Die Zeitung hat er längst zum Anschüren des Wohnzimmerofens benutzt. Aber an den Artikel vom 15. 8. 2012 über das erste Tauberbischofsheimer Wechselkennzeichen erinnert sich Dieter Ruprecht* noch genau. Und an das Foto dazu sowieso: „Das ist doch meine Motorrad-Nummer!“ Tatsächlich zeigt das Bild, das MOTORRAD aus rechtlichen Gründen nicht veröffentlichen darf, das aber bis heute mit wenigen Klicks im Internet zu finden ist, wie zwei Mitarbeiterinnen des Landratsamtes Tauberbischofsheim einem Autofahrer lächelnd das Kennzeichen TBB – S 27 überreichen. Das kleine schwarze W über dem Zulassungssiegel fällt Dieter Ruprecht zunächst nicht auf. Die kleinen Zusatzschildchen mit je einer 3** und einer 4**, die auf dem Tresen daneben liegen, auch nicht. Noch ahnt Yamaha-Fahrer Ruprecht nicht, dass damit für ihn ein langer Nervenkrieg beginnt.
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Das Verwechsel-Kennzeichen
Geschichte einer krummen Nummer
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"Der Scheiß nervt!"
Schümann
Gut vier Jahre später. Im Hintergrund bullert der Ofen. Auf dem Wohnzimmertisch hat Ruprecht einen Haufen aufgerissener Kuverts ausgebreitet, aufgekritzelte Telefonnummern drauf, dazwischen Bußgeldbescheide, die typischen Blitzerfotos, behördliche Anhörungsbögen, Mahnungen, Rechnungen, sogar ein Zwangsvollstreckungsbescheid des Gerichtsvollziehers beim Amtsgericht Wertheim und ein „Vorhaltungsprotokoll“ der Polizia Munizipale der Comune di Bologna aus Italien sind darunter. „Seit vier Jahren geht das so. Der Scheiß nervt!“, sagt Ruprecht.
Den Grund für den „Scheiß“ kennt er längst ganz genau. Denn seit vier Jahren fährt ein Autofahrer mit derselben Kennzeichenkombination spazieren, wie sie Dieter Ruprechts FZR 1000 schon seit 1998 trägt – mit fast derselben. Die kleine 3** bzw. 4** am Ende, die das Wechselkennzeichen der Autos komplettiert und es formal zu einer anderen Kennzeichenkombination als diejenige der Yamaha macht, wird aber meist übersehen. „In vier Jahren habe ich elf Strafzettel bekommen, für Vergehen, die ich weder begangen habe noch die Autos besitze, mit denen sie begangen wurden. Und jedes Mal muss ich das aufs Neue nachweisen! Was glauben Sie, wie viele Stunden ich deswegen schon am Telefon verbracht habe?!?“ Stunden, in denen er auch den Mitarbeitern des Landratsamts, das die Kennzeichen ausgegeben hat, wieder und wieder erklärt hat, was ihn so nervt. Bis hoch zum Amtsleiter. Der umgekehrt freilich von dem Yamaha-Fahrer irgendwann schwer genervt war.
