Aprilia RSV4 R APRC ABS im Test

Aprilia RSV4 R APRC ABS im Test Wenn auf Knopfdruck die Erde bebt...

Der Druck aufs Knöpfchen lässt die Erde beben, die Wände wackeln. Dieses V4-Superbike ist heiß auf eine neue Runde, besitzt nun ABS samt neuer Bremsen, die die Aprilia brutaler denn je verzögern. Ob die weiteren Modifikationen das Gute noch besser gemacht haben?

Wenn auf Knopfdruck die Erde bebt... Gargolov
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Wröööp. Peng. Wröööööööööööööp. Der Hockenheimring wird zum Konzertsaal. Ein Motorrad ballert mit Vehemenz um die Strecke. Das ist Gänsehautakustik. Dieser einmalig wuchtige Sound, dieses böse Grummeln, reflektiert durch die Fahrbahnbegrenzungen und die Tribünen. Man möchte vor Entzückung umherhüpfen und applaudieren wie bei der MotoGP. Dabei ist gar nichts zu sehen. Noch nicht. Doch das Röhren wird allmählich lauter, dann überschlägt sich der Schall. Plötzlich brennt eine immer größer werdende, aber grazile Silhouette durch die Sachs-Kurve: Der V4-Orchestrator naht, die Aprilia RSV4 R APRC ABS.

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Gutes noch besser machen

Trotz der fast gleichen Optik des Vorgängermodells - die Frontpartie wurde minimal überarbeitet - haben die Italiener umfassend an der Aprilia RSV4 R APRC ABS Hand angelegt, versuchen in der neuesten Ausbaustufe das Gute noch besser zu machen. Dazu senkten sie zunächst die Sitzhöhe, Schwingenlagerung und den Motor jeweils um fünf Millimeter ab. Der Schwerpunkt des Bikes wandert somit tiefer, was von der Tendenz her die Stoppie-Neigung bei harschen Bremsmanövern vermindert. Mit einem neuen Auspuff, einem geänderten Motormapping und einer Reduzierung der Reibung und Pumpverluste am V4-Herzstück fanden die Ingenieure zudem nominal 4 PS Mehrleistung, die sich auf dem Prüfstandslauf jedoch nicht zeigten. Die Leistungs- und Drehmomentkurven des alten und neuen Modells sind fast vollständig identisch. Aber 177 PS sind immer noch mehr als ausreichend.

Der Grip ist am heutigen Tag eh nicht so toll, die Test-Bedingungen also nur durchwachsen: Eispfoten-Wetter im Frühling. Dass bei der Aprilia RSV4 R APRC ABS überhaupt motiviert am Ride-by-Wire-Kabel gezogen werden kann, ist zu einer großen Portion den Gummis zu verdanken. Die Pirelli Supercorsa SP geben ein klares Feedback, bemühen sich mit einer für diese Verhältnisse erstaunlich hohen Betriebstemperatur um annehmbare Haftbedingungen. Sie harmonieren perfekt mit der  Aprilia RSV4 R APRC ABS.

Assistenzkräfte umfangreicher denn je

Die elektronischen Helferlein der Aprilia RSV4 R APRC ABS sind indes nützlich, um die Reifen überhaupt zur Arbeit zu bewegen. Sie unterstützen den Fahrer darin, die Grenzen auszuloten. Und die Assistenzkräfte sind umfangreicher denn je: optimierte Launch-Control, dreistufige Wheelie-Kontrolle, eine modifizierte achtstufige Traktionskontrolle, drei Motormappings (Road, Sport, Track) sowie die neueste Kompetenz der 1000er: ein Bosch-Antiblockiersystem, das je nach Einsatzbereich in drei Sensibilitätsstufen justiert werden kann - ganz unabhängig vom ausgewählten Motormapping. Natürlich ist eine Überschlagserkennung appliziert. Diese entpuppt sich jedoch als Überraschungsei, begeht in der defensivsten Abstimmungsstufe drei eine Gratwanderung zwischen Spiel, Spaß und Spannung. Im scharfen Modus eins ist sie ohnehin ausgeschaltet.

