Vergleichstest: Naked Bikes von MV Agusta und Triumph
MV Agusta Brutale 800 und Triumph Street Triple R im Vergleichstest

"Tre Pistoni" - das hört sich eindeutig gefährlicher als "Triple" an, meint aber dasselbe. Schießt die neue Brutale mit jetzt 800 Kubikzentimetern noch schärfer als die gerade renovierte Speed Triple R?

MV Agusta Brutale 800 und Triumph Street Triple R im Vergleichstest
Foto: Jahn

Schneller als die Polizei erlaubt - das kann ganz schön flott gehen. Insbesondere dann, wenn man Leistung so nachdrücklich und extrovertiert auf das Hinterrad loslässt wie ein Dreizylinder. Der neue 800er-Drilling der Brutale sägt so unnachahmlich wie schon der kleine Bruder in der 675, der Dreizylinder der Street Triple pfeift in bester Familientradition, wie es nur eine Triumph kann.

Dabei machen sich durchaus beträchtliche Drehmoment-Berge schon bei überschaubaren Drehzahlen über das Hinterrad her und sorgen bereits tief im Drehzahlkeller für erfrischenden Schub. Und dann ist da noch diese explosive Drehfreude bis weit in den fünfstelligen Bereich, die dafür sorgt, dass sogar bedächtigen Naturen hier und da die Gäule durchgehen. Natürlich auch, weil die britischen Triples und italienischen Tre Pistoni so radikal verpackt sind.

Mittelklasse-Naked-Bikes - diese Bezeichnung ist eindeutig zu harmlos für das, was Brutale 800 und Street Triple R an Optik und Dynamik bieten. Nein, es sind Streetfighter, echte Streetfighter, die sich hier zum Shootout treffen. Es gibt auf öffentlichen Straßen kaum etwas, was dieser faszinierenden Melange aus sensationell niedrigem Gewicht (186 Kilogramm vollgetankt die MV, 188 Kilogramm die Triumph) und mächtigem Antritt das Wasser reichen kann.

In vorderster Front steht dabei neuerdings eine, die schon von der Papierform her schneller zieht als ihr Schatten. Brutale 800 - das ist nichts weniger als eine neue Leistungsdimension in einem Milieu, in dem ohnehin ein kämpferischer Wind weht. Nominell 125 PS drückt der allein durch mehr Hub (jetzt 54,3 Millimeter statt 45,9 Millimetern bei der Brutale 675) gewachsene Drilling nun ab, auf dem MOTORRAD-Prüfstand bleiben davon immerhin 121 putzmuntere Pferdchen übrig. Was diese Kavallerie in Kombination mit dem üppigen Drehmoment und einer im Vergleich zur Street Triple recht kurzen Sekundärübersetzung mit der zierlichen Brutale anstellt, mögen sich fantasiebegabte Leser selbst vorstellen. Für alle anderen: Es gibt Momente, da gleicht der Ausritt auf einer Brutale 800 dem berühmten Ritt auf der Kanonenkugel. Immer dann, wenn der Drilling aus einem Zweite-Gang-Eck rund um die 8000er-Marke die zweite Luft bekommt, stellt er die kompakte Brutale derart fulminant aufs Hinterrad, dass selbst abgebrühte Piloten nach Luft schnappen und sich an den breiten Rohrlenker klammern. Kein Wunder, denn die Hubraumkur zeigt besonders in den oberen Drehzahlregionen Wirkung. Zwischen zehn und knapp 20 PS mehr liefert der 800er im Vergleich zum kleinen 675er-Tre-Pistoni ab - und stellt damit den Dreizylinder von der Insel, bei dem bis auf kleinere Mapping-Eingriffe alles beim Alten blieb, in jeder Beziehung in den Schatten.

