»Tempo besagt nichts über die Fahrtrichtung. Man kann auch ganz schnell in der Sackgasse landen.« Sagt Norbert Blüm, Ex-Arbeitsminister, heute Gastautor einer renommierten Tageszeitung in einem bemerkenswerten Artikel. Beschleunigung bringe eben nicht in jedem Fall Zeitgewinn, philosophiert Blüm weiter, im Versuch, uns selbst zu überholen, überschlage sich letztlich die Zeit.
Es ist nicht überliefert, ob sich Herr Blüm für Motorräder interessiert. Aber beim Anblick einer Harley-Davidson Sportster XL 883 R würde er wahrscheinlich mit Genugtuung feststellen, dass im Motorradbau die Zeit manchmal stehen zu bleiben scheint. Oder die Uhren einfach nur anders ticken, allen Hayabusas und sonstigen Hochleistungsmotorrädern zum Trotz. Wichtig und schön, dass es solche Maschinen gibt. Toll aber auch, dass sich Motorradfahren nicht nur auf rasante, vollverschalte Racer reduziert, sondern eine ganz beachtliche Typenvielfalt zur Wahl steht. Wie besagte 883 eben. Um deren ersten Test nachzulesen, muss man schon eine Weile im MOTORRAD-Archiv kramen: Heft 22/1985, um genau zu sein. Und sie hat nichts von ihrer Faszination verloren, findet immer wieder behutsam modifiziert auch nach 16 Jahren noch genügend Fans. Aus reiner Gefühlsduselei wird Harley die Modellreihe kaum im Programm halten, eher schon, um schlicht und einfach Geld mit ihr zu verdienen.
Neuester Spross der Sportster-XL 883-Bande: die R. R wie Racing. In Anlehnung an den erfolgreichen Dirt-Track-Racer XR 750. Deshalb wählte Harley für die 883 R die Farbe der hauseigenen Rennabteilung, Racing Orange, und eine Zwei-in-eins-Auspuffanlage, versah das Motorgehäuse mit einer mattschwarzen Pulverbeschichtung schön, aber pflegeintensiv und bestückte die Sportster mit einem breiten, ebenfalls rabenschwarzen Lenker. Schwer einzuordnen, diese Harley, jedenfalls nach gängigen Normen. Ein Cruiser? Nicht ganz. Aber auch kein klassisches Naked Bike.
Genau wie die Yamaha BT 1100 Bulldog. Passt genauso wenig in eine Schublade. Okay, der Stammbau ihres V2 lässt sich einwandfrei zurückverfolgen, etwas modifiziert stammt er aus dem Cruiser XV 1100 Drag Star, ursprünglich trieb er die TR 1 an. Und das ist ziemlich genau 20 Jahre her. Der Motor der Sachs Roadstar 800 hat auch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, der Twin stammt aus der Suzuki VX 800. Alter Wein in neuen Schläuchen also, den uns die Marketing-Menschen da mit salbungsvollen Worten verkaufen wollen? Mitnichten. Klar, Leistungsfetischisten murmeln etwas von »Fahrschulmotorrädern« und wenden sich müde lächelnd ab. Jeder, wie es ihm gefällt.
Motorräder, deren Fahrleistungen heute beispielsweise den Fahrer eines Mittelklasse-Pkw mit Pumpe-Düse-Diesel nicht gerade vor Ehrfurcht erstarren lassen, sind eben nur etwas für Liebhaber. Maschinen, die ihre Technik offenherzig zur Schau tragen, statt sie schamvoll unter Plastik zu verhüllen. Natürlich kauft sich kein Mensch die Harley ernsthaft wegen ihrer Fahrleistungen. Mit ihren Durchzugswerten fällt sie beinahe aus dem wirklich weit gespreizten MOTORRAD-Bewertungsraster. Ein mickriger Punkt von 30. Ein herber Schlag, rein rechnerisch. Und das bei gemessenen 55 PS. Die Ursache: Eine elendslange Sekundärübersetzung. Nicht ohne Hintergedanken so gewählt, schließlich gilt es, strenge Geräuschnormen einzuhalten. Im vierten Gang marschiert die 883 R ganz manierlich, hält wacker den Anschluss zu den beiden anderen, doch gemessen wird der Durchzug nun mal im letzten. Schicksal. Da mag sich der kleinste Harley-V2 auch noch so ehrenhaft bemühen, was bereits bei mittleren Drehzahlen von aller deftigsten Vibrationen untermalt wird.
Am homogensten und manierlichsten geht der Sachs-Antrieb zu Werke. Er läuft über seinen gesamten Drehzahlbereich recht druckvoll und kultiviert, versprüht sogar so etwas wie Drehfreude. Anders der wahrhaft hubraumstarke Yamaha-Motor. Der 1100er drückt schon ab Standgasniveau so mächtig und ruckfrei nach vorne, dass man gar nicht glauben möchte, er habe tatsächlich nur die gemessenen 62 PS. Hat er aber . Denn auf diesen vehementen Antritt folgt bei 3000/min eine gewisse Unmut, untermalt von spürbaren Vibrationen, danach dreht der Zweizylinder zwar brav, aber nicht gerade ambitioniert weiter. Dabei outet er sich nicht gerade als Kostverächter. Wobei sich alle drei Twins diese Kritik gefallen lassen müssen. Das Trio genehmigt sich nämlich auch bei gesetzeskonformen Landstraßentempo gerne um die sechs Liter, ganz schön durstig, gemessen an dem nicht gerade überbordenden Temperament. Will man ihnen das nun ernsthaft übel nehmen?
