Ursprünglich kam die Yamaha Fazer als kleine Vmax auf den Markt. Jetzt ist auch schon die zweite Tausender mit dem alten R1-Motor in die Jahre gekommen. Willi vom Rainer borgte mir die Trägerrakete für das Beauty-Case seiner Frau.
Ursprünglich kam die Yamaha Fazer als kleine Vmax auf den Markt. Jetzt ist auch schon die zweite Tausender mit dem alten R1-Motor in die Jahre gekommen. Willi vom Rainer borgte mir die Trägerrakete für das Beauty-Case seiner Frau.
Ich war einigermaßen erstaunt. Graf Seitzmo hatte einen neuen Auftrag für mich: „Schau dir doch mal die FZ1 an, ist beliebt, spricht aber kaum jemand drüber.“ Die Yamaha FZ1 Fazer? Die Maschine, die ursprünglich natürlich fest in mein Gemüt gefahren war, hatte ich längst nicht mehr auf dem Radar. Ich muss gestehen, ich wunderte mich, dass Yamaha das Naked beziehungsweise die Halbverkleidete mit dem alten R1-Motor überhaupt noch anbot. BMW S 1000 R, Aprilia Tuono 1100 RR, KTM 1290 Super Duke R und die brandneue Suzuki GSX-S 1000 binden die Aufmerksamkeit bei den Nackten, und wenn ich an Halbverkleidete denke, habe ich die Kawasaki Z 1000 SX und die Suzuki GSX-S 1000 F vor Augen. FZ1 und FZ1 Fazer sind – zumindest was den Aufmerksamkeitswert betrifft – fest ins Hintertreffen geraten.
Die Frage, ob sie noch zeitgemäß fahren oder eher schlapfenmäßig unterwegs sind, war spannend, aber die Beantwortung nicht frei von Komplikationen. Bei den Händlern gibt es nämlich nur mehr äußerst wenige fabrikneue Yamaha FZ1 oder FZ1 Fazer. Auslaufmodelle, wie man so sagt. Das lässt natürlich den Schluss zu, dass Yamaha bald eine neue nackte beziehungsweise halbnackte Tausender bringen wird, die – ähnlich wie die R1 heuer – starke Akzente setzen und mit vollem technischen State of the Art furios in die Herzen der Fans fahren wird, aber die offizielle Seite hüllt sich noch hartnäckig in Schweigen. Dieser Aspekt war wohl Graf Seitzmos Motivation für die FZ1-Story. Klar muss sein, dass sich ein neues Bike, das die lange Fazer-Tradition fortsetzt, vom aktuellen Modell in einem Punkt dramatisch unterscheiden wird: bei der Elektronik. Denn die FZ1, die jetzt abverkauft wird, hat keinerlei Modi und Assistenzsysteme, verlangt vom Reiter ein hohes Maß an Eigenverantwortung, sieht man vom ABS ab.
Auf der Suche nach einer Testmaschine sah ich relativ rasch ein, dass ich mir eine ungebrauchte FZ1 (egal ob nackt oder mit Bikini) abschminken musste, dafür aber stellte mir der Yamaha-Rainer-Mechaniker Willi seine persönliche Yamaha FZ1 Fazer zur Verfügung. Inklusive Beauty-Case von seiner Frau.
Einerseits war ich wirklich ergriffen ob dieser selbstlosen Großtat, andererseits echt schockiert. Die 11.000 Kilometer junge, dunkelblaue Yamaha FZ1 Fazer mit dem Akrapovic war an sich eine top gepflegte Augenweide, aber der riesige Schminkkoffer hinter dem Rücksitz ein für mich unfassbares Verbrechen an der sportlichen Linie, die die Entwickler in Japan in unzähligen Stunden erarbeitet haben. Noch bevor ich den Motor anwarf, nahm ich das Topcase ab. Willi hob die Brauen: „Gefällt dir nicht?“ Ich nickte und beschränkte mich auf das Wesentliche: „Ist sicher praktisch, aber wir wollen die Maschine nur aus sportlicher Sicht beurteilen.“ Natürlich hätte ich noch ausführen können, dass ich solche Koffer überhaupt nicht aushalte, weil sie in meinen Augen jede Maschine entweihen, aber einerseits darf man die eigene Befindlichkeit sowieso nie zu wichtig nehmen und andererseits bin ich ein überzeugter Anhänger der Philosophie der Notwendigkeit: Im Umgang mit Menschen hat man zu überlegen, was notwendigerweise zum Ausdruck gebracht werden muss und was nicht. Und abgesehen davon: Ich hatte es wirklich eilig.