Die neuen Brembo-Monoblock-Bremssättel lassen sich über die ebenfalls neue Handbremspumpe fein dosieren. Packt man ordentlich zu, krallen sich die Beläge dermaßen fest in die Scheiben, dass man glaubt, man hätte einen tonnenschweren Anker geworfen. Das ist der Knaller. Die Kehrseite der brachialen Verzögerungsleistung: Das Hinterrad der Aprilia RSV4 R APRC ABS hüpft beim scharfen Anbremsen in die Höhe und zurück auf den Boden, verlässt immer wieder den Asphalt - und das trotz der beschriebenen fahrwerksgeometrischen Optimierung. Die einst hochgelobte Präzision und Stabilität ist zumindest auf der Bremse des V4-Motorrads in Ansätzen bedroht. Denn mit dem Auf und Ab des 200er-Pneus fängt das Heck über einen Teil des Bremswegs nervös an zu schwänzeln. Zwar führte das bei keiner der durchgeführten Vollbremsungen zu einem besorgniserregenden Auskeilen der Hinterhand, bockstabile Spurtreue ist das aber sicher nicht.

Inwiefern dieses Manko den echten Racer bei der Jagd um die letzte Hundertstel beeinträchtigt, wird ein Test auf der Rennstrecke von Alcarras klären. Denn bis auf diese Eigenheit ist die Bremse eine Wucht, die Ausgangssituation für eine starke Performance der Aprilia RSV4 R APRC ABS also weiterhin gut. Dafür sprechen auch die über die Jahre verfeinerten Kompetenzen des Superbikes.

Fantastisch ausbalanciertes Fahrwerk der Aprilia RSV4 R

Seit jeher ist die Italienerin für ihr fantastisch ausbalanciertes Fahrwerk bekannt. Kein anderes Bike lässt sich so präzise und handlich über die Piste scheuchen. Souverän wie auf Schienen schießt die 213 Kilogramm schwere Aprilia RSV4 R APRC ABS durch weite wie enge Bögen. All das charakterstark untermalt von orchesterartigem V4-Grollen. Dieses Motorenkonzept bleibt eine echte Ansage im Sportlerbereich. So gleichmäßig wie der Motor zwischen 3000 und 13000 Umdrehungen anzieht, kontinuierlich an Leistung zulegt - und dank einer fetten Schippe Drehmoment -, kann selbst der Rookie mit Verve aus den Kurven surfen.

Wer sich behutsam ans Limit rantasten will, wählt das Road-Mapping. In diesem ist das Ansprechverhalten der Aprilia RSV4 R APRC ABS sanfter und das Drehmoment reduziert. In der Einstellung Sport sind immerhin noch die ersten beiden Gänge leistungsvermindert. Für den Track-Modus gilt: Feuer frei!

Ein Superbike ist kein Sofa

Ergonomisch trifft man auf Vertrautes - also eine kompromisslose Sportlichkeit. Ein Superbike ist eben kein Sofa. Keine fünf Minuten braucht es später im Stadtverkehr, bis die Handgelenke von unangenehmer Belastung berichten. Oberhalb von 70 km/h genügt der Winddruck dann aus, um den Oberkörper zu stützen. So überstehen die Extremitäten eine dreistündige Testfahrt an Ostern ohne Blessuren oder Gelenkschmerzen. Die Dämpfung der Aprilia RSV4 R APRC ABS spricht zudem trotz supersportlich-straffer Grundabstimmung auf geflickten Straßen gut an. Löblich!

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Keck und voluminös: die RSV4 APRC ABS von Aprilia.

Und wie schlägt sich die schärfer abgestimmte Traktionskontrolle? Nun ja, regelt sie am Kurveneingang zum Teil recht früh, lässt sie beim Herausbeschleunigen den Reifen Striche malen. Das Ausprobieren der unterschiedlichen Sensibilitätsstufen bringt bei diesen Bedingungen leider kaum Aufschluss, das Gripniveau ist wohl zu gering. Immerhin: Der Schaltautomat der Aprilia RSV4 R APRC ABS, der ab 4000 Umdrehungen die Kupplung zum Hochschalten überflüssig macht, arbeitet perfekt und ermöglicht rasante Gangwechsel.

Überhaupt ist die neue  Aprilia RSV4 R APRC ABS immer noch die alte: ein 177 PS starkes Superbike mit so viel Charakter, Charme und Dynamik, dass man es einfach (gern) haben will. Die neuen Bremsen mit ABS sind definitiv ein Schritt in Richtung Perfektion, auch wenn das letzte Quäntchen Abstimmung vielleicht doch noch fehlt.

Bremsen im Praxistest

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Halt, stopp! Die Brembo-Monoblocks sind fein dosierbare Verzögerungszangen.

