Einigkeit herrscht darüber, dass sich opulenter Schub nirgendwo eindringlicher genießen lässt als im Sattel großvolumiger Naked Bikes. Nach welchem Rezept die Völlerei am bekömmlichsten ist, bleibt hingegen strittig.
Einigkeit herrscht darüber, dass sich opulenter Schub nirgendwo eindringlicher genießen lässt als im Sattel großvolumiger Naked Bikes. Nach welchem Rezept die Völlerei am bekömmlichsten ist, bleibt hingegen strittig.
Wie immer, wenn es ums Motorrad geht, sind es nicht die Werte an sich, die zählen, lassen Zahlenkolonnen und technische Beschreibungen nur unbefriedigenden Rückschluss zu auf das, was wirklich passiert. Motorrad fahren ist ganzheitliches Erleben. Und das geht nirgends besser als auf einem großen Naked Bike. Weil hier der Überfluss am deutlichsten fühlbar ist. Weil es dir hochaufgerichtet und bar jeder Verkleidung bei jedem kurzen Dreh am Gasgriff die Arme lang zieht. Weil es dich bei jedem etwas längeren Beschleunigungstest fast aus dem Sattel bläst. Weil du dich den Kräften, die du heraufbeschwörst, mit ganzer Kraft entgegenstemmen musst. Und weil genau das unheimlichen Spaß macht.
Die Art und Weise freilich, wie dieser Überfluss generiert wird, ist durchaus unterschiedlich. Beispiel Suzuki GSX 1400: Frei nach der alten Regel vom allein Segen bringenden Hubraum dürfen es satte 1400 cm3 sein, die, verteilt auf vier Zylinder in Reihe und gefüttert von einer zeitgemäßen Einspritzung, trotz der beträchtlichen Fahrzeugmasse gerade aus dem Drehzahlkeller für jene Extraportion Schub sorgen, die das Leben beim Überholmanöver und am Kurvenausgang gelassener gestalten.
Den entgegengesetzten Weg geht Honda. Das Motto hier: Weniger ist mehr. Dabei wird die feine Kunst des Weglassens nicht am Hubraum praktiziert immerhin liefen 900 Kubikzentimeter noch vor ein paar Jahren unter Big Bike , sondern an der Pheripherie. Verstärkter 600er-Rahmen, 600er-Abmessungen, kurze Übersetzung und Verzicht auf jeglichen Schnickschnack: fertig ist eine nackte Kanone, die es an Nachdruck ebenfalls nicht missen lässt.
Dass unbedingt vier Zylinder in Reihe den Druckerzeuger spielen müssen, streiten Ducati und Triumph ab. Im Übrigen aber gaben sie die Rezeptur der neuen Hornet in den Grundfesten starker Motor mit wenig Drumherum vor. Bei Ducati wurde aus dem ehemaligen Sportlerherz der 916 ein veritabler Naked-Bike-Antrieb, Triumph kappte jüngst den erstarkten Daytona-Motor für den Einsatz in der Speed Triple geringfügig, die trotzdem immer noch über nominelle 120 PS verfügt.
Und stellt damit leistungsmäßig die Spitze des Felds, während sich die Honda mit 109 PS, die Suzuki gar mit 106 und die Ducati mit 101 Pferdestärken begnügen. Nominell. Auf dem Prüfstand gleichen sich die Leistungen an. Ducati 105 PS, Honda 108, Suzuki 110 PS. Einzig die Triumph kann sich mit den satten 124 PS absetzen. Unter »Laborbedingungen« wohlgemerkt. Denn auf der Rolle zieht es trotz Volllast niemandem die Arme lang, schlagen Leistungsentfaltung und Gewicht ebenso wenig zu Buche wie die Motorcharakteristik und die Qualität des Fahrwerks.
Und um dieses harmonische Zusammenspiel geht es ja auf der Suche nach der ganzheitlichen Erfahrung. Dass ausgerechnet die Honda schon im Stand die vielversprechendste Hörprobe liefert, vermag angesichts des vergleichsweise kleinen Hubraums nur die Ducati ist mit 916 Kubikzentimetern um gerade mal drei Einheiten kleiner erstaunen. Satt blafft sie aus den beiden hochgezogenen Schalldämpfern ihren Tatendrang in die Welt hinaus. Ganz anders, aber nicht weniger beeindruckend musiziert die Triumph, die das so typische Hohelied britischer Dreizylinder zum Ohr des Fahrers transportiert, während der 90-Grad-V2 der Ducati sein mechanisches Innenleben akustisch eher rustikal arrangiert. Und der im Verhältnis zu den Mitstreiterinnen riesige 1402-cm3-Big-Block der Suzuki? Tut, als ob nichts wäre, läuft seidenweich, entlässt seine Abgase dezent über zwei wohldimensionierte Endtöpfe ins Freie. Perfektes Understatement.