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Eindeutiger Vorteil Italien also, der sich allerdings nicht so nachhaltig auswirkt, wie es sich anhört. Solange sich beide Motoren nämlich unterhalb der 6000er-Marke tummeln, ist ein Leistungsunterschied kaum vorhanden - und erst recht nicht zu spüren. Hier zahlt sich im Gegenteil die beinahe bedächtige Auslegung des Brit-Dreiers aus, der es nach wie vor bei nominellen 106 PS belässt, die sich prompt auch allesamt nach einem mustergültigen Drehmomentverlauf auf dem MOTORRAD-Prüfstand versammeln. In der Praxis bedeutet das, dass die Street Triple zwar niemals überbordende, aber jederzeit ausreichend Leistung zur -Verfügung stellt, während die MV-Leistungswoge im Drehzahloberhaus den überraschten Fahrer so manches Mal überschwemmt wie ein Tsunami. Das liegt aber nicht nur an dem beachtlichen Leistungsplus, sondern vor allem an einer anderen, unerfreulichen Tatsache. Auch die neue MV Agusta Brutale 800 hat, wie schon ihre kleine Schwester, ein massives Problem mit der Gasannahme, liefert unter dem Strich in keinem ihrer vier unterschiedlichen Mappings (Regen, Komfort, Normal, Sport) eine gut funktionierende Abstimmung ab. Beinahe unfahrbar ist die Diva in der Einstellung „Rain“, in der der Motor derart verzögert und ruckelnd ans Gas geht, so als läge ein ernst zu nehmender technischer Defekt vor. Am besten funktioniert noch die Sport-Variante, doch auch hier gilt: Der Dreizylinder spricht verzögert, dann aber überfallartig an und fordert daher seinem Fahrer immer und überall volle Aufmerksamkeit ab. Quasi nebenbei mit der Brutale 800 fahren geht nicht - und richtig engagiert Brutale 800 fahren ist trotzdem allzeit anstrengend, weil die Gashand ständig auf die Kapriolen des Motors reagieren muss. Na, wo bleibt sie denn, die Leistung? Gas weiter auf! Uuuupps, da ist sie ja, und zwar mit Macht! Also Gas ganz schnell wieder zu. Und das Ganze umgehend wieder von vorn.

Jahn
MV Agusta Brutale 800.

Dass unter diesen Bedingungen selbst lockeres Kurvenschwingen zu harter Arbeit ausartet, ist nachvollziehbar. Immerhin: Die Aussage der MV-Techniker, man arbeite fieberhaft an einer feiner abgestimmten Software mit schnelleren Regelintervallen für die elektrisch, also von Stellmotoren bedienten Drosselklappen, zeugt davon, dass ein Problembewusstsein vorhanden ist. Das Problem dabei: Diese Aussage steht bereits seit der Premiere des Dreizylinders vor rund einem Jahr - und es hat sich nichts Entscheidendes getan.

Dabei zeugt die vorbildliche Lösung der Triumph (mit nur einem Mapping, ohne Traktionskontrolle und Ride-by-Wire) davon, dass zumindest in dieser Fahrzeugklasse der konventionelle Weg mit Gaszügen zwischen Gasgriff und Drosselklappen durchaus der beste sein kann. Auf den Punkt genau hängt der Triple am Gas, liefert immer und unter allen Umständen exakt so viel Leistung ab, wie gerade gefragt ist - und macht damit selbst diffizile Fahrmanöver wie etwa einen lustvoll vorgetragenen Wheelie zum echten Vergnügen, während der kurrige Italien-Dreier den Fahrer bei dieser Übung ein ums andere Mal am liebsten rücklings abwerfen würde.

So viel zur Unvernunft, die von diesen beiden Banditen ununterbrochen herausgefordert wird. Nicht nur in häufigen Sprintduellen, wo beide bis 140 km/h wegen der latenten Wheelie-Neigung der starken MV beinahe gleichauf liegen, sondern auch in beinharten Kurven-Scharmützeln. Und wieder gilt: Vorteil Triumph, weil die Street Triple in keiner Hinsicht so extrem, aber in jeder Hinsicht ausgewogener daherkommt als die Brutale. Am deutlichsten spürbar ist das beim Handling. Natürlich ist beeindruckend, wie spielerisch sich diese MV von einer Ecke in die andere werfen lässt. In dieser Beziehung kann die Street Triple, bei der in der jüngsten Ausführung deutlich mehr Gewicht auf dem Vorderrad lastet und die dadurch spürbar unhandlicher wurde, nicht mithalten. Doch die extreme Fahrwerksauslegung der MV mit ultrakurzem Radstand (1380 Millimeter) und steilem Lenkkopfwinkel (66 Grad) sowie dem geringen Gewicht zeigt auch die Grenzen des Konzepts auf. Die Brutale 800 ist ein nervöses Tier, das jedes noch so kleine Zucken am Lenker mit einem mächtigen Haken belohnt. Die auf jeder in Schräglage genommenen Bodenwelle aus dem Ruder läuft und Lenkkorrekturen erfordert, aber nur ganz selten einen sauberen Strich zieht. Die vorne und hinten trotz jetzt voll einstellbarer Federelemente nicht synchron einfedert, weil die Gabel zwar komfortabel federt und dämpft, das Federbein jedoch bockharte Schläge austeilt.