Mir gefiel das tiefe Blau, die goldene Gabel, der bullige Tank, die relativ gerade Lenkstange auf den Risern, die schlanke, digitale Armatur mit dem großen analogen Drehzahlmesser und die Sitzposition: aufrecht, aber sportlich. Der Kniewinkel war engagierter als auf Liegestuhl-Choppern oder riesigen Reiseenduros, aber deutlich komfortabler als auf Supersportlern. Perfekt! Genau meine Welt. Superbike-Motor, aber kommode Haltung. Dann startete ich. Die Kupplung war nicht superleicht zu bedienen, dafür aber – und das ist auf der Yamaha FZ1 Fazer nicht unerheblich – extrem präzise zu dosieren. Nicht unerheblich deshalb, weil der alte R1-Vierzylinder (vor der Crossplane-Phase) bis 4000/min ziemlich schwächelt und erst ab 7000/min so richtig mitreißend austeilt. Insofern ist es wichtig, dass man beim Ampelduell die Kupplung sauber dosiert, und auch beim ambitionierten Abfeuern aus engen Ecken spielt das eine wichtige Rolle. Nicht nur wegen der schon erwähnten Motorcharakteristik, sondern auch, weil die Yamaha FZ1 Fazer relativ lang übersetzt ist. Im Zweier marschiert sie laut Tacho knapp 170. Herrlich! Das ist schon sehr beeindruckend.
Man sitzt auf der Yamaha FZ1 Fazer vollkommen entspannt und erlebt, wie der 150 PS starke, extrem kultivierte Reihenvierer unglaublich forsch anreißt. Nachdem ich dann einmal kurz 238 im Fünfer ablesen konnte, hatte ich eine klare Erkenntnis: Diese Maschine ist die Trägerrakete für den Schminkkoffer. Den Sechser, der bis echte 260 reicht, legte ich nicht mehr nach. Das Verkehrsaufkommen war einfach zu dicht. War vielleicht auch der Windschutz des kleinen Schildes der Bikini-Verkleidung in diesem Geschwindigkeitsbereich schon mangelhaft? Nein, das spielte keine Rolle. Selbstverständlich bot mir die Fazer-Scheibe keinen perfekt abgeschirmten Arbeitsplatz, aber sie wirkte erstaunlich gut: kein Druck am Oberkörper, kaum Verwirbelungen an Schultern und Helm. Ich musste mich nicht ducken und falten, sondern konnte entspannt sitzen und irr dahinrasen.
130, 160, 180, 210, 240, 270 km/h. Die lange Übersetzung des Sechsganggetriebes, das sich sauber schalten lässt, ist bemerkenswert. Das ist schon ziemlich nahe am Supersport. Einerseits ist es unendlich herrlich, wenn die Yamaha FZ1 Fazer mit dem nackten Flair oben dahinorgelt und beeindruckend vollstreckt, andererseits vermisst man die Kraft im Keller schon. Bis 4000/min ist nichts los, und selbst bis 7000/min ist der in der Spitzenleistung viel schwächere Motor der Honda CB 1000 R zum Beispiel stärker. Sowohl beim Drehmoment als auch bei der Leistung. Der Reihenvierer der Kawasaki Z 1000 SX, der den Motor der Honda in allen Bereichen dominiert, wird vom FZ1-Triebwerk überhaupt erst bei 9300/min eingeholt. Ab dann spielt die Yamaha voll ihre Trümpfe aus, aber das Vordringen in fünfstellige Drehzahlbereiche ist halt – abgesehen von Rennstrecke und Autobahn – eher selten. Erschwerend kommt hinzu, dass durch die lange Übersetzung die objektive Zugkraft der FZ1 deutlich geringer ausfällt als die von SX und CB. Das spürt man auch.