Gebührenfrei ein neues Kennzeichen
„Der Fall ist unserer Zulassungsbehörde bestens bekannt“, sagt der Pressereferent des Landratsamts, Markus Moll. Und auch, „dass Bußgeldbehörden die Autos mit dem Wechselkennzeichen und das Motorrad immer wieder verwechseln“. Doch dafür – und damit hat Moll wohl recht – könne das Landratsamt nichts: „Die Vergabe des Wechselkennzeichens und des Motorradkennzeichens ist völlig korrekt und entspricht genau den gesetzlichen Vorgaben.“
Die hohe Ähnlichkeit der Nummern ist also bloß ein blöder Zufall? So kann man das sehen. Und so sieht es auch das Amt: „Um dem Motorradfahrer weitere Unannehmlichkeiten zu ersparen, haben wir ihm angeboten, ihm gebührenfrei ein neues Kennzeichen zuzuteilen.“ Das Wort gebührenfrei ist in der E-Mail an MOTORRAD unterstrichen. Doch davon will der 51 Jahre alte Landwirt nichts wissen und schaltet auf stur: „Die 20 Euro für den Schildermacher, die muss ich aber schon zahlen“, schimpft Dieter Ruprecht. Ihm geht es ums Prinzip. „Schließlich habe ich dieses Kennzeichen seit fast 20 Jahren. Und der andere seit vier! Soll doch der eine neue Nummer bekommen. Schließlich ist er es auch, der immer mal wieder ein bisschen zu schnell fährt oder falsch parkt!“
"Ich mach jetzt gar nix mehr"
Es sind mal hier 7 km/h über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, mal da an der abgelaufenen Parkuhr gestanden – Ordnungswidrigkeiten, Bagatellen. Begangen teilweise außerhalb des Saisonkenzeichen-bedingten Zulassungszeitraums der Yamaha von je einem von zwei Pkw, die auf das im August 2012 ausgegebene erste Wechselkennzeichen des Main-Tauber-Kreises zugelassen sind. „Der große Renner ist’s noch nicht“, war der erwähnte Artikel über TBBs erstes W-Kennzeichen in den Fränkischen Nachrichten überschrieben. Kein großer Renner, aber für Ruprecht ein großes Ärgernis. Denn sobald er Behörden-Post bekommt, muss er aktiv werden. Muss nachweisen, dass er der falsche Adressat ist. „Ich mach jetzt gar nix mehr“, wurde er irgendwann trotzig. Bis ihm der Gerichtsvollzieher schrieb: „Die zu vollstreckende Forderung beträgt 74,55 Euro.“ Den rief er dann doch zurück: „Der hat wenigstens gleich kapiert, was Sache ist.“ Andere Behörden nicht: „Wenn ich nach Italien fahre, muss ich Angst haben, dass mein Motorrad beschlagnahmt wird, weil eines der Autos mal in der Fußgängerzone von Bologna aufgeschrieben wurde.“
Im Landratsamt scheint man auch nicht mehr weiter zu wissen. Als Ruprecht mal wieder anrief, um sich zu beschweren, soll er zur Antwort bekommen haben: „Ja, wenn der andere sich korrekt verhalten würde, dann würde das doch gar nicht weiter auffallen ...“
*Name von der Redaktion geändert; **Kennzeichenkombination von der Redaktion geändert
Was ist ein Wechselkennzeichen?
Das Wechselkennzeichen ist in Deutschland weitgehend unbekannt, da selten. Anders als etwa in Österreich kann es nicht für ein Auto und ein Motorrad verwendet werden. Vorteile bietet es kaum, aber Verwechslungsgefahr besteht.
Dieter Ruprechts Yamaha-Kennzeichen dürfen wir zeigen, weil er als Halter damit einverstanden ist. Den Besitzer der beiden Autos, deren Strafzettel Ruprecht bekommt, weil die Mitarbeiter der jeweiligen Bußgeldstelle nicht genau hinschauen oder ihnen das Prinzip des Wechselkennzeichens gar nicht bekannt ist, konnten wir nicht fragen. Daher muss das Symbolbild hier links reichen, um das Problem anschaulich zu machen.
Das Auto hat das amtliche Kennzeichen G – TÜ 2012 1 – die kleine Eins rechts hinter der Nummer und unter der HU-Plakette zählt zum Kennzeichen. Wird die Eins aber übersehen und in der Halterabfrage nicht genannt, so kommt die Abfrage zu einem ganz anderen Ergebnis. „Schauen Sie doch mal ganz genau hin! Da steht doch noch was!“ – wie eine Beschwörungsformel hat Dieter Ruprecht bei seinen Telefonaten mit diversen Bußgeldstellen den Satz immer wieder benutzt. Auf den oft unscharfen Blitzerbildern ist die kleine Zahl am Schluss kaum zu erkennen.
Eingeführt wurde das W-Kennzeichen im Juli 2012. Damit betrieben werden können maximal zwei Fahrzeuge der gleichen Gattung – zwar nie gleichzeitig, jedoch müssen beide voll versteuert werden. Das W könnte also auch für „Warum?“ stehen.