Jahn
Triumph Street Triple R.

Unter dem Strich bedeutet dies: Vom Komfort, von der Stabilität, von der Neutralität und auch von der Rückmeldung her ist die Brutale ein ganzes Stück von dem Niveau entfernt, das eine Street Triple R bietet. Die ist zwar im aktuellen Modelljahr deutlich straffer geworden als die Vorgängerin, bietet aber im direkten Vergleich die alltagstauglichere Abstimmung und liegt, speziell was die Rückmeldung und Neutralität angeht, um Welten vor der Brutale. Dasselbe gilt übrigens für die Bremsanlagen. Die Nissin-Vierkolben-Festsättel der Triumph beißen deutlich kräftiger und besser dosierbar zu als die Brembos der MV, ABS war für die Street Triple leider bis Redaktionsschluss nicht lieferbar (kommt im Januar) und wird für die Brutale im Herbst nachgereicht.

Machen solche Vernunftsoptionen bei diesen Brandstiftern Sinn? Ja, unbedingt, zumal beide gerade auch wegen ihres radikalen Outfits nicht nur für Adrenalin-Junkies interessant sein dürften. Besonders die MV begeistert (sogar im gedeckten Weinrot des Testmotorrads) mit einer betörenden Formensprache, angesichts derer so mancher funktionelle Mangel in den Hintergrund treten dürfte. So gesehen könnte die Punktniederlage der neuen Brutale 800 eine lässliche Sünde sein. Auch wenn der Abstand sehr, sehr deutlich ausfällt.

MOTORRAD-Punktewertung / Testergebnisse

Jahn
Nur nichts anbrennen lassen: Die beiden Nakeds verleiten zum Heizen.

Motor
Vorbildliche Durchzugswerte der MV auf Superbike-Niveau, aber dennoch beinahe unentschieden: Das zeigt, wo die Probleme des MV-Motors liegen. Das Ansprechverhalten ist mangelhaft, die Laufruhe nicht berauschend und die Schaltwege sind lang. Der Triumph-Motor hingegen hängt mustergültig am Gas und gibt sich auch sonst keine Blöße.
Sieger Motor: MV Agusta

Fahrwerk
Ein Schwachpunkt der Brutale 800: das unausgewogene Fahrwerk. Außer in Sachen Handlichkeit verliert die MV in nahezu allen Kapiteln deutlich Punkte. Vor allem bei der Stabilität und dem Lenkverhalten hapert es, die Rückmeldung ist bescheiden, die Geradeauslaufstabilität schlecht. All das kann die Triumph deutlich besser. Und komfortabler ist sie auch noch.
Sieger Fahrwerk: Triumph

Alltag
Das alte Thema: der Alltag. Es gehört einfach nicht zu den ausgemachten Stärken Italiens, alltagstaugliche Motorräder zu bauen. Wobei es hier vor allem an der mangelnden Reichweite liegt, dass die Brutale so weit hinten landet. Aber 272 extrem zurückhaltend gefahrene Kilometer sind eben nicht genug. Und wenn es pressiert, ist schon nach 150 Kilometern Ebbe im Tank.
Sieger Alltag: Triumph

Sicherheit
Bessere Bremsen, weniger Kickback. Auf diese Formel reduziert sich der Vorsprung der Triumph. Wobei die Tendenz zum Lenkerschlagen auf der Brutale 800 mit ihrem leicht werdenden Vorderrad ernst genommen werden sollte.
Sieger Sicherheit: Triumph