Ist aber kein Grund zur Verzweiflung. In der Praxis wird man sich die ausgeprägte Charakteristik des alten R1-Motors einfach zunutze machen: 1.) Will man den Wahnsinn, den Thrill, die volle Adrenalindosis oder hat man es mördereilig, wird man den Reihenvierer nicht unter 7000/min fallen lassen. 2.) Will man es tourenfahrermäßig beschaulich und soziafreundlich entspannt, hält man sich zwischen 4000 und 7000/min auf. Da geht dann schon was weiter und man ahnt, dass sich ein Orkan zusammenbraut. 3.) Ist man von allen guten Geistern verlassen, hat eine schwere Grippe oder einen Arm im Gips, fährt man unter 4000/min und genießt den „marod schleichenden Winnetou-Modus“. Also, bei der Yamaha FZ1 Fazer ist schon für jeden etwas dabei. Sollte der geneigte Leser mit dem „marod schleichenden Winnetou-Modus“ wenig anfangen können, hier in aller Kürze die Erklärung: Winnetou schleicht lustlos und bedrückt durch die Prärie und antwortet auf die Frage „Warum bist du denn so traurig?“ wahrheitsgemäß: „Weil die gemeinen Bleichgesichter mein Pferd zu Tode gekitzelt haben.“
Mir hat die Yamaha FZ1 Fazer wirklich getaugt. Auch vom Fahrwerk her. Die voll einstellbaren Dämpfer sind von Haus aus auf der straffen, aber nicht unkomfortablen Seite, das Handling ist nicht superagil, aber keinesfalls stur, das Gewicht nicht superleicht, aber nicht schwer. 229,5 Kilo vollgetankt bei einem Radstand von 1460 Millimetern und einem Lenkkopfwinkel von 65 Grad geben schon am Papier eine klare Ahnung, dass sich die große Fazer sehr sportlich bewegen lässt, ohne ins Extrem zu kippen. Selbst bei hohen Geschwindigkeiten werden Wellen souverän geschluckt, die Gabel hält dem mitunter harschen Druck beim Anbremsen (der Anker funktioniert sehr gut) locker stand und führt das Vorderrad tadellos. Sehr feinmotorische Fahrer, die den Stier nicht bei den Hörnern packen möchten, werden vielleicht ein leichtes Aufstellmoment beim Bremsen in Schräglage wahrnehmen. Einer wie ich merkt das zwar auch, aber es ist ihm vollkommen egal. Hat mich ja in keiner Weise behindert. Das Einzige, das mich an der Yamaha FZ1 Fazer wirklich stört, ist die nicht perfekte Gasannahme. Die spürbare Verzögerung in der Leistungsabgabe, wenn man vom langen Schiebe- in den Lastbetrieb wechselt, erschwert das entfesselte Feuern kurz nach dem Scheitel. Da muss man dann einfach Abstriche machen. Keine Frage, der FZ1ler, der seine Maschine in- und auswendig kennt, wird damit weniger Probleme haben als ein Testfahrer, der ständig die Bikes wechselt, aber objektiv betrachtet ist diese Eigenheit der FZ1 verbesserungswürdig.
Sollte tatsächlich ein Nachfolgemodell kommen, wird man das ausgebügelt haben. Genauso, wie man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit rechnen kann, dass die Neue viel Elektronik an Bord haben wird. Mir persönlich sind jetzt auf der Yamaha FZ1 Fazer weder Traction-, Wheelie-, Slide- noch Launch-Control abgegangen. In keiner einzigen Situation hatte ich das Gefühl, elektronische Assistenz-Systeme zu brauchen. Im Gegenteil. Die mechanische Klarheit und Reife der Trägerrakete förderte mein Vertrauen und führte zu einer wunderbar direkten Verbindung von Mensch und Maschine. Für mich ist das einfach herrlich. Will jetzt nicht als Technologie-Verweigerer dastehen und bewundere ja tatsächlich die Leistungen der Elektronik sehr, aber tief in meinem Inneren zieht es mich einfach zu Motorrädern ohne Sensoren und Hilfspaketen.
In den 80ern brachte Yamaha die erste Fazer. Es war eine 750er mit Fünfventil-Reihenvierer, die als „kleine Vmax“ gehandelt wurde. Mir hat sie immer sehr getaugt, aber ein Verkaufserfolg war es keiner. Gefallen hat mir auch die nachfolgende 600er-Fazer, die zwar besser in den Markt fuhr, letztendlich aber gegen die genial designte Honda Hornet in der Käufergunst schwer abbiss.
Gefahren ist die 600er-Fazer mit der Halbschale und dem 160er-Hinterreifen sehr gut, aber optisch war die Hornet mit dem 180er kilometerweit vorne. Großes erwartet habe ich mir dann 2001 von der ersten Fazer mit 1000 Kubik. Leider aber steckten die Japaner den göttlichen R1-Motor in ein günstiges Chassis mit Stahlrahmen und Kastenschwinge. Es war zum Verzweifeln damals. Die schnellen Burschen der aufrechten Vollstreckung wünschten sich so sehr ein supersportliches Naked, aber Japan rückte einfach keines heraus. Während die Supersportler technisch unfassbar gut waren, entpuppten sich die nackten Derivate immer als Maschinen zweiter Klasse. Mir war das vollkommen unerklärlich. Ich kannte ja viele Menschen – mich eingeschlossen –, die sofort in einen nackten Supersportler investiert hätten, aber von einem Gerät mit minderwertigem Fahrwerk die Finger ließen. Wollte man Hightech, musste man in der Fraktion der Gebückten bleiben.