Eine Zurückhaltung, die sich auf den ersten Metern nahtlos fortsetzt. Sanft setzt sich der Riese in Bewegung, geschmeidig flutschen die Getrieberäder ineinander, nichts erinnert an die beträchtlichen 260 Kilogramm Lebendgewicht. Dafür einiges an das heimische Sofa. Die Sitzbank lädt zum unverkrampften Lümmeln ein, Hände und Füße finden wie selbstverständlich ihre Position. Wer den Überfluss eines nach ergonomischen Gesichtspunkten geformten Fernsehsessels sucht, wird auf der Suzuki fündig.
Mit einem Unterschied. Dieser Sessel kann fliegen. Ist ein Senkrechtstarter, ganz egal, in welchem Gang. Dann nämlich, wenn der Fahrer die kleinen 34-Millimeter-Drosselklappen auf Durchzug stellt, sich Frischgas mit Vehemenz in die jeweils gut 350 cm3 großen Zylindereinheiten presst. Dann ist er da, der wahre Überfluss. In nüchternen Zahlen: Bereits knapp über 2000/min stellt der 1400er mit 110 Newtonmetern mehr Drehmoment zur Verfügung als der 1000er in der sportlichen Schwester GSX-R jemals zu leisten in der Lage ist, die Leistungskurve selbst liegt bis 6000/min über der einer Kawasaki ZX-12R oder Yamaha FJR 1300.
Die emotionale Erlebniswelt des Fahrers ist damit aber noch nicht ausgedrückt. Weil nicht die Kraft an sich ist es, die einen schwelgen lässt, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der sie bereit steht. Einfach so. Drehzahlmesser, Kupplung, Schalthebel: alles nett, aber alles Luxus, da man es auf der GSX 1400 eigentlich nicht braucht. Die Kraft ist immer und überall. Und gerade deshalb so gut kontrollierbar, ohne Spitzen, ohne Heimtücke. Gas auf, Arme lang. Fertig.
In dieser Beziehung macht der dicken Suzuki niemand etwas vor. Obwohl die Monster beinahe mitkommt, Hornet und Speed Triple sogar etwas schneller sind, erledigt keine das Thema Durchzug mit dieser Nonchalance. Bei der Hornet zum Beispiel griff Honda tief in die Trickkiste. Satte 41 Kilogramm spart die 900er gegenüber der 1400er ein, schmückt sich zudem mit einer sehr kurzen Sekundärübersetzung und hat durchschlagenden Erfolg. Fährt der Suzuki in allen Durchzugsdiziplinen davon, aber eben mit höherem Einsatz sprich höherer Drehzahl. Bei 6000/min, wo sich die GSX ihrem Leistungzenit nähert und deutlich über 100 PS bereitstellt, parkt der Hornet-Vierzylinder bei gerade mal 70 PS. Und in Sachen Drehmoment stehen bei 2000/min bescheidene 60 Newtonmeter satten 100 der Suzuki gegenüber, einen Wert, den die Honda selbst zu Spitzenzeiten (92 Nm bei 7700/min) nicht erreicht. Bei dieser sportlichen Charakteristik ist es trotz der beeindruckenden Durchzugswerte kein Wunder, dass der Honda-Pilot deutlich häufiger das leichtgängige Getriebe nutzt, als eigentlich notwendig wäre.
