Aprilia RSV4 R / Factory ABS im Test
Mördermäßige Bremsen, musikalischer V4

Zwei Weltmeistertitel hat die Aprilia RSV4 bereits beschert. Dass sie Rennstrecke kann, steht also außer Frage. Mit überarbeiteten elektronischen Fahrhilfen, einem Klacks mehr Leistung und vor allem einem Race-ABS beansprucht sie die Superbike-Krone.

Mördermäßige Bremsen, musikalischer V4
Foto: Hersteller

Noch vor wenigen Jahren hätte man wohl nicht im Traum daran gedacht, dass sich ABS zum absoluten Must-have bei den Superbikes entwickeln würde. Nun aber geht es nicht mehr ohne. Und so rüstet auch Aprilia sein Flaggschiff Aprilia RSV4 mit einem renntauglichen Blockierverhinderer auf, um endgültig zur Krone bei den Superbikes zu greifen.

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Doch das alleine würde die Aprilia RSV4 noch nicht zu einem neuen Modell adeln. Eine Fülle von Detailverbesserungen an Ergonomie, Fahrwerk, Elektronik und ein Quäntchen mehr Leistung sollen ihr den Platz an der Sonne sichern. Denn, zur Erinnerung, den letzten Test auf der Rennstrecke (MOTORRAD 11/2012) entschied die grazile Italienerin für sich. Und beim vorausgegangenen Landstraßen-Shootout verhinderte nur das Fehlen eines Blockierverhinderers den Sprung ganz weit hoch auf das Siegertreppchen. Diese Scharte soll nun ausgewetzt werden.

Bremsen kann die Aprilia RSV4 mördermäßig

Ort der ersten Kontaktaufnahme: die technisch anspruchsvolle Strecke von Estoril. Sowohl Aprilia RSV4 „R“ als auch Aprilia RSV4 „Factory“ stehen für je einen Turn bereit. Nicht viel, aber genug für einen ersten Eindruck: Wie gehabt klinkt sich der Pilot knackig in die kompakte und vorderradorientierte Sitzposition ein. Der im Volumen um eineinhalb Liter gewachsene Tank ragt nun vor dem Bauch etwas steiler auf. Das stört beim engagierten Hanging-off aber keineswegs. In Verbindung mit den ausgeprägter konturierten Tankflanken hat man vielmehr jetzt etwas bessere Möglichkeiten, sich beim Schrägliegen und beim Bremsen abzustützen.

Denn bremsen kann die Aprilia RSV4 mördermäßig. Die neuen Monoblock-Zangen von Brembo packen Runde für Runde ebenso fein dosierbar wie unnachgiebig zu. Wie am Ende der knapp einen Kilometer langen Zielgeraden, wo es vom sechsten bis in den zweiten Gang hinabgeht. Das ABS wirkt stets auf beide Räder. Auch im Track-Modus, bei dem die Abhebeerkennung des Hinterrads nicht aktiv ist. Der immense Grip ermöglicht aber derart vehementes Verzögern, dass die Maschine nervös hin- und hertänzelt, das Hinterrad sacht in der Luft, noch ehe das ABS auch nur daran denkt, regelnd einzugreifen. Wer Befürchtungen hegt, das ABS könnte die Bremsperformance auf der Rennstrecke beeinträchtigen, dürfte also beruhigt sein.

Lang gezogene Wheelies im Rennstrecken-Modus

Im Straßen- und noch mehr im Regen-Modus agiert das zwei Kilogramm leichte, abschaltbare Bosch-System mit knackig-kurzen Regelimpulsen ebenso wirkungsvoll wie die Abhebeerkennung, die besonders im Regen-Modus zuverlässig das Hinterrad auf der Straße hielt. Im Straßen-Modus greift sie bis 80 km/h voll ein, bis 140 km/h mit leicht abnehmender Intensität, ehe sie sich dann darüber ausklinkt. Auch die neu abgestimmte Wheelie-Kontrolle der Aprilia RSV4 hinterlässt einen ordentlichen Eindruck. Im Regen-Modus konsequent, aber nicht harsch, gestattet sie im Rennstrecken-Modus schön lang gezogene Wheelies.

