Leicht verpeilt irren Autor und Tourbegleitung auf der Suche nach der Kocherquelle südlich von Aalen. Diese verorten wir hier in Unterkochen genau zwischen Färberstraße und Im Bühl, wo das Flüsschen seinen Anfang hat. Zumindest beginnt dort das feine blaue Geschlängel auf dem Handy-Display. Ach, hätte man nur weitergescrollt. Und gründlicher recherchiert. Dann wäre klar gewesen, dass es gleich zwei Quellen gibt, die des Schwarzen und die des etwas kürzeren Weißen Kochers; dazu auch noch den Roten Kocher, der allerdings ist nur 150 Meter lang und komplett verrohrt. Statt also richtigerweise via Heidenheimer Straße oder Bischof-Hefele-Weg zumindest eine der idyllischen Quellen zu erreichen – die beiden Wasserläufe vereinigen sich erst etwas später zum eigentlichen Kocher –, landen wir zwischen Schrebergarten, Hühnergegacker und Brennnesselgestrüpp unter einer den jungen, bräunlich schimmernden Schwarzen Kocher überspannenden Betonbrücke.
Kocherschleifen und kurvige B 19
Dort, wo wir fälschlicherweise die Kocherquelle vermutet hatten, geht das Flüsschen nur auf Tauchstation und macht quasi blau. Aber dann. Kaum liegt Aalen hinter uns, sieht die Welt ab Niederalfingen schon anders aus. Wie eine Sinuskurve schwingt der Kocher durchs Tal, eine Flussschleife folgt der nächsten, anhänglichst begleitet von der kurvigen B 19. Und der Royal Enfield Continental GT. Ein klassischer Twin ohne Schnick und Schnack. Aber mit einem verchromten Tank, so blank, dass sich mein Grinsen darin spiegelt. Auch mit "nur" 48 PS geht es bei einem Abstecher nach Hangendenbuch hoch hinaus.
"In ’ner halben Stunde sind wir da." "Kommen Sie mit E-Bikes?" "Nein, mit Motorrädern." "Ach ja, dann klappt’s." Tja, wer hier an einem schönen Wochenende per App und Telefon auf Zimmersuche geht, gilt wohl am anderen Ende der Leitung fast automatisch als jemand, der unterwegs ist auf dem populären Kocher-Jagst-Radweg. Kaum sind wir dann in Schwäbisch Hall vom Hotel Kronprinz aus zum Après-Moto durchgestartet, gilt es, möglicherweise den nächsten Irrtum zu korrigieren, das Vorurteil gegen verschnarchte schwäbische Städte. Denn ob lauschiger Biergarten Unterwöhrd auf einer Insel im Kocher oder Kneipenflut in romantischen Altstadtgassen: Saturday Night Fever vom Feinsten. Und der historische Marktplatz mit Rokoko-Rathaus, gotischem Pranger und der Freitreppe vor St. Michael spielt fast in einer Liga mit der Piazza del Campo von Siena. Schwäbisch Hall? Aber Hallo!
Kocher-Windungen zwischen Untermünkheim und Künzelsau
Das perfekte Pflaster für den nächsten Fahrtag bietet die den Kocher-Windungen folgende Strecke zwischen Untermünkheim und Künzelsau. Dort, kurz hinter der 185 Meter gen Himmel ragenden Kochertalbrücke, treffen wir zufällig auf eine orange-gold glänzende Honda CB 450 K1. Mehr als ein halbes Jahrhundert trennen diese damals revolutionäre Maschine von der aktuellen Royal Enfield – auf den ersten Blick eigentlich unfassbar, mal abgesehen von Duplexbremse und Federbeinen.

Raus aus dem Sight- und Bikeseeing-Modus in Braunsbach, wo ein Sträßchen nach Arnsdorf abzweigt, und die Karte ein paar saftige Serpentinen verspricht. Was keine Lüge ist. Ein Schlenker über Kupferzell, und schon hat uns in Döttingen das Kochertal wieder. Kleine Atempause für die Landlust in Künzelsau, und am Sparkassentempel links ab gen Ingelfingen. Fotostopp dann in Niedernhall: ein Feuerwerk der Farben an der mit üppigen Blumenkästen bestückten Brücke über den Kocher, dahinter das denkmalgeschützte Ensemble aus Fachwerk und Kirchturm. Nicht ganz ins Postkartenbild passen kniehohe Betonwände am Ufer; sie schützen den Weinort vor Hochwasser, wenn der Fluss sein anderes Gesicht zeigt. Heute kann er aber kein Wässerchen trüben – sehr zur Freude von Kanuten, die von Möglingen nach Kochertürn paddeln.
Ende Gelände respektive Gefließe ist vorerst in Bad Friedrichshall, wo der Kocher nach 168 Kilometern in den Neckar mündet. Unweit davon endet der erste Teil der Tour für uns mit den Motorrädern fast so, wie er gestern begann: unter einer graffitiverzierten Betonbrücke über den bräunlich-grün schimmernden Kocher. Denn wohl nur noch per pedes oder Rad ginge es weiter zum Aussichtspunkt Kocherspitze. Ähnlich das Spiel ein paar Kilometer weiter, wo nun der Jagst sich, kurz vor der Mündung ebenfalls in den Neckar, den Blicken entzieht; es sei denn, du wärst ein Schwan, könntest dem Fluss majestätisch durchs Dickicht gleitend folgen.
Jagst-Geschlängel nach Kocher-Kurven
Eigentlich böte sich ein Besuch des Zweiradmuseums Neckarsulm an, aber angesichts des grün-gelb-blau auf der Karte eingezeichneten Jagst-Geschlängels entscheiden wir uns, die Kräder artgerecht gleich weiterzubewegen. Heidewitzka, Herr Kapitän. Volldampf voraus. Es geht zwar nicht mit Sang und Klang und 100 Knoten den Rhein entlang, doch kaum minder spaßig ist das symbiotische Geschunkel von Flüsschen und Asphaltband bis Jagsthausen, vorbei an Wiesen und Feldern und durch lang gezogene Kurven, die locker mehr als 100 Knoten vertrügen; dazu die – sozialverträgliche – Melodie aus den Auspufftrompeten der Continental. Und da fällt mir das Volkslied ein mit den Zeilen: "Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb, die konnten beisammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief" – wenn du dort, wo sich unsere beiden lieb gewonnenen Flüsschen ganz nahekommen, mal eben von Neudenau über Berg und Tal rübermachst nach Stein am Kocher und schwuppdiwupp wieder zurück nach Siglingen am Jagst jagst. Ein paar Leck-mich-am-Arsch-wie-sind-die-geil-Kurven rund um die Götzenburg in Jagsthausen, einst Stammsitz vom "Ritter mit der eisernen Hand", Götz von Berlichingen, und dann: wird es bei der Zimmersuche zappenduster. So landen wir – Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? – außerplanmäßig wieder am Kocher, im märchenhaften Schlosshotel Döttingen bei Braunsbach.

Ebenfalls erwähnens- und besuchenswert: Der bezaubernde Landgasthof Jagstmühle in Heimhausen, das Automuseum im ehemaligen Marstall von Schloss Langenburg, das Fränkische Volksfest in Crailsheim. Und natürlich, südöstlich der ehemaligen Kloster- und Garnisonsstadt Ellwangen sowie 196 Flusskilometer entfernt von der Mündung in den Neckar, der Jagstursprung bei Walxheim. Was für ein prima (Picknick-)Plätzchen.