Akrapovic Full Moon im Fahrbericht

Akrapovic Full Moon im Fahrbericht Pneumatische Mond­landung

Ein Vorderrad, das aussieht wie der Mond, ein pneumatisches Fahrwerk, das den Seitenständer ersetzt, und eine Bremse, die zeitgleich vorne verzögert und hinten abraucht. Sollte man die Akrapovic Full Moon gleich wieder zurück ins All katapultieren?

Pneumatische Mond­landung Alex Stokelj
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Der unverbaute Blick von der Kommandobrücke aus auf dieses mechanische Kunstwerk macht sprachlos. Der Oberkörper neigt sich beim Fahren so stark nach vorn, dass man glaubt, spätestens bei der nächsten Boden­welle radiere der Vorderreifen einem das Kinn weg. Kein Tacho oder Drehzahlmesser, kein Bordcomputer oder Bowdenzug stört die Sicht nach vorn. Das einzige, was sich vor einem wie ein Monument in Richtung Himmel auftürmt, sind unfassbare 30 Zoll Felgendurchmesser. Kaum zu glauben, aber dieses massive und dennoch elegante Motorrad, das seinen Namen dem Aussehen seines Vorderrads verdankt, fährt tatsächlich – auch wenn es eigentlich ein Showbike des Auspuffherstellers Akrapovic ist.

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Über 800 Stunden Arbeit flossen in die bis ins Detail piekfein verarbeitete Akrapovic Full Moon (Vollmond), in deren Mitte ein 1524 Kubik­zentimeter großer 45-Grad-V2-Motor von S & S werkelt. Sowohl der unsichtbare Einschleifen-Rahmen mit integriertem Neun-Liter-Mono­coque-Kraftstofftank als auch die edle Einarmschwinge samt stromlinienförmiger Karosserie bestehen vollständig aus Stahl. Sie alle integrieren zwei maßgeschneiderte, über ein Rohr miteinander verbundene Akrapovic-Auspuffe.

"Das Bike selbst ist im Wesentlichen ein Auspuff"

„Das Bike selbst ist im Wesentlichen ein Auspuff“, sagt Firmengründer Igor Akrapovic grinsend. „Wir wollten unsere Werbung für Cruiser-Auspuffanlagen intensivieren. Dafür brauchten wir etwas, das die Leute überrascht. Die Akrapovic Full Moon hat diesen Zweck mehr als erfüllt. Das ganze Jahr über stand sie auf Ausstellungen und Messen direkt neben den MotoGP-Raketen von Rossi und Lorenzo – und trotzdem schauten die Besucher ausschließlich auf die Full Moon.“ 

Aber ist dieses im vergangenen Dezember auf der Custombike-Messe in Bad Salzuflen präsentierte Motorrad mehr als nur eine clevere Marketing-Maßnahme? Kann man mit dem Zwei-Meter-Radstand-Riesen vielleicht eine kleine Runde drehen? Der Erbauer und Firmeninhaber der slowenischen Manufaktur Dreamachine, Tomaž Capuder, chauffiert die Akrapovic Full Moon an diesem Tag höchstpersönlich auf das staatliche Verkehrsübungsgelände in der Nähe von Ljubljana. Nicht nur mangels Kennzeichenhalter kommt ein Ausritt auf öffentlichen Straßen nicht infrage. Das macht schon die Ankunft des Cruiser-Spezialisten deutlich. Capuder klappt zum Abstellen des Motorrads keinen gewöhnlichen Seitenständer runter, sondern fummelt stolz grinsend hinter seinem rechten Bein an der Karosserie rum, um dort den Knopf für den batteriebetriebenen Luftkompressor zu drücken. Ein Klick und die Full Moon setzt sich mit ihren riesigen, integrierten Trittbrettern behutsam auf den Asphalt – pneumatisch! Eine Mondlandung auf der Straße sozusagen.

Klarer Fall von Gänsehaut-Akustik!

Unweigerlich glaubt man, der Absinth von gestern Abend entfalte erst jetzt seine halluzinogene Wirkung. Doch der Slowene gibt Entwarnung: „Zuerst haben wir eine Doppelschwinge verbaut. Mit der hatten wir allerdings zu wenig Platz für den Kompressor und das Luftreservoir. Also haben wir eine Einarmschwinge konstruiert, um das pneumatische System auf die andere Seite des Hinterrades zu setzen. Es war für uns unvorstellbar, diese imposante Karosserie mit einem schnöden Seitenständer zu verschandeln. Deshalb das pneumatische Federbein und die Telegabel.“

Kaum ist der Starterknopf hinter der rechten Wade gedrückt, erwacht die Akrapovic Full Moon mit einem ungezügelten, bassbetonten Röhren zum Leben. Klarer Fall von Gänsehaut-Akustik! Spätestens jetzt macht das Bike seiner Marketing-Funktion alle Ehre. Denn ein wenig seltsam ist es ja schon, wenn ein Auspuffhersteller ein Showbike fertigen lässt, bei dem – außer den Endkappen – kein Auspuff zu sehen ist, oder?