Kosten
6,1 Liter Super verbrennt der MV-Dreizylinder - und damit fast eineinhalb Liter mehr als die Triumph, deren Sparsamkeit sich bezahlt macht.
Sieger Kosten: Triumph

Preis-Leistung
Bei einem derart großen Punktevorsprung kann der Sieger in diesem Kapitel nur Street Triple R heißen.
Sieger Preis-Leistung: Triumph

 max. Punktzahl  MV Agusta  Triumph
Gesamtwertung  1000  614  670
Platzierung    2.  1.
Preis-Leistungs-Note  1,0  2,2  1,2

Jahn
Die Triumph Street Triple R ging als Favoritin ins Rennen und gewinnt den Vergleichstest.

MOTORRAD-Testergebnisse

1.Triumph Street Triple R
Sie ging als Favoritin in dieses Duell - und sie ist ihrer Rolle gerecht geworden. Die neue R ist radikaler als ihre Vorgängerin und dennoch ein Muster an Ausgewogenheit. Daran kann auch der Hubraumvorteil der MV nichts ändern.

2.MV Agusta Brutale 800
Sie ist bildhübsch, sie ist radikal - aber eine fleißige Punktesammlerin ist die Brutale 800 nicht. Dazu müssten das Ansprechverhalten des Motors besser und das Fahrwerk ausgewogener sein. Aber ein Erlebnis, das ist sie allemal.

Technische Daten

MV Agusta Triumph
Motor 
Bauart Dreizylinder-Viertakt-Reihenmotor Dreizylinder-Viertakt-Reihenmotor
Einspritzung Ø 47 mm Ø 44 mm
Kupplung Mehrscheiben-Ölbadkupplung Mehrscheiben-Ölbadkupplung
Bohrung x Hub 79,0 x 54,3 mm 74,0 x 52,3 mm
Hubraum 798 cm3 675 cm3
Verdichtung 13,3:1 12,65:1
Leistung 92,0 kW (125 PS) bei 11 600/min 78,0 kW (106 PS) bei 11 850/min
Drehmoment 81 Nm bei 8600/min 68 Nm bei 9750/min
Fahrwerk
Rahmen Gitterrohrrahmen aus Stahl Brückenrahmen aus Aluminium
Gabel Upside-down-Gabel, Ø 43 mm Upside-down-Gabel, Ø 41 mm
Bremsen vorne/hinten Ø 320/220 mm Ø 310/220 mm
Räder 3.50 x 17; 5.50 x 17 3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17
Bereifung Pirelli Diablo Rosso 2 vo. „K“ Pirelli Diablo Rosso Corsa
Maße + Gewichte
Radstand 1380 mm  1410 mm 
Lenkkopfwinkel 66,0 Grad 65,9 Grad
Nachlauf 95 mm 95 mm
Federweg vorne/hinten 125/125 mm 115/135 mm
Sitzhöhe** 810 mm 820 mm
Gewicht vollgetankt** 186 kg 188 kg
Zuladung** 178 kg 189 kg
Tankinhalt 16,6 Liter 17,4 Liter
Service-Intervalle 6000 km 10 000 km
Preis 9990 Euro 9090 Euro
Preis Testmotorrad 9990 Euro 9993 Euro***
Nebenkosten 275 Euro 370 Euro
MOTORRAD-Messungen
Höchstgeschwindigkeit* 245 km/h 226 km/h
Beschleunigung
0–100 km/h 3,5 sek 3,5 sek
0–140 km/h 5,6 sek 5,7 sek
0–200 km/h 10,7 sek 12,9 sek
Durchzug
60–100 km/h 3,1 sek 3,6 sek
100–140 km/h 3,2 sek 4,1 sek
140–180 km/h 3,5 sek 4,8 sek
Verbrauch Landstraße 6,1 Liter 4,7 Liter
Reichweite Landstraße 272 km 370 km

*Herstellerangabe; **MOTORRAD-Messungen; ***inkl. Instrumentenabdeckung (219 Euro), Motorschutz (249 Euro), Alu-Bremsflüssigkeitsbehälter (2 x 69 Euro), Rahmenprotektoren (159 Euro) und LED-Blinker (2 x 69 Euro)

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023