dabei preislich völlig aus dem Rahmen zu fallen. Bleibt nur zu hoffen, dass Gerüchte um finanzielle Engpässe bei Cagiva dank der Hilfe von Piaggo verstummen, damit sie in Varese mit Ruhe und Sorgfalt so schöne Raptoren bauen können, wie das von MOTORRAD getestete Exemplar.
1. Platz - Suzuki SV 650
Gegen die SV 650 ist derzeit kein Kraut gewachsen, auch die Ducati Monster 620 i.e. beißt sich am japanischen Twin die Zähnchen aus. Kaum ein Motorrad bietet so viel Fahrspaß für kleines Geld. Was vor allem an ihrem kräftigen und sparsamen Zweizylinder und ihrem referenzverdächtigen, spielerischen Handling liegt. Kleine Schwächen, wie etwa die zu weich abgestimmte Gabel oder das nur durchschnittliche Lastwechselverhalten sieht man ihr deshalb gerne nach.
3. Platz - Ducati Monster 620 i.e.
Schade, dass die Monster ein so zwiespältiges Ergebnis hinterlässt. Auf der einen Seite glänzt sie mit einer hervorragenden Bremsanlage und einer vollständigen Ausstattung, sogar eine Wegfahrsperre gibt es serienmäßig. Dank Einspritzung spricht der V2 sehr fein an, ein U-Kat beruhigt das Umweltgewissen. Andererseits verliert die Ducati wegen des schlecht abgestimmten Federbeins und der nur durchschnittlichen Fahrleistungen leider wertvolle Punkte auf die Konkurrenz aus Italien und Japan.