Wer angesichts dieser Aktivitäten entsetzt abwinkt, liegt falsch. Denn so, wie der 1400er Drehzahlen über der 7000er-Marke nicht nötig hat, das komfortable, soft gedämpfte Fahrwerk, die Fahrzeugmasse und die Schräglagenfreiheit sportlichen Ambitionen späte, aber eindeutige Grenzen setzen, so gut harmonieren der drehfreudige 900er und das wieselflinke Handling der Hornet. Und ergeben in der Summe einen völlig anders definierten Überfluss. Es ist die Leichtigkeit des Seins, die diese Kombination aus potentem Motor und der Kunst des Weglassens zelebriert. Voller Freude von einer Kurve zur anderen jauchzen, anbremsen, abwinkeln, beschleunigen. Auf kaum einem anderen Motorrad geht das so einfach wie auf der großen Hornet. Nur griesgrämige Gemüter werden sich über die irgendwann aufsetzenden Fußrasten beklagen, den etwas unglücklich gekröpften Rohrlenker. Stattdessen genießt man die kräftig zupackende Bremsanlage und eine im Vergleich zur Vergangenheit straffer abgestimmte Gabel.
Straff ist auch das Stichwort für das Upside-down-Pendant der Monster. In alter Ducati-Tradition eher über- denn unterdämpft, spricht es auf leichte Bodenunebenheiten fein an, leitet gröbere Stöße dagegen nahezu ungefiltert an den Fahrer weiter. Gleiches gilt für das Federbein. Das Fahrwerk gibt so erste Hinweise auf den Charakter der Monster, führt vom Spaß an der Freud auf der Hornet direkt zurück zum Ernst des Lebens. Erinnert daran, dass Spaß sich nicht immer von selbst einstellt. Also das Werkzeug aus dem Keller geholt, das Heck via Zugstange um drei Gewindegänge angehoben, die Dämpfung der Gabel zurückgenommen, los geht´s.
Und zwar richtig, weil die zierliche S4 nochmals zehn Kilogramm weniger auf die Waage bringt als die ohnehin schon leichte Hornet. Allerdings braucht der desmodromisch gesteuerte Vierventiler etwas mehr Anfahrdrehzahl und einen gefühlvolleren Umgang mit der schlecht zu dosierenden Kupplung, weil er sich unterhalb von 3000/min nur unwillig schüttelt. Dann aber kommt, was kommen muss: Die ehemalige Sportskanone aus der 916 treibt die Super-Monster nach vorne, was das Zeug hält. Brachial fühlt sich das an, gewaltig. Dass die Messwerte in Beschleunigung und Durchzug hinter der Hornet liegen, spielt keine Rolle. Im emotionalen Erleben liegt die Monster vorn. Gerade auch, weil sich der Motor seine Leistung spürbar erarbeiten muss und sich so mit dem Fahrer solidarisiert.
Obwohl die schmale Monster-Taille, der vergleichsweise kurze Radstand von 1440 Millimetern und ein mit 66 Grad recht steiler Lenkkopf spielerisches Handling signalisieren, gilt: Monster fahren macht erst dann richtig Laune, wenn der Pilot mit vollem Einsatz bei der Sache ist. Wo eine Hornet spielerisch einbiegt, will eine S4 am breiten Lenker geführt werden. Wo selbst die dicke Suzuki Fehler in der Linienwahl korrigieren hilft, gibt sich die Ducati starrköpfig bis ignorant, muss zu ihrem Glück gezwungen werden. Und lässt man die wirkungsvolle sowie sauber zu dosierende Brembo-Anlage in Schräglage zubeißen, möchte sie vor Wut am liebsten sofort wieder geradeaus.
Den Spaß an der Freude trübt das nur für jene, die nicht konzentriert bei der Sache sind. Wer sauber durchs Kuvendickicht navigiert, wird mit einem Fahrerlebnis der besonderen Art belohnt. Mit raspelnden Fußrasten zwar, mitunter auch mit einem schleifenden Schalldämpfer. Aber ebenso mit feinem Feedback, mit Fahrwerksreserven, mit Stabilität. Und mit diesem Motor, der an jedem Kurvenausgang wieder seine Potenz herausballert, unnachgiebig nach vorn drückt.
Das sollte der kräftigste Antrieb der Viererbande, der Drilling der Speed Triple, ebenfalls können. Bei den Messfahrten liegt die Triumph in Beschleunigung und Durchzug vor den Kontrahentinnen. Im Alltag sind diese Unterschiede nur im Drehzahlbereich jenseits der 8000/min zu spüren. In jenem Bereich also, in dem der Suzuki-Riese schon längst abgewunken hat, der Ducati-V2 große Mühe hat und auch dem Honda-Vierling langsam die Puste ausgeht. Dann brüllt die Britin immer noch heiser aus ihrer Airbox, stürmt weiter voran, macht Meter auf die Konkurrenz gut. Und unterhalb dieser Marke geht der Dreizylinder vor allem im mittleren Drehzahlbereich zwischen 4000 und 6000/min ebenfalls mächtig voran, hat mit den 221 Kilogramm der im Vergleich zur Ducati und Hornet stämmig wirkenden Britin keine Mühe.