Dass Sitzhöhe, Motor und Schwingendrehpunkt für mehr Bremsstabilität um fünf Millimeter abgesenkt wurden, hat die Aprilia RSV4 nicht ihrer feinen Balance beraubt. Souverän und neutral fädelt sich die Aprilia RSV4 R selbst durch die gemeine Schikane. Die Aprilia RSV4 Factory profitiert dabei deutlich von ihren leichteren Schmiederädern, lässt sich spürbar einfacher in tiefe Schräglagen lotsen und aufreizend eng aus den Ecken herausbeschleunigen. Und der musikalische V4 war ohnehin schon immer ein sehr schlagkräftiger und unterhaltsamer Partner.

Herrlich, wie er am Kurvenausgang anreißt, der Schaltautomat nahtlos Gang an Gang reiht. Wenngleich die Aprilia RSV4 dabei stärker als gewohnt mit den Lenkerenden zappelte. Ungewohnt zunächst auch die neu abgestimmte achtstufige Traktionskontrolle. Sie verarbeitet nun nicht nur Schräglagen- und Schlupfinformationen, sondern bezieht jetzt zusätzlich die Geschwindigkeit mit ein. Wodurch auch Erste-Gang-Kurven besser gemeistert werden. Vor allem aber ist sie noch racemäßiger abgestimmt. So soll die gefahrene Stufe fünf der bisherigen, bereits recht scharfen Stufe drei entsprechen. Sie wachte gut über das Hinterrad, ließ allerdings hin und wieder überraschend viel Schlupf zu. Inwieweit die neue Abstimmung also ein Fortschritt ist, konnte bei dem kurzen Fahrtermin nicht ergründet werden.

So bleibt festzuhalten, dass die Aprilia RSV4 in puncto Ergonomie, Motor und Chassis nach wie vor zur Top-Liga gehört, nun aber um tolle ABS-Bremsen bereichert ist. Alles Weitere wird mit mehr Zeit geklärt, wenn auf der Rennstrecke die Messer gewetzt werden. Und darauf freuen wir uns schon jetzt.

Das ist neu an der Aprilia RSV4

Hersteller
So klein, so gut: neue Brembo Monoblock-Zangen mit vier 30-mm-Bremskolben.
  • Bremse vorne Brembo M430 Monoblock-Zangen;
  • Handbremspumpe neu;
  • Bosch-ABS mit Hinterrad-Abhebeerkennung (nicht im Track-Modus) dreistufig, abschaltbar;
  • Wheelie-Kontrolle dreistufig, abschaltbar;
  • Traktions- und Launch-Control überarbeitet;
  • Tank mit neuer Form und um 1,5 Liter vergrößert;
  • Sitzhöhe, Motor- und Schwingenlagerung um 5 mm abgesenkt;
  • Motor: innere Reibung und Pumpverluste reduziert;
  • Schalldämpfer neu, mit verbesserter Beschichtung;
  • Motormappings (Rain, Street, Track) überarbeitet;
  • Leistung 135,3 kW/184 PS (vorher: 132,4 kW/180 PS).

Technische Daten

Hersteller
Klare Ansage: übersichtliches Display wie bisher schon, neu ist die ABS-Warnleuchte.

Aprilia RSV4 R (Factory) APRC ABS

Motor
Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-65-Grad-V-Motor, je zwei obenliegende, zahnrad-/kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 48 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 420 W, Batterie 12 V/9 Ah, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping), Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 42:16.
Bohrung x Hub 78,0 x 52,3 mm
Hubraum 1000 cm³
Verdichtungsverhältnis 13,0:1
Nennleistung 135,3 kW (184 PS) bei 12 500/min
Max. Drehmoment 117 Nm bei 10 000/min

Fahrwerk
Brückenrahmen aus Aluminium, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Lenkungsdämpfer, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Zweikolben-Festsattel, ABS, Traktionskontrolle.
Alu-Gussräder (Alu-Schmiederäder)
3.50 x 17; 6.00 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 200/55 ZR 17

Maße + Gewichte
Radstand 1420 mm, Lenkkopfwinkel 65,5 Grad, Nachlauf 105 mm, Federweg v/h 120/130 mm, Gewicht vollgetankt 207 (201) kg, Tankinhalt/Reserve 18,5/4,0 Liter.
Garantie zwei Jahre
Farben Gelb, Schwarz, Weiß (Schwarz)
Preis 17 103 (22 503) Euro
Nebenkosten 287 Euro

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023