Diesen Bann, der mir schon wie ein ewiger Fluch vorkam, hat dann Triumph gebrochen. Die Briten brachten 2002 die Speed Four, die nichts anderes war als eine TT 600 ohne Verkleidung. Renntauglicher Rahmen, renntaugliche Dämpfer, renntaugliche Bremse, renntauglicher Motor. Damit war das erste serienmäßige Naked Bike auf der Welt, das mit den Supersportlern aus der Kiste heraus mithalten konnte. Leider war die Speed Four halt unfassbar hässlich und verkaufte sich entsprechend schlecht. Aber sie läutete einen neuen Trend ein: Nakeds mit würdiger Technik. Zwar agierte Yamaha bei der 2004 erscheinenden FZ6 noch etwas zurückhaltend und zögerlich, aber 2006 bei der FZ1 machte man Nägel mit Köpfen, wie man so sagt: Superbike-Schwinge, rennorientierter Alu-Brückenrahmen, straffes Fahrwerk und top Bremse. Und davon profitiert die 1000er-Fazer noch heute.
Als ich die Yamaha FZ1 Fazer, die mir einen großartigen Tag im Zeichen der Attacke beschert hatte, retournierte, war Willi nicht da, sondern nur sein Kollege. Ich bedankte mich herzlich und musste dann einfach noch eine Frage stellen: „Die Maschine vom Willi ist top in Schuss und ein mächtiges Eisen, aber warum zur Hölle hat er so einen riesigen Koffer, der die schnelle Linie komplett zerstört, hinten drauf?“ Der Kollege lächelte mild: „Wegen seiner Frau. Die lehnt sich da gerne an.“ Da war ich dann richtig erleichtert.
Wenn ich so über die Yamaha FZ1 Fazer nachdenke, freue ich mich mörderisch auf die neue. Keine Ahnung, wann sie wirklich kommen wird, aber nachdem Yamaha heuer mit der YZF-R1 so furios in den Supersport-Olymp zurückgekehrt ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die drei gekreuzten Stimmgabeln auch den Markt der Nackten und Halbnackten wieder verschärft mit einem Reihenvierer attackieren, in meinen Augen sehr hoch. Der Crossplane-Block wäre ja ideal dafür. Die derzeit auslaufende Yamaha FZ1 Fazer ist noch immer eine beeindruckende und kampfstarke Maschine, die wohl als eine der Letzten ihrer Art ohne elektronische Assistenzsysteme auskommt. Aber stärker und besser geht und taugt immer.
Die mäßige Leistung der Yamaha FZ1 Fazer unter 7000/min fällt im Diagramm erst kaum auf, wird aber durch die lange Übersetzung spürbar verstärkt.
ANTRIEB
Vierzylinder-Reihenmotor, vier Ventile/Zylinder, 110 kW (150 PS) bei 11.000/min*, 106 Nm bei 8000/min*, 998 cm³, Bohrung/Hub: 77,0/53,6 mm, Verdichtungsverhältnis: 11,5:1, Zünd-/Einspritzanlage, 42-mm-Drosselklappen, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Anti-Hopping-Kupplung, Sechsganggetriebe, G-Kat, Kette
FAHRWERK
Leichtmetall-Brückenrahmen, Lenkkopfwinkel: 65,0 Grad, Nachlauf: 109 mm, Radstand: 1460 mm, Upside-down-Gabel, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Zentralfederbein mit Umlenkung, einstellbar in Federbasis, Zug- und Druckstufe. Federweg vorn/hinten: 130/130 mm, Leichtmetall-Gussräder, 3.50 x 17/6.00 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/50 ZR 17, Erstbereifung: Michelin Pilot Road, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit radial angeschlagenen Vierkolben-Festsätteln vorn, 255-mm-Einzelscheibe mit Einkolben- Schwimmsattel hinten, ABS
MAXIMALE HINTERRADLEISTUNG
97 kW (132 PS) bei 267 km/h
BESCHLEUNIGUNG
0 –100 km/h: 3,5 s;
0 –150 km/h: 5,7 s;
0 –200 km/h: 9,8 s
DURCHZUG
50 –100 km/h: 5,3 s; 100 –150 km/h: 5,2 s
HÖCHSTGESCHWINDIGKEIT
252 km/h
GEWICHT
229,5 kg vollgetankt, v./h.: 50,8/49,2%,
Tankinhalt: 18 Liter
Setup Gabel
Druckstufe: 4 K offen, Zugstufe: 16 K offen, Niveau: Standard
Setup Federbein
Druckstufe: komplett geschlossen, Zugstufe: 2 K offen, Niveau: Standard
GRUNDPREIS
11.495 Euro