Dass sich dieses feine Verhältnis von Leistung und Gewicht nicht jederzeit ungetrübt auskosten lässt, liegt an einer kleinen Macke, die MOTORRAD bei den bislang getesteten Speed Triple in unterschiedlicher Ausprägung feststellen konnte. Es geht um die zögerliche Gasannahme, dieses Mal in ausgeprägter Form. Immer wenn der Gasgriff auf Anschlag gedreht wird, folgt eine mit Röhren in der Airbox kommentierte Gedenksekunde, bevor es richtig losgeht. Dann aber marschiert der Dreier mit Vehemenz durchs Drehzahlband, macht seiner sportlichen Herkunft bis auf einen kleinen Hänger zwischen 6000 und 7000/min alle Ehre. Und wird in der Regel dementsprechend gefordert, denn die vorderadorientierte Sitzposition und der breite Rohrlenker machen angriffslustig. Da ist die Triumph der Ducati ähnlich. Auch sie fordert ihren Fahrer, will gezielt bewegt werden. Ist aber die grobe Richtung einmal vorgegeben, erweist sie sich umgänglicher. Lenkt williger ein, steht Kurskorrekturen offener gegenüber als die Monster, erreicht jedoch nicht die spielerische Leichtigkeit der Hornet. Und gibt grobe Schläge aufgrund fast ständig im progressiven Bereich agierender Federelemente fast ungefiltert an den Fahrer weiter.
Ist das Überfluss? Ein klares »ja«! Denn die Transparenz, mit der die Speed Triple das Fahrerlebnis an den Piloten weitergibt, sucht seinesgleichen. Da kann nur die Ducati halbwegs mithalten. Wer hingegen in Funktionalität baden will, wählt die Honda. Und die Suzuki? Fährt in einer ganz anderen Welt. Einer gelasseneren.
Die Über-Monster macht ihrem Namen alle Ehre. Verbindliche Umgangsformen pflegt sie nämlich nicht, gibt sich im Gegenteil sehr bärbeißig. Dafür bekommt man bei ihr allerhand geboten. Jedesmal, wenn man den Gashahn spannt, weil die Monster zwar nicht superschnell ist, sich aber so anfühlt. Kompromisslos auch das Fahrwerk: hart und direkt. Wer auf Komfort steht, sollte die Finger von der S4 lassen. Wer was erleben will, sollte zugreifen.
Viel Motor, wenig Gewicht, kein Schnickschnack: Bei der Hornet ging Honda ganz ohne die üblichen Kompromisse vor und traf voll ins Schwarze. Weil die große Hornisse trotzdem für viele etwas bietet. Weil sie bei Bedarf bummeln kann und rasen, wenns pressiert. Besondere Kennzeichen: Druck in allen Lagen und ein spielerisches Handling, mit dem auch weniger engagierte Fahrer auf Anhieb zurechtkommen. Schön, dass bei diesem Komplettangebot auch der Preis stimmt.
Ruhig bleiben das ist die absolute Stärke der dicken Suzuki. Und sie kann es sich leisten. Schiebt so locker und doch so vehement an, dass der Fahrer eigentlich nur eins tun muss: es sich bequem machen und bei Bedarf Gas geben. Um den Rest kümmert sich der Motor zusammen mit dem hochwertigen Fahrwerk. Souverän nennt man das, die Hektik kann zu Hause bleiben. Eine Begleitung darfgerne mit an Bord. Und der Kilopreis geht angesicht von rund 9500 Euro auch okay.
Die Speed Triple ist eine Erlebniswelt für sich. Allein der Dreizylindersound kann süchtig machen und animiert zusammen mit dem gewaltigen Schub und der aggressiven Sitzposition dazu, immer ein bisschen mehr zu geben. Dass die Fahrwerksabstimmung ebenfalls auf gesunde Härte setzt, passt ins Bild. Die Schwäche bei der Gasannahme weniger, hier sollte Triumph endlich eine saubere und dauerhafte Lösung bieten. Und sonst alles lassen, wie es ist.