Keinesfalls. Vor allem der Yamaha nicht. Weil die Fahrleistungen völlig ausreichen und der damit verbundene Fahrspaß entschädigt. Gut, nicht jedem Piloten schmeckt die Sitzposition auf der Bulldog, vor allem kleinere Zeitgenossen hadern damit ein wenig. Weil man in der tiefen Mulde beinahe wie zementiert hinter dem hohen, bulligen Tank verharren muss und der Knieschluss besser sein könnte. Die Yamaha überzeugt wie kaum ein anderes Motorrad mit einer beinahe sagenhaften Unkompliziertheit. Wozu auch ihr reaktionsarmer Kardanantrieb beiträgt. Ein straff abgestimmtes Federbein wirkt dessen Reaktionen erfolgreich entgegen. Das kostet auf harten Fahrbahnabsätzen zwar etwas an Komfort, stellt sich insgesamt jedoch als gelungener Kompromiss dar. Egal, welcher Radius, egal, ob guter oder schlechter Straßenbelag, die Yamaha lässt sich leicht und sicher einlenken erstaunlich behände gar für ihre 251 Kilogramm Gewicht. Noch etwas besser würde das mit einer straffer abgestimmten Gabel funktionieren. Doch die Bulldog behält ihren Kurs auch so auf holperigen Passagen nahezu ungerührt bei, zieht präzise ihre Bahn, fährt einfach genau dorthin, wo sie soll: Blickrichtung gleich Fahrtrichtung. Keine Spur von lästigem Eigenlenken oder Aufstellen. Damit erfährt sie sich Sympathie. Auch beim Abwinkeln in größeren Schräglagen reagiert die Yamaha sehr harmonisch, also keinesfalls kippelig oder gar hinterlistig. Allzu ungestümen Treiben setzt in Rechtskurven lediglich ein zu früh aufsetzender Auspuffkrümmer Grenzen. Ist halt kein durchtrainierter Sportler, sondern eher etwas für den bekennenden Genussmenschen. Sie hat etwas von Walt Disneys Balu, dem netten, singenden Bären und seinem Welthit »Probiers mal mit Gemütlichkeit.« Die Bulldog macht es auch einem ungeübteren Fahrer denkbar leicht, auf Anhieb den viel zitierten sauberen Strich zu fahren. Fein.
Der fällt auf der Sachs bedeutend schwerer. Schade. Wie bereits bei vorangegangenen Tests offenbart die toll gestylte Kreation aus Nürnberg Eigenheiten und Fahrwerksschwächen. Dieses Mal gab es zwar an ihre Geradeauslaufstabilität nichts gravierendes zu beanstanden, aber das Kurvenverhalten der Roadster darf zumindest als gewöhnungsbedürftig bezeichnet werden. Zunächst einmal macht sie es einem wirklich einfach. Schon allein durch ihre leicht nach vorne orientierte, gleichwohl bequeme Sitzposition. Diese Ergonomie passt wie aus einem Guss. Und dann dieses spielerische Einlenken, klasse. So könnte es weitergehen. Tut es aber leider nicht. Vor allem in langsamen Ecken reagiert die Sachs vor dem Kurvenscheitelpunkt störrisch, will mit kräftigem Gegendruck auf die kurveninnere Lenkerhälfte auf Linie gehalten werden, es braucht plötzlich deutlich mehr Kraft, um die Sachs in tiefere Schräglagen abzuwinkeln. Dieses starke Eigenlenken nervt und wirkt sich nicht gerade vertrauensfördernd aus. Genau wie die zu weich abgestimmten Federelemente. Die Gabel und die beiden Federbeine könnten straffere Feder gut vertragen, dann nämlich würde die Roadster auf kleinen, holperigen Landsträßchen, eigentlich dem idealen Revier für solche Motorräder, deutlich stabiler fahren und auch zu zweit besetzt deutlich mehr Souveränität ausstrahlen.