Rechter Handhebel erfüllt keine Funktion

Wer nun mit dem linken Fuß hektisch herumstochernd nach dem Schalthebel an der Akrapovic Full Moon fahndet, sucht diesen vergebens. Auch der linke Handhebel betätigt wider Erwarten nicht die Kupplung, sondern die Bremsen. Die cleane Optik war den Jungs von Dreamachine oberstes Gebot. Und da der Bowdenzug des Gasgriffs und die ­Leitung der Bremse nicht gemeinsam in das Lenkerrohr gepasst ­haben, wanderte die Bremse eben auf die linke Lenkerseite. 

Der rechte Handhebel wurde nur aus optischen Gründen montiert und erfüllt keine Funktion. Form follows Function eben. Der Handbremshebel steuert das aus einem Rally-Setup ab­geleitete Verbundbremssystem – ein Bremspedal gibt es nicht – mit einer 70-zu-30-Prozent-Aufteilung zwischen der verdeckten 250-Millimeter-Stahlscheibe am Hinterrad und einer massiven 660-Millimeter-Karbonscheibe am Vorderrad. Ja, richtig gelesen, die ­vordere Scheibe der Akrapovic Full Moon misst im Durchmesser stolze 66 Zentimeter. Die 3.5-Zoll breite Vorderradfelge, die die Bremsscheibe trägt und mit dem aus Thailand stammenden VeeRubber in der Spezifikation 140/40-30 besohlt ist, wurde aus einem stattlichen 65-Kilogramm-Aluminium-Stück gefertigt. Im Gegensatz dazu trägt die sechs Zoll breite Hinterradfelge einen eher gewöhnlichen Dunlop D407 in 200/55-17. Wie das wohl fährt?

Mit 49 PS sanft und kraftvoll vorwärts

Der Motor läuft, es kann losgehen. Man drückt den Knopf am rechten Lenkerende, und der erste von sechs Gängen rastet ein. Die Kupplung erledigt ihren Job dabei vollautomatisch. Mit stark nach vorn geneigtem Oberkörper zieht man behutsam das Gas auf, und die ohne Tachometer oder Drehzahlmesser ausgestattete Akrapovic Full Moon drückt mit maximal 49 PS sanft und kraftvoll vorwärts. Nun mit der linken Hand den Knopf zum Hochschalten finden, drücken. Und – klack – der zweite Gang ist drin. Wie bei modernen Sport­motorrädern kann man dabei das Gas einfach stehen lassen. Nur klicken, und der nächste Gang flutscht rein. 

Wegen der langen Übersetzung des Getriebes schafft man es auf dem Übungsgelände lediglich bis in den fünften Gang. Was eigentlich schon zu viel des Guten ist. Denn sobald nur eine leichte Biegung über den perfekt in Silber lackierten Tank hinweg erspäht wurde, heißt es Anker werfen. Doch mit einer kalten Karbonbremse ist das leicht gesagt. Die Karbon-Stopper müssen wie bei den MotoGP-Bikes erst auf Temperatur sein, um ihre Wirkung zu entfalten. Sicher, man könnte die Kolben während der Fahrt stets leicht an die Karbonscheibe anlegen. Doch bei einem Verbundbremssystem mit einer Stahlscheibe am Hinterrad ist diese eher abgeraucht, als dass die Vorderradbremse auf Temperatur ist.

Man lenkt ein – und es passiert nichts

Irgendwie bekommt man es dennoch hin, die Akrapovic Full Moon recht­zeitig zu verlangsamen – die Kurvenfahrt beginnt. Jedoch anders als erwartet: Bei einer maximalen Schräglagenfreiheit von 20 Grad kann man die erste angepeilte Linie direkt vergessen. Und auch die zweite Linienwahl landet sogleich in der Tonne: Die ­Kreiselkräfte des 30-Zoll-Vorderrads sprengen jegliche Vorstellungskraft dessen, was man bisher unter dem Begriff Untersteuern ­verstanden hat. Man lenkt ein – und es passiert nichts. Beziehungs­weise nur ganz wenig. Und das auch ziemlich spät. 

Eine echte ­Herausforderung – nicht nur für die am Boden schrabbelnden Tritt­bretter, sondern auch für die Dehnungsfähigkeit des mensch­lichen Oberkörpers. Man sollte hier aber Gnade vor Recht ergehen lassen. Schließlich pilotiert man ein Showbike, das tatsächlich mehr ist als nur eine Werbemaßnahme für V2-Auspuffe. Gemeinsam mit Dreamachine hat Akrapovic ein nicht nur optisch interessantes Motorrad erschaffen. Hinsichtlich des pneumatischen Fahrwerks und der vollautomatischen Kupplung gibt die Akrapovic Full Moon auch einen Ausblick auf die mögliche Zukunft des Zweiradbaus. Chapeau!

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