Erst mal zur Theorie: Die Bremsen sind in der neuen  Aprilia RSV4 R APRC ABS mit den neuesten Brembo-Monoblocks samt neuer Handbremspumpe ausgestattet. Zudem verzögert die Italienerin ab sofort mit einem Bosch-ABS, das den aktuellen 9MP-Sensor nutzt. Drei Sensibilitätsstufen bietet der Bordcomputer an: Stufe drei ist für nasse Bedingungen beziehungsweise widrige Fahrbahnverhältnisse vorgesehen. Trockene Straßen pilotiert man in Stufe zwei, erfahrene Piloten schalten für die Rennstreckenhatz in die Stufe eins, in der die Hinterrad-Abhebeerkennung deaktiviert ist.

In der Praxis sieht das ein wenig anders aus: Vier Messungen je Modus wurden auf trockenem Asphalt aus Tempo 100 absolviert. Wenig überraschend ist, dass in der scharfen Rennstreckenabstimmung die besten Verzögerungswerte erreicht werden. Mit einer maximalen mittleren Verzögerung von 9,8 m/s² bremst die Aprilia RSV4 R APRC ABS auf höchstem Niveau - vor allem in Anbetracht des kurzen Radstands und der vorderradortientierten Sitzposition. Auch der Mittelwert aller vier Messungen ergibt mit 9,5 m/s² eine tolle Leistung.

Hinterrad hebt sogar im Regenmodus ab

Überraschend ist, dass in der Regenabstimmung das Hinterrad wider Erwarten nicht am Boden bleibt und Tester Jelicic bei zwei Messungen die Bremse aufmachen muss, um einen Überschlag zu vermeiden. Dieser Modus funktioniert offenbar nur bei sehr schlechten Reibwerten im Regen. Mit einer mittleren Verzögerung von 8,8 m/s² bremst die Aprilia RSV4 R APRC ABS in diesem Modus aber sogar besser als in der für den normalen Straßenbetrieb vorgesehenen Stufe zwei, die auf 8,4 m/s² kommt. Jedoch verbleibt in diesem Modus der hintere Pneu stets am Boden.

Bei den Bremsmessungen aus 70 km/h mit Reibwertsprüngen (Sandfelder) erreicht die am defensivsten abgestimmte Stufe drei der  Aprilia RSV4 R APRC ABS die beste durchschnittliche mittlere Verzögerung von 7,8 m/s² gegenüber 7,6 m/s² in Stufe eins und 7,5 m/s² in Stufe zwei.

Technische Daten

Archiv
Leistungsdiagramm der Aprilia RSV4 APRC ABS.

Motor
Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-65-Grad-V-Motor, je zwei obenliegende, zahnrad-/kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 48 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 420 W, Batterie 12 V/9 Ah, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-kupplung, (Anti-Hopping), Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 42:16.
Bohrung x Hub 78,0 x 52,3 mm
Hubraum 1000 cm³
Verdichtungsverhältnis 13,0:1
Nennleistung
135,3 kW (184 PS) bei 12500/min
Max. Drehmoment
117 Nm bei 10000/min

Fahrwerk
Brückenrahmen aus Aluminium, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, Lenkungsdämpfer, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Alu-minium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Zweikolben-Festsattel, ABS, Traktionskontrolle.
Alu-Gussräder 3.50 x 17; 6.00 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 200/55 ZR 17
Bereifung im Test
Pirelli Diablo Supercorsa SP

Maße+Gewichte
Radstand 1420 mm, Lenkkopfwinkel 65,5 Grad, Nachlauf 105 mm, Federweg v/h 120/130 mm, Sitzhöhe* 840 mm, Gewicht vollgetankt* 213 kg, Zuladung 193 kg, Tankinhalt/Reserve 18,5/4,0 Liter.
Garantie zwei Jahre
Mobilitätsgarantie zwei Jahre
Serviceintervalle 10000 km
Farben Gelb, Schwarz, Weiß
Preis 17103 Euro
Nebenkosten zirka 287 Euro

Messwerte
Fahrleistungen
Höchstgeschwindigkeit1 290 km/h
Beschleunigung
0-100 km/h 3,1 sek
0-140 km/h 4,8 sek
0-200 km/h 7,8 sek
Durchzug
60-100 km/h 3,5 sek
100-140 km/h 3,4 sek
140-180 km/h 3,3 sek
Tachometerabweichung
effektiv (Anzeige 50/100)
49/98 km/h

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