So gerät die Sachs auch gegenüber der zierlichen, aber bleischweren Harley Sportster ins Hintertreffen. Wegen ihrer bretthart abgestimmten Federbeine keilt das 883 R-Heck auf Waschbrettstrecken zwar deutlich aus und lässt einen über den aktuellen Straßenzustand nie im Unklaren, was die dünn und straff gepolsterte Sitzbank noch verstärkt. Ans zu zweit fahren sollte man wegen ihres wahrhaft spartanischen hinteren Notsitzes lieber ganz verzichten. Dennoch fährt sie stabiler als die Sachs. Was auf den ersten Blick ziemlich archaisch wirkt, stellt sich beim Fahren als überaus segensreich heraus: Reifendimensionen im Format »Trennscheibe«, hinten genügt ein 130er, vorne tuts eine 19-Zoll-Felge mit schmalem 100er-Reifen. Damit fährt die kleine Harley auch auf winkeligen Kursen überraschend zielgenau, wenn auch nicht besonders handlich. Mit zunehmendem Tempo fühlt es sich dann beinahe so an, als müsse man eine Dampflok zu einer Richtungsänderung bewegen. Überhaupt wirkt die 883 R wie aus dem Vollen geschnitzt, nix geht auf ihr von alleine. Egal, ob Getriebe, Kupplung oder das Bremsen, bei der Sportster benötigt alles deutlich mehr Kraft als bei den Konkurrentinnen. Wobei die zweite Bremsscheibe am Vorderrad nicht nur als optisches Schmankerl fungiert, sondern der R gute und zeitgemäße Verzögerungswerte beschert. Wenig verwunderlich, schließlich sind die beiden Vierkolbenbremssättel baugleich mit denen des neuen Harley-Flaggschiff V-Rod.
Deutlich leichteres Spiel hat der Bulldog-Fahrer, vor allem bei den Bremsen. Da hat Yamaha wirklich nicht am falschen Platz gespart und ihr die beinahe schon bissigen Bremszangen der R1 spendiert, die ihr volles Potenzial gar nicht ausspielen können. Dem stehen die zu früh auf Block gehende Gabel und die mehr auf Laufleistung denn auf maximalen Grip ausgelegte Erstbereifung Dunlop D 205 im Weg. Die Sachs gibt sich in puncto Bremsen ebenfalls keine Blöße und beweist eindrucksvoll, dass die hintere Trommelbremse nicht nur schön nostalgisch aussieht, sondern prima und gut dosierbar funktioniert.
Wenn alles an der Sachs Roadster so gut funktionieren würde, fiele ihr Abstand zu Yamaha Bulldog deutlich geringer aus. Weitere wichtige Punkte verspielt sie mit ihrer nicht gerade vorbildlichen Verarbeitung. Schon bei Kilometerstand 3800 zeigte die Roadster teilweise deutliche Abnutzungserscheinungen, beispielsweise an den Schalldämpfern und den sichtlich mitgenommenen Hydraulikflüssigkeitsbehältern. In Anbetracht ihres Preises von immerhin 15490 Mark wäre eine sorgfältigere Auswahl der Zulieferanten wünschenswert. Qualitativ hochwertiger präsentieren sich die fein und mit Liebe zum Detail gemachten Harley und Yamaha, letztere überzeugt dabei auch noch mit einer überdurchschnittlichen Ausstattung. Und beide fallen beim Preis nicht völlig aus dem Rahmen. Die Bulldog fährt nicht nur deshalb einen souveränen Testsieg ein. Sie überzeugt mit einem feinen, homogenen Fahrverhalten und darf sich als erfrischender Mix aus Tradition und Moderne bezeichnen. Eine Tatsache, die nicht nur Norbert Blüm, der die Zeit so gerne ein bisschen anhalten möchte, sicherlich erfreut: Den Spaß am ursprünglichen, möglichst stressfreien Motorradfahren verkörpern alle drei, weshalb sie auch keine Gefahr laufen, schnell wieder aus der Mode zu kommen. Und das ist gut so.
2. Platz - Sachs Roadster 800
Licht und Schatten wechseln sich bei der Sachs in schöner Regelmäßigkeit ab. Pluspunkte sind ihr recht kräftiger und laufruhiger V2 und die sehr bequeme Sitzposition. Und natürlich die bestechende Optik. Für letzteres gibt es leider keine Punkte. Arbeit steht den Sachs-Konstrukteuren ins Haus wegen der nach wie vor verkorksten Fahrwerksabstimmung und dem damit verbundenen, sehr gewöhnungsbedürftigen Fahrverhalten der Roadster 800. Schade, denn sie könnte mehr.
3.Platz
Harley-Davidson und MOTORRAD-Punktewertungen: Zwei Welten prallen aufeinander. Abseits aller Zahlenspiele legt der jüngste Sproß der kleinen 883er-Familie ein tolles Debüt hin, kombiniert klassisches Design mit guter Verarbeitung und einem modernen Fahrwerk. Besonders lobenswert: die neue Bremsanlage. Sie beißt jetzt endlich richtig schön kraftvoll zu. Last but not least ist die 883 R eine wirklich günstige Gelegenheit, eine Harley zu fahren.
1. Platz - Yamaha BT 1100 Bulldog
Der Roadster soll die Lust aufs Motorradfahren mit reiner Technik ohne Schnickschnack erhöhen«, sagt Yamaha. Und hat Recht. Die Bulldog ist ein gelungenes Motorrad bar jeglichem Leistungsdruck für genussvolles Fahren auf der Landstraße, allein oder zu zweit. Sie fährt auch auf schlechten Strecken einfach und neutral. Genau das bringt jede Menge Fahrspaß. Die gebotene Leistung reicht dazu allemal aus. Verbesserungswürdig: die zu weiche Abstimmung der Gabel.